(Falkenschwinge) VIII
Falkenschwinge schüttelte sich und gähnte. Die Katzengruppe hatte eine Pause unter dem Schutz einer Baumgruppe eingelegt, denn alle waren erschöpft von der langen Nacht, die sie in der kalten Höhle neben dem Fuchskadaver hatten verbringen müssen. Zudem war der Sturm immer noch nicht ganz vorrübergezogen, am Horizont türmten sich erneut Wolken auf und der Wind ließ den Regen in harten Schauern auf die Katzen herabprasseln. Flammenschein hatte sich im Schutz zweier Wurzeln um das kleine Junge zusammengerollt und säuberte der Kätzin das schneeweiße Fell. Petersilienzunge, Froschpfote und Rotsee drängten sich um die Beiden, um Wärme zu teilen. Die morgendliche Kälte in der Wogenebene war selbst in der Blattgrüne kaum auszuhalten. Wie Ameisen kroch sie einem unter das Fell... Falkenschwinge riss sich aus seinen Gedanken und sprang auf. »Kommt, wir gehen weiter«, verkündete er von seiner etwas erhöht gelegenen Position als Wachposten, abseits der Gruppe. Froschpfote reckte sich. »Gute Idee. Je früher wir im Lager sind, desto früher kann ich mich ins Nest hauen.« »Nichts da«, miaute Rotsee, »Du hast Schülerpflichten zu erledigen.« Petersilienzunge schnurrte besänftigend. »Beruhige dich. Er ist immer noch mein Schüler«, dann wandte er sich an den kleinen rotgetigerten Kater, der den Kopf hängen ließ. »Und du – ich werde Fleckenstern später fragen, ob du einen Tag frei bekommst.« Froschpfotes Gesicht hellte sich auf. »Na dann los!« Flammenschein schnaubte belustigt über den Tatendrang des Schülers, während Rotsee etwas missmutig dreinsah. Dann nahm die Kätzin das weiße Junge am Nackenfell hoch. »Keine Sorge, ich passe schon auf sie auf«, raunte sie Falkenschwinge amüsiert zu, der gerade etwas mit Blick auf die kleine Weiße erwidern wollte, und lief zügig nach vorne, um sich an den Anfang der Patrouille zu setzen.
Goldfeder sah zum Lagereingang hinüber. Sie hatte sich im Laufe des Morgens schon insgesamt zwölf mal dabei erwischt. Obwohl sie es nicht zugeben wollte, machte sie sich Sorgen um Falkenschwinge. Was, wenn ihm während des Sturms etwas zugestoßen war? Natürlich sorgte sie sich auch um die anderen Mitglieder der vornächtlichen Grenzpatrouille, aber... der Kater mit den bernsteinfarbenen Augen war... etwas anderes. Schnell, wie ertappt, wandte sich Goldfeder vom Lagereingang ab, als hätte sie Angst, dass jemand ihre Gedanken wie laut ausgesprochen hören könnte, und richtete den honigfarbenen Blick wieder auf die Katzen, die sich vor ihr versammelt hatten, damit sie endlich die Morgenpatrouillen einteilen würde. Sie räusperte sich und hoffte, dass ihre Stimme nicht den Geist aufgab. »Also... Erste Grenzpatrouille: Bärenfeuer, Distellicht und Glanzblick, ihr werdet die Grenze zum GezeitenClan kontrollieren.« Die genannten Krieger nickten, standen auf und verschwanden aus der Masse, um sich ihrer Aufgabe zu widmen. Goldfeder holte Luft und ließ den Blick über die Katzen schweifen, überlegte, wen sie noch einteilen könnte. »Natterauge und Morgenwind, ihr übernehmt die erste Jagdpatrouille. Spinnenpfote-«, der schwarze Schüler machte bei der Erwähnung seines Namens einen fröhlichen Hüpfer, »-und ich werden gleich auch noch zu euch stoßen.« Die beiden Gefährten blickten sich an, dann nickten sie freudig überrascht und traten aus der Gruppe der wartenden Krieger. Goldfeder sprach weiter. »Das wars fürs Erste. Die zweite Grenzpatrouille werde ich verkünden, wenn Falkenschwinges Patrouille zurückgekehrt ist.« Unter den jüngeren Kriegern wurde Gemurmel hörbar, die Älteren jedoch nickten zustimmend. Goldfeder fiel ein Stein vom Herzen. Die erfahrenen Krieger waren einverstanden. Somit würde sie nicht als verantwortungslose zweite Anführerin dastehen. Die Menge begann, sich aufzulösen, und die Kätzin trat zu ihrem Schülern. Der Kater hatte sein kupferfarbenes und schwarzes Fell vor Vorfreude gesträubt, während er neben ihr her hüpfte und die Zähne bleckte. »Heute fange ich ein Eichhörnchen!«, verkündete er. »Diesmal krieg ich es hin! Aber... äh«, er sah fragend zu seiner Mentorin, »darf ich vorher noch mal zu Glühpfote? Ich bin auch ganz schnell wieder da.« Goldfeder schnurrte, nickte und sah ihm nach, wie er zum Heilerbau flitzte. Glühpfote und Spinnenpfote waren unzertrennlich. Die goldfarbene Kätzin seufzte. Hätte sie nur so ein Band zu ihrem Wurfgefährten gehabt... doch er war fort. Zwar nicht tot, seit seinem Wechsel zum WisperClan fühlte es sich jedoch fast so an. Natürlich, sie war glücklich für ihn, dass er endlich seine große Liebe gefunden hatte, aber das machte sie nur noch sehnsuchtsvoller. Hätte sie nur jemanden... So viele Kater und Kätzinnen führten glückliche Liebesleben – warum sie nicht? Durch Pfotenschritte wurde sie von ihren Gedanken abgelenkt. Spinnenpfote tauchte, völlig außer Atem, wieder vor ihr auf, bevor er sich aufrichtete und stolz grinste. »Ich hab doch gesagt ich bin schnell wieder da.« Goldfeder blickte sich um. Hatte sie etwa so lange ihren Gedanken nachgehangen? Sie schüttelte sich und schnurrte wieder. »Na dann komm, gehen wir dein Eichhörnchen fangen.« Die Beiden machten sich auf den Weg über die Lichtung zum Nebentunnel, vor dem Natterauge und Morgenwind schon warteten.
