54. Kapitel - Erlösung
Die Stimmung war mehr als gedrückt, als die Ordensmitglieder sich an diesem Nachmittag im Keller des Eberkopfs trafen.
Alastor Moody berichtete, dass zwei Todesser aufgegriffen und in ein Zauberergefängnis in Frankreich überstellt worden waren. Ein Dritter war nicht mit dem Leben davongekommen. Doch auch dieser Erfolg des Ordens konnte die dunklen Wolken nicht vertreiben, die sich über ihnen türmten, während sie auf Annes Dahinscheiden warteten. Auch wenn sie offiziell kein Ordensmitglied mehr war, wussten dennoch alle, wie es dazu gekommen war, dass sie nun nach Dorcas Meadows das nächste Opfer sein sollte, das von Voldemorts Hand starb.
Nachdem die Longbottoms von den aktuellen Einsätzen der magischen Strafverfolgung gegen die Todesser berichtet und Remus Lupin einen baldigen neuerlichen Besuch beim MACUSA angekündigt hatte, wurde es schnell still im Zimmer und alle waren froh, als Dumbledore schließlich das Ende der Versammlung verkündete.
In dem Moment als die Tür nach draußen geöffnet wurde, stand Minerva McGonagall vor ihnen und schaute Dumbledore ernsten Blickes an.
„Es ist so weit", kündigte sie mit dünner Stimme an und Lily und die Herumtreiber spurteten sofort los.
***
„Professor", erklang es verhalten aus einer dunklen Ecke.
Professor Dumbledore, der just in diesem Moment mit McGonagall den Pub verlassen wollte, um nach Hogwarts zurückzukehren, wandte sich um und erkannte eine dunkel verhüllte Gestalt in der Seitenstraße, die vom Platz abzweigte.
„Gehen Sie schon vor, ich komme gleich nach", sagte er zu McGonagall und kehrte um.
„Sie sollten sich beeilen", gab sie ihm unmissverständlich mit auf den Weg und rauschte davon, um wenige Meter weiter zu disapparieren.
„Was tun Sie hier", zischte Dumbledore die schwarze Gestalt scharf an.
„Was haben Sie unternommen, wegen der Prophezeiung, Professor?"
Entgeistert sah Dumbledore in das wohlbekannte, hakennasige Gesicht.
„Die Prophezeiung? Sie sind hier wegen der Prophezeiung?!"
Ungehalten wollte er sich abwenden, um davonzueilen, aber die Gestalt hielt ihn zurück.
„Nicht nur deshalb", sagte sie und zog zwei Kristallfläschchen aus dem Umhang.
Dumbledore sog bei deren Anblick scharf die Luft ein. Dann sah er fragend in ein Paar dunkler, fast schwarzer Augen.
„Hat er Sie geschickt?"
Die Gestalt nickte. „Er will nicht, dass sie stirbt. Aus welchem Grund weiß nur er allein."
„Ich kenne seinen Grund ganz genau und das weiß er auch", erwiderte Dumbledore und rang hart mit sich. Dann nahm er die Phiolen zögerlich entgegen.
„Eines sofort, eines in drei bis vier Tagen. Dann sollte sie wieder aufwachen. Was ist dieser Grund?", fragte die Gestalt, aber Dumbledore sah sie nur abweisend an.
„Sie wären der letzte, dem ich dieses Geheimnis anvertrauen würde, Severus", entgegnete der Professor, nicht ohne Abscheu in der Stimme. Severus Snape mochte kurz vorm Überlaufen sein, was ein grandioser Erfolg seiner Überzeugungsarbeit wäre. Aber nichtsdestotrotz war er jetzt gerade gezwungen, die Hilfe des Dunklen Lords in Anspruch zu nehmen und das fiel ihm mehr als schwer.
„Sagen Sie ihm, dass das nichts ändern wird", stieß er hervor und sah auf die Fläschchen.
„Aber er rettet ihr Leben", widersprach Snape.
Dumbledore schaute ihm wütend ins Gesicht. „Er rettet ihr Leben nicht. Er gibt es ihr zurück, nachdem er es ihr weggenommen hat! Sie schuldet ihm nichts!"
Erneut wollte er sich abwenden um die kostbare Fracht schnellstmöglich an ihren Bestimmungsort zu bringen. Aber wieder hielt Snape ihn am Ärmel zurück.
