26 - Ein Schmerz nicht von dieser Welt
"Ein Mensch mit sanftem Charakter macht sich und andere glücklich."
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Luay lotste mich durchs Zeltlager.
Er ging neben mir und funkelte jeden böse an, der es nur wagte, in meine Richtung zu atmen. Soldaten strömten in Scharen an uns vorbei, ihre blaue Kleidung in Staub und Blut getaucht.
„Ich warne dich vor", sagte Luay, als ein schreiender Krieger auf einer Bahre an uns vorbeigetragen wurde, eine schlimme Fleischwunde an seinem Bein. „Es ist kein schöner Anblick."
Mein Magen rebellierte bei dem Gedanken, dass Zahir etwas zugestossen sein könnte. Der Gestank von Blut und Schweiss und dampfenden Körpern stieg mir in die Nase, je mehr Männer an uns vorbeimarschierten.
„Zahirs Truppe musste heute nicht ausrücken", informierte mich Luay. „Sie haben gestern gekämpft und schwere Verluste erlitten. Er ist wahrscheinlich auf dem Trainingsplatz."
Ich kam gar nicht dazu, Luay zu fragen, wie schlimm es um meinen Verlobten stand, denn plötzlich verlangsamte der Windflüsterer seinen Gang.
Wir näherten uns einer Schlammgrube, welche von grölenden Soldaten umringt war. Sie schienen irgendetwas in der Mitte mitzuverfolgen. Ich sah nichts, denn ich konnte nicht durch die Männerschultern spähen, die mich allesamt überragten.
„Nicht schon wieder", hörte ich Luay seufzen, der sehen musste, was sich dort in der Grube abspielte.
Er legte seinen Arm um meine Schultern und schob mich durch die Menge weiter nach vorne. Die Leute machten dem Wüstenprinzen Platz und schienen mich neben ihm gar nicht richtig wahrzunehmen. Wir zwängten uns durch die Zuschauer, bis wir den Rand erreichten.
Es war ein Kampfring, wie ich unschwer feststellen konnte. Der harte Wüstenboden hatte sich von all dem Blut, dem Schweiss und dem Trampeln in einen zähen, ockergelben Matsch verwandelt.
Im Schlamm erkannte ich zwei Männer, die miteinander rangen. Sie lagen nur in ihren Uniformshosen gekleidet im Dreck, ihre Körper waren so stark mit Schlick zugekleistert, dass man weder ihre Gesichter noch ihre Haut darunter erkennen konnte.
Die Zuschauer feuerten die beiden Kämpfer ekstatisch an und schrieen ihre Namen abwechslungsweise in den Ring.
„Hadi! Zahir! Hadi! Zahir!"
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das war Zahir!
Dort im Zentrum des Kampfringes raufte er sich mit einem Mann. Sie rollten sich keuchend und brüllend auf dem Boden, zwei scheinbar ebenbürtige Gegner, doch dann lag Zahir plötzlich hinter dem Soldaten und drückte ihm mit dem Oberarm die Kehle zu. Der Kerl in Zahirs eiserner Umklammerung zappelte wie wild und fing an zu röcheln.
„Siehst du, was ich meine?", hörte ich Zahir knurren.
Er spannte seinen Arm noch fester an und ich befürchtete, dass er dem Soldaten damit bald das Genick brechen würde, doch da klopfte der andere ab und Zahir liess ihn augenblicklich los.
Der Besiegte rollte sich auf den Bauch, spuckte und hustete in den Dreck.„Mieses Prinzenschwein!", fauchte er.
Zahir sprang auf. „Das nächste Mal solltest du deine rechte Flanke nicht ungeschützt lassen", meinte er und hob den Blick. „Das macht dich angreif—"
Er hielt mitten im Satz inne, als seine Augen auf mich fielen.
Mein Sandleser erstarrte komplett. Wegen des ganzen Dreckes an seinem Gesicht, an seiner Kleidung und an seinem Körper hatte er mehr Ähnlichkeiten mit einem Schlammghul als mit einem Menschen. Der düstere Ausdruck, der über seinen Augenbrauen hing, verwandelte sich schlagartig in Schock.
Er machte einen Schritt auf uns zu und merkte nicht, wie sich der Kerl, den er soeben gebodigt hatte, hinter ihm wieder erhob.
„Was—", wollte Zahir sagen, doch da wurde er von seinem Kontrahenten angesprungen.