Falkenschwinge seufzte erleichtert. Er konnte endlich den Lagereingang ausmachen und den Baumring, der die Lichtung umgab. Sie waren nicht allzu lange gelaufen, aber mit dem Jungen war es doch anstrengender gewesen als gedacht. Zwar hatten Flammenschein und der Braune sich beim Tragen abgewechselt, trotzdem schmerzte Falkenschwinges Nacken. Die Kleine dürfte ihrem Gewicht nach ungefähr zwei Monate alt sein. Eine Schande, dass sie zurückgelassen wurde. Froschpfote hüpfte aufgeregt um die Krieger herum. »Ob es Glühpfote wohl schon besser geht?« Seit sie von der Baumgruppe aufgebrochen waren, hatte der Schüler sie mit Fragen zugetextet, diese war dabei schon mindestens zehn mal gefallen. Petersilienzunge zuckte belustigt mit dem Ohr. »Halt mal die Luft an. Zum fünften Mal, wir waren eine Nacht nicht im Lager.« »Jaa aber ich will dass es ihr besser geht«, quengelte der rotgetigerte Kater. »Und das wird es auch«, mischte sich Flammenschein ein, »Aber das wird dir nichts nützen wenn du uns hier mit deinem Herumgehüpfe zur Weißglut bringst.«
Als die Patrouille den Lagereingang passierte, nickte ihnen Schlingwind, der als Wache eingeteilt war, freundlich zu. »Schön, dass ihr zurück seid.« Rotsee senkte den Kopf. »Der Sturm hat uns leider etwas aufgehalten.« Schlingwinds Blick fiel auf das weiße Fellbündel, das Falkenschwinge immer noch am Nackenfell hielt. »Was ist passiert? Was ist das für ein Junges?« Rotsee öffnete das Maul, um etwas zu sagen, doch Flammenschein war schneller. »Wir müssen zu Fleckenstern. Wir haben Neuigkeiten, die ihm nicht gefallen werden.« Schlingwind neigte den hellgrauen Kopf. »Falkenschwinge und Flammenschein, ihr könnt zu ihm, aber vorher solltet ihr alle zur Sicherheit im Heilerbau vorbeischauen. Ich benachrichtige Fleckenstern, dass ihr wieder hier seid.« Falkenschwinge nickte, so gut es das Junge in seinem Maul zuließ, mit dem Kopf, dann ließ Schlingwind die Gruppe passieren.
Flickenohr nickte, als Petersilienzunge ihm berichtete, wie sie das Junge gefunden hatten, und wies Falkenschwinge an, die Kleine in eines der Moosnester zu legen. (Falkenschwinge wählte natürlich das mit dem flauschigsten Polster.) Dann unterzog der Heiler sie alle einem einfachen Check-Up. Froschpfote hatte sich einen Dorn eingetreten und sollte noch kurz dort bleiben, der Rest durfte gehen. Falkenschwinge fühlte sich nicht wohl dabei, das Fundjunge allein zu lassen, wusste jedoch, dass es bei Rostblüte und Flickenohr in guten Händen war.
Nur ein paar Momente später standen die orange-schwarze Kätzin und der braune Kater auch schon vor dem Bau des Anführers. Der Eingang war dunkel und von welken, hohes Gräsern, die von oberhalb des Felsvorsprungs hinunterhingen, halb verdeckt. Zaghaft räusperte sich Falkenschwinge.
»Kommt herein«, ertönte es aus dem Inneren.
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