Ich kann nicht schlafen
„Sieht doch schonmal ganz gut aus, oder?"
Gemeinsam mit Mum sitze ich hinter unserem kleinen Haus und betrachte den Garten. So langsam sieht es wenigstens aus wie ein Garten. Den ganzen Sonntag haben wir Unkraut gezupft, etwas Gerümpel weggeräumt und Büsche zurückgeschnitten.
„Deine Grandma würde uns für diesen Anblick lünchen.", lacht Mum neben mir und nimmt einen Schluck von ihrer Limonade. Auch ich muss lachen, wenn ich mir das Gesicht meiner Großmutter denke. Sie würde das hier eher als Schlachtfeld bezeichnen. „Ach was! Nächste Woche besorgen wir noch Blumen für die Beete und dann wird das schon. Die zwei Bäume da hinten eignen sich super für eine Hängematte." Ich zeige auf die einzigen zwei großen Bäume im Garten. Beide haben dicke Stämme und werden eine Matte mit Sicherheit halten können.
Schweigend trinken wir unsere Limonade und jeder für sich schwelgt in seinen Gedanken. Was im Kopf meiner Mutter gerade vorgeht, kann ich nur erahnen. Ich habe sie seit gestern mehrfach nach Freitagnacht und nach Matt gefragt. Doch alles was ich aus ihr heraus bekommen habe, waren Ausreden und schwammige Antworten. Alles was ich weiß ist, dass sie bei Matt war und es wohl in Zukunft auch noch öfter sein wird.
Mein Kopf hingegen ist voll von Gedanken, die ich noch immer nicht ganz ordnen kann.
Noch immer komme ich nicht ganz mit der liebenswerten Art der Menschen hier klar. Sie haben Mum und mich so herzlich aufgenommen ohne Wenn und Aber. Vor allem bei Abbys Familie hätte ich niemals damit gerechnet. Obwohl wir erst seit vier Monaten hier sind, fühlt es sich schon so an als wäre es nie anders gewesen. Ich hätte auch nie gedacht, dass mir arbeiten so einen Spaß machen würde. Auch wenn ich manchmal noch das Gefühl habe, dass ich eher eine Last bin als eine Hilfe. Aber selbst wenn es so sein sollte, lässt es mich niemand spüren.
Dann ist da noch die Sache mit Grayson.
Unsere Nacht geht mir nicht aus dem Kopf. Wenn ich die Augen schließe, spüre ich immer noch seine Brust an meinem Rücken. Seinen Atem in meinem Nacken. Seine Worte hallen in meinem Kopf wieder und wieder. Natürlich sind da auch Rileys Worte, die mich irgendwie vor Grayson und seinen Stimmungen warnen sollen. Doch alles was ich möchte, ist Grayson zu helfen. Einfach bei ihm zu sein.
Ich habe in meinem Leben nicht wirklich viel Erfahrung in Sachen Liebe gemacht. Mich wollte nie ein Junge daten, die Beziehung meiner Mutter und meinem Vater ging kaputt, bevor ich überhaupt geboren wurde. Mein einziges Vorbild ist die Ehe meiner Großeltern. Sie haben jung geheiratet, das allerdings auch erst nach viel Kennenlernzeit. Die beiden sind glücklich miteinander und werden wahrscheinlich auch in Frieden Hand in Hand aus dem Leben treten.
Woher zum Teufel soll ich also wissen, was ich für Grayson empfinde, geschweige denn, was ich jetzt tun soll? Seufzend stelle ich mein Glas auf dem kleinen Tischchen ab und strecke mich kurz. Ich werde das alles wohl oder übel auf mich zukommen lassen müssen.
„Und was machen wir den Rest vom Tag?", fragt Mum und streck sich ebenfalls aus. „Weiß nicht. Du könntest mir endlich erzählen, was zwischen Matt und dir so läuft.", hacke ich nochmal nach und schaue sie zwinkernd an. Meine Mutter aber verdreht nur die Augen und schüttelt den Kopf. „Wir haben geredet. Und mehr musst du nicht wissen, junge Dame!", tadelt sie mich, zwinkert mir allerdings ebenfalls kurz zu.
„Für heute können wir hier draußen eh nichts mehr tun. Erst in der Woche können wir noch Blumen, Holz und Allerlei kaufen. Dann können an den Wochenenden weiter machen. Einverstanden?" Mum nickt zustimmend und nippt nochmal an ihrem Glas. „Das klingt nach einem wirklich guten Plan. Vielleicht finden wir ja noch ein paar schönere Möbel für die Veranda. Wir beide machen es uns hier noch richtig gemütlich."