Zahir krachte auf die Knie.
Der Soldat hakte einen Arm um den Hals des Prinzen. „Schau du lieber selbst auf deine scheiss rechte Flanke!", donnerte er.
Zahir bleckte die Zähne, während sein Gegner nun das Gleiche mit ihm tat, was er kurz davor gemacht hatte: Er würgte ihn. Die Menge rastete aus, denn offenbar hatte niemand mit dieser Wendung gerechnet.
„Das reicht!", fuhr Luay dazwischen.
Ein Wind peitschte über die Schlammgrube und sorgte dafür, dass das Jubeln der Meute augenblicklich verstarb.
Zahirs Gegner hob verdutzt den Kopf. Wahn spiegelte sich in seinen Augen. Sein Blick huschte von Seite zu Seite, als hätte er gänzlich die Kontrolle über seine Augäpfel verloren, doch dann rasteten sie bei mir ein. Sein Grinsen wurde breiter und offenbarte einen blutigen Mund mit fehlenden Zähnen, die ihm vermutlich bei der Schlacht oder beim Ringkampf ausgeschlagen worden sein mussten.
„Ist die für mich, Wesir?", fragte er. „Ein Freudenmädchen?"
Mit einem tierischen Brüllen rammte Zahir seinen Ellbogen in den Brustkorb seines Gegners. Der Soldat riss die Augen weit auf, doch schaffte er es nicht, seine Lungen mit Luft zu füllen. Der blaue Krieger kippte in den Matsch, sodass es spritzte. Er krümmte sich vor Schmerzen, unfähig, noch ein Wort aus sich herauszupressen. Blut floss ihm aus dem Mund.
Mein Sandleser war frei und sprang auf die Beine, seine Augen glühten, als sie mich fanden und er auf mich zulief. Hinter mir wichen die Zuschauer zurück, als fürchteten sie sich vor Zahirs Wucht.
Da stellte sich Luay in den Weg, knallte Zahir die Hand auf die Brust und blockte ihn ab.
„Langsam, Bruder!", warnte er, doch Zahir schlug Luays Arm weg und stiess ihn zur Seite, sodass dieser im schlammigen Boden beinahe ausrutschte.
In zwei Schritten war er bei mir.
Ich rührte mich nicht, als sich mein Sandleser vor mir aufbaute wie ein Löwe vor seiner Beute. Das laute Schnauben seines Atems war das Erste, was ich vernahm. Dann das Dampfen seines Körpers.
Dreck klebte ihm wie eine zweite Haut übers ganze Gesicht.
Er trat näher, sodass ich nun viel genauer seine Augen erkennen konnte. Eine unheimliche Dunkelheit lag darin. Ich vermutete, dass dies der Rausch des Kaktus verursacht haben musste. Sonst waren seine Pupillen immer so hell wie warmer Wüstensand gewesen.
Sein Blick durchbohrte mich. Ein tiefes, bedrohliches Grollen entkam seiner Brust, das ich so noch nie von ihm gehört hatte. Überrascht wich ich einen Schritt zurück.
„Zahir!", warnte Luay und packte ihn am Arm. „Beherrsche dich!"
Zahir wrang sich aus dem Griff seines Bruders, während er mich unablässig anstarrte. Seine Stirn war verzerrt. Ob vor Wut oder Verwirrung — ich wusste es nicht.
„Ist das eine Halluzination?" Die Frage war an Luay gerichtet, nicht an mich. „Hat Hamza die Rezeptur des Giftes verändert?"
Der wütende Ton seiner Stimme löste einen Schauer an Gefühlen in mir aus. Meine Hand wanderte ganz von alleine an sein Gesicht, denn ich wollte ihm diesen Zorn von der Seele streichen. Ich legte sie vorsichtig auf seinen Kiefer ab und spürte, wie er sich sogleich verkrampfte. Seine Nasenflügel bebten.
Zahirs Arm schoss hervor und packte mich am Handgelenk, griff so fest zu, dass es weh tat und zerrte meine Finger von seinem Gesicht.
„Was soll das?", knurrte er.
Er schien mich nicht wiederzuerkennen.
„Zahir", flüsterte ich. „Ich bin es wirklich."
Die Skepsis und das Misstrauen wollten nicht aus seinem Gesicht weichen, also hob ich eine Hand an meinen Mund, drückte meine Lippen auf die Finger und legte sie anschliessend auf seine schlammverdreckte Brust. Auf sein Herz.
