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Ⓜⓘⓝⓗⓞ
Als ich endlich die Wohnung betrat, wurde mir schlagartig bewusst, dass ich Jeongin einfach zurückgelassen hatte.
Mein kleiner Bruder. Allein. Mitten in der Nacht.
Ein stechendes Schuldgefühl durchzuckte mich, während ich die Tür hinter mir schloss. Meine Gedanken rasten. Hatte er eine Möglichkeit gehabt, sicher nach Hause zu kommen? War er wütend auf mich? Hatte ich ihn damit vielleicht sogar verletzt?
Ich hastete durch den Flur und erstarrte, als ich ihn im Wohnzimmer sitzen sah.
Jeongin hockte in unserem alten, abgewetzten Sessel, die Arme locker auf den Armlehnen, während sein Kopf leicht nach hinten gelehnt war. Sein Blick war verträumt zur Decke gerichtet, und es sah fast so aus, als würde er in Gedanken schwelgen.
Er war gerade erst angekommen.
Ich konnte es an den Kleinigkeiten erkennen – seine Schuhe standen noch unordentlich in der Ecke, sein Rucksack lag achtlos neben ihm, als hätte er ihn einfach fallen lassen.
„Jeongin …“
Meine Stimme war leise, fast zögerlich, während ich mich langsam näherte. Ich kniete mich vor ihn hin, sodass ich sein Gesicht besser sehen konnte.
Er sah … anders aus.
Nicht verstört oder wütend. Sondern … aufgelöst. Aber nicht im negativen Sinne.
Seine Wangen waren leicht gerötet, seine Lippen ein wenig geschwollen – als hätte er darauf herumgekaut oder … nein. Nein, das bildete ich mir ein.
Das Licht im Raum ließ seine Augen leicht funkeln, ein sanfter Glanz, den ich kannte, aber nicht sofort einordnen konnte.
Ich legte meine Hände sanft an seine Wangen, zwang ihn, mich anzusehen. „Geht es dir gut?“
Jeongin blinzelte, als würde er erst jetzt realisieren, dass ich vor ihm saß. Dann huschte ein Lächeln über seine Lippen, eines, das viel zu zufrieden für jemanden war, der die halbe Nacht allein unterwegs gewesen sein sollte.
„Ja“, sagte er, und in seiner Stimme lag eine Wärme, die mich stutzig machte.
Ich runzelte die Stirn. Etwas stimmte nicht – oder besser gesagt, etwas war passiert.
Mein Blick wanderte prüfend über sein Gesicht. Er sah … glücklich aus. Nicht genervt, nicht wütend, nicht verängstigt. Sondern seltsam entspannt.
„Wie bist du nach Hause gekommen?“ fragte ich langsam.
Jeongin lehnte sich mit einem fast schelmischen Ausdruck im Gesicht zurück. „Jemand hat mich mitgenommen.“
Ein Ziehen breitete sich in meiner Brust aus.
„Wer?“
„Ein Freund.“
Mein Magen zog sich zusammen, als ich den Tonfall in seiner Stimme hörte. Leicht verspielt. Fast neckend.
Ich schob meine Gedanken beiseite und musterte ihn erneut. Sein zerzaustes Haar, die Art, wie er da saß – locker, selbstsicher, fast … zu selbstsicher.
Verdammt.
Ich kannte diesen Ausdruck.
Ich kannte diesen Glanz in seinen Augen.
Weil ich ihn selbst wahrscheinlich auch hatte.
Aber bevor ich weiter nachfragen konnte, gähnte Jeongin übertrieben laut und streckte sich. „Ich geh schlafen“, murmelte er, stand auf und schnappte sich seinen Rucksack.
Ich blieb wie angewurzelt sitzen, mein Kopf war ein einziges Chaos aus Fragezeichen.
Was zur Hölle war letzte Nacht passiert?
Ohne eine Antwort zu haben, schleppte ich mich schließlich in mein Zimmer und ließ mich mit einem erschöpften Stöhnen ins Bett fallen.
Ich vergrub mein Gesicht in meinem Kissen und starrte an die Decke.
Jisung.
Seine Finger auf meiner Haut, sein heißer Atem, seine Stimme, die mich um den Verstand brachte …
Ich hätte schlafen sollen. Ich war müde. Mein Körper war ausgelaugt. Aber stattdessen lag ich da und dachte an ihn.
Und an den verdächtigen Ausdruck auf Jeongins Gesicht.
Diese Nacht hatte wohl für uns beide eine unerwartete Wendung genommen.Ich lag immer noch auf dem Rücken in meinem Bett, starrte die Decke an und versuchte, meine Gedanken zu sortieren. Mein Körper fühlte sich schwer an, als wäre jede Bewegung zu viel. Es war, als würde der vergangene Tag mich immer noch fest umklammern – das Konzert, Jisung, seine Berührungen, seine Küsse, die Art, wie er mich …
Mein Handy vibrierte neben mir.
Ich schreckte auf, drehte mich hastig zur Seite und griff danach. Mein Herz hämmerte sofort schneller, als ich den Namen auf dem Display sah.
Jisung.
Ich atmete tief durch, bevor ich die Nachricht öffnete.
„Morgen. 15 Uhr. Bei mir.“
Kein Hallo, keine Nachfrage, wie es mir geht – nichts. Einfach nur eine Anweisung. Eine Aufforderung.
Mein Magen zog sich leicht zusammen, eine Mischung aus Nervosität und … Erwartung.
Ich starrte auf den Bildschirm, als könnte ich zwischen den Zeilen mehr herauslesen, als wirklich da stand. War das eine Einladung? Ein Befehl? War das normal für ihn? Tat er das mit jedem?
Ich biss mir auf die Unterlippe.
Wollte ich wirklich darauf eingehen?
Mein Körper beantwortete die Frage, bevor mein Verstand es konnte.
Ja.
Ich wollte ihn sehen. Ich wollte wissen, was das hier war – oder ob es überhaupt irgendetwas war.
Meine Finger zitterten leicht, als ich anfing zu tippen.
„Okay.“
Nicht mehr. Keine unnötigen Fragen. Keine Unsicherheiten.
Ich schickte die Nachricht ab und ließ das Handy neben mir sinken.
15 Uhr. Morgen.
Mein Herz raste.
Wie zum Teufel sollte ich bis dahin schlafen?
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