Das Frühstück
Steve und ich erreichten eine Bäckerei. Es roch zu köstlich nach frisch gebackenem Brot. Ich musste draußen warten, da ich immer noch kein Oberteil besaß und nicht halbnackt mit einem Polizisten in eine Bäckerei laufen konnte. Das könnte seinem Ruf schaden, meinte Steve bevor er über die Türschwelle trat. Über die Tatsache wie sehr es meinem Ruf schadete mit einem Polizisten durch die Stadt zu laufen, war sich Steve natürlich nicht bewusst. Mir waren bereits einige bekannte Gesichter entgegen gekommen, deren Blicke mir das Wort Verräter förmlich entgegen schrien. Plötzlich tippte mir jemand von hinten auf die Schulter. Es war Julius in Zivil und mit Rucksack. Er hielt mir ein T-Shirt hin. Es war grau. Seufzend nahm ich ihm das Shirt ab, doch als ich es überstreifte erkannte ich, dass die Innenseite des T-Shirts Marineblau leuchtete. Julius sah mich vielsagend an: »Ein bisschen Unterstützung in der Suche nach der Silhouette könntest du schon gebrauchen hab ich gehört.«
»Was du immer alles hörst«, gab ich grinsend zurück.
Derweilen kam Steve aus der Bäckerei wieder.
»Ah, da bist du ja Kollege«, begrüßte er Julius mit einem Schulterklopfer. Er hielt mir eine Tüte hin, nahm aus seiner ein Schokoladen Croissant und reichte es Julius. Ich riss meine Tüte auf und hatte natürlich nur normale Croissants drin sowie zwei belegte Brötchen. Keine Schokolade. »Lasst uns setzen«, meinte Julius und deutete auf die Tische vor der Bäckerei. Schweigend saßen wir mit vollen Backen am Tisch, während die Sonne die frühen Morgenstunden aufheizte. Als ich mein erstes Brötchen verschlungen hatte, ergriff ich das Wort: »Ich will meine Messer zurück.« Eine alte Dame, die neben uns am Tisch einen Kaffe trank, schaute verstört zu uns hinüber. »Bekommst du«, antworte Julius. »Nur ist hier vielleicht gerade der falsche Ort dafür.«
Steve räusperte sich: »Stationsleiter Louis hat uns beauftragt verschiedene Stadtteile nachts nach der Silhouette abzusuchen. Julius wird das Viertel am Jungfernbrunnen durchsuchen. Ich gehe ins Viertel der Weber und du wirst dir das goldene Viertel vornehmen.«
Das goldene Viertel hieß eigentlich Ringburger Viertel, wurde aber immer als goldenes Viertel bezeichnet, weil dort ausschließlich teure Villen standen. Ich war schon einige Zeit nicht mehr dort gewesen, obwohl es für Diebe eine vielversprechende Gegend darstellte. »Und was ist, wenn wir die Silhouette finden?«, fragte ich. »Deshalb bekommst du deine Messer zurück«, antwortete Julius. »Der Befehl lautet die Silhouette fluchtunfähig zu machen.«
»Ob ihr dabei ein Arm oder ein Bein fehlt, ist mir ziemlich egal. Jedenfalls brauchen wir sie lebend«, fügte Steve trocken hinzu. Die alte Frau neben uns stand auf und eilte davon. Ich sah ihr verständnisvoll hinterher. Könnte ich doch auch einfach von diesem Tisch aufstehen und gehen. Doch meine Freiheit hing an dieser ganzen Aktion und Steve war mir gegenüber schon feindselig genug. Ich wusste nicht wie weit ich gehen durfte und wollte es im Moment nicht riskieren direkt weggesperrt zu werden. Wenn heraus kam, dass ich bereits wusste, dass die Silhouette eine Frau war, die das Licht zähmen konnte, könnte das bereits als Verrat an der Mission gedeutet werden.
»Ist das klar?«, fragte Steve lauter.
Ich zuckte zusammen: »Ja, keine tote Silhouette abliefern. Ist klar.«
»Über was denkst du gerade nach?«, fragte Julius. Er war definitiv der Schlauere der beiden. Ich musste schnell antworten.