Das Herz, welches mir gehörte.
Fassungslos blickte er auf meinen Arm hinab, als wäre es ein Speer, der ihm mit dem Kuss aufs Herz den Todesstoss gebracht hatte, doch dann löste sich seine Verkrampfung auf.
„Najmah?"
Unglaube und grenzenloser Schmerz glänzten in seinen Augen, als die Erkenntnis endlich kam.
Meine Finger ruhten noch immer auf seiner Brust, während ich nickte. „Ich bin zurückgekommen."
Sein Mund öffnete sich einen Spalt. Er hob die Hand und streifte mit seinen Fingerspitzen meine Wange. Die Kälte des Schlamms war auf meiner Haut zu spüren, doch ich scherte mich nicht darum, denn das Gefühl seiner Berührung war alles, was ich wollte. Ich lehnte mich in seine Zärtlichkeit.
„Ich habe dir versprochen, dass ich dich finden würde", hauchte ich.
Sein Daumen fuhr über meine Wange und löste einen Wohlerguss in meinem Inneren aus.
„Du bist ..."
„... zu dir zurückgekehrt", beendete ich den Satz für ihn und rückte näher, sodass meine Brust die seine streifte.
Die Hitze seines dampfenden Leibes übertrug sich auf mich. Es war mir egal, dass mein Kleid schmutzig wurde, denn ich konnte schlicht nicht nahe genug bei ihm stehen. Ich brauchte ihn.
Zahir musste das Gleiche gefühlt haben, denn jäh zog er mich in seine Arme.
„Du lebst!"
Er presste mich so fest an sich, dass ich sein Herz fühlen konnte und wie heftig es gegen seine Rippen schlug, als drohte es gleich zu platzen. Ein unglaublich schmerzhafter Ton entwich ihm von der Brust und ich spürte, wie er in sich zusammensackte.
„Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren", brachte er hervor.
Er schmiegte seinen Kopf in meine Halsbeuge, inhalierte meinen Geruch tief in seine Lungen, was jedoch dazu führte, dass ein weiterer, aufgebrachter Laut seine Kehle verliess. Seine Finger gruben sich verzweifelter in mein Haar, in meine Haut und ich konnte nicht anders, als ihn enger an mich zu drücken, denn ich fühlte seinen Schmerz, als wäre es mein eigener.
Auch ich hatte geglaubt, dass ich ihn niemals wieder in den Armen halten würde.
„Ich bin da, Zahir", besänftigte ich ihn, „und ich gehe nicht mehr weg."
Mein Blick huschte zu Luay, der angespannt neben uns stand und jede Bewegung seines Bruders mitverfolgte. Doch dann wurde seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt — auf die neugierige Meute, die uns umzingelte.
„Haltet Abstand!", hörte ich den Windflüsterer zischen.
Die Alarmbereitschaft in seiner Stimme, liess uns aufhorchen. Auch Zahir schien nun bemerkt zu haben, welch gierige Menschentraube sich um uns gebildet hatte.
„Wir wollen auch einmal anfassen!", sagte irgendeiner von irgendwo.
„Im Krieg wird alles geteilt!", fügte ein weiterer Kerl an.
„Ich könnte morgen sterben. Sie soll heute bei mir schlafen!"
„Männer!", schrie Luay über ihre Köpfe hinweg. Einige wichen von seiner donnernden Stimme zurück, doch lange nicht alle. „Zurücktreten, oder ich werde euch wegblasen müssen!"
„Aber erst, nachdem ich mir das hier geholt habe!", grölte einer und preschte hervor.
Fremde Hände schlangen sich von hinten um meine Taille und entrissen mich aus den Armen meines Sandlesers. Erschrocken kreischte ich auf. Der Kerl, der mich gepackt hatte, lachte und zog mich davon, tiefer in die Meute. Hände drangen von überall her hervor, berührten meine Arme, meine Beine, meinen Bauch, meine Haare, zupften und rissen an meinen Kleidern. Ich sah weder die Gesichter dazu, noch konnte ich wirklich wahrnehmen, was passierte.
Plötzlich blies uns ein Orkan um die Ohren, der die bedrängenden Männer von mir stiess wie vertrocknete Blätter im Wind. Es wurde geschrien und geflucht.
Eine warme, sichere Hand griff nach mir.
