
Kapitel 5.3
Der kühle Wind zerzauste meine Haare, aber es fühlt sich gut an, mal wieder frische Luft atmen zu können. Die Luft in der Höhle war zwar auch angenehm, aber es tat gut, dem erdigen Geruch ein paar Stunden entfliehen zu können. Genüsslich nahm ich einen tiefen Atemzug nach dem anderen und merkte, wie Liv neben mir genau das Gleiche tat und dabei fast sehnsüchtig in den Himmel blickte.
Wir beide befanden uns alleine auf der kleinen Lichtung. Vor einigen Minuten hatten wir den Stein wieder vor den Eingang zur Höhle geschoben und saßen nun auf ihm. Meine Beine hatte ich mit meinen Armen umschlungen, während ich die Augen geschlossen hatte und mich der Sonne entgegen richtete. Es war schön hier draußen, ich mochte die Natur. Wir waren umgeben von hohen Bäumen und unsere Füße lagen auf dem angenehm kühlen Stein.
Daphne und 67 hatten sich schon auf den Weg gemacht, vor einigen Augenblicken waren die beiden im Wald verschwunden und bewegten sich nun nach Norden, wo der große Markt Kenzies lag, der sich in wenigen Minuten öffnen würde. Wir hatten uns dazu entschieden, in zwei Teams loszugehen, um nachher nicht in Verbindung gebracht zu werden, falls wir erwischt werden sollten, was hoffentlich nicht der Fall war.
Eigentlich war ich im Vorteil, da ich, wenn ich nicht im Wasser war, aussah, wie ein ganz normales Mädchen. Einzig und allein meine unnatürlich blauen Augen würden auffallen. Doch das würde mir heute nichts bringen. Jeder in Kenzie kann mein Gesicht. Genau aus diesem Grund trug ich einen sehr dünnen, schwarzen Kaputzenpulli mit großer Kaputze, die ich mir aufsetzen würde, um mein Gesicht verdecken zu können.
Nach Liv wurde meines Wissens nach nicht gesucht, weshalb sie auch keinen Pulli trug, wie ich. Liv trug ein dunkelblaues, langärmliges Oberteil, das die Aufschrift „Good Vibes“ in hellblauen Buchstaben auf dem Rücken hatte. So sah man ihre Streifen nicht, die ihr bis zu den Handgelenken gingen und ansonsten ihren ganzen Körper bedeckten. Das einzige Problem, waren ihre Streifen im Gesicht, doch die hatte Daphne so gut wie möglich mit geklauter Schminke überschminkt, sodass man sie kaum noch sah.
„Wir sollten auch langsam los“ sprach Liv ihre Gedanken aus und sprang vom Stein hinunter. Ich tat es ihr gleich und landete fast geräuschlos neben ihr im Laub. Zusammen machten wir uns nun ebenfalls auf nach Norden, um zum Markt zu gelangen, 67 und Daphne vermutlich schon längst da.
Liv zog den Riemen ihrer Tasche zurecht, die beim Sprung über einen umgefallenen Stamm beinahe in einen kleinen Bach gefallen wäre, der nebenan verlief und leise vor sich hinplätscherte.
Auch ich trug so eine Tasche bei mir. Sie waren nicht besonders groß, aber groß genug, um einiges darin verstauen zu können. Wir hatten schließlich nicht vor, den ganzen Markt auszurauben, sondern wollten nur so viel mitnehmen, wie wir es für die nächsten Tage benötigen würden.
In den letzten Tagen hatte ich mich gefragt, wie es nun weitergehen würde. Werde ich den Rest meines Lebens in dieser Höhle verbringen oder gibt es noch andere Möglichkeiten? Ich würde die anderen später mal auf ihre zukünftigen Pläne ansprechen. Vorausgesetzt, wir überlebten diesen Tag…
Liv bleib Plötzlich stehen und starrte in die Ferne. Ich folgte ihrem Blick und sah nun dasselbe, was sie auch sah: Wir waren angekommen. Ungefähr hundert Meter weiter tat sich der Markt auf, auf dem schon reges Treiben herrschte. Zusammen liefen wir den kleinen Abhang hinunter und betraten die Menschenmenge.
Überall tummelten sich Menschen umher, jeder trug bunte Kleidung. Eine Frau, die mich gerade angerempelt hatte, trug einen langen, fließenden, knallroten Rock und dazu eine weiße Bluse. Ob es Absicht war, dass sie mich angerempelt hatte, konnte ich nicht sagen. Aber ich ging davon aus, dass es ein Versehen war, da sie mich kurz entschuldigend anlächelte und dann weiterlief.
Wir bewegten uns gezielt auf den hinteren Teil des Marktes zu, an dem das ganze frische Obst verkauft wurde. Das Obst war nämlich lange haltbar und außerdem sehr lecker und nahrhaft. Außerdem war es viel leichter zu Klauen, da die Obststände nicht wie alle anderen Stände, mit einer Glastheke versehen war, die den Verkäufer und die Besucher trennte.
Mir stieg ein würziger Geruch in die Nase und ich drehte meinen Kopf, um zu sehen, woher dieser wunderbare Geruch kam. Ich erblickte einen Metzger, der gerade ein paar Hähnchen würzte und sie kurz darauf einem Mann mit grüner Hose und schwarzem Hemd übergab, der sich lächelnd bedankte, das Geld auf die Theke legte und wieder in der Menge verschwand.
