36
Zwei Tage später konnte Remus immer noch nicht glauben, dass es vorbei war. Voldemort war besiegt, endgültig.
Natürlich, unterm Strich, konnte er eine kleine pessimistische Stimme nicht abschalten, die sagte, dass es noch genug frei herumlaufende Todesser gab, also wer konnte schon so genau sagen, was die Zukunft brachte? Aber in den letzten zwölf Jahren hatte sich auch keiner von denen gerührt, also schob Remus den Gedanken weg. Niemand kannte die Zukunft und das Beste, was man tun konnte, war davon auszugehen, dass sie golden sein würde.
Nachdem Mary Harry am Sonntag noch direkt ins St Mungos gescheucht hatte, um ihn einmal komplett durchchecken zu lassen, hatte er definitiv einiges an Ruhe und Schlaf gebraucht. Am Dienstagabend jedoch sah alles danach aus, als würde er mit ein bisschen Zeit wieder ganz der Alte werden. Das einzige, was ihn wirklich runterzog (es war das erste, was er getestet hatte, nachdem Mary ihn aus dem Haus gelassen hatte), war dass er die Fähigkeit verloren hatte, Parsel zu sprechen. Aber, wie er optimistisch meinte, das sei am Ende auch nur eine Sprache, die er einfach wieder lernen konnte. Luke sah das kritischer, er hatte das irgendwann mal tatsächlich versucht, weil er auch mit Schlangen sprechen wollte, aber nach zwei Tagen wieder aufgegeben. Remus hatte ihm vorgeschlagen, Harry das vielleicht nicht direkt auf die Nase zu binden.
Wie auch immer, alles schien, als würde das Leben im Ligusterweg 32 wieder in normale Bahnen zurückfallen. Am Dienstagabend saßen sie alle gemeinsam beim Essen draußen im Garten. Mary hatte vorgeschlagen, zu grillen, woraufhin sich Jerry, der morgen erst wieder nach London fahren würde, spontan zum Essen eingeladen hatte. Die Freude war bei allen groß und so genossen sie den Abend in vollzähliger Runde zu sechst in vollen Zügen.
Mary war die Grillmeisterin, weil Remus zwar gut kochen konnte, aber ihn seine Intuition beim Grillen gnadenlos im Stich ließ und Sirius ohnehin nicht geduldig genug gewesen wäre, längerfristig auf irgendwas aufzupassen.
"Will noch jemand was?", fragte Mary gerade laut. "Es wären jetzt wieder Gemüsespieße fertig."
Harry und Luke tauschten bei dem Wort "Gemüsespieße" wenig begeisterte Blicke, aber Jerry schoss in die Höhe und holte sich noch einen.
"Na gut," Mary schob die Sachen, die noch auf dem Rost lagen, weiter in die Mitte, "dann ist das jetzt noch der letzte Rest."
"Sind da noch Würstchen dabei?", fragte Luke neugierig und reckte den Kopf. Mary grinste.
"Dass in dich immer noch Würstchen reingehen...", murmelte sie beeindruckt. Luke sah sehr selbstzufrieden aus. "Ja, zwei kleine sind hier noch. Brauchen aber noch einen Moment."
"Sind sonst alle fertig?", fragte Remus und sah in die Runde, die ein allgemeines Nicken zurückgab. "Fein, dann könnten wir den Tisch frei machen für eine Runde UNO, wenn ihr wollt?"
Alle nickten, auch wenn sich niemand bewegte und Anstalten machte, sein Geschirr wegzuräumen. Mary kehrte vom Grill zurück und ließ sich auf einen freien Gartenstuhl fallen. Von Samstag und einigen anderen Abenden in größerer Runde standen aktuell immer noch fast doppelt so viele Stühle um den Tisch herum, wie nötig gewesen wäre. Aber da man ja nie wusste, wann man sie wieder brauchen würde, hatte sich niemand genötigt gefühlt, sie wegzuräumen.
"Wozu haben wir Anti-Muggel-Zauber auf diesem Garten?", meinte Mary und kramte ihren Zauberstab heraus. Remus schmunzelte. Da hatte sie natürlich recht. Sie zauberten nicht viel, aber es entspannte sie alle sehr, dass sie sich keine Sorgen machen mussten, was sie sagten oder taten, weil entsprechende Filter dafür sorgten, dass die Muggel in den benachbarten Häusern nichts von dem mitbekamen, was sie als ungewöhnlich geoutet hätte. Nun ja, als ungewöhnlicher. Das Bild einer Standardfamilie hatten sie ja ohnehin nie erfüllt.
Alle sahen zu, wie sich die Teller von selbst stapelten, die Ketchup- und Senfflaschen sammelten und dann alles gemeinsam ordentlich auf das kleine Tischchen neben der Hoftür schwebte, wo es darauf wartete, dass es nachher jemand mit ins Haus nehmen würde.
Sirius hatte gerade die Karten genommen und zu mischen begonnen, während Jerry noch seinen Spieß aß und Luke sich jetzt noch die letzten beiden Mini-Würstchen vom Grill holte, als es an der Haustür klingelte. Sie alle tauschten einen verwunderten Blick, dann stand Remus auf, um dem unerwarteten Gast zu öffnen.
Es war Regulus und seine Miene wirkte weniger ausgelassen als Remus es zwei Tage nach dem Sieg über Voldemort erwartet hätte.
"Regulus", meinte er überrascht, "was treibt dich her?" Er hielt die Tür auf und Regulus trat ein.
"Ich hab was für euch", erklärte er ohne Umschweife. "Für euch alle. Sirius hat erzählt, dass ihr heute alle hier seid und ich wusste nicht, wann sich diese Gelegenheit das nächste Mal bietet."
Remus hob die Augenbrauen, dann machte er eine einladende Handbewegung in Richtung Garten. Regulus ging voraus und Remus folgte ihm.
"Reggie!", rief Luke begeistert und sprang auf, um seinen Onkel begeistert zu begrüßen. "Spielst du mit uns UNO?" Regulus schmunzelte, wurde aber recht schnell wieder ernst.
"Vielleicht später", meinte er.
"Regulus sagt, er hat etwas für uns", eröffnete Remus dem Rest der Familie und ließ sich wieder auf seinen Platz nieder. Sirius hielt im Karten Austeilen inne und musterte ihn.
"Ohh", sagte Harry begeistert, "ein Geschenk?"
Regulus grinste ein wenig, aber wie schon eben verschwand es recht schnell wieder.
"Das müsst ihr dann hinterher beurteilen", sagte er. Er griff in seine Hosentasche und zog einen kleinen Beutel hervor, dessen Inhalt er vorsichtig herausschüttelte, bis er in der Mitte des Tisches liegen blieb. Es war ein einzelner kleiner Stein, recht unscheinbar, bis auf die feine Gravur darauf. Remus betrachtete ihn überrascht. Es war der Schmuckstein des Ringes der Familie Gaunt. Luke, Harry und Jerry beugten sich neugierig darüber.
"Was ist das?", fragte Jerry interessiert.
"Ein Stein", antwortete Regulus trocken.
"Was macht er?", bohrte Harry nach, alle drei waren anscheinend zu gespannt auf Regulus' Überraschung, als dass sie seinen schlechten Humor geschätzt hätten.
"Ihr kennt doch das Märchen von den drei Brüdern, oder?", fragte Regulus. Alle sechs Personen um den Tisch herum nickten. "Nun, Gerüchten zufolge soll es die drei Gegenstände aus der Legende tatsächlich geben. Ich hab es immer für Unsinn gehalten, aber es gibt einige, die das wirklich glauben und aktiv danach suchen. Sie nennen sie die Heiligtümer des Todes und ihr Symbol ist das, was auf dem Stein drauf ist."
Alles schwiegen für einen Moment.
"Du willst uns jetzt aber nicht erzählen, dass das der Stein der Auferstehung ist, der die Toten zurückbringt, oder?", fragte Sirius dann skeptisch. Regulus verschränkte die Arme.
"Also erstens bringt er die Toten nicht zurück, er bringt sie nur nah genug, sodass man sie sehen und mit ihnen reden kann", korrigierte er. "Und zweitens weiß ich selbst, wie bescheuert das klingt." Er zögerte. "Aber ich hab es ausprobiert. Und es funktioniert."
Remus blinzelte überrascht.
"Aber wird der Bruder im Märchen nicht wahnsinnig und bringt sich um?", fragte Mary dann vorsichtig. Regulus nickte.
"Natürlich ist es gefährlich", gab er zu. "Aber das Angebot war zu verlockend. Ich gebe ihn euch einmal, dann verwahre ich ihn sicher. Ich denke, ich habe meine Lektion mit mächtiger und gefährlicher Magie gelernt."
Sirius musterte ihn interessiert von der Seite.
"Bei wem hast du es ausprobiert?", fragte er neugierig. Regulus zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen.
"Auch ich hab Menschen verloren", meinte er nur.
"Deine Freundin?", fragte Harry neugierig, "die auf dem Foto ist?"
Alle Blicke wanderten kurz überrascht zu ihm, dann wieder zurück zu Regulus, der sichtlich unbehaglich aussah.
"Ihr Name war El", erzählte er unwillig. "Wir waren in der Schule gut befreundet. Sie war nicht so überzeugt von...von den Todessern, wie ich. Wir sind im Streit auseinandergegangen."
Mary drückte sanft seinen Arm.
"Ist sie...ist sie im Krieg geblieben?", fragte sie vorsichtig. Regulus schüttelte den Kopf und lachte etwas verzweifelt.
"Nein, sie hatte mit dem Krieg praktisch nichts zu tun", meinte er. "Ist damals losgezogen, viel gereist, hat studiert, ein bisschen hier und da und ist am Ende als Privatlehrerin wieder in England gelandet. Hat in mehreren Reinblutfamilien die Kinder auf Hogwarts vorbereitet." Er schluckte. "Sobald ich im Mai wieder wach war, hab ich nach ihr gesucht. Aber ich war zu spät. Sie ist vor acht Monaten gestorben. An einer Krankheit, wie Menschen das manchmal tun. Ich war vierzehn Jahre weg und hab sie um ein halbes Jahr verpasst."
Er sah bitter auf den Tischplatte hinunter.
"Aber der Stein hat funktioniert?", fragte Jerry dann leise. "Du konntest sie noch einmal treffen?"
Ein kleines Lächeln schlich sich auf Regulus' Gesicht und er nickte.
"Es hat funktioniert", bestätigte er. "Ich konnte sie noch einmal treffen. Sie wusste natürlich inzwischen, was aus mir geworden ist. Man kann vor den Toten nichts geheim halten, schätze ich mal. Aber es war gut, zu reden. Sich zu verabschieden."
Und auf einmal dämmerte es Remus, was Regulus vorhatte. Eigentlich war es recht offensichtlich gewesen, sobald er den Stein herausgeholt hatte, aber er hatte es nicht gewagt, daran zu denken. Ein hartnäckiger Kloß formte sich in seinem Hals.
"Es funktioniert nur einmal", erklärte Regulus. Remus war sich nicht sicher, ob das stimmte oder ob er log, um ihnen jegliche Idee auszutreiben, dass das hier sich wiederholen würde. "Und sie sind nur sichtbar für die Person, die den Stein genutzt hat."
"Können wir es alle zusammen machen?", fragte Sirius leise. "Wenn wir alle den Stein berühren, dann können wir sie alle sehen. Dann ist es, als wären sie tatsächlich hier."
Regulus zuckte mir den Schultern.
"Ich wüsste nicht, warum nicht."
"Wie lange können sie bleiben?", wollte Mary wissen. Regulus hob noch einmal die Schultern.
"Bis ihr sie wieder gehen lasst", erklärte er. "Solange jemand den Stein berührt. Aber nicht auf Dauer. Sie gehören nicht in diese Welt. El sagte, es ist wohl auch nicht wirklich angenehm für sie, sozusagen aus ihrem rechtmäßigen Platz im Danach herausgerissen zu werden." Er lächelte leicht. "Aber ich bin sicher, sie werden nichts dagegen haben."
"Müssen wir dem Stein sagen, wen wir sehen wollen?", fragte Harry, an der Kante seines Stuhls. Remus konnte es ihm nicht verübeln. Vermutlich bedeutete diese Möglichkeit für keinen von ihnen mehr als für ihn. Regulus schmunzelte.
"Das musst du nicht", sagte er. "Der Stein weiß, wen du sehen willst. Und wer dich sehen will."
"Kann ich auch nur dabei sein, aber nicht selbst mitmachen?", fragte Jerry unsicher. "Ich habe...ich habe niemanden, den ich sehen will."
"Was ist mit deinen Eltern?", fragte Luke verwirrt. Jerry zuckte etwas hilflos mit den Schultern.
"Remus und Mary sind meine Eltern", gestand er leise. "Ich erinnere mich nicht einmal an meine anderen. Und...es ist nicht so, dass ich sie nicht geliebt habe oder nicht sehen will, aber...wenn ich sie jetzt sehe, dann weiß ich, wer sie waren und wie sie aussahen und was sie denken. Und ich habe Angst, dass es mir dann schwerfällt, sie wieder gehen zu lassen." Er schluckte. "Ich halte sie in Ehren, ohne zu viel zu wissen. Und ich glaube, es ist mir lieber, wenn das so bleibt."
Regulus sah ihn verständnisvoll an.
"Ich hatte auch Angst, dass meine Eltern auf einmal vor mir stehen", gestand er. Sirius gegenüber von Remus wurde bleich - daran, dass das passieren könnte, hatte er anscheinend gar nicht gedacht. Remus auch nicht. Auf einmal fielen ihm auch jede Menge Personen ein, die gestorben waren, die er eigentlich nicht noch einmal sehen wollte. Regulus schien die allgemeine Unbehaglichkeit zu spüren und er hob die Hände.
"Leute, ganz ruhig", sagte er. "Entspannt euch. Der Stein wird euch keine Leute zeigen, die ihr nicht sehen wollt. Jerry, wenn das bei dir alle sind, kannst du einfach mitmachen und es wird niemand kommen. Ich hab das Ritual gestern mehrfach gemacht und El war die einzige Person, die aufgetaucht ist, obwohl ich auch mehr tote Menschen kenne als lebendige. Habt ein bisschen Vertrauen in die Magie."
Er sah prüfend in die Runde, dann legte er vorsichtig einen Finger an den Stein. Etwas zögerlich folgten die anderen seinem Beispiel. Er war nicht besonders groß und es erforderte einiges an Geschicklichkeit, dass sie ihn so hielten, dass sie ihn alle sieben berührten, aber sie schafften es.
Alle hielten den Atem an.
Sie drehten den Stein dreimal.
Ich weiß, dass das ein ultra fieser Cliffhanger ist und es tut mir leid. Ich hatte nicht vor, das Kapitel nochmal zu trennen, aber sonst wäre es einfach viel zu lang geworden, also müsst ihr euch jetzt noch ein paar Tage gedulden. Haltet aber fürs nächste Kapitel auf jeden Fall die Taschentücher bereit - ihr könnt euch ja ausmalen, was da auf uns zukommt.
Wer "Die Lily-Evans-Weihnachtswette" gelesen hat, kann Regulus' Freundin El gerne als Eloise oder Alissa oder eine Mischung von beiden sehen. Ich hab bei den Hauselfen ja schonmal gesagt, dass die Geschichten natürlich nicht im selben Universum beheimatet sind, aber wer neugierig ist, was für eine Beziehung Regulus und El hatten - ich stelle sie mir ungefähr so vor, wie da.
(Wer die Geschichte nicht kennt, sollte sie auschecken, wenn ihr eine Geschichte mit Regulus' als Hauptcharakter lesen wollt!)
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