12. Kapitel
»Du trinkst aber ganz schön viel«, kommentierte ein hagerer Oberstufenschüler mit Brille, der auf einem Baumstumpf neben dem Getränketisch hockte. Offenbar zog das Internat wirklich alle Register, wenn es um Saufgelage ging und jemand hatte sogar den schmalen Klapptisch in den Wald geschleppt - inklusive der verschiedensten alkoholischen Getränke und einer Stange roter Plastikbecher, die Greg meinte, aus amerikanischen Teenie-Filmen wieder zu erkennen. Es war ein Klischee, aber eins, in das man Whisky kippen konnte, also war er dennoch zufrieden.
»Es ist eine Party. Alle hier trinken«, rechtfertigte er sich abgelenkt, während er einen teuren Single Malt in sein Gefäß kippte und den juckenden Drang unterdrückte, sich umzudrehen und in der Menge Ausschau nach einem gewissen Schulsprecher zu halten. Er war sicher, dass Mycrofts undurchdringlicher Blick ihm folgte, wie er es schon den ganzen Abend lang tat. Denn wenn die Holmes-Brüder etwas nicht konnten, dann unauffällig sein - was Sherlock gerade bewies, indem er aus seiner Eitelkeit heraus ein Trinkspiel mit Mike Stamford anfing, wahrscheinlich um Johns Gunst zu erlangen oder etwas ähnlich dämliches. Anscheinend konnte der Schwarzhaarige sehr eifersüchtig werden, wenn sein Mitbewohner sich mal mit jemand anderem beschäftigte als mit ihm selbst. Weshalb zumindest Greg sehr gespannt war, wer gewinnen würde - und ob sie am Ende noch einen von beiden mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus fahren musste.
»Aber du trinkst allein«, stellte der fremde Junge derweil scharfsinnig fest und grinste wissend, was Greg einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Auf diese Schule gingen echt nur Psychopathen.
»Dir geht es sicherlich nicht darum, heute ausgelassen zu feiern. Du willst dich nur benebeln und ich wundere mich, wer wohl der Grund dafür ist.«
Gregory nahm betont gelassen einen Schluck von seinem Whisky, der das stetige Feuer in seinem Magen weiter entfachte und zuckte gespielt ruhig mit den Schultern. Er würde definitiv nicht eingestehen, dass der Fremde recht hatte. Wahrscheinlich dachte jener, er hätte Liebeskummer, weil er den Kuss mit Jim mitbekommen hatte, welcher allerdings gerade auf einem ums Feuer platzierten Baumstamm mit Sebastian turtelte. Dabei lag sein Problem und Grund zum Trinken definitiv woanders - weit entfernt vom Thema Liebe oder zumindest versuchte er, sich das einzureden.
»Ich brauche keinen Grund, um mich zu betrinken. Ich bin anders als ihr ein Mittelschicht-Kind und wir schießen uns einfach gerne ungeniert ab. Das ist unsere Kultur.«
Der Junge lachte wieder und Greg meinte, ihn eventuell langsam zu erkennen. Bestimmt war er einer von Sebastians Kumpels oder so und zumindest ging er definitiv in die Oberstufe.