Zahir.
So schnell er konnte, dirigierte er mich durch die Menge. Ehe ich fragen konnte, wohin wir gingen, liefen wir bereits auf ein Zelt zu, dass ich nur allzu gut kannte. Es war sein Zelt.
Er riss die Plane hoch, schmiss mich förmlich hinein und folgte mir ins Innere. Ich stolperte, doch konnte ich mich gerade noch auffangen.
„Zahir ... ich ... es ... tut mir leid", japste ich atemlos.
Er schüttelte den Kopf. Seine einzige Antwort.
Ich presste die Lippen fest zusammen. Dieses Chaos war nur wegen mir ausgebrochen. Ich hatte mich direkt in die Gefahr begeben, obwohl mich Luay gewarnt hatte.
Zahir blieb dort stehen, wo er war, sein nackter Brustkorb hob und senkte sich mit jedem angestrengten Atemzug, den er benötigte. Seine Hände öffnete und schloss er abwechselnd zu Fäusten. Er schien mit sich selbst zu ringen.
„Was hast du?", fragte ich vorsichtig und wollte einen Schritt auf ihn zugehen.
Er hielt die Hand in die Luft. „Komm nicht näher!"
„Warum nicht?"
„Das Gift."
Er strich sich übers Gesicht, als wollte er sich den Rausch wegwischen. Schnaubend schüttelte er den Kopf. Mit einer bebenden Hand deutete er auf den Sekretär. Ich erkannte darauf getrocknete Teeblätter, die wild verstreut herumlagen.
Da stolperte Luay ins Zelt.
„Oh, beim grossen Dschinn!", ächzte er. „Ich dachte schon, ich finde euch zu spät."
Er sah mich bei Zahir stehen, kam auf mich zu und schob mich sogleich mehrere Schritte von ihm weg.
„Halte dich besser von ihm fern."
Er stellte mich ans andere Ende des Zeltes und positionierte sich selbst wieder zwischen uns. Ich verstand beim besten Willen nicht, warum er das tat. Zahir knirschte auf der anderen Seite mit den Zähnen.
„Warum denn?", bat ich um Erklärung.
Luay blickte mich an, als hätte ich ihm gerade die dümmste Frage gestellt.
„Hast du nicht gesehen, was soeben passiert ist? Die wollten dir die Kleidung vom Leib reissen."
„Ja, aber Zahir würde niemals—"
„Doch, würde ich", unterbrach mich mein Sandleser.
Ich starrte ihn entsetzt an. Das konnte er nicht ernst meinen.
„Seine Instinkte sind geschärft, Najmah", versuchte Luay zu erklären. „Der Zwischenfall hat sie wieder in die Höhe getrieben. Wir können von Glück reden, dass er die Männer nicht eigenhändig zerfleischt hat. Im Blutwahn kann sich keiner beherrschen. Es dauert, bis sich das wieder legt. Besser du hältst Abstand."
„Nein", weigerte ich mich und kam näher. Vor meinem Sandleser würde ich mich niemals fürchten.
„Najmah", warnte mich Zahir. „Ich könnte dir weh tun."
„Nein."
„Er steht noch unter dem Einfluss des Kaktus", meinte Luay und ging zum Sekretär. „Dem können wir jedoch hiermit entgegenwirken."
Er sammelte die Teeblätter vom Sekretär zusammen, fand eine silberne Teekanne und warf die Kräuter hinein. Ein leises Summen ertönte und dann ein Glucksen. Dampf begann aus der Kanne zu wabern, wie von Zauberhand erschaffen.
„Er muss Schwarztee trinken. Das löst die Wirkung des Giftes auf", erläuterte Luay und stellte die Kanne wieder ab. „Der Tee muss eine Weile ziehen."
Zahir starrte beschämt zu Boden. Entweder wollte oder konnte er mich in dem Moment nicht anblicken. Luay stand angespannt und breitschultrig zwischen uns. Eine Mauer aus Muskeln und Kraft, die uns zu trennen versuchte.
Das war mir überhaupt nicht recht.
„Lass uns alleine", sagte ich.
Zahir riss entsetzt den Kopf hoch und auch Luay runzelte die Stirn.
„Lass uns alleine", wiederholte ich, als sich der Windflüsterer nicht bewegte. „Und bitte bringe mir eine grosse Schüssel Wasser. Ich will meinen Verlobten waschen."
