19| Knistern, Käsetoasts, Sinneswandel und Familienverhältnisse
Am nächsten Morgen öffnete ich völlig übermüdet meine Augen und stieß einen leisen Seufzer aus. Die Nacht war aus mehreren Gründen ziemlich anstrengend gewesen und ich wollte mich am liebsten in meinem Schlafsack verstecken, mich totstellen und einfach weiterschlafen. Als ich gerade schon wieder halb eingedöst war, spürte ich eine leichte Berührung an meiner Schulter. Beleidigungen nuschelnd drehte ich mich in die Richtung, aus der die Berührung gekommen war und blickte in Elians warme Augen. Sofort verstummte ich, konnte mir aber ein mürrisches "Wer stört meinen heiligen Schlaf?" nicht verkneifen. Der Boxer lachte auf und kletterte schließlich aus seinem Schlafsack. "Komm schon, Alex. Irgendwann musst du sowieso aufstehen. Also lieber früher, dafür mit weniger Stress, als andersherum." "Wie kannst du nur so ausgeschlafen sein nach so einer Nacht?" "Tja, das wird wohl auf ewig ein Geheimnis bleiben", grinste er vergnügt und ich schüttelte über die überdrehte Fröhlichkeit meines Gegenübers den Kopf.
Unter Protest schälte ich mich dann allerdings doch aus meinem Schlafsack und setzte mich Elian gegenüber. Er streckte seinen Arm wie in Zeitlupe aus und streichelte meine Wange, was ich so sehr genoss, dass ich mein Gesicht in seine Hand lehnte. Dann kroch ich ein Stück näher zu ihm heran und legte zuerst etwas zögerlich meine Lippen auf seine. Er zog mich auf seinen Schoß und wir saßen nun genauso wie in der Nacht, als er mich nach meinem Alptraum getröstet hatte. Ich fuhr mit den Fingern durch seine vom Schlaf völlig zerzausten Haare, während wir uns weiter küssten. Als sich unsere Lippen allmählich wieder voneinander lösten, merkte ich erst, dass er die ganze Zeit mit seiner Hand über meinen Oberschenkel strich und ich schloss die Augen, um seine Zärtlichkeiten besser spüren zu können. Völlig unwillkürlich ließ ich meine Finger seinen Nacken entlang wandern und genoss das sanfte Knistern, das zwischen uns in der Luft lag.
Plötzlich hörte ich einige Schritte und Philips viel zu laute Stimme, die uns mit den Worten "Kommt schon, ihr Schlafmützen. Es wird ja auch nicht früher!" daran erinnerte, dass es doch langsam Zeit war, aufzustehen. Elian antwortete genervt: "Wir kommen gleich." und ich rutschte von seinem Schoß, ehe ich aufstand und mir neue Kleidung suchte. Mir kam der Gedanke in den Kopf, dass wir dringend unsere Sachen waschen mussten und ich hoffte inständig, dass wir am Ende unserer heutigen Strecke in einen Ort kamen, in dem es so etwas wie einen Waschsalon gab. Eilig zog ich mich an und drehte mich dann zu Elian um, der gerade noch mit seinen Socken kämpfte. Bevor wir das Zelt verließen, zog ich ihn noch einmal kurz an mich heran und gab ihm einen letzten Kuss, den er lächelnd erwiderte.
Draußen warteten bereits Sara und Philip und dem mürrischen Blick des Journalisten zu urteilen hatte er entweder Hunger oder ihm war eine andere Laus über die Leber gelaufen. "Na endlich. I am hungry and Philip is too. Noch eine Stunde länger und ich verhungere noch", maulte Sara und ich schüttelte nur den Kopf. "Wo kann man denn jetzt etwas zu essen herbekommen?", fragte der Boxer und ich antwortete etwas unüberlegt: "Also der Burger King, wo wir gestern Abend wa-. Äh, ich meine, wo-" Scheiße, da hatte ich mich ja schön in etwas reingeritten. Und wie rettete ich das jetzt am besten? "Also, ich habe auf der Karte geschaut und ein paar hundert Meter weiter ist eine Autobahnraststätte mit einem Burger King. Das Problem ist, dass der erst um zwölf Uhr öffnet und die in ihrem Menü auch kein wirkliches Frühstück haben", setzte ich erneut an und anscheinend hatte auch niemand ein sonderliches Interesse daran, meinen Versprecher mit einem blöden Kommentar zu quittieren. "Hat McDonalds nicht früh auf?", warf Philip ein und Elian nickte. "Dann lasst uns schnell die Zelte abbauen, damit wir uns die Bäuche gehörig vollschlagen können", schlug ich vor, was mit einem einstimmigen Nicken aufgenommen wurde.