Ich riss mich von dem wunderbaren Geruch los und schloss schnell zu Liv auf, die bereits bei den Backwaren angelangt war. Es roch so gut! Am liebsten würde ich alles probieren, was es hier gab. Frischen Jogurt, ein gut gewürztes Hänchen, Früchte, Brot, einfach alles! Besonders die Backwaren interessierten mich sehr, man konnte nämlich auf Wunsch ein Brot oder sonstiges backen lassen und es wenige Stunden später wieder abholen. Gerade holte ein kleines Mädchen ein Tablet mit herrlich duftenden Schokomuffins ab und rannte begeistert zu ihrer Mama, wobei sie fast stolperte.
Wir waren angekommen. Um uns herum befanden sich die verschiedensten Früchte an den verschiedensten Ständen. Ich richtete meinen Blick auf Liv, die meinen Blick sofort erwiderte. Entschlossen sahen wir uns an, nickten uns zu, dann gingen wir auseinander. Während Liv nach rechts ging und ich nach links, musterte ich aufmerksam die Umgebung und bohrte meine Finger in den Stoff der Tasche.
Mein Weg führte mich zu einem Stand, an dem sich viele Menschen befanden. Dort sah ich die beste Chance, um unentdeckt zu bleiben und ganz schnell ein paar Früchte in meiner Tasche verschwinden zu lassen. Ich lief immer weiter auf den Stand zu und drängelte mich ein wenig durch die Menge, um näher an die Ware zu kommen.
Die Menge spuckte mich direkt vor dem Teil des Standes aus, wo Äpfel, Bananen und Trauben lagen. Geradezu perfekt! Unauffällig bewegte ich meinen Arm auf den Kasten mit den Äpfeln zu, der mir am nächsten war. Ich hatte den Apfel gerade in die Hand nehmen wollen, als plötzlich ein dumpfer Knall ertönte und kurz darauf ein lautes Seufzen.
Mein Blick schnellte herum, damit ich die Ursache des Knalls ausmachen konnte. Ich erblickte eine kleine Familie, die aus zwei Kindern und ihren Eltern bestand. Die Mutter der Familie, hielt einen Beutel in der Hand. Bei genauerem hinsehen, sah ich, dass er am Boden gerissen war. Der gesamte Inhalt – hauptsächlich Früchte und Brot – hatte sich auf dem Boden verteilt und rollte in alle Richtungen davon.
Die Kinder rannten von Frucht zu Frucht, um sie wieder zu ihren Eltern zu bringen und sie ihnen stolz zu präsentieren. Viele Umstehende schlossen sich dem Beispiel an und halfen der Frau und ihrem Mann, den Inahlt des Beutels wieder beisammen zu kriegen. Jede Aufmerksamkeit in meinem Umfeld, lag nun auf der Familie. Das war meine Chance!
Ich ließ meine Hand wieder langsam auf die Äpfel zu gleiten und war erleichtert, als ich den ersten in den Händen hielt und in meiner Tasche verstaute. Aus dem einen Apfel wurden immer mehr, bis ich schließlich fünfzehn Äpfel bei mir trug. Ich schloss die Tasche wieder und bewegte mich langsam vom Stand weg.
,,Hey!" Ich erschrak. Wurde ich erwischt? Hatte der Obsthändler mich gesehen? War es vorbei? So schnell?
,,Sie haben ihr Wechselgeld vergessen!" Der Verkäufer rief nach dem Mann, der sich gerade vom Stand entfernt hatte und sich nun wieder umdrehte. Dankend lief er wieder zurück und nahm das Geld an sich.
Ein großer Stein viel mir vom Herzen fiel, als ich realisierte, dass ich nicht entdeckt worden war und meinen Raub fortsetzen konnte. Die Angst, dass ich erwischte werden konnte, bleib jedoch. Und sie würde garantiert nicht so schnell verschwinden.
Ich ließ meinen Blick erneut über die Stände schweifen und steuerte auf einen abgelegenden Stand zu, an dem ich keinen Verkäufer bemerkte.
Binnen Sekunden hatte ich mir ein großes Brot geschnappt, das herrlich duftete und war bereits wieder in der Masse verschwunden.
Ein Schrei ließ mich aufhorchen. Ich wirbelte herum und merkte, wie mein Herz stehen blieb und ein stummer Schrei meinen Mund verließ, als ich die Szene erblickte, die sich mir bot.
Eine Gruppe von uniformierten Männern betraten in diesem Moment den Parkplatz und sahen sich gründlich um. Es waren um die fünfzig. Ihre Uniformen waren schwarz, ein kleiner Stern, der zwei ineinander verschlungene Hörner in sich trug, befand sich daran. Jeager.
Mein Kopf war wie leergefegt. Ich konnte keine klaren Gedanken mehr fassen. Sterne, ineinander verschlunge Hörner, schwarze Uniformen, Sonnenbrillen, Männer… An mehr konnte ich gerade nicht denken. Die Angst nahm mir die Luft zum Atmen weg. Warum waren sie hier? Warum ausgerechnet jetzt?
Plötzlich kam mir ein Gedanke und ich sah mich hektisch und beängstigt um. Mein Blick huschte hin und her. Wo war Liv? Hatte sie die Männer auch schon bemerkt und war geflohen? Oder stand sie noch ahnungslos hier irgendwo herum? Ich musste sie finden, und zwar schnell!
Ich setzte mich gerade in Bewegung, als ich sah, dass die Uniformierten es mir gleichtaten. Sie hatten es augenscheinlich nicht auf mich abgesehen, aber sie kamen in meine Richtung. Dieser Grund reichte aus, um Angst und Panik in mir auszulösen und einen Entschluss zu fassen.
Ich sah noch einmal zu den uniformierten Typen, musterte mein Umfeld. Dann rannte ich los.
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