Stille legte sich über uns.
Luay gehorchte mir nicht und blieb stehen. Er überkreuzte sogar noch die Arme vor der Brust, um seinen Einspruch zu betonen. Dieser störrische Prinz!
„Luay ...", warnte ich ihn.
Er kniff die Augen zusammen. Wir lieferten uns abermals einen stummen Willenskampf. Starrkopf gegen Sturkopf. Früher hätte ich wahrscheinlich nachgegeben und mich den Regeln und dem Willen des Prinzen ergeben. Nicht aber jetzt. Ich blinzelte kein einziges Mal und wartete, bis Luay den Blick schnaubend abwandte.
„Die Haare wäscht er sich draussen", gab er nach und marschierte auf Zahir zu. „Den Rest kannst du machen, wenn du so sehr darauf bestehst."
Luay gab mir gar nicht die Gelegenheit, etwas zu erwidern, denn er packte Zahir am Ellbogen.
„Ich bringe ihn dir mit einer Schüssel Wasser und einem Lappen gleich wieder zurück", meinte er. Er warf mir einen warnenden Blick zu. „Und du bleibst verdammt nochmal hier drin und rührst dich nicht von der Stelle! Hast du mich verstanden, Fennek?"
Mit dem bitterernsten Ausdruck, den er aufsetzte, wollte ich mich nicht anlegen, also liess ich zu, dass Luay mit Zahir aus dem Zelt verschwand. Ich blieb mit klopfendem Herzen stehen und horchte durch die Zeltplanen, was sie draussen trieben.
Luay fluchte laut und redete in sehr resoluter Manier auf Zahir ein, dass er sich gefälligst zu benehmen habe, denn er würde persönlich dafür sorgen, dass er zerhackt und den Soldaten als Fleischration serviert werden würde, wenn er es wagte, mir weh zu tun.
Zahir schwieg während Luays gesamter Standpauke.
Ich hörte ein lautes Platschen und kurz darauf kam Luay mit Zahir, einem grossen Holzkessel und einem Waschlappen wieder ins Zelt. Die rabenschwarzen Haare meines Verlobten hingen in nassen Strähnen von seinem Kopf. Den Schlamm hatte es zwar aus seiner Haarpracht gespült, nicht aber von seinem Körper. Er war noch immer so schmutzig wie ein Suhlschwein.
„Er gehört ganz dir", murrte Luay und schob Zahir vor. Dann verzog er sich grummelnd nach draussen.
Endlich waren wir alleine.
☆☆☆
Ich atmete einmal tief durch.
Zahir hatte sich keinen Schritt von der Stelle gerührt, an welcher sein Bruder ihn abgestellt hatte. Seine Hände hielt er verkrampft an seinen Flanken. Er atmete noch immer so gepresst.
Dieses Kaktusgift in seinem Blut musste raus, also schenkte ich ihm eine Tasse Tee ein, trat näher und reichte sie ihm. Ohne mich anzublicken nahm er mir die Tasse ab und nippte daran. Der Tee war heiss und so trank Zahir langsam.
Ich wartete, bis er die ganze Tasse ausgetrunken hatte, erst danach nahm ich seine Hand und zog ihn in die Mitte seines Zeltes.
„Najmah", brachte er heiser hervor. Seine Finger zitterten in meinen. „Bitte ... es dauert, bis ich wieder normal bin."
„Bis dahin werde ich dich waschen", erwiderte ich bloss.
Seine nackte Brust stach deutlich unter dem Schlamm hervor und er wirkte kurzerhand tatsächlich wie eine Statue aus feuchtem Sand und Dreck. Ich tunkte den Lappen ins warme Wasser, wrang ihn aus und dann begann ich sein Gesicht zu säubern.
„Bitte", flehte er. „Ich kann nicht ..."
„Du wirst mir nichts tun, Zahir." Ich arbeitete mich hoch zu seiner Stirn, tupfte den Dreck dort weg. „Du liebst mich."
Ich spürte seine Augen auf mir und so erwiderte ich den Blick. Wie zur Bestätigung begannen sie zu funkeln und ich glaubte zu sehen, wie sie allmählich heller wurden, als träte der alte Zahir ins Licht.
„Das tue ich", flüsterte er.
