꧁25꧂
Wir fahren mit dem Mietwagen durch die Straßen von Woodhill. Erinnerungen steigen in mir auf. Positive wie auch Negative. War es eine gute Idee ihn mitzunehmen? Henry ist ungewöhnlich ruhig. Seitdem wir ins Auto gestiegen sind, liegt eine Spannung zwischen uns, die zu zerreißen droht.
Wir fahren eine kleine Auffahrt hinauf und vor einem weißen Haus mit Vorgarten kommen wir zum Stehen. Das Haus befindet sich auf der linken Straßenseiten, geschmückt mit Blumenbeeten und einer gepflegten Hecke. Mom verbrachte schon früher den Großteil ihrer Freizeit im Garten. Sie fand immer eine Sache, die nicht perfekt aussah. Bilder, wie ich als Kind mit Ella durch die Nachbarschaft gelaufen bin um Feen einzufangen, steigen in mir auf.
„Hier bist du aufgewachsen?" Überrascht von dem plötzlichen Gespräch, drehe ich mich zu Henry um.
„Ja." Eine unangenehme Stille breitet sich aus. Ob's an meiner Szene am Flughafen liegt oder weil Henry gleich meiner Familie gegenüberstehen wird, weiß ich nicht so genau.
„Wie fühlt es sich an, nach so langer Zeit wieder in deiner Heimat zu sein?" Spätestens jetzt kann ich den Blick nicht mehr von ihm halten. Er sieht mich verständnisvoll an.
„Es ist ungewohnt, aber ich freue mich meine Familie endlich wiederzusehen."
„Du schaffst das. Lass uns gehen", sagt Henry. Mein Nicken veranlasst ihn auszusteigen. Da wir eh morgen Abend wieder abreisen, weil am Montag die Kurse normal stattfinden, sind wir nur mit Rucksack und Tasche gereist.
Sobald Henry neben mir steht, atme ich tief durch und wir gehen Richtung Haustür. Auf der kleinen Veranda steht eine Hollywood Schaukel, in der ich im Sommer bis in die Nacht hinein gelesen habe, eingekuschelt zwischen Decken und Kissen.
Ich drücke auf die Klingel. Kaum Fünf Sekunden später höre ich von drinnen gepolter und verschiedene Stimmen.
Ruckartig geht die Tür auf und ich habe Angst, dass sie aus den Angeln reißt. Stattdessen schließt mich Mom in die Arme und ich habe Probleme zu atmen.
„Schön dich zu sehen Mom, aber ich bekomme keine Luft mehr", sage ich kurzatmig, doch man hört mir an, wie glücklich ich in diesem Moment bin.
„Alles gute zum Geburtstag." Sie löst die Arme und bringt etwas Abstand zwischen uns um mich zu mustern.
„Danke Schatz, ich habe dich vermisst", sagt sie. Ihre köterblonden Haare fallen wie immer auf ihre Schultern. Während meiner Abwesenheit haben sich etwas mehr Falten in ihrem Gesicht gesammelt. Der für sie so typische Geruch von Pfirsich steigt mir in die Nase und ich fühle mich augenblicklich wohl. Sie trägt dem Anlass entsprechend ein Olivgrünes Kleid, welches bis kurz über die Knie reicht. Der Saum ist mit weißer Spitze bestickt und kleine Edelsteine umrahmen ihr fülliges Dekolleté.
Hinter Mom kommt Dad zum Vorschein. Mit seinen 1.90 ist er mindestens Zweieinhalb Köpfe größer als Mom.
Dad drängt sich an Mom vorbei „Du bist aber erwachsen geworden, Prinzessin. Habe ich dir nicht gestern erst die Windeln gewechselt?" Das ist typisch Dad. Er weiß nie, wann es besser ist den Mund zu halten.
„Dad!", rufe ich empört. Auf meinem Gesicht breitet sich trotzdem ein Strahlen aus. Ich kann es nicht zurückdrängen, will es auch gar nicht. „Ich freue mich auch euch endlich wiederzusehen." Ich blicke mich in der Wohnung um, kann aber nicht finden, wonach ich suche. „Wo ist Hank?"
„Hank ist Einkaufen gefahren. Um Vier Uhr kommen die Gäste und bis dahin müssen wir noch Snacks zubereiten." Ein Blick auf die Wanduhr verrät mir, dass es bereits Zwölf Uhr ist. Unser Flug ging sehr früh, damit wir mehr Zeit in Woodhill verbringen können.
„Nun stelle uns doch endlich deine Begleitung vor." Moms Stimme klingt erfreut. Sie ist die positivste Person, die ich kenne.
„Mom, Dad, das ist Henry. Henry, das sind meine Eltern Lilly und Philip."
„Schön sie endlich persönlich kennzulernen." Er streckt seine Hand aus. „Und alles Gute zum Geburtstag Mrs. Cooper."
Anstatt Henrys Hand anzunehmen, schließt meine Mutter ihn in die Arme. „Nenne mich bitte einfach Lilly." Falls Henry von Moms Attacke überrascht ist, kann er es gut verstecken. Sobald Mom sich von ihm gelöst hat, begrüßt auch Dad meine Begleitung.
Anschließend gehen wir ins Wohnzimmer. Ich bemerke, wie Henrys Blick sofort das Klavier visiert und seine Mundwinkel nach oben wandern.
„Es hat sich, seitdem ich nach Princeton gegangen bin, nicht viel verändert.", stelle ich überraschend fest. Selbst die Deko ist dieselbe.
Dad wendet sich an mich. „Schatz, so lange bist du auch noch nicht ausgezogen."
„Stimmt auch wieder." Wir stellen unser Reisegepäck im Flur ab und setzen uns zu meinen Eltern aufs Sofa. Henry sitzt so dicht neben mir, dass ich seine Körperwärme deutlich wahrnehme. Ihn hier in meinem Elternhaus zu wissen... gefällt mir komischerweise. Ich räuspere mich und wende mich meinen Eltern zu.
„Wie geht es euch?", frage ich.
„Bei uns ist alles wie beim Alten. Hank kommt uns seitdem er mit seiner Freundin Schluss gemacht hat öfter besuchen. Dein Vater und ich verbringen die meiste Zeit im Garten oder ich male." Dad ist ein begabter Handwerker, seitdem ich auf der Welt bin, kenne ich ihn nicht ohne Werkzeug in der Hand. Vor Drei Jahren hat er einen Schuppen gebaut und letztes Jahr hat er selbstständig unser Haus renoviert. Viele Spielzeuge meiner Kindheit sind selbstgebaute Teile von Dad.
Mom ist eine leidenschaftliche Malerin. Ihre Bilder verkauft sie am Wochenende auf dem Markt, um etwas Kleingeld zu verdienen.
„Wie schön. Was ist für heute Abend geplant?", frage ich, denn bisher war Mom sehr sparsam mit Informationen über ihren Geburtstag.
„Die Gäste kommen um Vier." Dank der Sommerzeit ist es bis Abends um Elf hell und warm. „Dein Vater wird den Grill anschmeißen, Rudy und Chris helfen ihm dabei." Rudy und Chris sind Freunde meiner Eltern, mit denen ich mich gut verstehe. Rudy hat vor Zwei Jahren seinen Mann geheiratet. Es kam überraschend, wir dachten immer, er stünde auf Frauen, doch ich habe ihn noch nie so Glücklich gesehen, wie an der Seite seines Ehemannes.
„Für die Kinde machen wir ein Lagerfeuer. Sie können Marshmallows braten und die Älteren natürlich auch. Den Rest liefert der Caterer. Dein Bruder kümmert sich um die Snacks."
Henry, der bisher relativ ruhig neben mir saß, meldet sich zu Wort. „Wie können wir helfen?"
„Eigentlich sind alle Vorkehrungen getroffen. Ayleen kann ihrem Bruder nachher mit den Snacks helfen und ich zeige dir unseren Garten.", sagt Mom.
„Perfekt. Lee hat mir nur Gutes über euren Garten erzählt. Wie schaffst du es, ihn so gepflegt aussehen zu lassen?", fragt Henry, wahrscheinlich um ins Gespräch zu kommen.
Oh Oh. Er hat sich soeben selber ins Bein geschossen. Wenn Mom erstmal anfängt über Blumen und Pflanzen zu sprechen, kann sie niemand - wirklich niemand - stoppen. Es könnte ein Erdbeben auftreten, trotzdem hält es sie nicht ab.
Mom zieht ihn in die Richtung des Gartens. Henry schaut mich über die Schulter hilfesuchend an und ich kann ihm nur einen mitleidigen Blick schenken. Ihm reicht es jedoch, denn seine Schultern entspannen sich augenblicklich.
Sobald sie im Garten verschwunden sind, legt Dad seine Hand auf meine Schulter. „Er scheint ein netter Mann zu sein, Prinzessin." Wenn er wüsste, was nett für eine Untertreibung ist.
„Er ist tatsächlich einer von den Guten."
„Ist er dein Freund? Also dein fester Freund?", fragt mich mein Vater vorsichtig.
Ich verschlicke mich fast an meiner eigenen Spucke. „Nein!"
Dad lacht. „Warum kam deine Antwort dann so plötzlich?" Ich weiß nicht, wie ich mich da wieder rausreden kann.
„Wir sind nicht zusammen, Dad. Ich möchte und brauche keinen Freund. Diesen Schmerz und Stress kann ich mir sparen."
Seine Augen ziehen sich nachdenklich zusammen. „Das was mit Kolder passiert ist... war schrecklich, Prinzessin und ich wünsche niemandem so behandelt zu werden. Aber möchtest du bis zum Rest deines Lebens auf das beste verzichten? Auf die Liebe?"
Ich schweige weil ich keine Antwort weiß, Dad redet einfach weiter. „Ich meinte es Ernst als ich gesagt habe, dass er auf mich anständig wirkt. Lass Kolder nicht deine Vergangenheit und Zukunft bestimmen."
Seine Worte sind wahr. Kolder beeinflusst mich immer noch zu viel.
„Ich..."
„Stinkstiefel. Wie habe ich dich vermisst." Hank schlingt seine Arme von hinten um meine Taille und hebt mich hoch. Ein spitzer Schrei entfährt mir.
„Lass mich runter du Hulk." Sobald ich wieder festen Boden unter den Füßen habe, drehe ich mich zu meinem älteren Bruder um.
Wow. Ich dachte, noch breiter könnte ein Mensch nicht werden. Naja Ausnahmen bestätigen die Regel. „Lebst du im Fitnessstudio?"
Er gibt ein amüsiertes Schnauben von sich. „So würde ich es nicht unbedingt nennen aber ich verbringe viel Zeit im Gym." Das sieht man.
Nach einigen Minuten kommen Mom und Henry lachend in die Wohnstube zu uns. Wir machen es uns auf der Couch gemütlich und plaudern.
Henrys Schüchternheit ist wie verflogen. Mom und er sind schon in Princeton zu Freunden geworden, doch er versteht sich auch mit Hank bestens. Sie teilen beide die Leidenschaft fürs Klavier spielen, weshalb sie sich ein Art Battle liefern. Meine Familie so entspannt zu erleben macht mich glücklich. Soeben fällt mir auf, wie sehr ich sie vermisst habe.
Beim aufräumen der Gläser tritt Mom zu Henry und mir. „Die Gäste kommen erst in Zwei Stunden. Zeige doch bis dahin Henry die Stadt. Die restlichen Vorkehrungen schaffen wir locker zu dritt."
„Bist du sicher, dass ihr keine Hilfe braucht?", frage ich.
„Natürlich, Schatz. Geht nur."
Henry hat unser Gespräch verfolgt und nickt mir zu. „Ich würde mich freuen, mehr von Woodhill kennenzulernen."
Ich überrasche mich selber, als ich nach seiner Hand greife und ihn zum Auto ziehe. „Na dann los, wir haben nicht viel Zeit."
Beim rausgehen höre ich, wie Mom glücklich seufzt.
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