„Professor, verstecken Sie sie. Verstecken Sie Lily Potter. Bitte, ich flehe Sie an!"
Erstaunt sah er den Mann vor sich an, der ihn mit dieser ungewöhnlichen Bitte anflehte.
„Verstecken Sie sie dort, wo er sie nicht finden kann. Bitte!"
„Die Prophezeiung bezieht sich nicht auf eine Frau, Severus. Sie spricht von einem Kind!", sagte er kalt.
Sein Gegenüber hatte Tränen in den Augen. „Dann von mir aus auch das Kind! Sie wird es beschützen und er wird sie dafür töten... Sie müssen sie verstecken, bitte!"
Dumbledore seufzte. „Ich werde sie warnen. Mehr kann ich nicht tun." Damit riss er sich los und eilte fort.
***
Betreten standen Lily, James, Remus und Peter um Annes Bett aufgereiht. Sirius saß vor ihr, ihre Hand in der seinen, und weinte stumm.
Das Zimmer war verdunkelt worden. Kerzen standen ringsum und spendeten flackerndes Licht.
Murdoch hatte ein schwach leuchtendes Diagramm ihrer Herzspannung an die Wand gezaubert und nun verfolgten sie erschüttert, wie der Ausschlag darauf - der wie Lily ihnen leise erklärte, jeden von Annes Herzschlägen mit einer Spitze der roten Linie markierte - langsam immer kleiner wurde.
Die aufdringliche Stille im Zimmer wurde nur durch leises Schluchzen ab und an unterbrochen, das weder Lily noch Sirius zurückhalten konnten und auch Remus Wangen glänzten bald tränenfeucht.
Murdoch stand mit zurückgekrempelten Hemdsärmeln wie angewurzelt neben Anne und starrte an die Wand. Die Kurve näherte sich immer weiter einer Linie an. Sirius vergrub sein Gesicht hinter Annes Hand und Lily ihres in James Brust, der sie mitfühlend an sich drückte. Harry hatten sie bei den Longbottoms in Hogsmeade gelassen.
Peter stand ein wenig abseits und wirkte von allen am wenigsten berührt. Er starrte nicht auf das Diagramm an der Wand, wie alle anderen, sondern sein entrückter Blick ruhte auf dem verzweifelten Sirius.
Ob er um seine Freunde auch so sehr trauern würde, wie um diese nichtsnutzige Slytherin, die ihnen allen nichts als Unglück gebracht hatte? Und die anderen? Würden sie um ihn so trauern, wie um sie? Er hatte seine Zweifel. Vielleicht waren sie nicht mehr das, was sie einst füreinander gewesen waren. Vielleicht hatten sich ihre Wege längst getrennt und er hatte es nur nicht bemerkt.
Abrupt wurde er aus seinen tristen Gedanken gerissen, als schwungvoll die Tür aufflog und Dumbledore hereineilte, mit den Worten: „Ich habe das Gegenmittel!"
Es dauerte einen Moment, bis seine Worte zu den Anwesenden durchdrangen und Leben in sie kam. Doch dann nahm Murdoch ihm die Fläschchen, die er in die Höhe hielt, sofort ab und machte sich ans Werk.
„Potter, stabilisieren Sie den Herzschlag", ordnete er befehlsgewohnt an.
Lily sprang sofort ans Bett, zog die Decke von Annes Brust, richtete den Zauberstab darauf und murmelte einen Herzmassagezauber. Währenddessen hantierte Murdoch an dem Schlauch der Magensonde. Die übrigen konnten am Diagramm beobachten, wie Lilys Arbeit sogleich Früchte trug und der Herzschlag wieder gleichmäßig und kräftig einsetzte.
Inzwischen hatte Murdoch den Schlauch mit der Phiole verbunden, in dem sich der Heiltrank befand und ließ mit einem Zauber den Inhalt hindurchgleiten, um ihn bis in Annes Magen zu befördern. Dann geschah erst einmal nichts. Lily sorgte weiter voller Konzentration für einen gleichmäßigen Herzschlag und Murdoch kontrollierte den Beatmungsschlauch, bevor er die Magensonde mit Wasser nachspülte.
Sirius hatte Annes Hand fest im Griff, aber sie fühlte sich unverändert leblos an.
„Wie ist der Puls?", fragte Murdoch und legte ihm gleichzeitig aufmunternd die Hand auf die Schulter.
„Sechzig, Mr. Murdoch", antwortete Lily.
