Kapitel 27 - Vorgewarnt
Vorgewarnt
So wie dieses neue Jahr begann, war ich fest entschlossen, mich nicht mehr von Suga, den seltsamen Ideen die er in meinen Kopf pflanzte, oder gar mich selbst aufhalten zu lassen. Dieses Trauerspiel musste ein Ende haben und wenn ich dafür zu außergewöhnlichen Mitteln greifen musste – nun, dann war das eben so! Ich suchte einen Juwelier auf, kaufte mir eine Silberkette mit einem Kreuzanhänger, mit der Absicht, das ganze Schmuckstück in der Kirche in das Weihwasserbecken zu tauchen. Ich wusste nicht, ob das was brachte, fand aber die Idee beruhigend. Nach dem Juwelier drückte ich mich eine ganze Weile in einem Shop für Jagdbedarf herum, was mir absolut peinlich war, bevor ich mir tatsächlich ein Messer kaufte. Ich nehme an, dem Verkäufer war sofort klar, dass ich kein versierter Jäger war, er verkaufte mir die Waffe trotzdem.
Wieder auf der Straße musste ich jedoch feststellen, dass ich mich mit dem Messer in meiner Jackentasche kein bisschen wohler fühlte und auch nicht sicherer. Im Gegenteil, ich war fest davon überzeugt, dass mir jeder entgegenkommende Passant ansehen konnte, was ich in der Tasche hatte und schloss die Finger krampfhaft um den Griff.
Am schlimmsten war allerdings das Licht. Die Sonne brach durch die Wolkendecke und das Licht schien mir plötzlich so grell, dass meine Augen tränten. Ich konnte kaum ein paar Meter weit sehen und blieb, wenn möglich, im Schatten von Dächern und Arkaden. Die Übelkeit nahm auch wieder zu und meine Kopfschmerzen setzten erneut ein. Obwohl ich nicht kleinbeigeben wollte, machte die ganze Situation mir relativ rasch klar, dass ich in diesem Zustand kaum etwas ausrichten und sicher auch nicht klar denken konnte, also brach ich meine Tour vorerst ab und wollte wieder nachhause.
Ich war nur noch eine Querstraße von meiner Wohnung entfernt, als Suga plötzlich vor mir stand. Mit einem spitzen Aufschrei sprang ich zur Seite, fiel dabei beinahe über meine eigenen Füße und setzte gleich zu einem weiteren panischen Kreischen an, als er die Hand nach mir ausstreckte.
„Tae...", sagte er dabei, wollte mich vielleicht tatsächlich nur auffangen, aber die Geste erschreckte mich genug, dass er wohl verstand, was passieren würde und die Hand rasch zurückzog.
„Nein!", stieß ich trotzdem hervor. Ich wich rückwärts aus, manövrierte mich dabei in eine schlechte Position, da ich mich in eine kleine Gasse geschoben hatte und wusste nicht, wie ich ihn aufhalten sollte, denn Suga folgte mir immer noch.
„Bitte, ich möchte nur mit dir reden."
„Ich weiß, was du bist", fauchte ich ihn an. „Halt dich von mir fern!"
Suga seufzte. „Und was bin ich?", raunte er dumpf. „Sprich es aus, vielleicht können wir dann endlich vernünftig reden."
Dagegen wiederum sträubte sich alles in mir, also presste ich nur die Lippen zusammen und wich noch ein Stück vor ihm zurück. Als er jedoch näherkam und ich rückwärts gegen eine Hauswand stieß, fummelte ich rasch die Kette unter meinem Hemdkragen hervor.
„Bleib weg von mir", zischte ich und umklammerte das Kreuz.
Aber gerade schien es, als hätte mir Suga gar nicht zugehört. Interessiert beugte er sich vor, griff dann nach der Kette, so dass ich die Hand zurückzog, nur um ihn nicht zu berühren, während Suga leise raunte.
„Mhm", machte er. „Sehr hübsch. So ähnlich wie meine." Damit zog er eine Kette unter seinem Hemd hervor, an deren Ende ebenfalls ein Kreuz baumelte. Er grinste und mir fiel wieder ein, dass ich eben jene Kette bereits bei unserem ersten Treffen gesehen hatte. Verdammt. Ich fühlte mich ziemlich dumm, sah weg und presste mich gegen die Mauer in meinem Rücken.