Ich schenkte ihm ein Lächeln und tauchte den Lappen abermals ins Wasser ein. Mit gezielten Bewegungen befreite ich sein Gesicht, seinen Hals und seinen Rücken vom Dreck, dann widmete ich mich seiner Vorderseite und seinen Armen. Er liess es über sich ergehen und jedes Mal, wenn ich den Lappen ins Wasser tunkte und ihn mehr und mehr vom Schlamm befreite, so kam es mir vor, dass er ruhiger atmete.
Es war, als wüsche ich das Biest, dass er soeben noch gewesen war, aus seiner Haut.
Zahir musterte mich die ganze Zeit. Sehnsüchtig und vorsichtig, als könne er es nicht glauben, dass ich vor ihm stand.
Ich strich den Lumpen über seine Brustmuskeln und arbeitete mich hinab bis zu seinem Bauch. Meine Hände blieben bei seinem Hosenbund stehen. Schnell hob ich den Blick und sofort schoss die verräterische Röte in mein Gesicht. Ich wollte mich abwenden, doch Zahir legte seine Hand an mein Kinn und zwang mich, ihn anzublicken.
Ein Strom aus Wärme rieselte wie Sand über mein Gesicht. Zahirs Magie, realisierte ich. Wohltuend und sanft. Sie drang in meine Brust vor und füllte mein Herz.
Er war wieder da.
Mein Sandleser.
Mein Verlobter.
Genüsslich schloss ich die Lider, während seine Kraft mir ein Lächeln auf die Lippen zauberte.
„Hallo, mein Herz", flüsterte ich.
Zahir kam mit seinem Gesicht näher. „Hallo, mein Stern", raunte er.
Das war alles, was ich hören wollte, alles, was ich fühlen wollte. Genau hierfür war ich zurückgekommen.
Für ihn. Für das. Für uns.
Ich linste zu ihm hoch und sah, wie er mich aus gesenkten Lidern betrachtete, wie die Dunkelheit hinter seinen dichten Wimpern noch lauerte und so beschloss ich, sie ganz zu vertreiben.
Mit meinem Licht.
Ich legte meine Hand über seine, die an meiner Wange ruhte und stiess durch seine Haut zu ihm vor, liess den Fluss meiner Magie durch ihn rinnen. Seine Knie gaben beinahe nach, als ich sein Herz erreichte.
„Ich habe dich nicht vergessen", flüsterte ich. „Ich habe dich immer bei mir getragen. In meinem Herzen und an meinem Schenkel."
Das Vergissmeinnicht, das mein ständiger Begleiter gewesen war. Meine Erinnerung an ihn. Mein Lichtblick in der Dunkelheit.
Ein kehliger Laut entfuhr Zahir und dann stiessen seine Lippen auf meine. So heftig und verlangend, dass ich taumelte, doch Zahir schlang sogleich einen Arm um meine Taille und zog mich an seinen nassen Körper.
Der Waschlappen fiel zu Boden.
Meine Hände krallten sich instinktiv in seinen Nacken. Ich erwiderte den Kuss, denn er war so voller Angst und Sehnsucht und Liebe und Leidenschaft. Unsere Zungen tanzten miteinander. Verzweifelt und ungezügelt. Wild und ängstlich zugleich. Endlich wieder vereint.
Ein raues Keuchen entkam ihm, während wir uns schmeckten.
Ich schob ihn von mir, um sein Gesicht zu betrachten. Die Härte und Finsternis darin waren verschwunden, nicht aber die gekräuselte Stirn. Da lag noch ein Schmerz tief in seinem Herzen, den ich sehen konnte, den ich selbst spüren konnte.
Irgendwas quälte ihn.
„Was ist los?", flüsterte ich.
Ein Zittern erfasste ihn und hielt ihn vom Sprechen ab. Ich strich ihm besänftigend über die Stirn und wartete, bis er die Sprache fand.
„Du ... du bist in meinen Armen gestorben", brachte er hervor. „Als ich dich zurückschicken wollte, bist du in meinen Armen gestorben."
Mein Atem stockte. Nein.
„Ich dachte ..." Seine Stimme brach. „Ich dachte, ich hätte dich getötet."
Tränen flossen ihm übers Gesicht, mischten sich mit dem Wasser auf seiner Haut, mit dem Schlamm und dem Dreck, der an manchen Stellen noch immer an ihm klebte. Er sah so verloren aus. So zerbrochen.
„Zahir", flüsterte ich und wischte die Tränen weg, so gut es ging. „Das hast du nicht."