»Charles«, brüllte in diesem Moment auch schon jemand von der Ecke aus, in der sich die meisten Älteren aufhielten und winkte mit einer Flasche Wein, was den Jungen dazu brachte, aufzustehen und herüber zu gehen, nachdem er Greg zur Verabschiedung nochmal zugenickt hatte. Und jener war auch ganz froh, Charles los zu sein, wenn er ehrlich war - Menschen, die ohne ihn zu kennen, so viel über ihn wussten, waren ihm suspekt, auch wenn sie an dieser Schule definitiv keine Seltenheit darstellten. Diese reichen Kids waren echt klüger als erwartet. Desillusioniert trottete er also zum Lagerfeuer zurück und kippte fast seinen gesamten Whisky in einem Zug hinunter, so dass ihm kurz schwummerig wurde. In einer Sache hatte Charles möglicher weise recht gehabt, er hatte wirklich viel getrunken - mindestens schon vier Becher, seit er hier war und noch das Zeug aus Jims Flasche auf dem Hinweg, und der Fusel war weit hochprozentiger als er es gewohnt war. Vielleicht hätte er sich wie die ganzen Unterstufenschüler doch lieber mit Bier begnügen sollen, auch wenn das eigentlich sein Ziel verfehlte; er musste schließlich noch irgendwie in die Schule zurückfinden. Aber je mehr er trank, desto leichter wurden endlich seine Gedanken, er war erfüllt von Wärme und all die Anspannung der letzten Tage fiel langsam von ihm ab. Alles war wie in Watte gepackt und er sank langsam auf einen der freien Baumstümpfe neben dem Feuer, da seine Beine weich wurden wie Pudding. Dennoch trank er den Becher noch bis auf den letzten Tropfen leer und beobachtete dann das Treiben um ihn herum; wie die ersten Unterstüfler in die Büsche kotzten, wie Sherlock John nach seinem glorreich gewonnenen Trinkspiel an die Hand nahm und grinsend mit sich in die Tiefen des Waldes zog und wie es generell langsam leerer wurde, ohne dass es größere Zwischenfälle gab - daran merkte man wohl doch, dass die Internatsschüler etwas feiner erzogen worden waren. In London hätte jetzt schon längst jemand einen Streit angefangen, der in einer Prügelei eskalierte, ehe beim abschließenden Fish-and-Chips-Essen die Wunden versorgt und eine Einigung gefunden werden würde. Himmel, er vermisste wirklich seine alten Freunde, sein Fußballteam und die schmale Stadtwohnung, in der er aufgewachsen war. Doch er konnte nicht zurück. Seufzend stützte er bei dieser Erkenntnis die Ellenbogen auf die Oberschenkel und nahm den Kopf zwischen die Hände. Ihm war wirklich leicht schwummerig, auch wenn er nicht den Drang verspürte, seinen Mageninhalt in einem Busch zu entleeren. Er überlegte gerade, ob er es wagen sollte, aufzustehen und allein den Rückweg zur Schule anzutreten, als er spürte, dass sich jemand neben ihn setzte. Überrascht sah er auf und erkannte einen gewissen Rotschopf, den er heute Abend eigentlich hatte ignorieren wollen. Doch langsam war er einfach zu betrunken, um sich weiter darüber Gedanken zu machen und presste nur ein leises »Hi« hervor, was sofort Mycrofts beurteilenden Blick auf sich zog. Er hatte wirklich sehr schöne Augen, fiel Gregory da plötzlich auf.
»Du bist betrunken«, schlussfolgerte der Ältere dann auch schon kühl und dieser Fakt schien ihm sichtlich zu missfallen.
»Ich bin angemessen angeheitert, um an dieser Veranstaltung teilzunehmen.«
»Kaum einer hat heute so viel Whisky getrunken wie du. Die anderen wissen offensichtlich, wie stark das Zeug ist.«
Er bedachte ihn mit einem tadelnden Blick.
»Und ich nicht, weil ich nicht so reich und privilegiert bin wie ihr, die sowas massenweise im Schrank stehen habt?«
Greg schnaubte.
»Ich habe auch schon mal welchen getrunken, danke sehr.«
»Darum geht es nicht. Du hast absichtlich mehr getrunken, als gut für dich ist, ohne die Folgen zu berücksichtigen. Besonders bei hochprozentigem Alkohol wie Whisky ist das gefährlich und leichtsinnig.«
»Und was willst du jetzt dagegen machen?«, fragte Gregory provozierend. Der Alkohol hatte bei ihm alle Hemmungen verschwinden lassen und so trat er dem Schulsprecher furchtlos und ohne Berührungsängste entgegen, trotz seines eigentlichen Plans, genau diesen aus durchaus berechtigten und pikanten Gründen zu ignorieren. Im Moment aber dachte er nicht mal mehr daran, was ihm jener vor wenigen Stunden fast gestanden hatte. Zumindest bis jener plötzlich unerwartet näher rutschte, so dass sich ihre Körper sanft streiften, was Gregorys Herzschlag augenblicklich zum Ausflippen brachte. Er traute sich dennoch kaum, sich zu rühren, geschweige denn aufzustehen und sich wegzusetzen - zu dominant und einfangend war Mycrofts Blick geworden.
»Nun ja, ich könnte dich jetzt sofort in die Büsche ziehen und …«
Mycroft ließ seinen Satz unvollendet und öffnete stattdessen bloß leicht den Mund, während er ihn weiterhin intensiv ansah. Alles in ihm begann wild und verheißungsvoll zu kribbeln, doch Greg versuchte, das Gefühl von sich wegzuschieben.
