8 - Instinkt
Die Stille die sich nach ihrer Bekennung aufgetan hatte, war bedrückend und zugleich äußerst beängstigend. Brya wusste in diesem Moment nichts mit sich anzufangen und versuchte sich mit hastigen Blicken ins Feuer abzulenken, während Azarel sie stumm anblickte. Was dachte er über sie? Beinahe konnte sie sich vorstellen, dass es ihm genauso mit dem Töten ging.
Doch warum kam diese Faszination gerade jetzt auf? Ebenso ihre übermenschlichen Sinne. Noch nie hatte Brya auf entfernte Gerüche vertrauen können und in einem stockfinsteren Gang gewusst, wo es entlangging. Sie hatte das dunkle Gefühl, dass sie niemals hätte in das Grab gehen sollen, in dem die Leichen sie gescheucht hatten.
Wäre sie einfach weitergezogen und hätte nach anderen Gräbern gesucht, dann hätte sie nie diese seltsame Grabinschrift gefunden, an die sie immer wieder denken musste.
Möge der Mond über alle wachen, die in finsterer Stunde über das Volk wachen.
Mit einem Blick nach oben stellte sie fest, dass der Mond tatsächlich über ihr ragte und seinen weißen Schein auf ihr Lager warf.
Natürlich.
In ihrem Kopf befanden sich so viele ungeklärte Fragen. Anfangen und enden taten allerdings ausnahmslos alle bei Azarel. Beginnend mit seinem plötzlichen Verschwinden und auftauchen, seinem Wissen über ihr Blut und die Geschichte ihrer Vorfahren.
Das alles ergab keinen Sinn. Seine Montur war nun wohl zumindest nicht mehr makellos, was ihn ein wenig realer erscheinen ließ. Doch auch seine Stärke und seine Fähigkeiten waren ihr ein Rätsel. Er verfügte allem Anschein nach über die gleichen Sinne wie Brya, auch wenn die seinen vermutlich weitaus ausgeprägter waren, als ihre neu entdeckten und jungen Sinne.
Und dann noch diese Entschlossenheit, wenn es um die Rettung der Welt ging. Ein einzelner Mann konnte wohl kaum einen Marsch gegen die Dämonen ausüben, zumal noch in den Wolken geschrieben stand, ob die Ghylvanan überhaupt helfen würden.
Nun, für Brya stellte sich außerdem immer noch die Frage, ob es sie eigentlich noch gab. Sie könnten mittlerweile ausgestorben sein oder vielleicht waren sie nur ein Märchen, da in den Geschichtsbüchern ja ohnehin nie die Rede von ihnen war. Schließlich kam sie zu dem Entschluss, dass wohl alles damit begonnen hatte, dass sie dieses beschissene Grab aufgesucht hatte. Seitdem war der Mond nicht nur ihr ständiger Gefährte, sondern sie hatte auch das Gefühl etwas losgetreten zu haben.
Die Kammer war nicht umsonst bewacht gewesen. Sie hätte nicht eintreten dürfen.
»Es liegt dir im Blut, Brya.«
Ihr noch immer gen Himmel liegender Blick richtete sich langsam auf Azarel, welcher die zusammengerollte Karte in der Hand hielt.
»Die Altelfen sind geborene Krieger. Töten ist für sie eine Herzensangelegenheit.«
Sie schnaubte verächtlich und fummelte gleichzeitig nervös an den Spitzen ihres Zopfes. Tatsächlich waren sie immer noch recht struppig, was wohl daran lag, dass jedes einzelne Haar porös und kaputt war.
»Woher weißt du das? Du scheinst eine Menge über sie zu wissen.«
Er schmunzelte gewitzt und legte anschließend ein unwahrscheinlich anziehendes Lächeln auf.
»Ich bin ein belesener Mann.«
Sie schüttelte bloß den Kopf. Immer wieder wich er ihren Fragen aus, doch sie hatte nach diesen Erfahrungen in den letzten Stunden keine Kraft weiterhin nachzuhaken.
Doch eines musste Brya leider feststellen. Azarel hatte sie wohl oder übel beschützt und vor dem sicheren Tod bewahrt. War es ihm ernst oder was das auch nur ein Trick?
Nach einigen Minuten des Schweigens und dem Essen des kleinen Kaninchens, breitete Azarel die Karte auf dem erdigen Boden aus und fluchte, als er einige kleine Risse im Papier entdeckte.