Mehr tun wir an diesem Sonntag wirklich nicht mehr. Wir sitzen noch eine Weile im Garten bevor wir uns zusammen in der Küche eine Kleinigkeit kochen. Nach dem Essen klingelt Mums Handy, worauf hin sie ganz schnell in ihrem Schlafzimmer verschwindet. Bei der Reaktion kann ich mir denken, wer sie da gerade angerufen hat.
Ich mache mich also einfach daran, die Küche wieder in Ordnung zu bringen und lasse dabei meinen Gedanken einfach freien Lauf, versuche, nichts kaputt zu denken. Allerdings gelingt mir das nicht so ganz. Mein Verstand macht mich derart wahnsinnig, dass ich am Abend in meinem Zimmer stehe, das nun völlig aufgeräumt, geputzt und sauber glänzt. Eigentlich hatte ich gehofft, die Beschäftigung würde mein Gehirn wenigstens etwas ermüden, doch da habe ich mich mächtig getäuscht.
Selbst nachdem ich ein ausgiebiges Beautyprogramm inklusive Peeling und Haarmaske gemacht habe und mir sogar schon meine Arbeitskleidung für morgen rausgelegt habe, rasen die Gedanken noch immer in meinem Kopf. Auch der Versuch zu schlafen, scheitert kläglich. Mittlerweile drehen sich alle meine Gedanken nur noch um Grayson. Immerhin hat er mir versprochen, dass er ab morgen gerne mehr Zeit mit mir verbringen möchte. Und das möchte ich auch.
Nur habe ich überhaupt keine Vorstellung davon, wie es werden wird.
Ich schaffe es absolut nicht, einzuschlafen. Auch nach Warmer Milch, entspannender Musik und Herumwälzen, bleiben meine Augen einfach nicht geschlossen. Und trotzdem erschrecke ich heftig, als mein Handy auf dem Nachttisch vibriert. Schnell greife ich danach und kann mein Lächeln nicht unterdrücken, als ich seinen Namen auf dem Display aufleuchten sehen.
„Hey... bist du noch wach?!"
Die Uhr zeigt schon halb zwölf an. Da ich aber sowieso nicht schlafen kann, antworte ich ihm gleich.
„Hey, ja ich kann auch nicht schlafen. Was hält dich wach?"
„Du"
Seine Antwort kommt keine Sekunde später und lässt mich nach Luft schnappen. Ich kann mich gerade so daran hindern, ihm dasselbe zu antworten. Immerhin ist er der Grund für meine Schlaflosigkeit. Doch was ich ihm überhaupt antworten soll, will mir absolut nicht einfallen. Deshalb ist es Grayson, der die nächste Nachricht verfasst.
„Das hätte ich nicht schreiben sollen... Hab ich dich jetzt verschreckt?"
„Nein! Entschuldige, du hast mich nur überrascht."
Gebannt starre ich auf mein Handy und warte auf seine nächste Nachricht.
„Gut! Aber es ist die Wahrheit. Ich kann seit Freitag gar nicht mehr aufhören über all das nachzudenken. An dich zu denken... So ist es mir vorher noch nie gegangen."
Anstatt zu viel nachzudenken, tippe ich diesmal einfach drauf los.
„Wenn es dich beruhigt: Mir geht es nicht anders."
„Ja, das beruhigt mich tatsächlich. Es überrascht mich aber auch.... Aber es freut mich irgendwie..."
„Wieso freut es dich?"
„Naja... es freut mich eben, dass du an mich denkst..."
„mmmmh... Aber dafür werde ich morgen furchtbar müde sein..."
„Ist nicht schlimm. Eigentlich sollte es ne Überraschung werden, aber ich möchte dich morgen nach unserem Meeting zum Frühstück einladen... Wenn das ok ist?!"
Diesmal brauche ich doch einen Moment länger für meine Antwort. Eine Einladung zum Frühstück? Auch wenn es überraschend schnell kommt, kann ich gar nicht mehr aufhören zu lächeln.
„Keine gute Idee?"
„DOCH! Ich freu mich sehr darauf! es kam nur schneller als gedacht..."
„Also frühstücken wir morgen?"
„Natürlich, sehr gerne!"
„Aber jetzt kann ich immer noch nicht schlafen..."
„Ich auch nicht... und was machen wir jetzt?"
„Keine Ahnung... erzähl mir was."