»Und was?«, brachte er schließlich krächzend hervor, auch wenn er sich genau vorstellen konnte, was der Schulsprecher meinte. Doch der Ältere schüttelte nur den Kopf als würde er langsam wieder zur Besinnung kommen; er schien im späteren Verlauf des Abends wohl doch noch etwas getrunken zu haben, das seinen Verstand leicht benebelte und seine sonst so steife Zunge lockerte.
»Das spielt keine Rolle. Fakt ist, die wärst viel zu betrunken, um etwas dagegen zu unternehmen. So kannst du auf keinen Fall allein zur Schule zurück.«
»Heißt das, du kommst mit? Ich würde nämlich langsam gerne gehen.«
Was definitiv keine schlechte Idee war. Es wurde langsam spät und Greg musste dringend noch ein bisschen Wasser trinken, um morgen nicht den Kater seines Lebens zu haben. Und allein würde er sich wahrscheinlich nur wieder verlaufen, darin hatte er ja schon Erfahrung.
»Geh doch mit deinen Freunden. Du verstehst dich doch so gut mit Moriarty und Sebastian.«
Mycrofts Ton klang etwas abwertend und es war wirklich offensichtlich, wie wenig er von Gregs Mitbewohner und seinem Freund hielt. Dennoch nahm der Brünette es ihm in diesem Moment nicht allzu übel, da er registrierte, wie die beiden schon wieder am Rand der Lichtung neben einem Baum rum machten und ihn keines Blickes würdigten. Mit deren Hilfe konnte er heute ganz sicher nicht mehr rechnen.
»Die sind aktuell anscheinend ziemlich ausgelastet. Und ich habe gerade leider keine große Lust mitzumachen.«
Mycrofts Augenbrauen schossen ungläubig in die Höhe.
»Also war das, was du vorhin gesagt hast doch nicht gelogen?«
Vor Scham wurde Greg fast rot, als er sich daran erinnerte, wie er so laut, dass es durch den ganzen Wald geschallt haben musste, behauptet hatte, er würde mit Jim und Sebby manchmal gegen Geld einen Dreier schieben. Hoffentlich hatte das keiner gehört. Dennoch grinste er den Schulsprecher nur kokett an, um ihn ein bisschen zu ärgern.
»Wer weiß. Sebastian sieht schon gut aus.«
»Also ist er dein Typ?«, fragte Mycroft überraschend fordernd.
»Er dürfte ja zumindest keiner dieser Klugscheißer sein, welche du so verteufelst.«
Nun spürte Greg doch, wie seine Wangen brannten, aber er schob es feige auf den Alkohol. Dass der Ältere sich noch so genau daran erinnerte, bedeutete nichts Gutes.
»Ich mag sportliche Jungs«, platzte es just einfach aus ihm heraus, da ihm auf die Schnelle leider buchstäblich nichts Besseres einfiel.
»Und wieso?«
»Weil wir dann zusammen Sport machen können und sie, wenn sie mir beim Fußballspielen zusehen, auch wirklich wissen, was ich da mache. Und danach können wir super viel Fastfood in uns reinstopfen, weil solche Typen keine hohen Ansprüche haben und ich kann mit Jogginghose im Pub sitzen, anders als in so einem schicken Restaurant. Solche Typen schenken einem auch keine Blumen und sind keine hoffnungslosen Romantiker, die einem auf die Nerven gehen. Ich kann einfach ich selbst sein und Spaß haben.«
Nach diesem Monolog musste Greg erstmal Luft holen. Das war wie eine Sammlung an Gründen gewesen, um nicht mit Mycroft Holmes auszugehen - auch wenn er eigentlich gar nicht zu hundert Prozent sicher sein konnte, ob der Holmes seine Errungenschaften zum Essen ausführte und mit Blumen und Schokolade erstickte. Und er war auch definitiv nicht sicher, ob er darüber die Wahrheit erfahren wollte.
»Das ist unsinnig«, weckte ihn Mycroft da auch schon aus seinen Gedanken.
»Nicht nur Sportler sind in der Lage, die Regeln von Fußball zu begreifen, und nur weil jemand wie an unserer Schule aus gutem Hause stammt, heißt das nicht, dass jede Verabredung den Standard eines Staatsbanketts hat.«
Gregs Wangen nahmen langsam die Farbe von Tomaten an, so unangenehm wurde ihm die Situation langsam. Warum hatte er auch sowas dummes sagen müssen? Jetzt konnte er schlecht noch einfach zurückrudern und sich etwas anderes ausdenken. Also zuckte er schlussendlich bloß mit den Schultern.
»Ich mag es aber so. Beziehungen mit Sportlern sind die besten, bisher kann ich mich da wirklich nicht beschweren.«
Er vermied es tunlichst, den Schulsprecher bei diesen Ausführungen anzusehen. Es war ihm unangenehm, etwas aus seinem Liebesleben zu verraten - etwas, das im Gegensatz zu der Dreier-Sache nicht gelogen war.
»Aber sicher nur, weil du noch nichts anderes ausprobiert hast«, verteidigte Mycroft seine Position jedoch munter weiter und zog irritiert eine Augenbraue hoch. Er schien sich wirklich über Gregs flache Antwort aufzuregen, doch jener war etwas zu betrunken, um diesen Umstand weiter zu analysieren.
»Es gibt weitaus wichtigere Qualitäten als zusammen Fastfood zu essen - das erfordert immerhin nichtmal einen besonders großen Intellekt.«
»Was wäre denn deiner Meinung nach eine wichtige Qualität, die von Interesse sein sollte, wenn ich mir meinen nächsten Liebhaber suche?«
Provozierend schaute der Jüngere seinen Kontrahenten an. Mycrofts Ansprüche waren definitiv utopisch und es würde ihm Spaß machen, sie zu zerlegen, denn mit dem Whisky war auch sein Wille, ihm überlegen zu sein, wieder erwacht und stellte die bisher fruchtlosen Friedensabsichten in den Schatten, um die er sich in letzter Zeit bemüht hatte. Doch wider Erwarten beugte sich der Schulsprecher einfach ein Stück vor, so dass sich ihre Körper noch deutlicher sanft aneinander schmiegten, legte eine Hand in Gregorys Nacken und presste im nächsten Moment dominant seine Lippen auf Gregs. Es war wild und ungezügelt, aber gleichzeitig auch so sanft, dass jener widerstandslos in der Berührung versank. Mycroft Holmes schmeckte interessanter Weise ein bisschen wie eine Mischung aus Schokolade und Zuckerwatte - süß und weich und leider unglaublich süchtig machend und gut. Dementsprechend musste Greg erstmal einen tiefen Atemzug nehmen und sich sammeln, als der Schulsprecher sich schließlich von ihm löste. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und jede Stelle an ihm, die sein Gegenüber liebkost hatte, kribbelte und lechzte nach mehr. Aber Mycroft rückte von ihm ab, während er ihn statt weiterzumachen mit einem süffisanten Grinsen bedachte und sagte:
»Nun, er sollte auf jeden Fall ein guter Küsser sein, so viel ist klar. Deshalb schlage ich vor, dass wir beide-«
Doch bevor Mycroft seinen Satz beenden konnte, schien sich Gregorys Unterbewusstsein plötzlich wieder daran zu erinnern, dass er dem Rotschopf eigentlich aus gewissen offensichtlichen Gründen aus dem Weg gehen wollte - Gründe die jener gerade wieder aus der dunklen Schublade heraus wühlte, in die Greg sie für diesen Abend gestopft hatte. Also tat er, oder viel mehr sein Körper, das wohl Einzige, das ihm noch blieb, um der Situation zu entkommen: er kotzte auf den Boden.
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Da ich letzte Woche drei Klausuren und einen Test geschrieben und heute früh noch eine Bioklausur absolviert habe, hat mir leider einfach die Zeit gefehlt, dieses Kapitel fertig zu stellen. :(
Aber jetzt wird erst mal wieder mehr kommen - das nächste Kapitel wird ein Bonuskapitel über Sherlock und John sein, ich hoffe, ihr freut euch so sehr darauf wie ich. Denn zwischen den beiden wird so einiges passieren …
Jedenfalls freue ich mich, wenn ihr dann wieder hier vorbeischaut und eine Schweigeminute für Mycroft einlegt, der nun schon zwei Mal von Greg fast angekotzt wurde. xD
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