»Unsere Verfolger sind vermutlich wieder hierher gerannt«, er zeigte auf den Radius der Verderbnis, der sich von der Hauptstadt ausbreitete, »Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass wir sie in den nächsten Tagen erneut treffen, wobei diese blinden Viecher wohl unser geringstes Problem darstellen.« Nachdenklich fuhr er sich durch den Stoppelbart und zeichnete eine imaginäre Route auf der Karte. »Wir brechen jetzt auf. Im Schutz der Dunkelheit kommen wir vermutlich weiter als am Tage. Und nun, da deine Sinne immer elfischer werden, sollte das selbst für dich einfach sein.«
Sie grummelte einen ironischen Dank und stand auf. Vollkommen ohne Gepäck und Proviant gingen sie in die Tiefen des Waldes und Brya hörte auf einmal so viel mehr als zuvor.
Das Knatschen der schweren und leichten Äste war nun lauter als zuvor und Brya konnte schwören, sie würde hören, wie das Holz im Inneren der Bäume sich im Wind bewegte. Ihre Sinne waren durchaus geschärft und sie fragte sich, was wohl noch auf sie zukommen würde.
~
Ohne Unterbrechung wanderten sie durch den Wald und blieben stets von den Wegen fern, wie Brya feststellte.
Warum genau Azarel sich weigerte auch nur einen Fuß auf den Schotterweg zu setzen war ihr zunächst unklar, doch als sie Stimmen hörte und Azarel ihr bedeute sich hinter einen Brombeerbusch zu hocken, verstand sie ein wenig mehr.
»Sie halten sich von den Wegen fern, Meister.«
Ein dunkles Knurren erklang, doch Brya traute sich nicht hervorzulugen und einen Blick auf die Männer vor ihr zu werfen. Sie befanden sich auf den Wegen und waren wohl etwa noch fünfzig Meter von ihnen entfernt.
Woher sie dies wusste und warum sie diese Männer hören konnte, schloss sie erneut auf ihre Sinne zurück. Auch Azarel hockte nun neben ihr und lauschte aufmerksam.
Warum aber wusste er, wie weit sie noch weg waren? Warum hatte auch er sie gehört?
Mit einem Blick auf seine Ohren stellte sie fest, dass die seinen nicht spitz zuliefen und auch sonst sah nichts an ihm elfisch aus, wobei Brya wohl gar nichts als elfisch einordnen konnte, selbst wenn es direkt vor ihrer Nase läge.
Sie hatte keinen Schimmer wie derlei Dinge aussahen, sich anfühlten und eventuell rochen?
Sie fragte sich, wie ein Altelf wohl roch, denn Azarel hatte bereits erwähnt, dass ihr Blut nach Elf riechen würde. Wonach roch ihr Blut? Nie hatte sie einen besonderen Geruch wahrgenommen, allerdings konnte sie auch nicht von sich behaupten, dass sie an dem Blut von Menschen geschnüffelt hatte, um einen Unterschied ausmachen zu können.
Sie nahm schließlich einfach an, es würde nach Eisen riechen. Azarel erkannte an ihr also einen besonderen Geruch, warum aber konnte dieser mysteriöse Mann so vieles?
Und noch viel mehr stellte sich ihr nun die Frage, warum sie einem Mann zu vertrauen begann, der ein größeres Geheimnis darstellte, als die Frage um die Existenz von Göttern.
Ihr blindes Vertrauen in ihn könnte sie zu irgendeinem Zeitpunkt bereuen, doch bis jetzt verhielt er sich ihr gegenüber stets als jemand, dem man nichts anmaßen sollte. Dennoch stand ihre Entscheidung fest, sie würde weiterhin vorsichtig sein. Nach einiger Zeit waren erneut Stimmen zu hören.
»Findet sie. Beide. Bringt Azarel an den Schreckenshof und sie gleich mit. Der Herr will sie unversehrt, wie er dort ankommt, ist egal.«
Die unterlegene Stimme von zuvor sprach leise und zittrig: »A-aber, Meister. Er wird sich nicht ergeben.«
Ein dumpfer Aufprall war zu hören, als dieser zu Boden ging und jämmerlich kreischte, voller Angst. »Sorg dafür, dass geschieht, was der Herr befielt. Ich habe Wichtigeres zu erledigen, als mich um diesen Abschaum von Mann zu kümmern.«
Neben ihr schmollte Azarel gewitzt, doch Brya versank in Ehrfurcht vor dem, was folgen würde. Sie würden wohl alles tun, um ihn zu bekommen. Welche Rolle spielte Azarel in diesem Spiel?
War er Freund oder Feind?
Ein Rauschen ließ Brya zusammenzucken, gefolgt von einem unnatürlich klingenden Knall. Azarel trat nah an sie heran und fasste sanft ihre beiden Handgelenke.
Mit süßlich leiser Stimme flüsterte er ihr ins Ohr: »Wir werden uns nun um die beiden übrig gebliebenen kümmern. Vertrau auf deine Instinkte und alles wird gut.«
Brya nickte aus Reflex, obwohl ihr ganz und gar nicht nach Nicken zumute war. Sie wollte sich nicht um diese Männer kümmern.
Ganz im Gegenteil, es schien ihr durchaus sinnvoll, kehrt zu machen und in die entgegengesetzte Richtung zu laufen.
Das erkannte Azarel, welcher mit seinem Zeigefinger ihr Kinn anstupste und sich dann mit einem Lächeln aufrichtete. Brya zog scharf Luft ein und hielt inne, sie stand nicht auf.
Als Azarel einen Schritt vorwärts tun wollte, blickte er auf sie hinab. Schmunzelnd packte er ihre Montur und zog sie hoch.
»Ganz lässig.«
Ihr Kopf nickte ohne ihre Zustimmung, ebenso wie ihre Beine sich ohne konkrete Zustimmung neben Azarel einordneten, der gradlinig auf die Schergen der Dämonen zuging.
Als seine und ihre Stiefel auf dem Schotter des Weges knirschten, drehten sich beide blitzschnell um und griffen augenblicklich zu ihren Schwertern. Genau, Schwerter.
Und was hatte Brya?
Einen Dolch und einen untalentierten Umgang damit.
Sie schluckte.
»Habt ihr nach mir gesucht?« Azarel grinste und leckte sich einmal über seine vollen Lippen.
Eines Tages würde ihm seine Überheblichkeit zum Verhängnis werden.
»Begleite uns freiwillig und du wirst frei von Qualen zurückkehren.«
Azarel lachte auf und fuhr sich durch seinen Bart.
»Nun, wenn das so ist, dann werde ich mich mit Freuden gegen euch stellen. Ein wenig Härte mochte ich schon immer.«
Er zwinkerte Brya zu und wenn sie nicht solche gewaltigen Probleme hätte gegen ihre Angst anzukämpfen, dann wäre ihr wohl die Schamesröte ins Gesicht gestiegen. Die Männer, die gerade vor ihr standen, hatten ihre Augen noch an Ort und Stelle und sie waren offensichtlich bereit anzugreifen. Brya hingegen stand einfach stumm da.
Ihre Haltung ließ sie gewiss wie eine Statue wirken. »Der Herr hat ein Wort mit dir zu reden, Azarel«, sagte einer der Männer und beide traten einige Schritte vor.
Brya wollte die Entfernung wieder wie zuvor herstellen, doch Azarels leises Schnauben hielt sie davon ab.
Sie sollte keine Angst haben.
Er würde sie beschützen.
»Ich weiß wie sehr er mich begehrt, aber ich habe kein Interesse daran ein Wort mit ihm zu reden.« »Alle wissen, dass das Mädchen bei dir ist. Alle wissen, was du vorhast.«
Alle?
Alle Dämonen?
Waren sie deshalb auf der Jagd nach ihr?
Wussten alle was er finden wollte?
Azarel grinste breit und trat mit einigen Schritten nah an einen ihrer mutmaßlichen Angreifer heran. Sie standen beinahe Stirn an Stirn, während Azarel die Spitze des Schwertes seines Gegenübers mit dem Zeigefinger umspielte.
»Und ihr wollt mich aufhalten?«
Brya konnte sehen, wie dem Mann der Schweiß ins Gesicht lief. Azarel war eine Respektperson, das wusste sie schon seitdem sie den Boden der Taverne gesehen hatte, auf dem so viele erschlagene Schergen lagen.
Nach einem hörbaren Schlucken entwich dem Mann ein bejahender Laut.
»In Ordnung.«
Azarel straffte seine Schultern und schlug mit einer enormen Kraft das Schwert des Schergen aus seiner Hand. Dieser brüllte auf und schlug beinahe unkontrolliert um sich, als er stampfend auf Azarel losgehen wollte. Mit einer übermenschlichen Leichtigkeit wich Azarel aus und konterte jeden noch so nutzlosen Schlag des Schergen.
Brya war überwältigt von der Balance und der Kontrolle, die in seinen Schritten lag.
Sein Rivale war überaus wütend und schrie jedes Mal, wenn seine Schläge pariert wurden.
Schnell wurde ihr bewusst, dass er mit ihm spielte. Wenn Azarel wollte, wäre dieser Mann schon lange tot.