„Dann versuchen wir es", verkündete Murdoch und legte seine Hand auf Lilys, um ihr zu signalisieren, dass sie ihren Zauber beenden solle. Die presste angestrengt die Lippen aufeinander und senkte langsam den Zauberstab.
Gespannt, starrten sie das Diagramm an der Wand an. Es zeigte einen geraden Strich, nachdem die Herzmassage beendet war. Nichts geschah. Verzweiflung machte sich auf den Gesichtern breit.
„Komm schon", murmelte Murdoch verbissen vor sich hin. „Komm schon, Anne, mach!"
Die Sekunden schienen sich endlos in die Länge zu ziehen, bis endlich ein kleiner Ausschlag der Kurve zu verzeichnen war. Der Beatmungsbeutel pumpte weiter pfeifend in regelmäßigen Abständen Luft in Annes Lungen. James legte seinen Arm um Lily, die am ganzen Körper zitterte. Sirius knetete an Annes Hand herum, als könne er damit eigenhändig ihr Herz wieder zum Schlagen bringen und Remus biss gespannt auf seiner Unterlippe herum, bis sie blutete. Sogar Peter wurde von der allgemeinen Aufregung angesteckt und fieberte darauf hin, dass irgendetwas geschah.
Die Kurve schlug erneut aus, ein wenig mehr diesmal. Und dann ein weiteres Mal. Eine beinah regelmäßige Amplitude begann sich zu zeigen und Murdoch prüfte den Herzschlag an Annes Halsschlagader.
Erleichtert seufzte er auf. „Es schlägt wieder. Der Heiltrank wirkt", rief er glückstrahlend und sah Dumbledore an. „Der Trank wirkt", wiederholte er nochmals leise und konnte es selbst kaum glauben. Er ließ Anne los und ging zu dem Schulleiter.
Lily schluchzte in James Schulter und Remus drückte Peter eine Umarmung auf, die diesen vollkommen überrumpelte und ihm furchtbar unangenehm war.
Sirius legte Annes Finger an seine Lippen und hauchte einen langen Kuss der Erleichterung darauf.
„Das war keine Sekunde zu früh. Woher haben Sie den Trank organisieren können?", wisperte Murdoch dem sichtbar erleichterten Dumbledore zu.
„Das wollen Sie nicht wissen", erwiderte der nur kopfschüttelnd und kassierte dafür einen erstaunten Blick des Heilers. Doch der ließ es darauf bewenden.
Lily trat nun an das Bett heran und nahm seufzend Annes zweite Hand. Mit Tränen in den Augen sah sie die Freundin an, die gerade wieder einmal dem Tod von der Schippe gesprungen war.
„Scheint als hätte sie neun Leben, wie eine Katze", seufzte James und sorgte für ein wenig Aufheiterung unter den angespannten Anwesenden.
***
„Guten Morgen."
„Guten Morgen, Sirius."
Lily und James saßen am nächsten Morgen bereits am Frühstückstisch, als er zu ihnen stieß, und James schob dem kleinen Harry einige Toaststückchen mit Butter hin, die der Kleine freudig zwischen Daumen und Zeigefinger klemmte und umständlich in den Mund schob, um lautstark daran zu lutschen, was Sirius ein dahinschmelzendes Lächeln abrang.
Wenngleich Dumbledore noch nicht mit den Potters über die gefahrvolle Bedrohung gesprochen hatte, die von Voldemort auf ihren Sohn ausging, hatte er ihnen dennoch großzügig angeboten, vorübergehend die leerstehenden Räume von Professor Hawthorpe zu beziehen, bis Anne diese ab September bewohnen sollte, wohlwissend, dass diese Lösung nicht nur vordergründig dazu diente, Lily als Unterstützung für Annes Krankenpflege zu gewinnen, sondern der jungen Familie auch unauffällig Schutz bot.
Für Sirius hatte er kurzerhand ein weiteres Schlafzimmer magisch hinzugefügt, damit er seine Zeit ebenfalls bei Anne verbringen konnte, nachdem für jedermann glasklar ersichtlich geworden war, dass er sie keineswegs aufgegeben hatte, so wie er dies seit Monaten behauptet hatte. Da die Räumlichkeiten sich im Lehrerturm befanden, sollte die Anwesenheit der jungen Leute den Schülern nicht auffallen und den Lehrbetrieb im letzten Monat vor den Sommerferien nicht beeinträchtigen, zumal diese zugesagt hatten, sich möglichst nicht im übrigen Schloss blicken zu lassen. Dumbledore war überaus zufrieden mit dieser vorübergehenden Regelung.
