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Kapitel 13: Rotes Haar in Flammen

Es dauerte nicht besonders lange, bis Erwin einen Berechtigungsschein beschafft hatte und verkündete, sie würden einen Abstecher nach Thüringen machen. (Wahrscheinlich auch ein Produkt seiner guten Verbindungen in den Osten.) Levi nickte natürlich, was sollte er sonst machen? Und folgte ihm in seinen hässlichen, lauten Wagen.

Während der Fahrt wechselten sie selten ein Wort, nur einmal ärgerte Erwin sich über die aktuelle Verkehrslage und die mangelhafte Qualität der Straßen. Er merkte relativ schnell, dass es Levi nicht interessierte, und konzentrierte sich aufs Fahren.

Levi war erleichtert, dass sie die Grenze wieder reibungslos passieren konnten. Vermutlich lag es an Erwins Art, seinem römischen Kaisergesicht oder seiner Akademikersprache, seiner Vorleserstimme oder der Offenheit in seinen Gesten, aber er vermittelte immerzu einen vertrauenswürdigen Eindruck bei den Menschen um sich herum. Levi war irgendwie stolz, ein bisschen selbstgefällig wegen der Tatsache, dass er Erwin auch anders kannte, wütend und aufgebracht, nervös und fanatisch, oder verlegen und erregt.

Anscheinend hatte Zeke ihnen verziehen, oder aber er war einfach scharf darauf, sie beide wieder übers Ohr zu hauen ─ die Konsuln berieten noch. In seinem Hotel der Schande schienen sie willkommen, was zunächst paradox, letztlich aber nur verständlich war. Noch bevor sie die Lobby überhaupt durchquert hatten, hielt Erwin bereits eine Kurzeinweisung vonnöten und verlangsamte Levis Schritttempo, indem er seinen Oberarm umfasste.

Automatisch schaute er zu Erwin herüber. »Chef?«

»Vermeide doch bitte diesmal jegliche ... Malheurchen«, formulierte er es etwas abstrakter, erinnerte ihn per Augenkontakt an sein Ärgernis mit Ezechiel. Dann ließ er Levis Arm langsam los und wies den Weg. »Wir machen das auf meine Art.«

Levi schob die Schneidezähne gegeneinander. Bevor er dem etwas Impertinentes entgegensetzen konnte, erreichten sie die Rezeption. Diesmal fanden sie nur Yelena und ihre immer leidenschaftslosen, schwarzen Augen vor. Die beiden Herren wurden vom großen Ezechiel nicht persönlich empfangen, das war eine ganz klare Botschaft. So willkommen waren sie dann doch nicht.

Auch Erwin schien die Anspannung der Situation nicht zu entgehen, er überspielte sie jedoch gekonnt mit seinem patentierten Politikerlächeln und versuchte sich an Konversation mit Yelena, die aber angesichts ihrer schlechten Laune (und sozialen Inkompetenz, wenn es nach Levi ginge) nur das Nötigste sagte. Wenigstens in der Hinsicht verstanden sie sich, Levi wollte sie auch nicht länger als unbedingt erforderlich ertragen.

»Lief doch ganz gut, oder?«, scherzte Erwin trocken, als sie zum Wagen zurückkehrten, um ihr Gepäck zu holen. Levi ignorierte seine Bemerkung und stemmte sich gegen den Käfer, Blondie sollte ruhig die ganze Arbeit machen.

»Ich habe ein ungutes Gefühl«, gestand er, während Erwin um den Wagen herumlief. Er griff nach seinem Koffer und die etwas handlichere Reisetasche, die unter dem »Puffergepäck« lagen, wie Erwin es nannte. Das war überschüssige Ladung, die lediglich die Durchsuchungen erschweren sollte. »Hast du nicht auch andere Kontakte außer Zeke?« Er linste unauffällig nach links und rechts, ohne den Kopf zu bewegen. »Du weißt schon.«

»Ich habe alles im Griff«, beteuerte er und reichte Levi seine Tasche. Schade. Aus irgendeinem Grund hatte er angenommen, dass Erwin ihm den Page machen würde. »Ezechiel ist kein ehrlicher Mann und seriös erst recht nicht, aber er kann uns nichts. Wenn wir auffliegen, fliegt er ebenfalls auf. Das würde er niemals riskieren.«

»Ich weiß, aber ...«

Levi verfestigte seinen Griff um den Riemen und horchte tief in sich hinein. Da war sie wieder, die Paranoia, die ihn immer einholte und nie friedlich schlafen ließ. Sie war so eng mit ihm verwachsen, so tief in sein System integriert, dass man sie unmöglich von ihm separieren konnte, und gerade schlug sie heftig Alarm.

»Es ist so ein Gefühl, ich. Kann das nicht abstellen«, brachte er hervor und schaute zu Erwin auf. »Das ist. Wie ein Instinkt.«

Erwin bedachte ihn eine Weile, gedankenversunkenes Blau in seinen immer wissenden Augen. »Ich verstehe«, erwiderte er sanft. »Sag mir, wenn dir etwas auffällt.«

Levi nickte und sie kehrten ins Hotel zurück, um ihr Zimmer aufzusuchen. Er war irgendwie erleichtert, dass Erwin ihm nicht sagte, er hätte nichts zu befürchten oder irgendetwas anderes, das sowieso gelogen wäre, sondern den Fakt akzeptierte, dass er an Levis Instinkten, seiner Urangst nichts ändern konnte, so wie er auch an seiner Gewalt, seinem Zynismus und seiner Sturköpfigkeit nichts ändern konnte.

Erwin erwartete nicht, dass Levi sich veränderte. Das hatte er klar gesagt und dem Anschein nach auch so gemeint. Oder aber er hatte es einfach aufgegeben. Wenn Levi sich nicht helfen ließ, wozu die Mühe? Warum etwas versuchen, dass sowieso nicht mal den Hauch einer Chance hatte?

Der Gedanke ernüchterte Levi aus irgendeinem Grund. Es fühlte sich an, als würde sich eine schwere Last in seiner Brust manifestieren und auf sein Herz drücken.

Seufzend ließ er sich gegen die Tür sinken, die ihr Zimmer vom Rest des Hotels trennte. Sein Blick schweifte unweigerlich zu Erwin, der wie so oft aus dem Fenster schaute und dort etwas zu sehen schien, was sie alle nicht sahen. Als würde ihm seine Gedankenwelt ständig eine neue Perspektive eröffnen.

»Ich habe mich ... überhaupt nicht verändert«, brummte er, woraufhin sein Professor verwundert den Kopf herumdrehte. Seine Augen waren wieder fokussiert und die Ohren gespitzt, eindeutige Zeichen seiner Wissbegierde.

»Wie bitte?«

Entnervt drückte Levi eine Hand gegen seine Schläfe. »Nichts.«

Erwin wandte sich ihm nun vollständig zu, trat sogar einen Schritt vor. Zwei sichere Meter prangten zwischen ihnen. »Was möchtest du von mir hören?«

»Hä?«

Erwin verschränkte die Arme hinterm Rücken. Jetzt sah er wirklich aus wie ein alter Mann. »Soll ich dir zustimmen? Dir widersprechen?«

Levi wusste es selbst nicht. »Sag doch, was du denkst.«

Ein beinahe mitfühlendes Lächeln umspielte seine Lippen. »Denkst du wirklich, ich kann das beurteilen?«

Unschlüssig biss Levi sich auf die Wange.

»Außerdem bin ich überzeugt, dass du das selbst am besten weißt.«

Einen stillen Moment später wandte er sich ab und begann, sein Bett zu beziehen. Levi beobachtete ihn eine Weile dabei, bevor er sich an sein eigenes machte. Die Laken waren frisch und ihr Duft bildete eine obskure Mischung aus Blumen und irgendetwas anderem, das er nicht recht einordnen konnte. Irgendwie chemisch.

Nach einigen Minuten der stummen Werkelei warf Erwin einen Blick auf die Uhr. »In einer Stunde treffe ich meinen Informanten.«

Levi schüttelte sein Kissen aus. »Ich soll mitkommen?«

Erwin nickte, witzelte: »Wir spielen guter Bulle, böser Bulle.«

»Nett«, murmelte Levi und warf sein Kissen wieder auf die Matratze. »Und wer ist der Böse?«

Ein leicht nervöses Lachen kam von Erwins Seite. »Dir kauft man den Bösen eher ab, meinst du nicht?«

Levi überlegte, ob ihn das beleidigte, kam aber zu dem Schluss, dass er sich nicht sicher war. »Kann sein.«

Blondie atmete erleichtert auf, erfreut über den friedlichen Ausgang seiner wagemutigen Alberei. Eine Weile blieb er zwischen ihren Betten stehen und verfolgte amüsiert, wie Levi die Falten auf Bezug und Decke akribisch glattstrich. Nachdem Levi seine Fummelarbeit beendet hatte, machte Erwin den Eindruck, als wolle er sich setzen, weshalb Levi ihm schnell zuvorkam und seinen Unterarm zurückzog.

Inquisitiv neigte er den Kopf. »Was ist?«

»Mit deinen Straßenklamotten aufs Bett?«, krittelte Levi enttäuscht und rümpfte die Nase. »Hast du denn gar nichts von mir gelernt?«

Ein angestrengtes Seufzen kam ihm über die Lippen. »Ich bin drei Stunden gefahren, Levi.«

»Du meinst, du hast drei Stunden faul auf deinem Arsch herumgesessen.«

Jetzt sah er irgendwie eingeschnappt aus. Als hätte Levi etwas wirklich Gemeines gesagt. »Du könntest ja auch mal fahren.«

»Ich habe keinen Führerschein.« Er hielt seine bloßen Handgelenke hin, als wäre Erwin ein übereifriger Polizist und er selbst ein ziemlich suizidaler Verbrecher. »Willst du, dass ich festgenommen werde, Erwin?«

»Nein, ich will, dass du mir fünf Minuten Ruhe gönnst«, seufzte er und ließ sich ungestört auf sein Bett nieder, Levi verzog das Gesicht.

»Du bist so unelegant«, stellte er fest und traute sich näher an Erwin heran, sich wohl bewusst, dass er eine unsichtbare Linie übertrat. »Du hast Glück, dass die meisten nicht wissen, wie du wirklich bist.«

Erwin reagierte nicht, verfolgte nur achtsam, wie Levi sich zwischen seine Beine stellte und ihn von oben bis unten musterte. Ausnahmsweise durfte er mal das Gefühl genießen, Erwin zu überragen, zu ihm herunterschauen zu können.

»Aber du weißt, wie ich wirklich bin?«, stellte er infrage und zog beide Augenbrauen hoch.

Levi antwortete nicht. Irgendetwas in seinem Inneren regte sich und er hob vorsichtig die Hand, ließ sie einmal durch Erwins blondes Haar gleiten. Er schloss die Augen und lehnte sich in die Berührung hinein, schmolz dahin, Levis Herz wurde weich. Alles daran war zu schön, zu liebevoll, und er sollte damit aufhören, bevor Erwin noch dachte, er hätte sich einen Platz in einer von Levis Kisten freigeräumt.

»Sieh an«, flüsterte er und studierte seine Gesichtszüge, Erwin schaute ihn wieder an. Unter der Zärtlichkeit, der weichen Sensibilität pochte stets das Kalkulierende an Erwin, auswertend, analysierend, aufmerksam, damit ihm auch nichts entging. Er wusste bestimmt schon längst, was Levi dachte, weil er ja immer wusste, was er dachte. »Das ist wirklich ... interessant.«

Ein feines Lächeln zierte seine Lippen. »Durchaus. Ich habe dich nur einmal aus dieser Perspektive gesehen.«

»Als ich dich fast niedergestochen hätte, meinst du?«, erinnerte er sich und rieb über Erwins Haaransatz, bis seine Gesichtszüge sich entspannten. Er lehnte sich vor, bis seine Nasenspitze fast die Erwins berührte. »Ist es denn eine gute Perspektive?«

»Du bist aus jeder Perspektive absolut atemberaubend«, säuselte er gefühlvoll, träumerisch beinahe, was Levi nur ein überhebliches Schnauben abverlangte.

»Gut ausgewichen«, stichelte er. Sobald Erwin sich vorlehnte, wich er zur Seite und beugte sich zu seinem Ohr herunter. »Ich küsse niemanden, der ein frisch gemachtes Bett schändet«, stichelte er herausfordernd und atmete auf, als er eine große Hand an seiner Hüfte spürte.

»Du bist so streng mit mir«, klagte Erwin neben ihm und strich mit seinem Daumen über Levis Seite. Einladende Wärme strömte herüber, füllte sein Inneres mit quellender Sehnsucht. Bevor er sich noch zu sehr von der Nähe verführen ließ, löste Levi sich von ihm, und Erwins Hand glitt in einer fließenden Bewegung dorthin zurück, wo sie hingehörte.

»Reiß dich zusammen«, entgegnete er, wusste nicht, ob er mit Erwin oder nicht doch eher mit sich selbst sprach. »Du bist widersprüchlich. Schiebst ständig Panik und willst aufpassen, kannst aber gleichzeitig deine Hände nicht bei dir behalten.«

»Du hast ja Recht«, seufzte er und rieb sich den Nacken, als würde er wehtun. Indessen wandte Levi sich ab und strich seine Haare zurück. »Willst du runter?«

»Ich will mich umsehen«, meinte er, ohne ihn weiter zu beachten, hielt an der Tür aber nochmal inne. »Hast du ein Problem damit?«

»Nein, keineswegs«, log er und hob die Mundwinkel. »Tu, was du nicht lassen kannst.«

Das hatte Levi sich fast schon gedacht. »Gut.«

•  •  •

Die Uhr schlug bereits kurz vor fünf, als Levi seinen Rundgang beendete, wenig erfolgreich zugegebenermaßen. Heute war er Zeke kein einziges Mal über den Weg gelaufen, was ihn etwas misstrauisch machte. Irgendwann gelangte er zurück in die Lobby und lehnte sich gegen eine der Türen, die ins Restaurant führten. Im Ein- und Ausströmen der Gäste verborgen, studierte er die Räumlichkeiten: junge Frauen mit Kindern, Männer in Anzügen und Freizeitklamotten, Angestellte in Eile.

Ein Mann in Alltagskleidung setzte sich an einen der Tische am anderen Ende der Lobby, latent in einer Ecke, und schien, gar nicht zu existieren. Er war älter als Levi, bestimmt Ende dreißig, Anfang vierzig, die ersten grauen Haare glänzten silbern gegen das Licht. Sein Blick ging starr ins Nichts und trotz seiner Haltung ließ sich nicht darauf schließen, dass er wartete. Als wäre er gar nicht da. Der Zeitpunkt passte auch, eine Stunde war schon rum.

Einige Sekunden vergingen, in denen Levi ihn heimlich observierte, bis der Fremde den Kopf gezielt nach ihm herumdrehte. Ihre Blicke trafen aufeinander, eisiges Blau verdächtig unter gelbem Licht.

Sobald er Erwins Präsenz hinter sich surren, flimmern spürte, wandte Levi sich wieder ab. Er wusste genau, wie es sich anfühlte, wenn jemand sich an ihn heranschlich. Und diese unebenen, trotzdem selbstsicheren Schritte würde er immer erkennen.

»Er ist es«, murmelte er und deutete mit einem Kopfnicken auf seine Neuentdeckung. Daraufhin trat Erwin näher an ihn heran und senkte sein Haupt ein wenig, um ihn bei dem vielen Geraune besser hören zu können. »Habe ich Recht?«

Er schien nicht überrascht, schüttelte aber dennoch ungläubig den Kopf. »Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell du so etwas erkennst.«

Levi schnaubte belustigt. »Heimvorteil.«

Ein stolzes Lächeln schob Erwins Mundwinkel auseinander. »Ich mag die Art und Weise, wie dein Gehirn funktioniert.«

Das war mal wieder so typisch. Typisch Erwin. Nur ein Professor würde so etwas sagen. Ich mag die Art und Weise, wie dein Gehirn funktioniert. Niemand machte solche Komplimente, niemand sagte so etwas mit derselben Aufrichtigkeit, wie Erwin es tat.

»Du bist komisch«, entgegnete Levi und versuchte, den milden Unterton zu unterdrücken.

Erwin schüttelte den Kopf. »Ich meine es ernst! Ehrlich.«

»Ich weiß«, er rollte mit den Augen, »das macht es noch schlimmer.«

»Komm«, sagte er und bedeutete Levi, ihm zu folgen, bevor er sich dem »Rumänen« näherte. Ob er wirklich Rumäne war? Und wenn nicht, was bedeutete das?

Der Rumäne machte sich nicht die Mühe, sich vorzustellen, und sprach nach wie vor nicht mit Akzent. Er war ein reservierter Mann mit seiner immer autoritätssuchenden Stimme, die tief unten sicher der Auswuchs eines Minderwertigkeitsgefühls war. Aber alles nur Spekulationen seitens Levi.

Erwin machte etwas lockere Konversation mit ihm über dies und das, die Anreise, das Wetter, das Ambiente. Manchmal fragte Levi sich, wie Menschen das aushielten. Man setzte ein Treffen an, um über eine, eine einzige Sache zu sprechen, und doch schlug man sich zuvor mit unnützen Höflichkeiten herum, als würde es irgendeine Rolle spielen.

»Wie kommst du hierher?«, warf Levi irgendwann hinein, weil ihm die Geduld für diesen Zirkus fehlte. »Ich dachte, ihr dürft nicht mit den Westlern schwätzen.«

Der Rumäne wandte sich zum ersten Mal auch Levi zu, als hätte er ihn schon längst vergessen. Es musste ihn wundern, dass diesmal nicht Erwin das Wort ergriffen hatte. »Ich bin beruflich hier.«

Levi musterte ihn abschätzig. »Dann bist du also ein Spitzel.«

Erwin trat nach seinem Schienbein. Levi trat fest zurück.

»Ich bevorzuge ›Detektiv‹«, hielt der Rumäne dagegen und schaute fragend zu Erwin herüber, als könnten sie eine telepathische Unterhaltung über Levis Unverschämtheit führen. »Aber ja, so kann man es auch ausdrücken.«

»Genug der Gepflogenheiten«, beschwichtigte Erwin, in der Hoffnung, von der Spannung in der Luft abzulenken. »Sag uns, was du weißt.«

Der Rumäne verschränkte die Hände auf dem Tisch, seine Augen wurden strenger, härter. Er hatte die Ecken und Kanten, die zum SED-Haufen und ihren quadratischen, grauen Bauten passten. »Ich habe etwas mitbekommen, aber das darf auf keinen Fall an die Presse«, erklärte er so selbstbewusst wie möglich, es schien ihn anzustrengen. »Das ist sehr wichtig. Ich muss darauf vertrauen können, dass das diesen Tisch nicht verlässt.«

Levi zog eine Augenbraue hoch und sah kurz zu Erwin, sein Kollege allerdings war vollkommen auf die bevorstehende Neuigkeit konzentriert. Bevor der Spitzel fortfuhr, schenkte er Levi noch einen sehr langen, intensiven Blick, den man als argwöhnisch bezeichnen könnte. Eine Warnung, die von Levi jedoch nur mit unbewegter Apathie quittiert wurde.

»Du kannst uns vertrauen«, versicherte Erwin ihm, obwohl er gar nicht gefragt war. Du kannst Levi vertrauen, hatte er damit sagen wollen. Ich werde schon dafür sorgen.

Der Rumäne verstand, nickte. »Es gibt Bestrebungen seitens der westdeutschen Regierung, hier Häftlinge freizukaufen. Und so, wie es aussieht, hat die SED ebenfalls ein Interesse daran.«

Unwillkürlich runzelte Levi die Stirn. Er traute seinen Ohren nicht.

Der Spitzel sprach gedämpft weiter. »Es wird noch verhandelt, wer, wie viel, was das kosten soll und so weiter, aber es könnte sein, dass einige politische Gefangene und Republikflüchtige das Land verlassen dürfen.«

Ein Schwenk zu Erwin verriet weder Zweifel noch Unbehagen. Er versuchte zwanghaft, nichts außer Ruhe und Gelassenheit nach außen dringen zu lassen, allerdings kannte Levi ihn viel zu gut, um den aufkommenden Enthusiasmus darunter nicht zu sehen, diese typische, verstohlene Faszination für das Unglaubliche.

»Gab es dafür einen bestimmten Anlass?«, fragte Erwin, die Augen interessiert zusammengekniffen.

Der Rumäne fasste sich grübelnd ans Kinn, um schlau zu wirken. »Na, die Russen machen Druck, weil die Fünf-Jahrespläne nicht laufen. Die wirtschaftlichen Probleme spitzen sich zu, die Lage ist prekär und die Partei ist dem nicht gewachsen. Sie wollen, dass die Situation sich bessert, wehren sich aber vehement gegen jegliche Reformen. Entlassungen gegen Bezahlung könnten eine Alternative sein. Es wäre gutes Geld für Investitionen.«

Levi glaubte ihm kein Wort. »Hast du auch nur irgendeine Art Beweis dafür?«

Der Rumäne sah ihn an, wie man ein lästiges Insekt ansehen würde. Als wäre Levi hier der zweigleisige Spitzel.

Erneut schaute er hilfesuchend zu Erwin. Wenn es um Informationen ging, waren die meisten Menschen deutlich subtiler, Diskretion war wichtig. Dem gegenüber stand Levis direkte Art, die den Rumänen eindeutig aus dem Konzept brachte. »Weißt du, Erwin?«, begann er, dabei durchbohrte er den Schwarzkopf aufs Neue mit seinen frostigen Saphiraugen. »Ich vermisse die Blondine. Die hat nicht so viele Fragen gestellt. Und sie war wenigstens schön anzusehen.«

Levis Mund schmeckte nach Magensäure. »Was?«

»Zurück zum Thema«, funkte Erwin dazwischen und setzte sein diplomatisches Lächeln auf. »Kannst du uns Näheres darüber berichten?«

Der Rumäne tippte unruhig auf dem Tisch herum. »Es gibt wohl schon potentielle Kandidaten. Zwanzig Leut. Wenn es gut läuft, sollen es mehr werden.« Er schüttelte den Kopf. »Mehr habe ich nicht. Fang damit an, was du willst.«

Von Erwin kam ein abwesendes Nicken, er war bereits wieder in Gedanken. »Halte mich auf dem Laufenden. Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du mir ein paar Namen liefern könntest.«

Der Rumäne schnalzte mit der Zunge (widerlich). »Mensch, Schmidtie, ich bin kein Zauberer. Aber mal schauen, was ich für dich tun kann.«

Sie tauschten keine Abschiedsformel miteinander aus, nur einen Brief, auch wenn Levi gerne gefragt hätte, ob der Rumäne tatsächlich Rumäne war, und Erwin behielt sein sinnierendes Denkergesicht auf, als hätte er Probleme bei der Verdauung.

Ezechiel bekamen sie auch den Rest des Tages nicht zu sehen.

•  •  •

Als sie zurück ins Zimmer fanden, blieb Erwin einen Moment im Raum stehen, völlig still, wirkte aber gleichzeitig so ruhelos wie nie zuvor. Levi taxierte ihn von oben bis unten, um nach Anzeichen für ein Aneurysma oder einen septischen Schock zu suchen, dabei war das vermutlich nur der typische Erwin-Wahnsinn. Einen Moment überlegte er, einen sarkastischen Kommentar abzulassen, ließ es aber gut sein und ging stattdessen einen Schritt auf ihn zu.

»Erwin«, sagte er behutsamer als beabsichtigt. Irgendwie hatte er schon eine Ahnung, was Erwin imaginierte, und ihm gefiel das ganz und gar nicht.

Da Blondie nicht reagierte, streckte er nun auch seine Hand aus und wollte ihm an die Schulter fassen. In diesem Moment jedoch drehte Erwin sich herum, Levi zuckte aus Reflex. »Chef?«

»Amnestie! Verstehst du?!«, fügte er so leise wie möglich hinzu, doch es nahm seinen Worten nicht den überwältigenden Elan. Aufgeregt ballte er die Hand zu einer Faust, schaute fanatisch in die Ferne, als wäre alles um ihn herum nur nebensächlich.

Ohne es zu wollen, verfiel Levi in ein Gefühl der Anteilnahme, ähnlich dem Mitleid. »Du glaubst das?«

»Der Sozialismus liegt im Sterben, Levi!« Er hob die Hand zu einer bedeutenden Geste. »Du kennst doch die Devisenpolitik, die Gelder werden überall gebraucht! Das ist ein hilfloser Akt der Verzweiflung.«

»Ich ... Erwin, ich weiß nicht.«

Erwin lief einmal auf und wieder ab. »Es macht alles Sinn! Levi, denk doch nach!«, forderte er, stets bemüht, seine Stimme auf Zimmerlautstärke zu beschränken. »Und ich habe noch nie eine falsche Information erhalten, es muss stimmen. Das ist der absolute Wahnsinn, Levi!«

Levi schnaubte bloß abfällig, konnte kaum glauben, welche Surrealität sich da vor ihm abspielte. »Mann, das macht dich echt wuschig, habe ich Recht?«, höhnte er. »Du vertraust deinem Kumpanen zu sehr. Vertrau keinem SED-Wichser. Sei nicht naiv.«

»Levi, das ist ein gutes Zeichen!«, beteuerte er, seine Topasaugen strahlten vor Zuversicht. »Weißt du, was ich denke? Du weißt, was ich denke, oder, Levi?«

Levi biss sich auf die Wange. Natürlich wusste er, was Erwin dachte. Er wollte seinen Vater wiedersehen. Levi wollte auch gerne Leute wiedersehen. Aber das war dumm. Auf Schicksal oder Glück zu setzen.

»Mach dir nicht allzu große Hoffnungen«, seufzte er schulterzuckend und wandte sich ab, um aus dem Fenster zu sehen. »Die machen sowieso, was sie wollen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass unter den tausenden Häftlingen, die es gibt, durch Zufall auch dein Vater freigekauft wird ...«

Als er wieder aufsah, wurde er von tosenden Wellen überschwemmt. Tiefes Blau riss ihn in seine Strömung, füllte seine Lungen und ließ seine Worte auf der Stelle ersterben. Dieser Mann würde sich einen solchen Hoffnungsschimmer nicht einfach so stehlen lassen. Nicht, ohne ihn zumindest einmal zugelassen zu haben.

Erwin war ein Idealist. Das ließ sich nicht ändern. Vielleicht nie.

»Lass uns doch ... nur ein Momentchen daran glauben, ja?«, flüsterte er sanft, viel zu sanft. Es ließ Levi wieder weich werden, das Herz nichts mehr als ein warmer, zerflossener Klumpen in seiner Brust, der nutzlos zwischen tiefer Bewunderung und Abscheu vor dieser ungewollten Zuneigung stand. Wie schaffte Erwin das nur immer? So etwas bei ihm auszulösen?

»Du kannst glauben, was du willst, Erwin. Ich werde dir das nicht ausreden«, kapitulierte er und hob unbeteiligt die Hände. »Aber ich möchte nicht, dass du ... nun ja, enttäuscht wirst.«

Entsetzt über seine eigenen Worte, presste er prompt die Lippen aufeinander. Wieso? Wieso hatte er das gesagt? Das klang so, als würde er sich dafür interessieren, was Erwin empfand. Als würde er sich um ihn sorgen.

»Sonst muss ich dich trösten, und das brauche ich nun wirklich nicht«, fügte er hinzu, damit es weniger einfühlsam klang. (Es half nicht.)

»Man kann sich nicht immer vor Enttäuschung fürchten«, behauptete er mit standhafter Beharrlichkeit. »Sonst verliert man nur den Mut und traut sich nichts mehr.«

Levi knirschte mit den Zähnen. »Du verstehst nicht, ich ... ich will damit nur sagen ...« Er fand nicht die richtigen Worte, alles klang falsch, wäre zu viel des Guten. Aber ihn quälte der Gedanke, dass Erwin an etwas festhielt, das möglicherweise nie in Erfüllung gehen würde. »Es. Kann schmerzhaft sein. Zu sehr zu hoffen.«

Ihm wurde der Hals enger, als wäre etwas in seiner Luftröhre stecken geblieben. Das hatte er sagen wollen. Er meinte es so. Er wollte nicht, dass Erwin Schmerzen litt. Auch wenn er ihm damit etwas gab, etwas offenlegte, etwas anvertraute, es hatte rausgemusst.

Als Antwort erschien wieder Erwins Lächeln, und damit kehrten auch seine Ausgeglichenheit und Unerschütterlichkeit zu ihm zurück. »Das stimmt«, bestätigte er unbehelligt. »Aber das ist es manchmal wert.«

Gequält verzog Levi die Miene. »Du bist so blöd.«

Erwin erwiderte nichts. Er hob nur unschuldig die Schultern ─ und Levi dachte wieder, dass dieser Idealismus immer seine größte Schwäche sein würde.

»Dann spiel halt den Helden«, spottete er und zupfte Erwins Hemd zurecht, um sich etwas vom Gespräch abzulenken. »Ich schaue dir zu. Damit ich sagen kann, ›Ich hab's dir doch gesagt‹, wenn du enttäuscht wirst und elendig an dir selbst scheiterst.«

»Das kannst du gerne tun«, erwiderte Erwin ungestört. »Solange du bei mir bleibst.«

»Habe ich denn eine Wahl?«

Ein durch und durch aufrichtiger Ausdruck eroberte seine Gesichtszüge. »Immer.«

Levi ignorierte es, zeichnete abwesend die Linien auf seinem Hemd nach. Nur kurz darauf fanden sich Erwins Lippen ganz natürlich auf seinen eigenen wieder. Eine Hand suchte Levis Wange, umfasste sein Gesicht mit müheloser Determination. Kurz, aber zärtlich, süß vielleicht sogar. Als Erwin sich von ihm löste, vermisste Levi das Gefühl sofort.

»Glaub nicht, ich habe vergessen, dass du mich getreten hast«, klagte er irgendwo über seinen Lippen, und Levi öffnete die Augen.

»Du hast angefangen.«

»Du warst unfreundlich.«

»Ich dachte, ich bin der böse Bulle«, erinnerte er an Erwins amateurhaften Scherz, fing angriffslustig seine Topase ein. »Außerdem war ich nur ehrlich. Er ist ein scheiß Spitzel.« Levi machte ungewollt ein Geräusch, das wie ein ersticktes Lachen klang. »Ein zweigleisiger noch dazu. Was für eine scheiß Ironie, Erwin.«

Blondie hielt inne und ließ die Hand sinken. Es dauerte einige Sekunden, bis er sich wieder fing. »Kaputtes System«, rezitierte er seine Worte ─  dabei hatte nur Levi das Recht, so etwas zu sagen.

»Im Gegensatz zum Westen oder was?«, wurde er nun wider Willen defensiv, wollte er jetzt wirklich sein Land verteidigen? Nein, aber Erwin konnte sich seinen Amerikaner-Stolz sonst wohin schieben.

Er schüttelte bloß den Kopf. »Das habe ich nie gesagt.«

»Ich bin keiner von denen. Ich bin kein Kommunist, falls du das denkst.«

»Denke ich nicht.«

Levi nickte. »Aber ihr seid kein bisschen besser. Der Kapitalismus frisst sich selbst. Irgendwann wird alles zusammenbrechen«, prophezeite er, wie es ihm schon Kenny und die Lehrbücher prophezeit hatten. Levi glaubte nicht an die Propaganda, an die Staatspartei oder den Ulbricht, aber davon war er felsenfest überzeugt, weil auch Kenny davon überzeugt gewesen war. Was Kenny gesagt hatte, hatte sich ─ leider ─ immer bewahrheitet. »Das ist wie ein Tumor, der wächst und wächst. Und der Tod rückt in Zeitlupe näher.«

Levi hatte die Metapher des Tumors immer für sehr passend gehalten, wenn es um den Kapitalismus ging. Es war kein äußerer Einfluss, kein Virus, kein Bakterium, das die Krankheit verursachte, sondern das System selbst, das sich von innen heraus wegen all der Fehler selbst zerstörte. Ein Tumor tötete nicht sofort. Alles brauchte seine Zeit. Zunächst streute er nur gemütlich. Dann zeigten sich die ersten Symptome, Krise hier, Krise da. Wohlstandsverwahrlosung und Armut standen einander gegenüber, Inflation, Zusammenbruch, Tod.

Erwin jedoch presste nur die Lippen aufeinander, keinerlei Wertung. »Kann schon sein, ja.«

Fassungslos stoppte Levi, hoffte bloß, dass er dem noch etwas hinzuzufügen hatte. »Was soll das denn heißen? Kann schon sein. Was soll ich damit?«

Unschlüssig überlegte Erwin, was er antworten könnte ─ oder wohl eher sollte. »Du klingst sehr sicher bei dem, was du da sagst. Ich habe keinen Grund, dir zu widersprechen.«

Gereizt wandte er sich ab. »War ja klar, dass du dich auf deren Seite stellst.«

»Ich stelle mich auf niemandes Seite«, seufzte er, als wäre er es allmählich leid. »Bei dir ist immer alles so schwarz und weiß. Immer entweder für oder gegen dich. Freund oder Feind.«

»Damit ich nicht wie du immer nur sülze und halbfertige Antworten gebe. Du bist unsicher und ein Heuchler.«

»Natürlich bin ich unsicher!«, hielt er nun energisch dagegen. »Alles in dieser Welt ist stets in Bewegung. Systeme werden gestürzt. Länder brechen von einem Tag auf den anderen zusammen. Einfache Knöpfe entscheiden über Leben und Tod. Alles kann von heute auf morgen wieder kippen. Ich frage dich, Levi: Bei was soll man sich auf dieser Welt sicher sein?«

Die Gewohnheit. Die Routine. Die Disziplin. Das waren die Sache, bei denen Levi sich sicher war. Und Erwin. Erwin war sicher. Erwin war eine Konstante. Erwin war da. Erwin blieb. Nicht wie alle anderen. Hoffentlich. Levi würde etwas anderes nicht ertragen.

»Dass ich bleibe«, rollte es ihm über die Lippen, er hatte es nicht zurückhalten können. »Ich bleibe. Egal, wie viele Probleme ich dir mache. Ich bin sicher.« Aufgeregt schluckte er. »Ich bin wie ein Parasit. Du wirst mich nicht mehr los.«

Erwin wollte diesen schrecklichen Vergleich korrigieren, Levi ließ ihn nicht. »Ich mag Gewohnheit. Ich mag Routine. Und ich mag Disziplin. Und das ist sicher. Das wird sich nie ändern. Manches ändert sich, aber nicht die Dinge, die ich brauche.«

Erwins Gesichtszüge wurden weich, der Blick erfüllt von Sanftmut und Empfindsamkeit. »Levi.«

»Du musst das akzeptieren. Und du wirst das akzeptieren«, er sprach im Futur, wie Erwin es des Öfteren tat. Eine klare Vorhersage, keine verschwommene Zukunftsfantasie. »Weil ich nicht mehr gehen werde.«

Obwohl es mehr wie eine Drohung als ein Treueschwur klang, küsste Erwin ihn wieder, diesmal länger. Levi legte eine Hand in seinen Nacken und zog ihn tiefer zu sich herunter, spürte unglaubliche Erleichterung, während er in Erwin verging. Das hatte ihm so lange auf dem Herzen gelegen. Das hatte er sagen wollen. Er meinte es so.

»Gut«, flüsterte Erwin gegen seine Lippen, »das ist gut«, und hörte nicht auf, ihn zu küssen, küsste seine Stirn, seine Wange, seine Nasenspitze, und irgendwann drückte Levi ihm eine Hand ins Gesicht und drohte, ihm den Hals aufzuschlitzen.

•  •  •

Levi konnte nicht anders, als zu denken, dass es irgendwie romantisch war, mit Erwin in einem Restaurant zu essen. Der Augenkontakt, das gedimmte Licht, der Rotwein. Fernab davon, dass das Gericht, das man ihnen empfohlen hatte, »Tote Oma« hieß. Levi war froh, dass er seine Oma nicht kannte, sonst hätte er im breiartigen Fleisch sicher nach ihrem Gesicht gefahndet.

»Du siehst nicht unbedingt glücklich aus«, lachte Erwin, während Levi angewidert auf seinen Teller starrte.

»Das Zeug macht seinem Namen alle Ehre«, murmelte er und stocherte stattdessen in den pürierten Kartoffeln herum, die sahen verhältnismäßig essbar aus. »Ich hasse Thüringen.«

»Möchtest du etwas anderes?«

»Nein, ich esse das jetzt«, protestierte Levi starrsinnig. Nur weil er bei Erwin lebte, hieß das nicht, dass er seine Wurzeln vergessen hatte. Er war kein reicher Sack oder feiner Professor, der sich mit pingelig erhobenen Zeigefinger beschwerte und sein Essen zurückgehen ließ. Er wusste, was es für ein Luxus war, überhaupt etwas Warmes vor der Nase zu haben.

»Wie du möchtest«, antwortete Erwin lediglich, konnte sich aber kein Schmunzeln verkneifen, als Levi die Kartoffeln stur in sich hineinschaufelte.

»Schau mich nicht an«, zischte er mit vollem Mund, so romantisch war das Ganze vielleicht doch nicht. Erwin tat ihm den Gefallen, weil er wusste, dass er Levi sowieso nicht davon abbringen konnte.

Immer mal wieder nippte er an seinem Wein und bereute es sofort wieder. Levi hasste Alkohol, aber irgendetwas musste er ja trinken, um dieses Zeug herunterzuspülen. Heute würde er mit Bauchschmerzen einschlafen.

Zu einem Nachtisch sagte er sofort nein, nicht dass es zur Toten Oma noch eine verstorbene Cousine oder einen Haustierkadaver gab, er legte es besser nicht darauf an. Auch Erwin lehnte dankend ab und trank stattdessen in Ruhe seinen Wein, ein deutscher Wein. In den Osten wurde wenig importiert, die Zölle waren eine zu große Hürde und es sollte ja der eigene Markt florieren, nicht etwa der der Franzosen oder Italiener.

»Willst du hoch?«, fragte Erwin irgendwann und hob beide Augenbrauen, wie er es immer tat, wenn er etwas von Levi wissen wollte.

»Lass mich erstmal verdauen«, erwiderte er geschafft, wobei er sich etwas zurücklehnte und den Blick gelangweilt durch das Restaurant schweifen ließ. Irgendwo am Tresen erkannte er Yelenas schlanke, absurd lange Gestalt wieder. Ihr präziser Topfschnitt entlockte Levi ein belustigtes Schnauben, weil er jetzt wusste, an was sie ihn erinnerte. Irgendwie sah sie aus wie ein Pilz.

Erwin wurde aufmerksam. »Was?«

»Nichts.«

»Nichts?«

»Ist was Dummes.«

»Ich mag dumme Sachen.«

Levi biss sich auf die Zunge. »Tust du nicht.«

»Doch. Für mein Leben gern.«

Still beobachtete er, wie der blonde Pilzkopf einer Kollegin den Teller abnahm und ihn zu einem Tisch am anderen Ende des großen Saals transportierte. »Weißt du noch, als du Yelena deinen Schwanz unterjubeln wolltest?«

»Entschuldigung?«

Ein sardonisches Lächeln schlich sich auf seine Lippen, während er versuchte, Erwins tiefe Vorleserstimme nachzuäffen: »Schöner Name.« Dann wechselte seine Mimikry zu Yelenas dunkler Dämonenstimme. »Ich bin verlobt. Ich will deinen Schwanz nicht.«

Als er sich wieder nach Erwin umwandte, schaute dieser ihn nur abgebrüht an. »Das findest du witzig, hm?«

»Unglaublich witzig.«

Erwin musterte ihn mit einer Falte in der Stirn, so als würde er sich Sorgen um Levis Gesundheitszustand machen. »Du gehörst ins Bett, Levi.«

Sein vermeintlicher Patient erwiderte nichts und Erwin zahlte. Als sie oben waren, wollte Levi sich direkt auf die harte Matratze fallen lassen (er mochte harte Matratzen), doch Erwin wies ihn auf seinen eigenen Vorsatz hin, nicht mit Straßenklamotten ins Bett zu gehen. Levi nickte und zog sich bis auf die unterste Kleidungsschicht aus. Da er auch vergaß, sich die Zähne zu putzen, musste Erwin ihn nochmal aus dem Bett holen und reichte ihm seine Zahnbürste.

»Danke, Chef«, flüsterte Levi und schrubbte seine Kauflächen, weshalb Erwin ihm ein zutiefst herzliches Lächeln schenkte. Er war so attraktiv, wusste er das? Levi hatte ihm nie gesagt, wie hübsch und perfekt sein römisches Kaisergesicht war. Wie eine Statue aus einem Museum. Kontrapost. Mit erhobenem Arm und Diskus. Sollte er ihm das sagen? Nein, das wäre verrückt.

So standen sie da, nebeneinander, und putzten ihre Zähne. Levi mochte das Gefühl, wenn die Borsten über seine Innenflächen schabten. Obwohl dort keine Nerven waren, hatte er das Gefühl, etwas zu spüren. Ein Kitzeln, ein Sauberwerden.

Zwei Minuten später spuckte Erwin aus, Levi hingegen tendierte dazu, sie länger zu putzen. Weil er ein Kaiser mit Manieren war, wartete Augustus noch so lange.

»Habe ich dir den Abend kaputtgemacht?«, fragte Levi mit haufenweise Schaum im Mund und betrachtete Erwin durch den Spiegel.

Seine Augen weiteten sich ein Stück weit. »Nein, auf gar keinen Fall.«

»Ich wollte, dass es ein normales Essen wird, aber du weißt, dass ich das nicht kann.« Er spuckte endlich aus. »Ich bin schlecht in so was.«

Erwin schob die Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf. »Ach Levi, was denkst du denn immer? Es war doch angenehm.« Er füllte einen der Plastikbecher mit Wasser und hielt ihn Levi hin. »Außerdem wollte ich schon immer die angeschickerte Version von dir sehen.«

Naserümpfend griff er nach dem Becher und spülte sich den Mund. »Ich bin nicht angeschickert«, protestierte er. »Ich bin immun gegen Alkohol.«

Erwin verkniff sich ein Lachen. »Komm«, sagte er und wollte Levi aus dem Bad schieben.

»Nein, mein voller Ernst.« Er lehnte sich absichtlich zurück, damit es Erwin schwerer fiel, ihn aus dem Raum zu bugsieren. »Ich bin immun gegen alles. Ich war noch nie krank. Und gebrochen habe ich mir auch nie was. Alkohol kann mir gar nichts. Ich bin unkaputtbar.«

»Das ist schön, Levi.«

Nach weiterem Gerangel änderte er seine Strategie und umfasste Levis Taille, bevor er seinen Körper federleicht mit einem Ruck in die Luft beförderte und über die Türschwelle trug. Levi fluchte, ließ es aber zu, dass Erwin ihn in sein Bett verfrachtete.

Sobald sich die Möglichkeit ergab, riss Levi ihn an seinem Kragen zu sich herunter und drohte leise: »Mach das nie wieder.«

Erwin hielt inne. »Ich wollte ─«

»Nie wieder. Ich kann selbst laufen.« Vorsichtig legte er einen Daumen an Erwins rechtes, unteres Augenlid. »Beim nächsten Mal, und das schwöre ich dir, kratze ich dir die Augen aus, Erwin.«

Der Angesprochene sah weniger verängstigt als eher fasziniert aus. Als würde er es gerne darauf ankommen lassen. Das Risiko versuchte ihn, seine Gedanken drifteten in die grenzenlose Irrationalität.

»Entschuldige«, flüsterte er lieber und wartete ohne ein Anzeichen von Ungeduld, bis Levi ihn losließ. Erst danach konnte er sich wieder aufrichten und hinfort gehen, um das Licht zu löschen. »Gute Nacht.«

Levi zog seine Decke heran und schob sie sich bis an die Lippen. »Gute Nacht.«

•  •  •

Am nächsten Morgen klopfte Yelena überraschenderweise und lud zum Gespräch um zehn mit Zeke. Allerdings sei nur Erwin erwünscht, verdeutlichte sie sehr klar. Irritiert, wenn auch nicht gerade überrascht schaute Levi von seiner Zeitung zur Tür und setzte sich auf.

Erwin spürte seine Bedenken sofort und wechselte einen prägnanten Blick mit ihm. »Fragen Sie Ezechiel doch, ob es ihm lieber ist, wenn ich meinen Kollegen ohne Aufsicht in seinem Hotel lasse.«

Levi schnaubte. Psychopath. Dem war wirklich alles egal.

»Soll das eine Drohung sein?«

»I wo, Yelena, i wo!« Das humorvolle Lächeln auf seinen Lippen reichte nicht bis zu seinen Augen, wie wenn jemand aus Politesse über einen schlechten Witz lachte. »Wo denken Sie hin?«

Verdrossen kniff sie die Augen zusammen. »Ich werde nochmal mit ihm reden, Herr Schmidt.«

Erwin nickte und verabschiedete eine ziemlich missmutige Yelena, bevor er die Tür schloss. »Nette Frau, nicht wahr?«

»Ich find's schön, dass du mich als Druckmittel missbrauchst«, spottete Levi und faltete die Zeitung zusammen, bevor er sie auf den Schreibtisch legte. Er würde lügen, wenn er behauptete, er hätte die Darbietung nicht von vorne bis hinten in vollen Zügen genossen. »Ohne Aufsicht. Du bist echt genial.«

»Spar dir deine Sprüche.« Er fasste sich an Stirn. »Ich möchte nicht, dass er dich vom Gespräch ausschließt.«

»Ich kann auch gut damit leben, wenn ich ausbleibe.« Lüge. Er wollte Zeke eine Klinge durch den Mund in sein Hirn rammen, wenn er es wagte, sie nochmal über den Tisch zu ziehen. Und er wollte natürlich immer bei Erwin sein. Aber das mit der Klinge war auch wichtig. »Du musst nicht für mich einstehen.« Lüge. Wenn Erwin nicht für ihn einstünde, würde er anfangen, an seiner Glaubwürdigkeit zweifeln. »Du brauchst mich sowieso nicht.«

Keine Lüge.

Erwin trat einen Schritt auf ihn zu. »Wie kommst du darauf?«

»Na, denk mal drüber nach«, half Levi ihm auf die Sprünge und begann, alle Punkte an einer Hand abzuzählen. »Ich kann nicht verhandeln, bin kein guter Redner wie du und auch nicht besonders intelligent.« Er ließ die Hand sinken. »Die Dinge, die ich tatsächlich gut kann, erlaubst du mir nicht, wie Leute einschüchtern oder irgendwie anders quälen.«

»Du putzt auch ziemlich gut«, warf Erwin schulterzuckend ein, was ihm ein langgezogenes Augenrollen einräumte. »Und machst guten Tee. Reparierst gut Kaffeemaschinen.«

»Lenk nicht vom Thema ab«, forderte Levi aufgezehrt. »Das sind alles Dinge, die ich hier nicht brauche. Die du hier nicht brauchst. Ich bin völlig fehl am Platz.«

Erwin stieß den Atem aus, als hätte er es langsam satt. »Natürlich brauche ich dich. Du bist wachsam, willensstark und durchsetzungsfähig. Außerdem ist das hier dein Territorium und ich muss mich auf dein Urteilsvermögen verlassen können«, beteuerte er ohne jeden Zweifel. »Mal abgesehen davon brauche ich jemanden an meiner Seite, falls die Dinge ... nun ja, außer Kontrolle geraten sollten.«

»Ich verstehe, ich bin deine schicke Notfallversicherung«, klagte er unwirsch. »Falls etwas nicht klappt und du einen eiskalten, lebensmüden Halsabschneider brauchst, der kein Gewissen hat.«

Jetzt sah Erwin nur noch zermürbt aus. »Du verdrehst mir immerzu die Worte im Mund.«

»Mache ich nicht. Drück dich besser aus.«

Einen Moment lang machte er Anstalten, Levi gegen das Schienbein zu treten, entschied sich aber in letzter Sekunde dagegen. Offenbar hatte er verstanden, dass er es sonst doppelt und dreifach zurückbekam.

»Ich finde deine angeschickerte Version besser, wenn ich ehrlich bin.«

»Ich war nicht angeschickert!«, bellte Levi, etwas beschämt über die Ereignisse der letzten Nacht. »Ich bin immun! Gegen Alkohol.«

»Niemand ist immun gegen Alkohol, was soll das überhaupt heißen?«, fragte er, während er die scheiß Augenbrauen eng zusammenschob. »Und jetzt hör endlich auf, immer nach neuen, lächerlicheren Gründen zu suchen, mir zu misstrauen.«

Ein betroffenes Schweigen senkte sich über den Raum, Levi fühlte sich entblößt. Ertappt. Denn Erwin traf mal wieder direkt ins Schwarze, auch wenn Levi es ungern zugab.

Ein dumpfer Schmerz nistete sich in seinem Brustkorb ein, wuchs, wucherte in seine Gliedmaßen und hämmerte. Darunter lauerte auch schon der bittere Zorn, ein gerissenes Wesen zwischen dem Dickicht, das nur darauf wartete, hervorzupreschen. Wenn er jetzt nicht ging, würde er sich nicht beherrschen können.

»Ich muss gehen«, bestimmte er abrupt und fasste sich an die prickelnde Brust. Bevor er jedoch an Erwin vorbeistürmen konnte, fasste dieser seine Schulter und drückte ihn zurück zum Schreibtisch.

»Was hast du vor? Musst du deine Wut wieder an jemandem rauslassen?«, erinnerte er ihn sein Ärgernis mit dem Flöckchen, von dem er eigentlich nur mutmaßen konnte.

»Nein«, presste Levi zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, hielt ihn Erwin wirklich für derart dämlich? »Ich klaue eine oder zwei Vasen und mache sie im Hinterhof kaputt.«

»Das wirst du nicht.«

Sobald er in Erwins Augen sah, stach die Rigorosität darin wie Dornen. Unangenehm, aber nicht allzu schmerzhaft. »Wie willst du mich davon abhalten?«

Seine Stimme wurde hart, unbiegsam. »Das brauche ich nicht. Du wirst es nicht tun, weil ich es sage. Das genügt.«

Da war keinerlei Verhandlungsbereitschaft, kein Raum für Diskussion, erst recht keine Gnade, nur unumstößliche Standhaftigkeit und Strenge, die Levi stückweise einknicken ließ. Indigniert biss er sich auf die Wange und wandte den Blick ab, er wusste es doch. Er wusste, dass er keine Vasen kaputtmachen würde, und doch bestand er darauf.

»Du musst aufhören, mir Befehle zu geben«, brachte er hervor, sein Herz schlug ihm bis zum Hals.

Unbeeindruckt neigte er den Kopf. »Wieso? Hast du Angst, dass du eines Tages realisieren musst, dass ich manchmal Recht habe? Dass ich Dinge mit guter Intention sage und dich davon abhalten möchte, Fehler zu machen?«

Als er darauf nichts antwortete, tippte Erwin flüchtig mit dem Zeigefinger an sein Kinn und forderte Levi wortlos auf, ihn anzusehen. Sobald er aufschaute, löste etwas Offenherziges, Sanftes das ursprünglich Herrische, Harte in seinen Augen ab. »Ich habe gesagt, ich verdiene mir dein Vertrauen. Und ich arbeite weiter darauf hin, Levi.«

Hin und her gerissen trat er von einem Fuß auf den anderen. »Ah.«

Es war eine neutrale Antwort, die einzige Antwort, die er geben konnte, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte. Die Schmerzen in seiner Brust standen plötzlich in Konflikt mit einer schleichenden Entlastung, sie war ihm zuwider und willkommen zugleich. All die Wut, der fälschliche Selbstschutz wirkte schlagartig umsonst, so als hätte er sich um etwas bemüht, das nicht sein müsste.

Normalerweise würde er Erwin irgendetwas Beleidigendes entgegensetzen, versuchen, ihn zu verletzen oder einfach nur mit einer zynischen Bemerkung von sich zu stoßen, doch er hatte gar nicht das Bedürfnis dazu. Viel lieber würde er Erwin etwas Ernstes, etwas Ehrliches antworten, das von Bedeutung war. Anders als ihm fiel es Levi aber schwer, das, was er empfand, in Worte zu fassen, vor allem wenn er selbst völlig überfordert damit war.

Einige Sekunden verstrichen in kollektiver Bewegungslosigkeit, bis er sich vorlehnte und seine Stirn an Erwins Brust legte ─ ein Stück sichere Distanz opferte, um ihm Nähe zu schenken. Er suchte weiterhin nach einer passenden Formulierung, wenigstens einem kurzen Satz, entschied sich aber letztlich dagegen, etwas zu sagen, und schmiegte stumm seine Wange an Erwin, in der Hoffnung, dass es reichte. Von hier aus konnte er sein Herz hören, es schlug gegen Levis Schläfe, lebendig, voller Ehrgeiz, Passion und Vitalität.

Für ihn war das wohl eine Aufforderung, denn er legte beide Arme um ihn und umgab Levi völlig mit seinem Körper wie Meereswasser. Erwin war zu groß, zu sperrig, man konnte einfach in ihm untergehen, existierte gar nicht, wenn er einen hielt. Levi hasste ihn dafür, gab sich dem aber hin und schloss die Augen, der jämmerliche Versuch eines Eskapismus, während er unter der Berührung schwach wurde. Er stellte sich vor, wie er darin verschwand, nie wieder auftauchte, für immer verloren in seiner Wärme.

Schritte näherten und entfernten sich wieder, sie holten Levi in die Wirklichkeit zurück und er schaffte es, von Erwin abzulassen. »Wann ... hören wir wieder von Yelena?«, fragte er, ohne ihn anzusehen, und wischte sich verlegen über die Nase. »Deiner Herzensdame

»Ich befürchte, gar nicht.« Er richtete sich wieder auf, um sein Hemd etwas zurechtzuziehen. Aus irgendeinem Grund strich er auch nochmal sein sowieso makellos liegendes Haar glatt.

»Und«, setzte Levi an und malte mit seinem Zeigefinger wiederholt Kreise auf den Schreibtisch, »wie schlagen wir den Nachmittag tot? Bis zehn.«

»Ich könnte dir zeigen, wie man Billard spielt.«

Verwundert schaute Levi wieder auf und zog eine Augenbraue hoch. »Wie kommst du darauf, dass ich das will?«

»Also bitte«, blaffte Erwin und machte ein süffisantes Gesicht, »denkst du wirklich, ich hätte deinen Blick letztens nicht bemerkt? Du willst es lernen, oder?«

Levi zuckte die Schultern. »Mir egal.«

Einverstanden nickte er. »Dann soll es Billard sein.«

•  •  •

Erwin reservierte ihnen eine Billardtisch um fünf, bis dahin schaute Levi sich noch einmal im Hotel um und observierte Menschen, suchte nach Auffälligkeiten, wo keine waren. Nach einer sorgfältigen Patrouille ging er wieder hoch und erwischte Erwin dabei, wie er aufs Neue an einem Brief schrieb, der nie ankommen würde. Dennoch tat er so, als hätte er es nicht gemerkt.

Später schaute Levi ihm nochmal über die Schulter und merkte, dass er gerade rechnete. Schriftliche Addition. Was hatte Lenin gesagt? Jeder Arbeiter beherrschte die einfachen mathematischen Grundformeln und könne daher eine Kontrollfunktion innerhalb eines sozialistischen Staats innehaben, nun ja, so sinngemäß.

»Bist du blöd?«, fragte Levi und deutete auf einen Übertrag, den er vergessen hatte. »Lenin hatte Recht. Aber er meinte offenbar nur die Arbeiter. Die Intelligenz ist sich zu schade für Plus- und Minusrechnen.«

Sobald er einen genaueren Blick auf die Zahlen warf, merkte er, dass es Einnahmen und Ausgaben waren, die Erwin da ausrechnete. Sah ganz gut aus.

»Falls das eine Anspielung ist, kenne ich sie nicht«, entgegnete er nur und strich den erwähnten Übertrag und die Ziffer darunter durch. »Danke.«

»Staat und Revolution«, klärte Levi auf, es klingelte wohl nicht. »Ich bin belesener als der Herr Professor? Ich kann's nicht fassen.«

Erwin überhörte es gekonnt und rechnete in Ruhe weiter, Levi korrigierte ihn noch eins-, zweimal. Der Tag ging im Nu herum und der Abend näherte sich, auf den Levi sich (auch wenn er es nicht zugab) ein wenig freute.

Um kurz vor fünf erklärte Erwin ihm die Regeln: die Weiße nicht reinmachen, die Schwarze nur als Letztes (sonst war das Spiel zu Ende) und je nachdem, welche Kugel man als Erstes einlochte, standen einem Halbe oder Volle zur Verfügung. Bei seiner Unterrichtung hatte er stets dieses zuversichtliche Funkeln in den Augen, das Levi so gefiel.

Der Spielraum war auch genau der, in dem Zeke versucht hatte, sie über den Tisch zu ziehen. Nur heute war er etwas belebter: Eine andere sechsköpfige Gruppe von Menschen sammelte sich um den Tisch, der näher am Ausgang stand. Reges Geplauder herrschte und zäher Zigarrenrauch hing über ihren Köpfen, weshalb Levi reflexartig die Luft anhielt. Keiner der Anwesenden wandte sich nach ihnen um, was ihm zumindest die Illusion von etwas Privatsphäre ließ.

Erwin beachtete die anderen erst gar nicht und nahm zwei Stöcke von einer Wandhalterung (man nannte so was offenbar »Queue«, aber Levi weigerte sich, ein derart dämliches Wort laut auszusprechen). Nachdem er die fünfzehn Kugeln über einer weißen Markierung dreieckig angerichtet hatte, zeigte er Levi auch schon, wie man diesen seltsamen Stab hielt.

Man musste etwas in die Hocke gehen und ihn parallel zum gebeugten Körper halten, der Arm zum Stoß nach hinten gestreckt, der andere diente der Stabilität. Erwin demonstrierte ihm viel zu ausführlich, dass er den Stab zwischen zwei Finger und Daumen oder alternativ auch auf dem Handrücken balancieren konnte, er müsse dafür selbst ein Gefühl entwickeln und testen, was er besser kontrollieren könne.

Während Levi unterschiedliche Positionen ausprobierte, verfolgte Erwin von der anderen Seite des Tisches aus all seine Bewegungen, um Korrekturen vorzunehmen.

»Möchtest du den Anstoß machen?«, fragte er irgendwann und deutete mit dem Kopf auf die weiße Kugel auf seiner Hälfte.

Levi richtete sich auf. »Ich will erst gucken.«

Erwin nickte. »Wie du möchtest«, antwortete er und krempelte sich unnötigerweise die Ärmel hoch, weshalb Levi die dicken Adern entlang seiner Speichen ausmachen konnte. Es machte ihm nochmal bewusst, was er bei einer Frau immer vermissen würde, egal, wie hübsch, intelligent oder witzig sie war.

Das Lächeln auf Erwins Lippen verriet, dass er Levis dreistes Starren bemerkt hatte, auch wenn er es selbstverständlich nicht kommentierte. Bevor er die weiße Kugel anstieß, brachte er sich ebenfalls in Position und tat dies weitaus eleganter als Levi, auch wenn elegant kein Wort war, das zu Erwin passte. Seine Bewegungen waren markant, zielgenau und effizient, sehr pragmatisch irgendwie. Als wüsste er schon im Voraus, welche Konsequenzen sie nach sich ziehen würden.

Nur kurz darauf ließ er die Spitze des Queues präzise gegen die Mitte der Spielkugel schnellen, woraufhin sie die bunten Bälle auf der anderen Hälfte des Tisches attackierte und quirlig in alle Richtungen rollen ließ.

»So in etwa«, rundete Erwin den Spielzug ab und ließ den Stab sinken, was Levi ungeduldig auf seinen Fersen auf und ab wippen ließ. Das konnte nicht so schwer sein.

Erwin erlaubte ihm, zur Übung die ersten Spielzüge zu machen, ohne dass sie sich abwechselten. Levi versuchte, seine Bewegungen zu imitieren, scheiterte aber am Mangel von Kontrolle, die er darüber hatte, wie stark oder schwach seine Stöße waren.

Dem Vernehmen nach erwartete Erwin, dass er die Geduld verlieren oder sich aufregen würde, doch Levis Blick klebte permanent an der weißen Kugel vor sich, ohne das winzigste Anzeichen von Frust zuzulassen.

Einige Versuche dauerte es sicherlich, aber beim fünften oder sechsten Mal schaffte Levi es, eine der Vollen mit der nötigen Kraft zu treffen und knapp an einem der Löcher vorbeischießen zu lassen.

Erwins Topasaugen leuchteten begeistert auf. »Oh? Nicht schlecht.«

Levi zuckte die Achseln und bedeutete Erwin, selbst zu spielen. Er zögerte kurz, nickte aber und versenkte eine grüne Halbe.

»Ist ja klar, dass du das kannst«, höhnte Levi augenverdrehend, woraufhin Erwin leise lachte. »Akademiker-Quatsch.«

»Komm, du bist dran.«

Eine Weile ging es so weiter, Erwin lochte welche ein, die von Levi gingen immer daneben, doch er begann, ein Gefühl für die Schwere der Kugeln und den Schwung zu entwickeln, den er in seine Stöße investieren musste. Erwin beobachtete den Prozess mit leiser Anerkennung in den Augen, ein bisschen wie ein Professor, der bei seinen Studenten das vermittelte Wissen abprüfte und feststellte, dass sie schön gepaukt hatten. Es war ein beflügelndes Gefühl, Levi mochte das. Er wollte sich beweisen, zeigen, wie gut er war, wie viel besser er sein konnte, wenn er wirklich wollte.

Irgendwann hatte er den Dreh raus und versenkte eine, später noch eine und dann wieder mal eine, auch wenn Erwin trotzdem gewann.

»Du lernst schnell«, lobte er über Levis Ohr und kniff seine rechte Schulter, bevor er sich seinem nächsten Spielzug widmete.

»Ich hab' Durst«, klagte er daraufhin und streckte den Rücken durch, in der Hoffnung, die Gänsehaut abschütteln zu können. Die Uhr schlug bereits kurz nach acht, die Zeit war wie im Flug vergangen.

»Hol dir was«, schlug Erwin vor, während er den Queue zum wiederholten Male ansetzte. Er peilte die schwarze Acht an, abgesehen von drei Vollen waren alle Halben schon verschwunden. »Bring mir was mit.«

»Was?«

»Überrasch mich«, gab er bloß zurück, parallel dazu versenkte er unbeabsichtigt eine von Levis Kugeln. Schadenfroh tippte Levi sich vor die Nase, um Erwin verarschen ─ der lachte aber nur und nahm ihm damit den ganzen Spaß. Damit wandte Levi sich ab und verließ aufatmend den stickigen Raum.

Im Bistro angekommen, klopfte er auf den Tresen und ließ sich von einem jungen Mann bedienen. »Ein Wasser und«, er hielt inne, »habt ihr irgendwas, das besonders widerlich schmeckt?«

Der Kerl sah ihn schief an, als hätte Levi etwas völlig Unmögliches von ihm verlangt. »Wie meinen?«

»Oder einfach irgendwas, das alte Leute trinken.« Da er weiterhin verwirrt schwieg, gab Levi es schließlich auf und winkte ab. »Ach, vergiss es. Nur Wasser. Noch ein Wasser.«

Verstehend nickte er und konzentrierte sich wieder auf seine Arbeit. In der Zwischenzeit überlegte Levi, ob er sich auf einen der Hocker setzen sollte, solange er wartete, entschied sich aber dagegen und blieb wie ein Vollidiot stehen. Im Peripheren erahnte er eine Frau, die zügig an ihm vorbeilief, anscheinend auf dem Weg zu ihrem Tisch ─ rotes Haar in Flammen.

Eine Art sechster Sinn hielt Levi dazu an, der feurigen Mähne nachzugehen, kopflos, unbewusst, wie ein Instinktverhalten. »Isi?«, kam es ihm über die Lippen, er merkte gar nicht erst, dass er sie am Oberarm gepackt hatte.

Die Frau riss den Kopf herum und starrte ihn entgeistert an. »Entschuldigung?«

Ihr Gesicht war jung, sie konnte nur ein paar zwanzig sein. Das leuchtende, rote Haar umspielte ihre weichen, femininen Gesichtszüge und war asymmetrisch angeordnet, Seitenscheitel. Allerdings fehlten ihr die Stupsnase, die knallgrünen Augen und die Sommersprossen. Das war nicht Isabel. Nicht einmal annähernd.

»Oh, ich ... Eine Verwechslung«, haspelte er unangenehm berührt, sein Herzschlag dröhnte, Kampf-und-Flucht-Syndrom.

Nicht-Isabel lächelte nervös und sah zu einem Mann am Tisch wenige Meter von ihnen entfernt, es musste sich um ihren Gatten handeln. Der sah wenig erfreut darüber aus, dass jemand seine Frau betatschte.

»Entschuldigen Sie, könnten Sie mich bitte loslassen?«, flehte sie nun und Levi registrierte sogleich, dass er sie immer noch festhielt.

Eilig zog er seine Hand weg und wiederholte »Eine Verwechslung«, sagte das auch nochmal ihrem Ehemann, der aussah, als wäre er drauf und dran, Levi eine reinzuhauen. »Ich wollte nicht«, begann er und sah nochmal zur Fremden, beendete den Satz aber nicht und stürmte davon. Idiot. Idiot. Idiot!

»Kennst du diesen Bastard?«, ertönte es hinter ihm und Levi schämte sich, Scheiße, jetzt hatte er ihr solche Unannehmlichkeiten bereitet! Scheiße! Scheiße!

Die Frau redete sich hektisch heraus, allerdings schien ihr Mann nicht hören zu wollen. »Markus, warte!«, rief sie und Levi drehte sich um, verstand aber viel zu spät, was jetzt auf ihn zukam. Der werte Markus war ihm hinterhergelaufen und schlug ihm mitten ins Gesicht, woraufhin Levi beinahe stolperte und schmerzverzerrt die Zähne zusammenbiss. Eine zweite Faust wollte auf ihn niedergehen, jedoch war seine Frau schnell zur Stelle und zog ihn beiseite. »Markus, bitte hör auf!«

Überfordert wischte Levi seine blutende Nase, dabei studierte er für eine grobe Einschätzung die Statur und Verfassung seines Gegners. Mit diesem Arschloch würde er ganz einfach fertig werden, man merkte sofort, dass er keine Kampferfahrung hatte. Da war keine Finesse, keine Kraft in seinen Schlägen oder seiner Körperhaltung, und obwohl er ihn ganz leicht zu Fall bringen könnte, musste er sich beherrschen.

Wenn Levi ihn jetzt verprügelte, war er der Verantwortliche, der Missetäter, dann war er das Arschloch, das rausgeworfen wurde, und das konnte er weder sich selbst noch Erwin antun. Er musste logisch denken, ja, statt auf den Überlebensinstinkt auf seine Ratio hören.

In diesem Szenario war er nur der kleine Kerl, der sich an einer verheirateten Frau vergriffen und aufs Maul bekommen hatte, ein Verlierer, ein Tugendloser, aber niemand, den man beachtete. Wer dann die Aufmerksamkeit bekam, war der Held Markus, der seinen Besitz erfolgreich verteidigt hatte. Ergo wäre Levi fein raus, wenn er sich jetzt verpisste, auch wenn das seinem Ego immens schaden würde.

»Markus, er hat mich verwechselt!«, drang es durch seine Gedanken, die Fremde hatte sich nochmals panisch zu Wort gemeldet. »Es war ein Versehen!«

»Setz dich«, befahl er und wollte sie hinter sich schieben, doch sie hielt tapfer stand.

»Bitte, ich möchte keinen Ärger«, beteuerte Levi und krümmte sich, hielt sich das Gesicht, als hätte er starke Schmerzen. Wenn er den Schwachen spielen musste, spielte er halt den Schwachen, fernab davon, ob das die größte Demütigung war, die er sich jemals vorstellen könnte. Er redete sich ein, dass es keine Rolle spielte, dass es das nicht wert war, dass er das Richtige tat. Gott, was war nur aus ihm geworden?

Seine Taktik schlug an, Markus genoss die Überlegenheit und drohte ihm lediglich zum Abschluss, irgendwas von wegen er würde ihn in die Hölle schicken, wenn er nochmal seine Frau anfasse. Widerstandslos nickte Levi und schleppte sich davon, erniedrigt, entwürdigt, entehrt. Fühlte es sich so an, vernünftig zu sein?

Das war ja voll beschissen.

Am liebsten würde er umkehren und diesem Typ die Fresse polieren. Ihm immer und immer wieder ins Gesicht schlagen und die Knochen brechen hören und ... Nein, er hatte das Richtige getan. Hatte er? Ja. Hatte er?

Bevor er sich auf die Toiletten flüchtete, bemühte er sich darum, niemandem in die Augen zu sehen, auch wenn ihm das angesichts der vielen Blicke schwerfiel.

Angestrengt stützte er sich vor eines der Waschbecken und ließ erstmal das Blut abfließen, danach befeuchtete er ein Tuch und tupfte seine Nase. Die Blutung versiegte einige Minuten später, stattdessen formte sich der Ansatz eines blauen Flecks auf seiner linken Gesichtshälfte, von dort war der Hieb gekommen.

»Scheiße«, stieß er aus und warf das Papier in den Müll, wieso hatte er überhaupt an Isabel gedacht? Er würde sie nie wieder sehen. Nie wieder! Nie wieder! Rotes Haar in Flammen. Wie hatte er sich einbilden können, diese perfekt zurechtgemachte Hausfrau könne die wuselige, chaotische Isabel sein?

Ein letztes Mal rieb er sich die Nase, dann musste er wohl oder übel zurück in den Spielraum und zumindest mal Bescheid geben.

Erwin hob den Kopf, sobald er Levi entdeckte, und seine Miene wandelte schlagartig von reiner Ahnungslosigkeit zu tiefer Empörung. »Levi?«

Levi hob beide Hände und demonstrierte damit seine Unschuld. »Ich hab' nicht angefangen. Wirklich nicht.«

»Lass dich ansehen«, bat Erwin sanft und trat näher an ihn heran, studierte den Bluterguss zu seiner Linken. »Was ist passiert? Wer war das?«

»Ich schwöre, ich habe nicht angefangen.«

»Ich weiß doch, Levi, ich glaube dir«, betonte er und wollte in sein Gesicht fassen, weshalb Levi reflexartig den Kopf einzog und ihm mit einem Nicken verdeutlichte, dass er sich gefälligst zurückhalten sollte. »Sag mir nur, was passiert ist.«

»Nichts Schlimmes, lass uns gehen«, antwortete er tonlos und ging zurück in die Lobby, zum Treppenhaus, ihrem Zimmer, ohne darauf zu achten, ob Erwin ihm folgte. Das war gelogen. Er wusste, dass Erwin ihm folgte, hörte es an seinen Schritten.

Sobald er die Tür geschlossen hatte, griff Levi ihm in den Nacken und zog ihn zu sich herunter, presste seine Lippen auf die Erwins. Er hatte so viel überschüssige Wut, so viel Chaos und Aufruhr in seinem Inneren, wollte Erwin darunter begraben und an nichts denken. Wenn er den Wichser nicht verprügeln durfte, musste er seine Energie woanders loswerden.

Im ersten Moment erwiderte Erwin den Kuss und legte seine Hände an Levis Taille, automatisch, ohne einen richtigen Gedanken gefasst haben. Wenige Sekunden später kam er jedoch zu sich und löste sich zügig von Levi. »Was soll das?«

»Nicht reden«, seufzte er, während er versuchte, Erwin wieder zu sich herunterzuziehen. »Komm.«

»Levi ...«

Er schaffte es, ihre Lippen wieder miteinander zu verbinden, und zwängte seine Zunge in Erwins Mund. Entgegen seiner Erwartung bewegte Erwin sich immer noch eher zögerlich gegen ihn, widerwillig fast, und ließ Levi mit seinem Verlangen so gut wie allein.

»Levi.«

»Ich habe getan, was du tun würdest«, flüsterte er gegen Erwins Atem, bevor er ihn wieder küsste. »Hab' den Feigling gespielt und bin gegangen.«

»Hm?«

Genervt verdrehte er die Augen. »So ein Wichser hat mich geschlagen. Ich habe mich zusammengerissen«, erklärte er und schob sich näher an Erwin, ließ eine Hand über seine Brust wandern. »Du weißt, dass ich ihn fertiggemacht hätte, oder?«

»Ja.«

Vor Erwins Lippen hielt er nochmal inne. »Sag es.«

»Ich weiß, dass du ihn fertiggemacht hättest«, wiederholte er amüsiert, »einhändig und mit verbundenen Augen.«

Levi machte einen zufriedenen Laut und zog ihn wieder zu sich herunter, wollte, dass Erwin ihn fester hielt, härter küsste, wollte seine Stärke und Entschlossenheit am gesamten Körper spüren. Dieser Wunsch sollte nicht in Erfüllung gehen, denn Erwin schien immer noch zu zaudern, voller unausgesprochener Fragen und Wissbegierde, die nur von Levi erfüllt werden konnte.

»Was?«, presste er irgendwann hervor und öffnete die Augen, um Erwin ungeduldig, geradezu finster anzustarren.

Er versuchte gar nicht erst zu verbergen, was ihn störte. »Mir fehlt immer noch das Wieso«, äußerte er, nicht drängend, stets mit der nötigen Vorsicht. »Es wird doch einen Anlass gegeben haben.«

Levi senkte den Blick. »Was spielt das für eine Rolle?«

Verständnislos neigte er den Kopf. »Eine ziemlich große, finde ich.«

»Ich will nicht darüber reden.«

»Solltest du aber.«

Seufzend stieß er Erwin von sich und wandte sich ab. »Du willst immer reden, über alles willst du nur reden, das geht mir so auf die Nerven.«

»Ich weiß, dass es dich nervt, aber ich weiß auch, wie wichtig es trotzdem ist.«

Gestresst fuhr Levi sich durchs Haar. »Es ... es ist auch nicht so einfach«, stammelte er. »Ich kann nicht glauben, dass dir das zu besprechen lieber ist, als mit mir zu schlafen.«

Erwin schüttelte den Kopf. »Das käme so oder so nicht infrage.« Levi schnaubte, das konnte doch nicht wahr sein. »Wir sind in Ezechiels Hotel und ich weiß nicht, wie schlau das wäre. Außerdem möchte ich dir unsere Verabredung um zehn ins Gedächtnis rufen.«

Vorwurfsvoll hob er den Zeigefinger. »Du bist langweilig. Du bist ein Langweiler, Erwin.«

Eingeschnappt formte Erwin die Lippen zu einer schmalen Linie, hielt es aber für wenig sinnvoll, darüber zu diskutieren. »Also«, hakte er nach, »was war los?«

Levi setzte sich auf den Stuhl neben dem Schreibtisch, um zur Ruhe zu kommen, und fasste sich an die Schläfen. »Der Wichser hatte eine Frau. Ich habe sie für«, er biss sich auf die Zunge, bis er Kupfer schmeckte. »Ich habe sie für jemanden. Aus meinem früheren Leben gehalten.« Unangenehm berührt sah er zu Boden. »Es war dumm, sie sah ihr nicht mal ähnlich.«

Erwin wartete, dass er seine Geschichte fortsetzte.

»Ich habe sie ... zurückgehalten, weil ich mir eingebildet habe, sie wiedererkannt zu haben. Es muss intim ausgesehen haben, auch wenn ich ... natürlich keine Intentionen hatte ...«

Erwin nickte.

»Ich habe versucht, es aufzuklären, aber dann hat er mich gehauen. Und dann dachte ich, ›Was würde Erwin tun?‹, und bin gegangen. Wie eine Memme. Peinlich.« Er schaute wieder auf, schaute direkt in durch und durch verständnisvolle Topasaugen. »Aber es war gut so, oder?«

Erwin verstand, fragte Gott sei Dank nicht nach der Person aus Levis früherem Leben. »Ich weiß, das tut weh, aber auf längere Sicht war das die weisere Entscheidung.« Er lächelte sanft. »Gut gemacht. Ich bin stolz auf dich.«

Levi schob die Wärme zurück, die in ihm aufkommen wollte. »Ach, halt die Klappe. Du hast keine Ahnung, wie sich das anfühlt.« Er hielt beide Hände an seine Stirn, ließ sie dann herunter zu seinem Kinn rutschen und dehnte seine Haut, als wolle er sie am liebsten aufreißen. Dann ließ er die Arme wieder sinken. »Aber egal. Spielt keine Rolle.«

Solange Erwin zufrieden war, spielte es keine Rolle.

In der Zwischenzeit hatte er Levi umrandet und von hinten beide Hände auf seine Schultern gelegt, kniff sie sachte, ertastete die starke Verspannung darin. Er beugte sich zu Levis linkem Ohr herunter. »Aber dass du mit mir schlafen willst, finde ich reizend.«

Levi biss sich auf die Zunge. »Bild dir nichts darauf ein«, fluchte er und presste eine Hand in Erwins Gesicht, sodass er ihn mit etwas Wucht hinter sich wegschieben konnte. »Anscheinend bin ich so verzweifelt, dass ich liierte Frauen angrabe.«

Erwin erstickte ein Lachen und entfernte sich geschlagen von ihm. »Überleg dir doch was Schönes, das wir machen können, wenn wieder in Hessen sind, hm?«

Was überlegen. Wirklich witzig. Als würde Levi nicht ständig darüber nachdenken.

•  •  •

»Schönes Veilchen hast du da«, bemerkte Zeke mit einer solchen Selbstgefälligkeit, dass Levi sofort wieder speiübel wurde. Der Rauch im Spielraum war etwas abgezogen, hing aber nach wie vor in den Wänden, wie die Geister verstorbener Seelen.

Da Levi nichts erwiderte, puhlte Zeke noch weiter in der Wunde herum. »Mir ist zu Ohren gekommen, es sei wohl, weil er sich an einer Frau vergriffen hätte«, richtete er sich nun an Erwin, der ihn nur mit undurchdringlicher Tranquillität besah.

»Jeder weiß doch, dass verheiratete Frauen tabu sind«, grinste er, plötzlich ganz d'accord mit Levis Anwesenheit, weil es Anlass gab, sich über ihn lustig zu machen. »Aber ich verstehe, wenn man nicht so beliebt bei den Weibern ist, muss man auf andere Methoden zurückgreifen.«

Levi schloss müde die Augen. »Bist du dann fertig?«

Zeke schien nicht ganz zufrieden mit dem Ergebnis seiner Sticheleien. »Tja, so ist das, wenn man sich nicht unter Kontrolle hat.« Er zuckte die Achseln. »Aber ich schätze, so was passiert, wenn man nicht ab und zu die Möglichkeit hat, sich zu vergnügen.«

»Du kannst mir doch helfen«, schlug Levi vor, monoton, ohne jegliche Regung. »Zieh dich aus und tanz für mich. Dann ist mein Bedarf fürs Erste gedeckt.«

Zeke starrte ihn aus offenen Augen an, suchte einen Funken Humor in seiner Aussage. »Erwin, vielleicht solltest du deinem Hund mal eine Leine besorgen.«

Erwin setzte ein freundliches Lächeln auf. »Mein Kollege hat ein Problem und schlägt eine Lösung vor, ich finde das sehr reflektiert. Er möchte sich bessern. Das befürworte ich selbstverständlich.«

Unsicher sah Zeke zwischen den beiden hin und her. Er schien zu verstehen, dass er ihnen nicht mehr unter die Haut gehen, sie gegeneinander ausspielen konnte. Erwin und er waren im Einklang, nicht auseinanderzubringen, ja, vielleicht so was wie ein zusammenhängender Komplex. Erwin das Hirn, Levi der Körper. Erwin das Nervensystem, Levi die Muskeln. Sie bildeten eine Einheit.

Nach einigen Sekunden der peinlichen Stille ergriff Zeke nochmal das Wort. »Ich spüre hier eine konspirative Energie und sie gefällt mir nicht.«

Das nennt sich Zusammenhalt, du Idiot.

Heute war ein beschissener Tag. Er hatte eine fremde Frau für Isabel gehalten, eins auf die Fresse bekommen und musste sich jetzt auch noch mit Zeke abgeben. Und dennoch schwebte darüber eine Leichtigkeit, die das Leid etwas abschwächte, eine Leichtigkeit in Form von meerblauen Edelsteinaugen, zwei warmen, absurd großen Hände oder einem blöden Lächeln aus tiefstem Herzen. Heute war alles beschissen und total perfekt im selben Moment.

»Also«, setzte Erwin an, »wie wär's, wenn wir dann langsam zum Geschäftlichen kommen?«

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Aaaah, ich heule, dieses Kapitel ist wieder viiiiel zu lang geworden. Ich dachte erst, ich hätte eine Schreibblockade, aber dann habe ich mich beim Schreiben einfach treiben lassen und jetzt bin ich doch ganz happy.

Übrigens habe auch ich die Nase gerümpft, als ich Levi »Heimvorteil« sagen haben lasse, aber ich bin süchtig nach Klischees, die aus der Mode gekommen sind.

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