Ich spürte seine Qual durch die Haut, durch unsere Magie und sah den finsteren Ort, an welchen er sich begeben hatte, weil er dachte, er hätte mich vernichtet.
Alles, was ich in dem Moment tun konnte und wollte, war, ihm mit meinem Körper zu zeigen, dass ich da war, dass er mich nicht verloren hatte, dass ich lebte.
Und so drückte ich meinen Mund wieder auf seinen. Sein Gesicht war von den Tränen durchnässt. Ich schmeckte Salz und Dreck an meinen Lippen, doch ich küsste ihn, hielt ihn so fest ich konnte.
Das hier war real — das wollte ich ihm zeigen.
Ein Stöhnen kroch seine Kehle hoch, weshalb er seinen Mund von meinem löste und seine Stirn an meine lehnte.
„Zafar und Luay haben mich von dir wegreissen müssen, bevor die Decke eingestürzt ist. Ich ..." Er schüttelte den Kopf. „Ich wollte bei dir bleiben und mit dir ins Jenseits gehen."
Mein Herz zog sich bei der Vorstellung zusammen. Das musste ein Albtraum für ihn gewesen sein, ein Schmerz nicht von dieser Welt.
„Du hast mich in die Zukunft zurückgeschickt", flüsterte ich. „Es hat funktioniert. Du hast mich nach Hause gebracht. Zu meiner Familie."
Zahir hielt den Atem an. „Wirklich?"
Die Erinnerung an diesen Moment, wie ich alleine in den Dünen erwachte, schmerzte wie ein heisser Nadelstich in meinem Herz. Trotzdem nickte ich.
„Du hast mich nicht getötet", sagte ich und strich ihm eine weitere Träne von der Wange.
Ich wollte, dass er das hörte. Diese Schuld musste ich ihm nehmen. Sie hatte ihn vollkommen eingenommen, ihn konsumiert. Das musste aufhören.
Ein Schaudern erfasste Zahir wie eine Welle der Erleichterung.
„Ich bin da", versicherte ich ihm. „Ich lebe."
Zahirs Augen lagen auf meinen und wollten mich nicht loslassen.
„Du lebst", murmelte er und fuhr mit seinem Daumen über meine Unterlippe. Die tiefe Sehnsucht, mit welcher er mich betrachtete, war schmerzhaft.
Doch seine Tränen versiegten. Meine Worte und meine Anwesenheit hatten ihm tatsächlich den Trost gegeben, den er gesucht hatte. Sie hatten ihn aus der See der Verzweiflung gerettet.
Das war alles, was zählte.
Ich nahm Zahir an der Hand und manövrierte ihn zum Bett. Er liess mich gewähren und folgte mir wortlos. Wir krochen auf die weichen Laken und liessen uns in die Kissen sinken. Zahir rutschte so nahe zu mir heran, dass kein Haar mehr zwischen uns passte, als befürchtete er, dass er mich wieder verlieren könnte.
Es war uns einerlei, dass er noch nass war und die weissen Decken und Kissen beschmutzte.
Wir brauchten einander.
Ich legte mich auf den Rücken, sodass er sich an meine Flanke schmiegen und mich in seine Arme nehmen konnte. Sein Kopf platzierte er auf meine Brust.
Es war die Gewissheit seines Leibes, die mich erdete, die mich beruhigte und mir endlich, endlich, den Frieden schenkte, den ich so lange gesucht hatte.
Hier bei ihm wollte ich sein. Hier gehörte ich hin.
Meine Finger fuhren durch seine nassen Haare, zogen sanft an seinen Strähnen, strichen sie ihm aus den Augen. Es kümmerte mich nicht, dass sein Körper noch klamm war.
„Du hast mich nicht getötet", wiederholte ich, nahm seine Hand und legte sie mir auf die Brust, damit er das Pochen darunter selbst fühlen konnte. „Du hast mich in Sicherheit gebracht."
Er schloss die Augen und genoss die Wahrheit in meinen Worten, die Realität meines Pulses. Sein Atem ging dabei ruhig und regelmässig. Ebenso tat es mein Herz.
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Na, ihr Lieben
Ich hoffe, euch hat das Wiedersehen gefallen.
Gar nicht mal so schlimm, wie ihr alle dachtet, was.
Jetzt, wo sie wieder vereint sind, kann ja nichts Schlimmes mehr passieren.
(Oder etwa doch...?)
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