„Möchtest du Frühstück?", fragte Lily zuvorkommend und zeigte auf den gedeckten Tisch.
„Nur Tee", antwortete Sirius und schnappte sich die Teekanne.
James zog eine missmutige Schnute. „Du hilfst ihr nicht, indem du nichts mehr isst", sagte er streng, während er sich Rührei auftat und seinem Sohn ein Löffelchen davon in den Mund schob.
Lily lachte fröhlich auf, als Harry begeistert gluckste. „Ja, das schmeckt dir, nicht?", giggelte sie und strahlte den zehnmonatigen Wonneproppen an, bevor sie sich dem stirnrunzelnden Sirius zuwand.
„Er hat recht", meinte sie nachdrücklich und wies auf einen freien Stuhl. „Nun setz dich schon!"
Sirius knickte ein und setzte sich unbehaglich zu ihnen. Sofort schob James ihm fürsorglich die Platte mit dem Frühstücksspeck hin.
„Die Küche ist gut wie eh und je", lobte er und schob sich selbst ein Stück Bacon in den Mund.
Selbst Sirius kam nicht umhin zu grinsen. Das Essen der Schlossküche in Hogwarts war wirklich immer erste Sahne gewesen. Täglich reichlich von allem und lecker ohne Ende. Ein Wunder, dass sie am Ende ihrer Schulzeit nicht alle von der Völlerei übergewichtig gewesen waren. Das lag wohl einfach am jugendlichen Alter und ihrem überbordenden Tatendrang damals. Und vielleicht auch daran, dass die Zeit zum Essen oft recht begrenzt gewesen war und überhaupt bei den vielen hungrigen Mäulern auch brüderlich geteilt wurde.
Seufzend ließ er sich also animieren, ein paar Bissen zu sich zu nehmen, ehe er sich gemeinsam mit Lily auf den Weg nach oben zu Annes Zimmer machte, während James bei Harry blieb.
***
Stunde um Stunde verbrachte er dort an ihrer Seite, sprach ihr gut zu, in der Hoffnung, dass sie ihn hören konnte, und wartete auf Zeichen der Besserung. Lily unterstützte Madam Pomfrey bei der Rund-um-die-Uhr-Betreuung der Patientin, speiste mehrmals täglich die Magensonde, prüfte die Beatmung und das Herz-Diagramm und versorgte Anne mit allem, was sie sonst nötig hatte. Als nichts geschah, wurde Sirius von Tag zu Tag ungeduldiger und nervöser.
„Wie lange müssen die Schläuche noch bleiben? Warum wacht sie nicht auf?!", fragte er bald schon verzweifelt.
Mitleidig sah sie ihn an.
„Dumbledore sagt, die zweite Gabe des Heiltranks kann nach drei bis vier Tagen erfolgen", erklärte sie und fügte hinzu: „Murdoch will sie erst extubieren, wenn sie aufgewacht ist."
„Was ist das? Extubieren?"
„Das Entfernen des Beatmungsschlauchs."
„Aber kann sie denn immer noch nicht selbst atmen?", fragte er stirnrunzelnd.
Die Besorgnis fiel dieser Tage kaum einmal von ihm ab und wenngleich er zuletzt Anne monatelang jede Zuneigungsbekundung verweigert hatte, tat er Lily leid. Sie hatte sich ja selbst mit ihrer Freundin gestritten und sie für ihre Taten verurteilt.
Nun legte sie gleichfalls die Stirn in Falten und strich sanft Annes Haare aus ihrem Gesicht zurück. „Vielleicht schon, aber nicht mit Gewissheit. Deshalb sollten wir lieber noch warten..."
„Es tut so weh, sie so zu sehen", klagte er bitter und sie klopfte ihm trostspendend den Rücken.
„Das geht vorbei Sirius. Wenn sie erst einmal wach ist, wird sie ganz schnell wieder auf die Beine kommen. Du wirst schon sehen", predigte sie und wusste dabei nicht, wem sie mehr Mut zusprechen wollte. Ihm oder sich selbst.
***
Warten auf die erlösende Nachricht: Mhysa von Ramin Djawadi
https://youtu.be/OG55MPQjhwo
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