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Ein stechender Schmerz durchfährt meinen Unterbauch, was mich meinen Körper krampfhaft zusammenziehen lässt. Ich greife neben mich, doch die Bettseite ist schon leer, da Alex wohl schon zur Arbeit gegangen ist.
Seufzend drehe ich mich zurück und stelle nach ein paar Minuten voller Glück fest, dass die Schmerzen wie von Zauberhand komplett verschwunden sind. Über diese Tatsache bin ich so erleichtert, dass ich nochmal richtig weg döse und erst durch ein Kribbeln an meinem Innenschenkel aufwache. Als ich mich an dieser Stelle reflexartig kratze, merke ich etwas nasses dort. Verwundert ziehe ich die Augenbrauen zusammen und schiebe die Bettdecke von meinem Körper, worauf mich die pure Angst durchfährt. An meinen kompletten Innenschenkeln klebt Blut. Nicht wirklich in Massen, aber an dieser Stelle hat das überhaupt nichts zu suchen. Mein Körper beginnt unangenehm zu kribbeln und eine Gänsehaut befällt alle an mir befindlichen Körperteile.
Nein, bitte nicht....
Ein bisschen Hoffnung macht sich in mir breit, dass dieses Blut seinen Ursprung nicht zwischen meinen Beinen hat. Natürlich muss ich das erst kurz kontrollieren. Leider sehe ich schon, dass meine Unterhose voller Blut klebt. Die ersten Tränen füllen meine Augen und drohen über den Rand meiner Augenlider zu kullern.
Ist das die Rache für meine Unsicherheit? Alex… Warum kannst du nicht einfach hier sein?
Salzwasserperlen springen über die Klippe und benetzen meine Wange.
Meine Babys!
Ich starre unentwegt auf das Blut und kann mich nicht mehr bewegen. Am liebsten würde ich jetzt laut schreien, damit irgendjemand kommt und mir hilft, doch meine Kehle fühlt sich wie zugeschnürt an und meinen Mund verlässt kein einziger Laut. Die Tränenflut nimmt rasant zu und wird nach nicht allzu langer Zeit von einem Schluchzen begleitet. Meine Hände, an denen Blut haftet, beginnen zu zittern, während in meinem Herzen eine eisige Kälte einzieht.
Ich weiß nicht, wie lange ich hier so sitze und vor lauter Schluchzen schon fast keine Luft mehr bekomme, doch irgendwann wird die Türe aufgerissen und eine Person kommt herein gestürmt. Mein Bruder lässt sich neben dem Bett nieder und nimmt mich in den Arm: "Was ist los? Hast du Schmerzen? Josi, beruhig dich!" Tom bemerkt, dass ich einen gewissen Punkt fixiere und folgt danach mit seinem Kopf in diese Richtung. Sein Körper verkrampft sich auf der Stelle: "STEPHAN RUF EINEN RTW!!" Auch meinen Bruder durchflutet die Panik, doch er möchte ihr keinen Raum geben, damit er für mich da sein kann.
"Pssssscccht. Versuche ruhig zu atmen. Du musst dich ein bisschen beruhigen!" Tom drückt mich so fest wie es nur möglich ist gegen seine Brust.
"Was ist denn los?" Ich höre, wie Stephan die Treppe hochgerannt kommt und direkt neben uns stehen bleibt. Die Beiden kommunizieren vermutlich stumm miteinander, denn ich höre kein Wort. Eventuell kann ich auch einfach nichts aufgrund meines Schluchzen und Wimmerns hören. Ich bekomme nur mit, dass Stephan irgendwann fast schon fluchtartig das Zimmer verlässt.
Tom wiegt unsere Körper sanft hin und her und redet nonstop auf mich ein. Er selbst zittert ebenfalls, womöglich bilde ich mir das aber auch ein und spüre nur die eigenen Erschütterungen, die mein Körper aussendet. "Alex!", flüstere ich vor mich hin, da ich ihn jetzt unbedingt an meiner Seite haben will. "Stephan ruft ihm auch an. Er wird kommen!", jetzt hört man auch an der Stimme meines Bruders, dass es ihn ziemlich mitnimmt.
Nach ein paar Minuten ist wieder lautes Treppen-Getrampel zu hören, diesmal von mehreren Leuten. "Tom! Was ist hier los?", wenn mich nicht alles täuscht, ist das Phils Stimme. Mein Bruder antwortet nicht, sondern löst sich kurz aus unserer Umarmung, um ihm freie Sicht auf das Problem zu geben. "Scheiße.... Josi? Schau mich mal an!", da ich nicht selbst reagiere, dreht mir Phil meinen Kopf zu sich. Durch meinen Tränenschleier kann ich kaum etwas sehen, nehme nur die Umrisse war. "Tut dir irgendwas weh?" "Ja. Mein Herz!", somit schalte ich die nächste Gesichtsflutung frei, die dafür sorgt, dass meine Augen fürchterlich zu Schmerzen beginnen. Wenn mich nicht alles täuscht, kann man mich auch noch hundert Kilometer entfernt weinen hören, doch das ist mir völlig egal.
"Tom, trägst du sie runter? Ich möchte ihr jeden zusätzlichen Stress ersparen!" Herr Funke flüstert fast und seine Stimme hört sich ziemlich wackelig an. Als Tom aufsteht und einem Arm unter meine Beine schiebt, versuche ich ihn zurück zu halten: "Nicht.. Da..ist alles voller Blut!" "Das macht mir nichts, Josi. Ist okay", somit gabelt er mich doch auf seine Arme und trägt mich aus dem Zimmer.
Ich kauere mich an seiner Brust zusammen und versuche etwas von der Wärme, die er ausstrahlt, in mir aufzunehmen. In der unteren Etage bleiben wir kurzzeitig stehen und ich spüre, wie eine Decke um mich gelegt wird. Eine Hand fährt vorsichtig über meine Haare: "Ich habe Alex erreicht. Er kommt gleich in die KaS. Finn ist auch informiert!" Mein Kopf nickt lediglich vor sich hin, da mich eine bleierne Müdigkeit überrollt und ich immer noch kein Wort über die Lippen bekomme.
Tom bringt mich nach draußen und betritt mit mir zusammen den RTW: "Ich setzte dich jetzt auf der Liege ab. Nicht erschrecken!" Kaum tritt Tom einen Schritt von mir zurück, steht auch schon Phil neben mir und wischt mir ein paar Tränen aus dem Gesicht:
"Josi, hattest du nochmals irgendwelche Schmerzen?" Mein Kopf nickt automatisch als Antwort, da mein Mund immer noch nicht reagieren möchte. "Kann ich mitfahren?", will Tom sofort wissen und greift nach meiner Hand, um sie fest zu umschließen. "Natürlich. Setz dich da hin. Habt ihr....Alex schon.... informiert?" Herr Funke stammelt mehr vor sich hin, als dass er einen anständigen Satz zusammenbekommt. "Mhm. Stephan hat ihn erreicht!" Herr Mayer fährt sich mit dem Handrücken an den Augenwinkeln entlang und hält eine Zeit lang Blickkontakt zu dem befreundeten Notarzt.
Mir wird auf einen Schlag so richtig schlecht, dass ich sofort anfange zu würgen, bevor ich überhaupt irgendetwas sagen kann. Florian, der jetzt ebenfalls den Rettungswagen betritt, kramt schnell nach einem Kotzbeutel und drückt ihn mir anschließend in die Hand. Da sich kein nützliches Material in meinem Magen befindet, wird das Beutelchen auch mit keinem Geschenk beglückt.
"Josi, ich leg dir jetzt einen Zugang. Ich weiß du...", ich drücke Phil fast meinen Arm ins Gesicht, da mir momentan alles egal ist. Um nicht eventuell doch bei dem Anblick der Nadel ohnmächtig zu werden, drehe ich meinen Kopf zu meinem Bruder, der darauf sofort in die Hocke geht und mir ein paar Mal über den Kopf streichelt. "Ich hab es versaut, Tom", flüstere ich vor mich hin und sorge dafür, dass sich erneut ein paar Tränen ihren Freiraum erkämpfen. "Nein, das ist nicht deine Schuld! Rede dir nichts ein!" Herr Mayer drückt mir einen Kuss auf die Stirn, während an meinem rechten Arm die Nadel unter der Haut eintrifft.
Für einen kurzen Augenblick übermannt mich die Panik, was meinen kompletten Körper versteifen und meine Atmung verschnellern lässt. "Ganz entspannt bleiben. Du hast es schon hinter dir, der Zugang liegt. Das hast du super gemacht!" Phil tätschelt mir die Schulter und macht sich darauf an meinem Zugang zu schaffen. "Flo, wir können los!" Nachdem die Starterlaubnis gegeben wurde, hört man die Türen zuschlagen und kurze Zeit später setzt sich auch schon das Gefährt in Bewegung.
Die Männer sind mucksmäuschenstill. Das Einzige, das zu hören ist, ist mein Nase hochziehen, da wir sonst bald in Rotze ertrinken würden. In meinem Kopf ist ein unbändiges Gewitter zugange, das mir immer wieder vor Augen hält, dass ich schuld daran bin, dass unsere Babys nicht mehr da sind.
Ich hätte einfach nur früher den Mund aufmachen müssen.
Als der RTW zum Stillstand kommt, wird kurz darauf die Türe aufgerissen, worauf Florian wieder zu sehen ist. Er und Phil buxieren die Liege ins Freie und schieben mich direkt in die KaS. Tom bleibt die ganze Zeit dicht an meiner Seite und umklammert weiterhin fest meine Hand. Mittlerweile habe ich ordentliche Probleme damit, meine Augen offen zu halten, denn die brennen unentwegt und fühlen sich an, als würde sie jemand mit aller Gewalt zuziehen.
"Hey Finn! Sollen wir dir gleich mit nach oben folgen?" Noch bevor wir einen Behandlungsraum ansatzweise näher kommen, erscheint mein Gynäkologe und wird sogleich von Phil erkannt. "Ja, bitte. Was ist genau passiert? Habt ihr irgendwelche Infos?" "Nicht wirklich. Sie hat nur verlauten lassen, dass sie momentan keine Schmerzen hat, zuvor aber irgendwann welche hatte. Sie hat sonst keinen Ton gesagt! Ich habe dir schon mal einen Zugang gelegt und Blut abgenommen!", informiert Phil den Herrn Gröhlich, damit er weiß, das keiner etwas weiß. Als wir den Aufzug betreten, fixieren meine Augen ausschließlich meinen Bruder, der mir kreidebleich versucht, ein Lächeln entgegenzubringen.
"Sie sind der Bruder, wenn mich nicht alle Sinne verlassen haben, oder?" Tatsächlich erinnert sich Finn an Tom, obwohl er nur einmal bei einem Ultraschalltermin von Aaron und Malea anwesend war. "Ja, genau. Alex müsste aber auch hoffentlich bald kommen. Der ist gerade beim Arbeiten!" Schon alleine bei der Erwähnung von Alex' Namen zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen und meine Hände beginnen zu zittern.
Als wir endlich in Finn's Territorium eintreffen, entledigt sich dieser sofort seiner Jacke und bittet mich, nach nebenan zu gehen und mich auf den Stuhl der Hölle zu begeben. Phil öffnet daraufhin die Gurte und macht für Tom Platz, der sich wieder als Taxi opfert und mich auf seine Arme schaufelt. "Meldet ihr euch, wenn..." Phil versagt abpumpt die Stimme, doch mein Bruder reagiert sofort: "Ich melde mich bei dir!" Ich selbst möchte gerade niemanden ins Gesicht schauen. Am liebsten würde ich mich mit meiner Decke in irgendeine Ecke verziehen und mich nie wieder blicken lassen. Leider finde ich mich kurze Zeit später auf diesem blöden Foltergerät wieder.
Sofort überzieht mich eine bleierne Müdigkeit, die mich wohl eher zum Selbstschutz in das schwarze Nichts ziehen möchte. "Ich bin vor der Türe und warte da!", flüstert mir Tom zu, drückt mir einen Kuss auf die Schläfe und lässt mich alleine in diesem Raum zurück.
Einen Wimpernschlag später steht Finn direkt vor mir. Als ich ihm ins Gesicht schaue, muss ich hart schlucken. So einen ernsten Gesichtsausdruck habe ich noch nie bei ihm Gesehen: "Josi, wir schauen jetzt nach was da los ist. Du musst versuchen, entspannt zu bleiben. Ich weiß, das ist momentan nicht so einfach, aber es muss nicht zwangsläufig ein Abgang gewesen sein". Automatisch ziehe ich die Decke fester um meinen Körper und verfolge jede Bewegung, die der Mann vor mir tätigt.
Als er letztendlich auf seinem Hocker vor mir sitzt, versucht er einen netteren Gesichtsausdruck aufzulegen: "Du kannst die Decke gerne um deinen Oberkörper gewickelt lassen, aber da unten muss ich leider ran!" Da mir nichts anderes übrig bleibt, versuche ich mich auf meine Beine zu stellen, da ich an meinem Unterleib das Stück Stoff entfernen muss. Gefühlt brauche ich Stunden für die paar kleinen Handgriffe, doch Finn lässt mir die Zeit und wartet geduldig, bis ich wieder auf dem Stuhl sitze. Noch bevor er anfängt, schließe ich die Augen und versuche meine Gedanken auf Reisen zu schicken.
Alex' Sicht
"Ne, dafür braucht ihr mich nicht mehr. Er ist soweit stabil. Ihr könnt los!", ich knalle die Türen des RTW zu und klopfe gegen die Karosserie, als Zeichen, dass sie abfahren können.
"Alex? Glaubst du, wir können den Typ nachher gleich befragen?" Robin kommt auf mich zugelaufen und sieht kurz dem Rettungswagen hinterher.
"Ja, könnt ihr auf jeden Fall versuchen. Er ist bei Bewusstsein und ziemlich klar im Kopf", kaum ausgeredet, klingelt mein Handy in der Hosentasche. Als ich einen Blick auf das Display werfe, sehe ich das Stephan anruft: "Robin, sorry. Ich muss da kurz dran!"
Ich: "Hi Stephan. Was gibt's denn?"
Stephan: "Hey Alex. Steckst du gerade in einem Einsatz?"
Ich: "Wurde soeben beendet. Bin frei. Wieso?"
Stephan: "Du musst sofort in die KaS. Josi wird gerade mit dem RTW dorthin gebracht!"
Ich: "Was ist denn passiert?"
Man kann förmlich hören, wie Stephan schlucken muss und dann tief die Luft einzieht.
Stephan: "Sie...Sie hatte Blutungen...."
Ich: "Bitte was?"
Stephan: "Ich kann dir leider nicht viel mehr sagen. Tom war bei ihr. Als er mich gerufen hat und ich ins Zimmer gekommen bin, war Josi total aufgelöst und zwischen ihren Beinen... war einiges an Blut!"
Mir bleibt kurz die Spucke weg und ich versuche zu realisieren, was mir mein Kumpel da gerade gesagt hat. In meinem Kopf leuchten auf einen Schlag tausend rote Lämpchen auf und ein einziges Wort manifestiert sich in meinen Gedanken. Abgang.
Ich: "Nein nein nein.... Scheiße. Notarzt?"
Stephan: "Phil"
Ich: "Okay. Danke. Bis später!"
Nachdem ich aufgelegt habe, weiß ich einen Moment lang nicht, wo mir der Kopf steht. "Alex, ist alles in Ordnung?" Robin mustert mich mit kritischem Blick, während bei mir schon die Tränenproduktion startet. "Was ist passiert?", der Griff an meiner Schulter lässt mich kurz zusammenzucken, worauf ich stark mit dem Kopf schüttel: "Nichts ist gut. Ich muss in die KaS!" Ich will schon auf das Nef zu rennen, doch ich werde hart an der Schulter gepackt und zum Stehenbleiben gezwungen. "Halt! Du fährst jetzt nicht selber. Wo ist Nick?" Herr Sturm dreht sich ein paar Mal im Kreis, um den besagten Sani ausfindig zu machen, doch er scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Deshalb brülle ich einmal lauthals "NICK!", worauf zwar alle anwesenden Personen kurz zusammenzucken, jedoch sich auch der Gesuchte zu erkennen gibt: "Hier? Was is?" "In die KaS! JETZT!", kommandiere ich ihn zu unserem Nef, während ich mich aus Robins Griff winde, schnell auf das Nef zulaufe und mich auf den Beifahrersitz schmeiße.
Als mein Partner dann endlich neben mir sitzt, startet er sofort den Motor und schlägt den Weg zurück zur KaS ein. "Was...", bevor Nick seine Frage weiter ausführen kann, schüttel ich heftig mit dem Kopf und wische mir eine Träne aus dem Augenwinkel. Mein Kollege versteht sofort und lässt kein weiteres Wort über seine Lippen kommen.
Der Rückweg scheint schier unendlich und ab und zu schaue ich auf den Tacho, da es mir vorkommt, als ob wir nur Schrittgeschwindigkeit fahren..Dem ist aber nicht so. Drei Straßen vor der KaS hat sich ein Unfall ereignet, der natürlich die gesamte Straße blockiert. "Fuck...!", ich schlage auf das Armaturenbrett und könnte vor Wut ausrasten. In mir tobt die Angst um Josi und dass es unsere Babys nicht mehr geschafft haben könnten. "Alex, ganz ruhig... es bringt..." Nicks Besänftigungsversuche machen mich nur noch nervöser, deshalb fasse ich auch schnell einen Entschluss: Die restlichen paar Meter werde ich einfach laufen. Ich habe keine Zeit, um zu warten. Josi musste schon viel zu lange alles alleine durchstehen. Ohne irgendein Wort zu sagen, reiße ich meine Türe auf, steige aus und renne los.
Als ich der Absperrung der Unfallstelle näher komme, kann ich schon Moritz entdecken, der mir einem fragenden Blick zuwirft: "Bist du auch angefordert worden?" "Ne, andere Baustelle. Aus dem Weg, hab es eilig!", ich schlüpfe schnell unter der Absperrung hindurch und renne durch das Trümmerfeld, das lauter Einzelteile zweier Autos beherbergt. "Hey, Herr Kollege, schalten Sie mal einen Gang runter, sonst sind Sie der Nächste, den ich behandeln muss!", ein mir unbekannter Notarzt verfolgt mich mit grimmigen Gesichtsausdruck, doch ich will meine Luft nicht an so einen Schwätzer vergeuden. Daher winke ich ihm nur ab und schlängele mich durch die Streifenwagen und RTW's hindurch, um meinem Ziel immer näher zu kommen. Ich war ja tatsächlich noch nie der sportlichste, aber dass meine Lunge nach dem kleinen Sprint schon fast kollabiert, hätte ich jetzt auch nicht erwartet.
Zähne zusammenbeißen! Das bisschen schaffst du schon noch.
Da ich in meinem Notarzt Outfit unterwegs bin, geht mir jeder Entgegenkommende zum Glück gleich aus dem Weg.
Als ich kurz vor der Bewusstlosigkeit stehe, komme ich endlich in der KaS an. Erst als ich direkt vor dem Empfang stehe, mache ich eine kurze Pause und atme einmal ordentlich durch. Gisela schaut mich verwirrt und etwas mitleidig an. "Wo....ist...Sie?", frage ich, die personifizierte Auskunft, völlig außer Atem. "Sie ist..." Gisela kann ihren Satz leider gar nicht beenden, denn da legt schon jemand seinen Arm um meine Schulter und zieht mich mit sich: "Ich bringe dich zu ihr. Allerdings nur, wenn du dich ein bisschen beruhigt hast. Josi hatte jetzt genug Aufregung und da wäre es gut, wenn du nicht wie so ein aufgedrehter Duracellhase durch die Türe durchgeschossen kommst!" "Aber..." Freddy lässt auch mich meinen Satz nicht vollenden, worauf mir jetzt schon vor lauter Nervosität die Tränen in die Augen steigen. "Hey... Ich weiß, dass in dir gerade totales Chaos herrscht, aber sie ist in den besten Händen. Euer Dr. Gröhlich hat zwar die komplette Gyn-Station per Telefon aufgemischt und alle herum gescheucht, aber wie ich mitbekommen habe, ist er sehr gut, in dem, was er tut!", natürlich stimme ich Freddy zu, außer im Bereich Spritzenphobie Bewältigung, jedoch hilft mir seine Kompetenz auch nicht weiter, wenn wir unsere Babys verloren haben sollten.
Ich versuche mich etwas ruhiger zu geben, obwohl in mir alles brodelt und ich fast zerrissen werde, damit er mich endlich zu Josi bringt und ich somit Gewissheit bekomme. Auch wenn es weh tun sollte.
Den Weg bis zur gynäkologischen Station laufen wir schweigend nebeneinander her, bis wir vor der Türe eines Behandlungsraumes stehen bleiben. "Da sind sie drin!" Herr Seehauser legt mir eine Hand auf die Schulter, drückt einmal etwas kräftiger zu und entfernt sich darauf mit leisen Schritten. Ich selbst atme nochmal tief durch und versuche, nicht direkt die Türe anzukotzen. Mir ist gerade dermaßen schlecht vor Angst und Sorge, während mich zusätzlich eine Eiseskälte heimsucht. Meine Fingerknöchel treffen auf das Holz der Türe und erzeugen durch ein paar Bewegungen ein klopfendes Geräusch. "Ja?" Finn gibt sofort Antwort, worauf ich die Türe öffne und den Raum betrete. "Hey Alex. Komm rein, setz dich!", mein Kamerad deutet mit seiner Hand auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. "Wo ist sie?" Eigentlich will ich mit gar niemandem reden, sondern nur meine Josi in den Arm nehmen und nie wieder loslassen. "Josi war total fertig. Sie liegt nebenan und schläft!" Ich nicke ihm zu und schlucke das letzte bisschen Spucke, das sich in meinem Mundraum befindet, hinunter. Anschließend setze ich mich dann doch auf den Stuhl und verkrampfe mich dermaßen, dass mir nach zwei Sekunden schon jeder Muskel weh tut. Vielleicht kommt es auch von dem Sprint vorher, genau weiß ich das aber nicht.
Finn lehnt sich über den halben Schreibtisch und lächelt mir leicht entgegen: "Euren Babys geht es gut!"
Hat der das jetzt wirklich gesagt oder habe ich mir das eingebildet?
"Was?", etwas ungläubig, ziehe ich die Augenbrauen zusammen und schaue Finn tief in die Augen. "Eure Babys leben und es geht ihnen, soweit ich das beurteilen kann, gut!", somit lehnt sich Finn in seinem Stuhl zurück und nickt mir ein paar Mal lächelnd zu, damit es endlich in meinem Kopf ankommt. Ich lege meine Hände auf mein Gesicht und stoße ein erleichtertes Seufzen aus. Von meinem Herzen fallen riesengroße Felsbrocken ab und ich kann es fast nicht glauben, dass ich diese Worte aus Finn's Mund hören darf. Zwar sammeln sich wieder ein paar Tränen in meinen Augen an, doch dieses Mal sind sie aufgrund der Erleichterung und der Freude. "Was ist denn dann passiert?" "Kannst du dich noch an die Zyste erinnern, die ich bei eurem letzten Termin gesehen habe? Die muss wohl rasant gewachsen und heute morgen dann geplatzt sein. Es war viel mehr Flüssigkeit als Blut und es sah eindeutig schlimmer aus als es war. Aber wir dachten alle schon an das Schlimmste.... Dein Schwager müsste übrigens irgendwo in der Cafeteria sitzen, der hat erstmal einen Kaffee gebraucht!" "Josi weiß auch, dass die Babys noch da sind?" "Gesagt habe ich es ihr, aber ob es angekommen ist... Ich weiß es nicht. Sie stand unter Schock, als sie eingeliefert wurde und hat nur geweint und nicht geredet. Phil und ihr Bruder hatten sich sehr bemüht, Josi irgendwie zu beruhigen. Aber sie hat immer nur deinen Namen gestammelt. Wenn du willst, kannst du rüber!" "Muss man noch irgendwie nachbehandeln wegen der geplatzten Zyste?" "Nein. Normalerweise bleibt die Flüssigkeit im Bauchraum... Bei ihr kam es halt mal anders und als ich mit dem Ultraschall nachgesehen habe, konnte ich keine weiteren Blutungen oder ähnliches feststellen. Falls Sie Bauchschmerzen bekommt, ihr übel wird oder sonst irgendwelche Symptome auftauchen, dann meldet euch lieber einmal zuviel als zu wenig! Allerdings habe ich für eine Nacht ein Bett auf Station klar gemacht, ich möchte nichts riskieren".
Ich lehne mich in den Stuhl zurück und versuche meinen Körper etwas zu beruhigen. Leider möchte der lieber den Stress noch ein bisschen in meinem Inneren pulsieren lassen und sorgt für ein bitteres Aufstoßen. Finn wendet seinen Blick von dem Papier vor seiner Nase ab und mustert mich jetzt genauer: "Kippst du mir jetzt gleich aus den Latschen?" Mein Kopfschütteln muss ihm vorerst genügen, denn ich spüre mein Frühstück schon ansatzweise "hallo" sagen. Bevor ich also zu meiner Josi kann, muss ich unbedingt einen Großteil meines Ballastes abwerfen.
Deswegen erhebe ich mich so schnell wie möglich von meiner Sitzgelegenheit und bahne mir meinen Weg auf den Flur, um zu den Toiletten zu gelangen.
Dort angekommen, lasse ich dem Spektakel freien Lauf, fühle mich kurz darauf aber noch viel schlimmer als vorher.
Du musst jetzt die Zähne zusammenbeißen und für Josi da sein!
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