Nachdem wir unsere Sachen gepackt hatten, machten wir uns auf den Weg zu unserem Frühstück. Das Fast-Food Restaurant lag im nächsten Ort, also nur ungefähr eine halbe Stunde entfernt. Wir bestellten uns alle Buttercrossaints und Käsetoasts und Elian und ich besorgten uns zusätzlich noch einen großen Kaffee, denn zumindest konnte wegen meines übernächtigten Zustandes dringend einen gebrauchen. Die anderen gaben sich mit einem Orangensaft zufrieden und wir suchten uns einen freien Platz. Elian und ich setzten uns auf die eine Seite des Tisches und Philip und Sara auf die andere Seite, während die Tagebuchschreiberin vergeblich versuchte, die Orangensaftflasche zu öffnen. Philip nahm sie ihr lachend aus der Hand und schraubte den Deckel innerhalb eines Sekundenbruchteils mit einem Zischen vom Flaschenhals. Sie schaute ihn nur genervt an, nahm ihm die Flasche wieder aus der Hand und schüttete sich etwas von der orangenen Brühe ein. Ich nippte währenddessen an meinem Kaffee und ich konnte förmlich spüren, wie die Müdigkeit sich verflüchtigte. Danach schlangen wir unser Frühstück hinunter und unterhielten uns währenddessen über den bevorstehenden Tag. Wir einigten uns darauf, unsere Wäsche zu waschen und erst dann fiel uns so wirklich auf, dass wir schon seit sieben Tagen unterwegs waren und die Hälfte unserer geplanten Reisezeit bereits hinter uns lag. Dann warf der Boxer ein: "Sollten wir nicht schon mal schauen, wo wir heute überhaupt hinmüssen?" Ich nickte und zog mein Handy hervor, um auf der Karte nachzuschauen. "Also, so wie es aussieht, würden wir heute wieder an einen Campingplatz ankommen. Und ich hätte zumindest nichts dagegen, wenn wir dort übernachten könnten, weil wir dort dann auch direkt die Sache mit der Wäsche geklärt hätten", erklärte ich. "Klingt nach einer guten Idee", stimmte Sara mir zu und die Jungs schlossen sich mit einem Nicken ebenfalls an.
Nachdem wir schon eine Weile unterwegs waren, klingelte plötzlich mein Handy. "Mich ruft nie jemand an", nörgelte Philip, bevor ich den Anruf annehmen konnte. Ich rollte nur mit den Augen und nahm ab. Am anderen Ende meldete sich eine mir sehr wohl bekannte Stimme: "Na, Liebes? Ich habe schon verdammt lange nichts mehr von dir gehört. Was machen die Mörder und Vergewaltiger?" Ich lachte auf, ehe ich antwortete: "Alena! Schön, mal wieder was von dir zu hören. Ich weiß, seit meiner Abfahrt haben wir nicht mehr miteinander telefoniert, aber glaube mir, ich wollte dich heute anrufen. Und die Mörder und Vergewaltiger sind einfach nur ganz normale Studis, du brauchst dir keine Sorgen machen." Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Elian irritiert die Augenbraue hob. "Da bin ich aber beruhigt, ich will doch, dass du heil und lebendig wieder zurückkommst. Ach, und sag mir Bescheid, wenn da mit jemandem was laufen sollte, ich will jedes kleinste Detail hören. Stell dir mal vor, das muss doch voll abenteuerlich sein, so im Zelt nebeneinander einschlafen!", rief sie plötzlich am anderen Ende der Leitung und ich seufzte gespielt theatralisch. "Du bist wirklich unmöglich!" Doch ein kleines Lächeln konnte ich mir doch nicht verkneifen. "Lass uns doch heute Abend in Ruhe weiter telefonieren. Ich bin nur gerade mitten in der Pampa und würde heute Abend gerne noch an einem Campingplatz ankommen und da gibt es laut Auskunft sogar freies WLan, also dürfte das ganze dann auch etwas billiger sein", warf ich ein. Ich war wirklich froh, etwas von Alena zu hören, aber wenn sie erst einmal anfing, über Typen zu schwärmen und mich dazu zu drängen versuchte, über mein Privatleben auszupacken, wurde es sehr schnell sehr anstrengend. "Ach, ich glaube, das müssen wir gar nicht. Ich wollte sowieso nur mal hören, ob du noch unter den Lebenden weilst. Wir sprechen uns sicherlich noch mal, sonst sehen wir uns sicherlich auch bald wieder. Mach's gut, Liebes!" Mit diesen Worten legte sie auf und ich stand etwas verdutzt irgendwo im Nirgendwo und starrte auf das Display meines Handys. So schnell hatte sie noch nie ein Telefonat beendet und erst recht hätte sie sich nicht davon abhalten lassen, einige Stunden später noch einmal anzurufen. Vielleicht hatte sie in den letzten Tagen aber auch einfach einen Sinneswandel hingelegt, wer wusste das schon, mir sollte es jedenfalls recht sein.
Als ich mich wieder zu den anderen gesellte, die in der Zwischenzeit einige Meter weiter gegangen waren, fragte Elian immer noch etwas verwirrt: "Was ist mit Mördern und Vergewaltigern?" "Ach, eine Freundin von mir hat angerufen und hat mich vor meiner Abreise davor gewarnt, dass ihr ja genauso gut Mörder und Vergewaltiger sein könntet, aber das konnte ich ihr gerade erfolgreich ausreden", antwortete ich und wir gingen weiter unserem Ziel, dem Campingplatz, entgegen.
Zwischenzeitlich hatten Sara und ich wieder die Möglichkeit, miteinander zu reden und das erste, was sie fragte, war: "Na, sind Elian und du schon zusammen?" Ich hatte wenig Lust darauf hatte, mir alle möglichen Fragen von ihr anzuhören, schüttelte ich nur den Kopf und wurde prompt mit den Worten "Oh, that's sad. I wished you would get happy with each other. Ihr passt einfach so gut zusammen." beworfen. Ich zuckte nur mit den Schultern, um dem Gespräch auszuweichen, denn wenn sie noch mehr Fragen stellen würde, würde sicherlich irgendwann der Punkt kommen, an dem ich mich in Lügen verstrickte. Obwohl ich ehrlicherweise zugeben musste, dass ich noch nicht behaupten konnte, mit dem Boxer zusammen zu sein. Schließlich wusste ich selbst nicht so genau, was das zwischen uns eigentlich war und vielleicht wusste er es genauso wenig. Zum Glück ließ sie mich tatsächlich mit dem Thema in Ruhe, obwohl ich ihr ansehen konnte, dass sie mich am liebsten mit Fragen gelöchert hätte.
Nach ungefähr sechs bis sieben Stunden kamen wir an unserem Ziel an. Auf dem Weg dorthin hatten wir uns mindestens zwei Mal verlaufen, es hatte mitten auf der Strecke zu regnen angefangen und zum Mittagessen hatte es wieder nur Fastfood gegeben, obwohl wir schon froh sein konnten, dass es irgendwo zwischen zwei kleinen Orten überhaupt eine Bude gegeben hatte. Aber allmählich gaben auch die Jungs zu, dass das immer gleiche Essen ihnen zum Hals raushing. Wir würden uns sicher mächtig freuen, wenn wir wieder für uns selbst kochen konnten.
Wir mieteten uns einen Platz für unsere Zelte und als wir gerade dabei waren, unsere Habseligkeiten zu dem uns zugewiesenen Platz zu tragen, merkte ich erst, wie viel Glück wir auf unserer Reise bis jetzt schon gehabt hatten. Bis auf einige Wetterschwankungen war eigentlich alles glatt gelaufen und niemand hatte sich ernsthaft verletzt, zerstritten oder sonstiges. Also konnte mal wohl sagen, dass der Trip bis jetzt ein voller Erfolg war und alleine dieser Gedanke zauberte mir ein Lächeln aufs Gesicht. "Wo schaust du denn so verträumt hin?", riss mich Philip aus meinen Gedanken. Ich sah ihn an und erkannte ein schelmisches Grinsen auf seinem Gesicht, während er, ohne eine Antwort abzuwarten, weitersprach: "Also dein Angebeteter steht da drüben", grinste er und deutete auf Elian, der gerade damit beschäftigt war, den Gaskocher aus seinem Rucksack zu holen. Erst erschrak ich, denn ich hatte kurz Angst, der Boxer hätte dem Journalisten von uns erzählt, doch dann fiel mir wieder ein, dass das Großmaul es sich schon seitdem wir unsere Reise angetreten hatten, nicht hatte nehmen lassen, uns aufzuziehen. Also schickte ich ihn mit einer Handbewegung weg und widmete mich wieder meinem Rucksack.
Noch vor dem Abendessen trugen wir unsere Wäsche zu den Waschräumen und alleine bei dem Gedanken an saubere Wäsche freute ich mich schon wie ein Honigkuchenpferd. Zum Glück war es nicht so sonderlich voll und wir konnten unsere dreckigen Sachen in eine Waschmaschine laden. Der einzige mit einem weißen Kleidungsstück war Philip und der würde wohl oder übel danach mit einem bunten Shirt leben müssen, denn so viele Waschmaschinen gab es dann doch nicht, als dass man nach Farben getrennt hätte waschen können.
Beim Abendessen unterhielten wir uns angeregt, bis mir eine interessante Frage in den Sinn kam: "Warum ruft euch eigentlich keiner an? Ich fühle mich immer so, als hätte ich eine Großfamilie, weil mein Handy dauernd klingelt." "Meine Eltern sind gerade ziemlich mit sich beschäftigt und ich habe ihnen auch gesagt, dass ich gerne Zeit für mich hätte und nicht so gerne möchte, dass sie sich melden. Ich wollte mein anderes Leben einfach mal völlig hinter mir lassen und es hier ganz ruhig angehen lassen", erklärte Elian und seine Worten klangen nachvollziehbar. Ich war ja auch eigentlich nur hier hin geflohen, aber ich vermisste Familie und Freunde dann doch so sehr, dass ich mir ein Telefonat ab und zu doch nicht verkneifen konnte. Sara fügte hinzu: "Mein Vater telefoniert eigentlich nie, er mag das nicht so sonderlich und er arbeitet viel, weil er für uns beide das Geld verdienen muss. Da ich mit meinem Nebenjob nur sehr wenig Geld verdiene, muss er mein Studium mit finanzieren und gleichzeitig noch für sich sorgen und da bleibt wenig Zeit und die will er dann nicht gerade mit telefonieren verbringen." "Du hast gerade einwandfrei deutsch gesprochen, ich bin stolz auf dich", scherzte der Journalist und bekam von ihr einen Klaps auf die Schulter. "Die Reise scheint tatsächlich etwas zu bewirken, ich habe nicht mehr das Bedürfnis, viel Englisch zu sprechen." "Ist dein Vater alleinerziehend?", lenkte Elian das Gespräch wieder in die richtige Richtung. "Ja, meine Mutter hat ihn vor zehn Jahren verlassen und seitdem muss er uns beide mit einem nicht gerade toll bezahlten Vollzeitjob über Wasser halten. Wir leben nicht in wirklich armen Verhältnissen, aber reich sind wir sicherlich nicht", antwortete sie. "Und ich bin der Älteste von fünf Geschwistern und meine Eltern haben gerade wahrscheinlich genug damit zu tun, auf die anderen vier aufzupassen. Und meinen Geschwistern ist es wahrscheinlich relativ egal, wer auf sie aufpasst. Hauptsache, jemand tut es. Und deswegen ruft mich keiner an", hakte Philip ein und das war so ziemlich das erste Mal, dass ich ihn in ernst erlebte.
Als ich gerade fragen wollte, ob denn niemand von ihnen Freunde hatte, die sie vermissten, hörte ich eine bekannte Stimme hinter mir: "Ach, euch kenne ich doch irgendwo her."
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