Sie musste etwas lächeln, denn es erstaunte sie noch mehr, dass er in solch einer Situation stets seinen Witz behielt. Und dann war da noch dieses arrogante Grinsen auf seinen Lippen.
In diesem unachtsamen Moment ihrerseits, traf sie ein Schlag im Gesicht und sie kippte unwillkürlich nach hinten, ehe sie auf ihrem Rücken landete und sich den Kopf stieß.
Brya kniff die Augen zu und versuchte sich zu sammeln, doch das laute Piepen in ihren Ohren brachte sie durcheinander.
Als sie es schaffte dem Licht des Mondes entgegenzublicken, entdeckte sie den zweiten Schergen, welcher auf sie zuging.
Er hatte sie mit seinem Schlag gute fünf Meter weg katapultiert und wirbelte sein Schwert lässig im Handgelenk.
Ihre Instinkte packten ihre Beine wie von Magie und sie verlagerte ihr Gewicht nach hinten, um eine Rückwärtsrolle zu machen und den dadurch gewonnenen Schwung zum Aufstehen zu nutzen. »Dieser kleine Trick wird dich nicht retten«, brachte ihr Gegenüber heraus.
Überrascht von sich selbst versuchte Brya Mut aus ihrem Manöver zu fassen und stellte sich mit festem Stand und tatsächlich erhobenen Fäusten hin.
Alles, was sie dafür erntete, war ein belustigtes Lachen. Brya knurrte kurz und machte sich darauf gefasst einem Schwertschlag ausweichen zu müssen. Doch er schmiss es weg und kam stattdessen mit leeren Händen auf sie zu.
Natürlich, sie sollte ja unversehrt bleiben. Niemals würde sie zulassen, dass der Meister dieser Mistkerle sie bekommen würde.
Er holte aus und es wirkte, als würde die Zeit für einen Moment wesentlich langsamer ablaufen. Brya atmete tief ein und schloss die Augen, um genau zuhören zu können, was ihr Instinkt ihr zuflüsterte. Sie wich aus. Wieder und wieder entkam sie seinen Schlägen und lachte dabei vollkommen außer Atem und überrascht. Ihr Angreifer wurde wilder und dennoch gelang es ihr, ihm erneut zu entgleiten.
Ihre Reflexe waren derart schnell, sodass er nicht die geringste Chance hatte, sie zu packen. Azarels Lachen schallte ebenfalls durch den Wald, als er sie beobachtete und für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke.
Feuer und Feuer fanden sich und diese Flammen vermochten alles zu bewältigen.
Der Wille beider war da. Brya griff nach dem Ritualdolch und sprang dem Schergen entgegen, als er einen Schlag landen wollte. Dieser traf Brya nur schwach am Brustbein, die Kraft vollkommen ausgelaugt von der Klinge, die in seinem Hals steckte.
Mit festem Blick sah sie in seine zitternden Augen und stieß noch fester hinein, ehe sie ihren Fuß auf seinem Schenkel absetzte und den Dolch herauszog. Er fiel mit sprudelndem Blut an der Kehle auf den Rücken und im selben Moment gesellte sich Azarel neben sie.
»Du wirst besser.«
»Er hatte es verdient.«
Azarel nickte und straffte seine Schultern. Brya sah auf die Leichen herunter und hielt die Luft an.
Hatte sie einen Dämon getötet?
Die Wesen, die sie für unaufhaltbar hielt?
War es doch so einfach?
Warum fiel es gerade ihr so einfach, wenn doch schon Armeen an einem einzigen gescheitert sein sollen?
»Ich weiß, was du denkst und ich kann dir eine Antwort geben. Diese beiden waren keine Dämonen. Sie lieben es ihre kleinen Schergen loszuschicken, da es kein Verlust ist, wenn sie dahingehen. Wenn es eines gibt, dass du über die Dämonen wissen solltest, dann ist es, dass es nur wenige der wirklichen Dämonen gibt. Der Rest sind Überreste der menschlichen Seelen, die versuchen dem Chaos zu entkommen. Und diese beiden werden nicht die letzten von ihnen bleiben, die deinen Zorn zu spüren bekommen. Sie werden es bereuen.«
Schnaubend entfuhr Brya ein Lachen.
»Du tust so, als wäre ich irgendeine Gottheit. Vergiss nicht, wer von uns beiden einen Teppich aus Leichen in der Taverne hinterlassen hat.«
Wieder einmal sah sie das allzu bekannte arrogante Grinsen auf seinen Lippen.
»Ich fühle mich geschmeichelt, doch bin ich mir auch sicher, dass du zu weitaus mehr fähig wärst, sofern du dich auf deine Herkunft einlässt.«
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