»Ich bin mir unsicher, ob meine Messer reichen werden«, gab ich besorgt zu und das war keine Lüge. »Ich meine, die Silhouette hatte bei meiner ersten Begegnung erhebliche Farbmagie gewirkt. Bis ich mein Messer in sie hinein rammen könnte, hat sie mich vielleicht schon mit ihrer Magie überwältigt.«
»Ja und?«, fragte Steve, dem es offensichtlich egal war, wenn ich sterben würde. »Willst du jetzt noch einen Partner zur Seite gestellt bekommen? Eine Schusswaffe werden wir dir sicherlich nicht geben, das kannst du vergessen.«
»Nein, ich denke ein Partner euresgleichen würde mich dann doch zu sehr aufhalten«, entgegnete ich. Steve klappte den Mund auf für eine gemeine Beleidigung, doch Julius war schneller: »Gut, dann wäre das ja geklärt. Wollt ihr noch einen Kaffee?« Ich konnte mich nicht daran erinnern wann ich zuletzt einen Kaffee getrunken hatte. Und einen, von der Polizei ausgegeben Kaffee, hatte ich noch nie getrunken. Ich stimmte direkt zu und Julius meinte zu Steve, dass wir knapp in der Zeit seien und er mir die Messer im Park übergeben wollen würde. Steve könnte währenddessen die Zeit zum Kaffee holen nutzen. Zu meiner Verwunderung kamen von Steve keine Einwände mehr und er bog vorm Eingang des Stadtparks sogar zu einer Kaffeerösterei ab. Als Julius und ich hinter ein paar Büschen verschwanden, dachten die meisten Parkbesucher wohl wir würden pinkeln oder heimlich etwas rauchen wollen. Doch Julius zog keine verbotenen Substanzen hervor, sondern endlich was mein Herz begehrte. Der Langdolch schmiegte sich in meine Hand als wären wir nie getrennt gewesen. All meine Messer glänzten silbern an der Schneide im Sonnenlicht. »Sind die geschärft worden?«, fragte ich verblüfft. Julius nickte. Er reichte mir einen Waffengurt, der als Halterung dienen sollte. Das Polizeilogo war kaum darauf zu übersehen. »Ich habe auch noch jeweils zwei Halterungen für Arme, Fußknöchel und Oberschenkel, wenn du die haben willst«, sagte er. Ich wog jedes einzelne Messer in meiner Hand, bevor ich sie an mich nahm, um sicherzustellen, dass es sich auch wirklich um meine eigenen handelte. Ich kannte ihr Gewicht und ihren Schwerpunkt seit Jahren und würde mit ihnen immer am präzisesten mein Ziel treffen. Ich überlegte, ob ich auf die Halterungen verzichten sollte, doch da ich die Messer sowieso unter meiner Kleidung verstecken würde, wäre das Polizeilogo nicht sichtbar. Um meine Fußgelenke drapierte ich meine kürzesten Wurfmesser, kaum länger als mein Zeigefinger. An der Hüfte fand mein Langdolch seinen Platz. Er bestand aus zwei Schwesterklingen, die sich so aneinander schmiegten, dass es wie ein einzelnes Stück Metall aussah. Die Oberschenkel bekamen ebenfalls noch eine silberne Dekoration. Bevor ich meine Oberarme nutzen konnte, musste ich mir einen Pullover oder etwas Ähnliches kaufen. Die Arme des Shirts waren zu kurz als dass meine Messersammlung darunter verschwinden hätte können. Wir traten hinter den Büschen hervor und Steve kam uns schon mit den Kaffebechern entgegen. Julius bedanke sich, ich nahm meinen Kaffee wortlos entgegen.
»Also für heute Nacht weiß jeder was er zutun hat. Wir haben vielversprechende Informationen, dass die Silhouette wieder zuschlagen wird. Doch können wir es leider nur auf unsere drei Viertel beschränken«, sagte Steve. »Klingt ja wirklich sehr vielversprechend"« warf ich ironisch ein. Wenn ich herausfinden sollte, wo zum Beispiel der nächste Geldtransport stattfinden sollte, reichte es nicht zu sagen der könnte in drei verschiedenen Vierteln stattfinden.
»Vorsichtshalber sind Kollegen in den anderen Vierteln postiert«, meinte Julius. Ich nahm einen Schluck Kaffee und sein Geschmack war für einen Moment das Einzige was ich wahrnehmen konnte. »Ist gut oder?«, fragte Steve. »Wirklich nicht schlecht«, gab ich zu. Julius reichte mir seinen Rucksack: »Hier ist ein Shampoo drin und ein Handtuch.«
»Du stinkst Jackson.« Steve fing an zu lachen. Ich konnte nicht anders und fiel mit ins Gelächter ein. Die beiden verabschiedeten sich und dann war ich allein.
Ich beschloss zunächst einen Pullover für die Nacht zu kaufen. Ja, tatsächlich zu kaufen. Ich glaube ich war noch nie shoppen. Mit dem Geldschein, den ich von Steve erhalten hatte, schlenderte ich los. Die Innenstadt war vormittags noch nicht sonderlich stark besucht. Ich öffnete die Ladentür des ersten Geschäfts, an dem ich vorbei kam. Der Kassierer hinter der Kasse beäugte mich mit Argusaugen. Als ich nach ein paar Minuten bemerkte, dass dieses Geschäft nur Herrenanzüge verkaufte, suchte ich schnell das Weite. Im Augenwinkel zu sehen, dass der Ladenbesitzer, nachdem ich gegangen war, mit einer Parfümflasche sprühend im Geschäft umher eilte, war dennoch etwas beleidigend. Beim nächsten Geschäft achtete ich darauf, was im Schaufenster ausgestellt war, bevor ich hinein ging. Ich hatte keine Ahnung wie viel ein Pullover normalerweise kostete, doch zu meiner Freude stellte ich fest, dass mein Geld für eine komplett neue Garderobe ausreichte. Die Kassiererin lächelte mich freundlich an als ich ihr meine neuen Anziehsachen über die Theke schob. Ich bekam sogar noch Geld zurück und kaufte mir davon im nächsten Laden eine Badehose. So langsam erkannte ich warum manche Menschen so gern shoppen gingen. Es war ein zufrieden stellendes Gefühl, wobei ich dennoch nicht verstand wieso die meisten Menschen mehr besaßen als sie am Körper tragen konnten.
Mein nächstes Ziel war eine sandige Stelle am Fluss. Die Sonne hatte ihren Zenit erreicht und brannte erbarmungslos auf die Erde hinab. Ich holte das Shampoo aus dem Rucksack und zog meine Badehose an. Neben mir lag eine Familie mit ihren zwei kleinen Mädchen. Ihr dunkelbrauner Hund dümpelte noch im Wasser des Flusses umher. Obwohl es mir schwer viel, verstaute ich all meine Messer unauffällig im Rucksack. Die Kinder sollten keinen schlechten Eindruck von der Welt bekommen. Gut, dass ich mich dafür verantwortlich fühlte - für das Schlechte in der Welt. Das Flusswasser war herrlich kühl. Der Hund kam mit einem übergroßen Stock im Maul auf mich zu gepaddelt als ich mir gerade die Haare einschäumte. Die Mädchen quietschen vor Lachen als ich anfing den Hund ebenfalls einzuschäumen. Ein Geruch von Rosen stieg mir in die Nase. Ich schnupperte an der Shampoo Flasche. Na vielen Dank auch, ich roch sehr weiblich. Das war bestimmt wieder eine von Steves Ideen gewesen. Ich tollte mit dem Hund noch eine Weile durchs seichte Wasser und ließ ihn Stöckchen holen. Irgendwann wurde es dem Hund aber zu viel und er sprang wieder an Land. Der Vater der Familie warf einen mürrischen Blick auf mich als er meine Narbe am Rücken entdeckte. Sie war nicht besonders groß, aber dennoch auffällig genug in der hellen Mittagssonne. Damals hatte mich ein Schwert leicht gestreift. Danach hatte ich quasi Augen im Hinterkopf und mir ist seither nichts mehr passiert. Ich breitete mein Handtuch im Schatten aus und ließ mich darauf trocknen. Für ein paar Stunden musste ich wohl eingeschlafen sein, denn als ich die Augen öffnete, war von der Familie weit und breit nichts mehr zu sehen und die Sonne kündigte bereits den Abend an. Ich schlüpfte schnell in meine neue Gaderobe. Bis auf das Shirt von Julius hatte ich alles ausgetauscht, sogar die Schuhe. Da ich nachts unterwegs sein würde, musste ich mich für gedeckte Farben entscheiden. In Sachen Farbmagie hatte ich der Frau sowieso nichts entgegenzusetzen, da musste ich mir nichts vormachen. Drum beließ ich es bei Kleinigkeiten wie einer roten Schuhsohle, gelben Socken und grüner Unterhose. Der Pullover war dunkelblau, was immer noch besser als schwarz war und die Hose bestand aus dunklem Jeansstoff. Lediglich die Bänder, die durch den Kapuzenbund liefen, waren noch Orange. Alle Messer waren bereits an ihrem berechtigten Ort versteckt und ich schulterte den Rucksack. Bevor ich mich ins goldene Viertel bewegen wollte, musste ich noch kurz etwas überprüfen. Ich kehrte zu der Baumgruppe zurück, in der mich letzte Nacht die Silhouette geheilt hatte. Ich überprüfte die Farben der Natur. Nichts schien von der Frau berührt worden sein. Die Stelle, an der ich gelegen hatte, wies keine verdächtigen Spuren auf, außer denen von Steves Schuhabdrücken. Ich kletterte hinauf in die Äste des Baums, hing mein nasse Badehose und mein Handtuch auf. Den Rucksack mit meinen alten Klamotten darin, band ich an den obersten Ast. Falls die Sachen gestohlen wurden, wäre es egal. Aber ich konnte mir heute Nacht kein zusätzliches Gepäck leisten.
Als meine Füße wieder den Boden berührten, fühlte ich mich so gut wie schon lange nicht mehr. Das Bad im Fluss war wirklich überfällig gewesen. Mir erschien es zu meist unsinnig mich zu waschen, weil ich nach ein paar Stunden sowieso wieder verschwitzt war. Ich warf einen letzten Blick auf die Spuren am Boden und da fiel mir ein, dass ich etwas vergessen hatte. Ich tastete nach den letzten Münzen in meiner Hosentasche. Das goldene Viertel müsste sich noch einen Augenblick gedulden.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro