kapitel 36 : nie vollständig verstehen
„Hank, bist du hier? Ich möchte dir jemanden vorstellen", rief Charles, während er in seinem Rollstuhl sein Büro betrat. Kaum hatte er die Tür geöffnet, hielt er inne und blieb überrascht stehen. April, die ihm folgte, sah ebenfalls überrascht in den Raum und entdeckte Raven und Thalia - das jüngere Ich von Thalia, das nicht mehr ihr zukünftiges Selbst war - auf einer Couch sitzend, Hank gegenüber.
„Moira?" entfuhr es den beiden jungen Frauen auf der Couch fast gleichzeitig. Die Überraschung in ihren Stimmen ließ keinen Zweifel daran, wie unerwartet diese Begegnung für sie war. Fast zeitgleich sprangen sie auf und starrten die Neuankömmlinge an. „Raven. Thalia", sagte Charles erstaunt. Er wirkte einen Moment lang sprachlos, doch seine Augen verrieten, dass er sich freute, die beiden wiederzusehen. Moira, die ebenfalls im Raum war, schaute jedoch verwirrt drein und fragte zögernd: „Tut mir leid, kennen wir uns?"
April trat vor, das Lächeln einer perfekten Gastgeberin auf den Lippen, und stellte die Anwesenden vor: „Das ist Agent MacTaggert. Würden Sie uns kurz entschuldigen?" Ihre Stimme war freundlich, aber bestimmt, und Moira nickte verstehend. Sie warf einen letzten neugierigen Blick auf Raven und Thalia, bevor sie zusammen mit Hank den Raum verließ. Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, brach Raven aufgebracht hervor: „Warum hat sie uns nicht erkannt? Sie kennt uns doch!" Thalia, die immer eine ruhige und überlegte Art hatte, warf ein: „Du hast ihr die Erinnerung genommen."
Charles seufzte tief und lehnte sich in seinem Rollstuhl zurück. Seine Augen spiegelten den Schmerz und die Schwere der Entscheidung wider, die er einst getroffen hatte. „Ja, das stimmt. Als ihr beide mich in Kuba am Strand verlassen habt... Aber bitte, setzt euch doch", bat er. Seine Stimme war sanft, aber ernst, und er deutete auf die Couch, von der die beiden Frauen gerade erst aufgesprungen waren. Raven setzte sich widerwillig wieder hin und schnaubte: „Welch ein Glück für sie." Ihre Worte waren scharf wie ein Messer, durchdrungen von einer Mischung aus Bitterkeit und Verletztheit. Die Spannung im Raum war beinahe greifbar, als die drei einander ansahen. Jeder schien in seinen eigenen Gedanken gefangen, während die Vergangenheit zwischen ihnen wie ein unsichtbarer Schleier hing. Charles' Blick war voller Mitgefühl und Reue, Raven's Augen blitzten vor Zorn und Enttäuschung, und Thalia versuchte, die Wogen zu glätten, indem sie beruhigend ihre Hand auf Ravens Schulter legte. In diesem Moment schien die Welt stillzustehen, während sie alle mit ihren eigenen Gefühlen und Erinnerungen kämpften. Die Worte, die unausgesprochen im Raum schwebten, waren schwerer als die lautesten Schreie.
„Soll ich euch allein lassen?", fragte April zögernd. Ihre Stimme war leise, fast schon fragil, und sie fühlte sich sofort ignoriert, als niemand auf ihre Frage reagierte. Ein bitteres Gefühl der Zurückweisung breitete sich in ihr aus. Sie lehnte weiterhin still an der Wand, die Arme fest vor der Brust verschränkt, als ob sie sich selbst schützen wollte. Diese Haltung hatte sie schon oft eingenommen, ein Schutzschild gegen die Unsicherheiten und Verletzungen, die das Leben ihr immer wieder zufügte. Charles sprach weiter, seine Augen unverwandt auf Raven und Thalia gerichtet. „Es ist so schön, euch beide wiederzusehen. Willkommen zuhause", sagte er mit einem warmen Lächeln, das seine Augen erreichte. Die Worte sollten Trost spenden, doch ihre Wirkung verfehlten sie völlig.
„Das ist nicht mein Zuhause", konterten die beiden jungen Frauen gleichzeitig, wie aus einem Mund. April presste ihre Lippen zu einem dünnen Strich. Dieser Satz traf sie tief, erinnerte sie daran, wie oft sie selbst ihn gesagt hatte. Diese Schule, dieses Gebäude - es war nie ihr Zuhause gewesen. Ihr Zuhause war Logan, und das würde es immer bleiben. Selbst wenn er sie in dieser neuen Zeitlinie nicht kannte, wer konnte schon sagen, was die Zukunft bringen würde? Charles holte die ältere Brünette aus ihren Gedanken. „War es das denn nicht einmal?", fragte er, seine Stimme war sanft, aber in ihr lag auch eine Spur von Bedauern.
Raven schüttelte den Kopf und antwortete scharf: „Nein, es war deins. Ich habe hier nur gewohnt. Und jetzt erkenne ich es kaum wieder." Ihre Worte waren wie kleine Dolche, die sich in Charles' Herz bohrten. Thalia nickte zustimmend. „Und ich habe hier nur übernachtet, mehr aber auch nicht", warf sie ein. Dabei schenkte sie Raven einen Seitenblick, der April nicht entging. Dieser Blick ließ sie alles erfahren, alles wieder durchleben, was zwischen ihr und Raven geschehen war. Die Erinnerung war lebendig und schmerzhaft. Wie sie Raven quasi dazu gezwungen hatte, ihre wahre Stärke zu zeigen. Wie Raven plötzlich in ihrem Zimmer gewesen war - nackt. Wie April sich verzweifelt gegen ihre Gefühle für Raven gewehrt hatte, obwohl sie diese nicht leugnen konnte. Es war ein Moment intensiver Verwirrung und unterdrückter Leidenschaft, die nun wieder an die Oberfläche drängte.
Die Spannung im Raum war fast greifbar. April fühlte sich hin- und hergerissen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, zwischen dem, was gewesen war und dem, was sein könnte. In ihren Gedanken kämpfte sie mit den Geistern der Vergangenheit, während sie versuchte, in der Gegenwart Fuß zu fassen. Der Schmerz und die Sehnsucht in ihrem Herzen waren überwältigend, und sie fragte sich, ob sie jemals wirklich irgendwo zuhause sein würde.
„Charles hat Pläne für diese Schule", meldete sich April zu Wort und plötzlich richteten sich drei Augenpaare auf sie. „Darf ich?" fragte sie zögernd. Charles nickte und April fuhr fort. Sie stieß sich von der Wand ab und ging zum Fenster, wobei sie einen tiefen Atemzug nahm, um ihre Worte zu sammeln. „Wir möchten einen Campus daraus machen. Eine Universität. Nicht nur für Mutanten, sondern auch für Menschen und Austauschschüler aus anderen Universen. Ein Ort, an dem wir zusammenwohnen, arbeiten und wachsen können."
„Daran glaubte ich einst wirklich", warf Raven ein, ihre Stimme klang melancholisch. „Ich glaubte, wir könnten die Welt verändern." „Das haben wir auch", erwiderte Charles, doch seine Worte wirkten wenig überzeugend „Nein", widersprach Thalia energisch. „Sie hassen uns immer noch und fürchten uns. Ich will gar nicht wissen, was sie mit Walküren machen würden, wenn ich schon sehe, was sie mit Mutanten anstellen. Sie sind nur diskreter geworden. Ich will keine Lügen mehr, wir wollen keine Lügen mehr."
„Deshalb ist Raven nicht in ihrer natürlichen blauen Form, die du so magst", sagte April und sah Thalia herausfordernd an. „Und du versteckst dein Gesicht hinter einer unsichtbaren Maske." „Raven führt keine Welt an, die es nicht gibt", erwiderte Thalia sofort und warf April einen tödlichen Blick zu. Charles seufzte tief und versuchte, die Wogen zu glätten. „Es ist jetzt besser. Die Welt ist besser geworden."
April schüttelte den Kopf, ihre Augen funkelten vor Leidenschaft und Frustration. „Vielleicht ist sie in Westchester besser, aber da draußen fliehen, verstecken und fürchten sich Mutanten immer noch. Selbst da, wo ich herkomme, hat sich nichts geändert, Charles. Du warst in meinem Kopf, du hast gesehen, was sie erfunden haben, was sie getan haben. Das Problem liegt nicht nur bei ihnen oder euch oder mir, es liegt bei allen. Kein Krieg bedeutet noch lange nicht Frieden. Das sollten wir unseren Schülern beibringen. Wir sollten ihnen beibringen, sich zu verteidigen, nicht anzugreifen. Sonst werden sie hier zu Staub zerfallen!"
Charles sah April lange an, seine Augen durchdringend und traurig. „Selbst nach all den Jahren, selbst nach all den Erlebnissen, die du schon durchgemacht hast und jetzt erneut durchmachst, klingst du noch immer wie er, Flowers", sagte er leise. April erstarrte. Er hatte sie Flowers genannt. Die Worte bohrten sich tief in ihr Herz. Sie rammte ihre Fingernägel in die Handinnenflächen, um sich zu beherrschen und nicht auf ihn loszugehen. „Du klingst genau wie Erik", fügte Charles hinzu. Das Blut rauschte in Aprils Ohren, ihre Wut brodelte unter der Oberfläche. Charles hatte kein Recht, sie so zu nennen. Er hatte diesen Namen nicht verdient. „Vielleicht", sagte sie schließlich, ihre Stimme eisig. „Aber das bedeutet nicht, dass ich unrecht habe."
„Wie bitte!" April's Stimme brach plötzlich in einem donnernden Ton aus und durchdrang die Stille des Raumes. Ihre Augen blitzten gefährlich, während sie Charles finster anfunkelte. „Wie kannst du es wagen?" Ihr Gesicht war eine Maske aus Wut und Schmerz. Charles stand da, scheinbar unbeeindruckt, aber innerlich spürte er, wie ihre Worte ihn trafen. Er hatte keine Ahnung, was er falsch gemacht hatte, aber Aprils Reaktion war unmissverständlich.
„Du verstehst es nicht, Charles," fuhr April fort, ihre Stimme bebte vor unterdrückten Emotionen. „Du hast keine Ahnung, wie es ist, so zu leben wie ich. Du weißt nicht, was es bedeutet, mit einem Fluch zu leben, der dich immer von den Menschen fernhält, die du liebst. Du wirst nie verstehen, wie es ist, verbannt zu werden, nur weil du jemanden liebst." Charles öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch April hob die Hand und stoppte ihn sofort. „Nein, lass mich ausreden," ihre Stimme war jetzt leiser, aber voller Intensität. „Du weißt nicht, wie es sich anfühlt, dein ganzes Leben, deine gesamte Existenz zu verlieren. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, jeden, den du jemals geliebt hast, sterben zu sehen und dann nur jüngere Versionen dieser Menschen zu treffen. Diese Versionen kennen mich nicht, sie wissen nicht, wer ich wirklich bin." Charles senkte den Blick, ihre Worte hatten ihn tief getroffen. Er hatte versucht, sie zu verstehen, versucht, ihr zu helfen, aber nun wurde ihm klar, wie wenig er tatsächlich wusste.
„April, ich..." begann er zögernd, doch sie schüttelte den Kopf. „Nein, Charles," sagte sie mit einer Stimme, die voller Schmerz und Resignation war. „Du wirst es nie vollständig verstehen können, und das ist in Ordnung. Aber hör auf zu denken, dass du weißt, wie es mir geht. Du kennst meinen Schmerz nicht, du kennst meine Einsamkeit nicht. Du weißt nicht, wie es ist, jeden Tag zu kämpfen, nur um irgendwie weiterzumachen. Also behaupte nicht das ich wie er sei!"
„Deswegen bin ich hier, wegen Eric", sagte Raven mit einer Ernsthaftigkeit, die den Raum erfüllte. Ihre Augen waren hart, aber in ihnen lag auch ein Funken Hoffnung. Thalia übernahm das Wort und ihre Stimme zitterte leicht. „Er ist wieder aufgetaucht. Er hatte eine Frau und ein Kind. Sie wurden getötet. Zusammen mit einer Handvoll Polizisten..." Tränen standen Thalia in den Augen, als sie die nächsten Worte herauspresste: „Auch mein Kind, Charles."
„Ihr Kind?", dachte April erschüttert. Thalia hatte ein Kind? Wie? Ihre Gedanken wanderten zu Logan. Vor zehn Jahren hatte Thalia eine Nacht mit ihm verbracht, eine Nacht, die in Aprils Erinnerungen nicht existierte, aber in dieser neuen Zeitlinie real war. Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag in die Magengrube. Charles, von dieser Enthüllung sichtlich getroffen, nickte langsam. „Die ganze Welt wird nach ihm suchen", sagte er, seine Stimme war schwer vor Sorge.
„Hilf uns, ihn zu finden, bevor sie es tun", bat Raven eindringlich, ihre Augen flehten Charles förmlich an. Die Härte war verschwunden, ersetzt durch eine verzweifelte Bitte. April fühlte das Gewicht der Situation auf ihren Schultern lasten. Sie konnte die Schmerzen und die Verluste in den Augen ihrer Freunde sehen, und es schmerzte sie, dass sie ihnen nicht sofort helfen konnte. Die Welt war ein gefährlicher Ort für diejenigen, die anders waren, und in dieser neuen Zeitlinie schien sich daran nichts geändert zu haben. Charles schloss für einen Moment die Augen, um die Tragweite der Situation zu erfassen. „Wir müssen schnell handeln", sagte er schließlich. „Aber wir müssen auch vorsichtig sein. Wenn die Welt herausfindet, dass er wieder da ist..."
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Sie betraten den Raum, der Cerebro beherbergte, um die Suche nach Eric zu starten. Die Atmosphäre war angespannt und voller Erwartung. Charles hielt vor der Steuerung an und wandte sich an Moira. „Moira, ich muss Sie bitten, das geheim zu halten", sagte er mit ernster Stimme, seine Augen suchten ihre. Moira runzelte die Stirn und erwiderte skeptisch: „Ich weiß nicht einmal, was das ist." Ihre Verwirrung war offensichtlich, und Thalia konnte sich ein leises Murmeln nicht verkneifen: „Du kannst ihr ja einfach wieder das Gedächtnis löschen..."
Raven, die neben ihnen stand, erklärte sachlich: „Das ist Cerebro. Das neue Modell." Ihr Blick wanderte kurz zu Thalia, die nur mit den Schultern zuckte. April, die bis dahin still gewesen war, begann zu sprechen: „Die Farbe basiert auf..." Doch sie brach ab, als ihr Blick Ravens traf. Sie schüttelte leicht den Kopf und fügte hinzu: „Das ist nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass ich verstehe, was ich sage."
Charles nickte und setzte sich den Helm auf, bereit, die mentale Verbindung zu suchen. In der Zwischenzeit flüsterte April an Danielle gewandt, die sich gemeinsam mit Alex der Gruppe angeschlossen hatte: „Wie war euer langes Date?" Ihre Stimme war neugierig, ein Lächeln spielte um ihre Lippen. Danielle errötete leicht und warf einen schnellen Blick zu Alex, der grinsend zurücksah. „Es war... intensiv", antwortete sie leise, ihre Augen funkelten vor Freude und Erinnerung. Alex legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie sanft an sich.
„Konzentriert euch", ermahnte Charles die Gruppe sanft, aber bestimmt, als er begann, Cerebro zu aktivieren. Die Lichter im Raum dimmten, und das Summen der Maschine erfüllte die Stille. Jeder hielt den Atem an, während Charles sich auf die Suche nach Eric konzentrierte, seine Gedanken durch die Weiten des Geistes streifend. Moira beobachtete das Geschehen mit wachsender Faszination und einem Hauch von Besorgnis. Sie wusste, dass sie in etwas Großes, vielleicht sogar Gefährliches verwickelt war. Doch die Entschlossenheit in den Gesichtern um sie herum gab ihr Mut.
Die Minuten verstrichen, und die Anspannung im Raum war fast greifbar. Jeder Atemzug schien schwerer zu werden, als die Stille sich verdichtete. Plötzlich öffnete Charles die Augen, sein Blick ernst und durchdringend. Moira, sichtlich verwirrt, trat näher und fragte: „Was ist das?" Bevor Charles antworten konnte, übernahm April das Wort und deutete auf die holografische Projektion, die Cerebro erzeugte. „Das sind alle Menschen auf der Welt", erklärte sie. Ihre Stimme war ruhig, aber voller Bedeutung. Die weißen Lichter der Projektion färbten sich plötzlich in ein intensives Rot. „Und das", fuhr April fort, „sind alle Mutanten. Wunderschön, nicht wahr? Abgesehen davon wissen wir bis heute nicht, welche Farbe mein Lichtlein bzw. Thalias hat, da wir weder Mensch noch Mutant sind... Charles ist mit ihrem Geist verbunden."
Moira beobachtete das Spektakel mit großen Augen und murmelte erstaunt: „Die CIA würde dafür töten." Ihr Tonfall war ehrfürchtig und schockiert zugleich. „Das wissen wir", warf Thalia trocken ein und April ergänzte nickten: „Das hat sie, naja, nicht direkt die CIA, aber eine Organisation der Regierung." Charles, immer noch tief in Konzentration, schaltete sich wieder ein: „Wo bist du, Erik?" Seine Stimme war fordernd und voller Sehnsucht, als er versuchte, die mentale Verbindung zu vertiefen.
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