„Und was?"
„Irgendwas... Alles."
„Ok, lass mich überlegen... Aber dann bist du dran, ok?!"
„Was auch immer du wissen möchtest."
„Deal. Aber ich muss dich warnen, mein Leben bestand bisher eher aus Langeweile und Krankenhaus"
„Egal. Ich möchte einfach alles von dir wissen."
„Na gut, du hast es so gewollt. Also... als Baby habe ich mit Mum bei meinen Großeltern gelebt. Wir sind dann zwar ausgezogen, aber als die Sache mit meinem Herz schlimmer wurde... Bis wir hier her gekommen sind, haben wir also mit ihnen zusammen gelebt. Wie du dir vielleicht vorstellen kannst, war ich in der Schule nie sonderlich beliebt... Ich wurde nicht gehänselt oder so... aber wirklich Freunde hatte ich auch nie. Bis jetzt. Ich bin wirklich froh, hier sein zu dürfen und all diese liebvollen Menschen kennenlernen zu dürfen... Überhaupt noch zu leben, dafür bin ich dankbar..."
Eine Antwort lässt diesmal auf sich warten. Hätte ich das nicht schreiben sollen? Ich wollte ihn nicht an Abby oder seinen Schmerz erinnern. Mein schlechtes Gewissen beginnt sofort mich von innen zu zerfressen. Ich bin schon dabei, eine neue Nachricht zu schreiben, als ich doch noch eine Antwort bekomme.
„Das klingt doch gar nicht langweilig... und zugegeben auch traurig. Aber keine Sorge, in Zukunft sorge ich dafür, dass du nie wieder allein bist..."
„Dafür habt ihr jetzt schon gesorgt... und auch wenn wir einen schlechten Start hatten... ich möchte das vergessen. Ich möchte gerne mehr Zeit mit dir verbringen und mehr über dich erfahren. Und vielleicht... kannst du mir ja auch mit Ghost helfen..."
Ich hoffe, ihn mit Ghost auf andere Gedanken zu bringen. Denn auch mir wird die Stimmung zu dunkle und traurig. Ich möchte mich nicht an die Zeiten erinnern, in denen nicht klar war, ob ich am nächsten Morgen wieder aufwache. Hier habe ich endlich die Chance, mir eine Zukunft aufzubauen. Eine Zukunft mit Menschen, die mich mögen und respektieren. Hier habe ich Freunde, einen Job, ein schönes Zuhause und Freiheit. Graysons nächste Nachricht reißt mich zurück in die Gegenwart.
„Wenn meine Hübsche die große Hübsche dazu bekommt, mich auch in die Nähe zu lassen, sehr gerne"
Mein Herz macht einen Satz. Ich weiß nicht, ob Grayson sich der Wirkung seiner Worte bewusst ist oder ob er einfach so ist. Im Moment ist das aber auch vollkommen egal.
„Sie braucht Zeit. Aber zusammen bekommen wir das schon hin. Bist du jetzt müde?"
„Ein wenig. Aber versprochen ist versprochen."
„Na dann schieß los"
„Also wenn ich so darüber nachdenke... Mein Leben klingt fast wie aus nem Countrysong... Ich wurde auf der Ranch geboren. Meine Eltern haben hier gelebt als Abby und ich geboren wurden. Damals hat mein Großvater das alles noch geführt. Erst später haben die beide geheiratet und die Pferderanch übernommen. Ich bin also hier aufgewachsen, zur Schule gegangen... Ich habe Texas nur für ein paar Rodeos verlassen und einen Urlaub mit Riley nach unserem Abschluss. Aber ich bin nicht traurig deswegen. Ich liebe es hier. Naja... und mehr gibt's da eigentlich nicht. Riley ist mein bester Freund, es gab nur eine nennenswerte High School Liebe..., wenn man es denn Liebe nennen möchte. Allein meine Schwester... sie war alles für mich..."
„Sie hätte dich gemocht"
„Nach allem was ich gehört habe... hätte ich sie bestimmt auch sehr gemocht."
Ich muss hart schlucken als ich seine letzte Nachricht lese. Es von ihm selbst zu hören, macht mir bewusst, wie tief sein Schmerz sitzt. Doch das jetzt über Textnachrichten zu erzählen, erscheint mir nicht richtig. Damit bin ich aber nicht allein.
„Ich werde dir von Abby erzählen... irgendwann, versprochen. Aber erst einmal bringen wir Sonne in dein Leben. Gleich morgen fangen wir damit an."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro