3. Neuanfang
Von da an veränderte sich die Gegend immer schneller. Die Lebewesen entwickelten sich weiter, wurden immer größer, genauso wie die Pflanzen. Sie eroberten sogar die Lüfte für sich.
Es waren die Dinosaurier, die falsche Fährte für die Menschen, die eines Tages hier leben würden. - Oder war es keine falsche Fährte, sondern ein versteckter Hinweis auf die Existenz der Götter? Doch ich greife der Geschichte voraus, noch war die Zeit der Menschen nicht gekommen.
Es gab Wälder mit Bäumen die der Länge eines Drachenhalses entsprachen. Ihre grünen, verletzlich wirkenden Kronen bildeten einen Kontrast zu den braunen, stabilen Stämmen. Einerseits waren sie so fest mit dem Boden verankert, wie kaum etwas anderes. Und doch ragten sie hoch in den Himmel. So hoch, wie kaum etwas anderes.
Es gab unendlich viele Farben, auch solche, die ein Mensch niemals sehen oder sich vorstellen könnte. Es gab eine Vielzahl an Gerüchen, die in Fanyams Nase strömten, sowohl wohlriechende als auch eklige.
Es war vollkommen. Dennoch fehlte etwas Wichtiges, das spürte er noch deutlicher Unser kleiner Fanyam konnte nur nicht erfassen, was es war.
Er sah sich die Erde an und erkannte ihre Schönheit. Erinnerte sich daran, dass sie als glühender Klumpen begonnen hatte. Und nun war sie das hier. Wundervoll.
Irgendwann war es soweit. - Ich kann euch nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war, denn während Menschen sich so sehr in die Gewalt der Zeit begeben, spielte sie für die Drachen kaum eine Rolle. Selbst für Fanyam nicht. Die Drachen hatten eine Verbindung zur Zeit, wie wir es uns nicht vorstellen können. Für sie spielte sie keine Rolle und doch beherrschte sie fast alles. - Ein riesiger Komet löschte einen großen Teil des vorherrschenden Lebens auf der Erde aus.
Die Wenigen, die überlebten, wurden nach und nach von den Folgen des Einschlages niedergestreckt. Doch es sollte einige geben, die überlebten. Diejenigen, deren Zeit jetzt gekommen war.
Fanyam saß währenddessen in seiner Höhle und wartete. Er wusste nicht, wo die anderen Drachen waren. Seit dem Vorfall bei der Versammlung hatte er die gedankliche Verbindung zu ihnen verloren. Er war allein. Wirklich allein, aber nicht einsam, denn er wusste, die anderen lebten noch. Und er wusste, dass dieser Planet nun einen weiteren Schritt in seiner Entwicklung gemacht hatte. Es war notwendig, von Anfang an so bestimmt gewesen, selbst wenn sie es nicht gewusst hatten, bis Araxes es ihnen gesagt hatte. Dieses Wissen beruhigte ihn etwas. Trotz der Gemeinheiten die er von ihnen über sich hatte ergehen lassen müssen, wollte er ihnen nichts Böses. Für Gut und Böse waren sie nicht zuständig.
Aber wieder zurück zu den Geschehnissen.
Selbst an Fanyam in seiner Höhle auf dem Berg gingen die Auswirkungen des Einschlags nicht spurlos vorbei. Rauch und Asche verwandelten die Luft in eine einzige Ansammlung aus rußigem Nebel, der so dicht wurde, dass er anderen Lebewesen – euch genauso wie mir - die Luft zum Atmen rauben und in ihren Augen stechen würde. Ihm jedoch nicht. Denn auch er war ein Gott, wenn auch der niederste der niedersten.
Er verharrte dort so lange, dass er fast das Zeitgefühl verlor. Aber eben nur fast.
Er spürte die Veränderungen, die auf der Welt vor sich gingen. Und doch beschloss er abzuwarten. Darauf, dass die Asche und der Staub vergingen. Darauf, dass sie kamen.
Während er wartete, überkam unseren kleinen Fanyam immer öfter der Drang, die Töne von sich zu geben, mit denen er die anderen Drachen beruhigt hatte. Und diese Töne klangen immer besser, je öfter er sie übte. Zumindest für seine Ohren. Ihr Klang beschwor neue, nie dagewesene Bilder in seinen Kopf. Bunte Formen, neue Lebewesen und Welten, ja, sogar fast eine bildliche Vorstellung der Urgötter. Friede legte sich auf ihn. Alles würde kommen, wie es kommen sollte. Wie es kommen musste. Er vertraute auf das Sein.
Vor seinem inneren Auge sah er, wie sich die Sonne und der Mond gegenseitig über den Himmel jagten und dabei von den Sternen beobachtet wurden. Wer von beiden hatte das Spiel angefangen? Das konnte selbst er nur vermuten. Beide so gegensätzlich, obwohl sie zusammengehörten, den Tag und die Nacht zu etwas Ganzem fügten. Hell und dunkel als eine Einheit. Warum gab es das Dunkel überhaupt? Um allem Erholung zu gönnen – diese Antwort soll er sich selbst darauf gegeben haben.
Fanyam sponn seine Gedanken weiter. Die Welt war nicht mehr dieselbe wie zuvor, so viel war sicher.
Unser kleiner Drache versuchte in seinen Gedanken ein Bild zu beschwören, wie die Welt nun aussehen würde. Wie sie aussehen könnte. Vielleicht gab es wieder so viel Wasser oder der Boden glühte wieder, wie früher einmal? Vielleicht gab es nur zerklüftete Felsen? Wären die Pflanzen jetzt größer oder kleiner als zuvor? Gab es überhaupt noch Pflanzen, Felsen oder Sand?– Eine interessante Frage, oder? Wie könnte die Welt aussehen, wenn sie nicht so aussehen würde, wie wir sie alle kennen?
Zwar hatte jeder ein Bild der Menschen gesehen, damals, als Araxes es ihnen gezeigt hatte, jedoch wusste er nicht, was ansonsten mit der Erde passiert war.
Und dann wurde die Luft klar. Es war ein wenig wärmer als zuvor.
Da wagte er sich wieder heraus und sah sich um.
Auf den ersten Blick hatte sich nicht viel getan: Grün war immer noch die vorherrschende Farbe hier vor seiner Höhle.
Bereits zuvor hatte er mehrmals nachschauen wollen, was die Umgebung ihm zu bieten hatte. Er war neugierig gewesen und dennoch war da etwas, das ihn in der Höhle gehalten hatte. Aber nun, nun war es Zeit.
Trotzdem hatte sie sich verändert. Das spürte er. Kurz streifte ihn die Frage, wie lange er in der Höhle verharrt haben mochte, aber am Ende war es nicht wichtig.
Etwas Anderes war wichtiger.
Die Welt hatte sich verändert, das Klima war ein anderes als zur Zeit der Dinosaurier und nun sollten diese Menschen an der Reihe sein. Aber noch war es nicht so weit. Wenn auch der Siegeszug der Säugetiere begann. Ein Siegeszug, der nur durch einen vorherigen Untergang ermöglicht wurde.
Also streckte Fanyam seine Glieder, gähnte und lief los. Er kam an einem Fluss vorbei, an Bäumen und an flachen, weiten Ebenen. Lief durch dichte Wälder, sah Berge und Seen.
Es tat ihm gut, sich wieder zu bewegen. Nach dieser langen Zeit des Wartens war es eine Wohltat für seine Muskeln, sich wieder zu strecken - ganz spurlos geht sie selbst an Drachen nicht vorbei, wie ihr merkt. Eine niedere Lebensform, wie etwa wir, hätte sich nach dieser Zeit ohne Bewegung nicht mehr rühren können. Mehr noch: Sie hätten diese Zeit nicht überlebt. Doch er war nicht wie wir.
Die Luft roch anders, frischer. So, als würde sich in nicht allzu großer Zukunft - in Drachenmaßstäben - eine eisige Kälte über die Gegend legen. Fanyam wusste nicht, wer hier für das Wasser und Eis verantwortlich war, aber er spürte es. Der Wandel war noch lange nicht vorbei. Er hatte gerade erst begonnen und würde für immer weitergehen.
Die anderen Lebewesen, die er traf, waren mit etwas bedeckt, dass er zuvor nur von kleinen Tieren kannte. Sie hatten Fell.
Und doch sah er Bekanntes in dieser neuen Welt. Es gab Pflanzen, die aussahen wie Miniaturausgaben derer von vor langer Zeit.
Auch in den Meeren und Flüssen sah er bekannte Lebewesen. Aber auch viel Neues.
Und dann, irgendwann, sah er sie, die Menschen. Er war längst wieder in seine Höhle zurückgekehrt, aber immer wieder hatte er nachgesehen, ob sich etwas tat. Denn unser Fanyam wollte wissen, was es mit ihnen auf sich hatte, dass sie so hervorgehoben worden waren.
Zumindest sah er das, was einmal Menschen - wie ihr und ich - werden sollten. Sie standen noch am Anfang ihrer Entwicklung, hatten viel Fell an sich und liefen noch nicht aufrecht.
Er ließ sie nicht mehr aus den Augen. Das, es war unserem Fanyam klar, war ein bedeutender Neuanfang.
Deswegen beschloss der kleine Drache bald darauf, es nochmals mit dem Fliegen zu versuchen. Wann, wenn nicht jetzt?
Er übte jeden Tag.
Am Anfang sprang er unbeholfen in die Luft und landete schnell und unsanft auf dem Boden, sodass Staub aufwirbelte.
Er gab nicht auf. Und nach einiger Zeit schaffte er drei Flügelschläge. Kein kurzes Flattern, sondern richtige Flügelschläge! Doch noch war er nicht so weit. Keuchend landete er wieder. Und stolperte, fiel mit der Schnauze wieder im Dreck. Und egal, wie oft er es versuchte, weiter kam er nicht. Nicht in der Realität, dafür aber in seiner Vorstellung.
Doch wozu war das nützlich?
Er hatte die Schnauze voll. Voll von Sand und vom Fliegen. Dieser kleine Fortschritt hatte viel zu viel Zeit in Anspruch genommen! Und jetzt hing er fest.
Anscheinend bedeutet ein Neuanfang der Welt nicht gleich ein Neuanfang für mich. - So oder so ähnlich müssen seine Gedanken gelauter haben, als er wieder in seine Höhle ging.
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