„Ach komm schon, Tae", murmelte Suga. „Du wolltest mich nicht wirklich mit einem Silberkreuz aufhalten, oder? Hältst du mich für einen Werwolf? Mal abgesehen davon, dass Silberschmuck da auch nicht mehr viel helfen würde. Hast du auch noch Knoblauch in deinen Taschen, oder einen Holz-"
Noch während er sprach hatte ich das Springmesser aus der Tasche gezogen und ihm ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken in die Brust gerammt.
Zuerst stieß er einen dumpfen Laut aus und ich erstarrte in stillem Entsetzen, zum einen, weil ich es überhaupt getan hatte, zum anderen, weil ich nicht wusste, was jetzt geschehen würde. Dem unterdrückten Raunen folgte nun jedoch ein leises und äußerst vorwurfsvolles: „Au!" und mir wurde ganz anders.
Sekundenlang starrte Suga auf den Messergriff, der aus seiner Brust ragte, dann blickte er mich an und machte dabei ein so pikiertes Gesicht, dass es womöglich erheiternd gewesen wäre, wenn ich nicht so Angst bekommen hätte. Er hatte ein Messer in der Brust stecken und stand da, mit so missbilligender Miene, dass man hätte meinen können, ich hätte ihm lediglich einen Kaffee über seinen Kaschmirpullover gekippt.
„Bist du eigentlich völlig verrückt?", raunte er dann und zog das Messer langsam heraus. Mit spitzen Fingern hielt er es am Griff von sich, die Klinge war rot, einige Bluttropfen lösten sich und fielen auf das Pflaster. Mit der anderen Hand untersuchte er sein kaputtes Hemd und wohl auch die Verletzung, die jedoch scheinbar nicht der Rede wert war.
„Erstens", knurrte er jetzt, „hast du mein Herz verfehlt, okay? Also... wenn das deine Absicht war. Nächstes Mal etwas tiefer und weiter links. Hätte aber auch nichts gebracht, das nur als Hinweis nebenbei, aber zweitens war das Hemd echt teuer und jetzt kann ich es in den Müll werfen. Und drittens: Hast du darüber nachgedacht, was gewesen wäre, wenn uns irgendjemand beobachtet hätte? Willst du in den Knast? Du kannst doch nicht auf offener Straße mit einem Messer auf andere losgehen!"
Ich brachte kein Wort heraus. Ich hatte auf ihn eingestochen und er wies mich zurecht wie einen Schuljungen. Konnte er nicht einfach zu Asche zerfallen?
„Willst du tatsächlich so dringend mein Dasein beenden?" murrte er jetzt fast beleidigt. „Dann empfehle ich dir Feuer, ein richtig großes Feuer – Benzin und Feuer in Kombination, wenn du sicher sein willst. Oder eine Machete vielleicht – etwas Großes und Scharfes, um meinen Kopf abzutrennen. Such dir aus, was mehr nach deinem Geschmack ist, aber bitte, keine Holzpflöcke, Messer oder geweihter Silberschmuck. Ich weiß, dass das Internet jede Menge Tipps ausspuckt, aber wir sind hier nicht in einer dieser romantischen Teenager-Horrorkomödien, glaub mir, ich weiß wovon ich spreche."
Während er redete, wurde meine Angst nicht weniger und auch meine Sprache kehrte nicht zurück, also konnte ich ihn nur anstarren und den Kopf schütteln. Warum war er immer noch hier? Warum war ich noch hier. Und das Einzige, was ich am Ende tatsächlich krächzend hervorwürgen konnte, war: „Warum?"
Suga runzelte die Stirn, klappte das Messer ein und reichte es mir zurück. „Warum was?"
Mechanisch griff ich danach und steckte es tatsächlich ein, auch wenn es mich dabei schauderte.
„Du bist-" Nein, ich brachte es einfach nicht heraus und schon gar nicht, wo er mich jetzt wieder so aufmerksam und abwartend ansah. Ein feines Lächeln spielte um seine Mundwinkel, welches wieder verschwand, als klar wurde, dass ich nichts weiter sagen würde.
Suga seufzte hörbar. „Also das ist jetzt wirklich unschön, Taehyung", murmelte er vor sich hin. „Ich hätte erwartet, dass wir uns – wenn du dich erst etwas beruhigt hast – unterhalten können. Ich meine, du hast dich offenbar informiert, du hast die Möglichkeit, dass ich real bin, längst zugelassen, also, warum können wir nicht wie vernünftige-"
„Beruhigt?!" Mit beiden Händen stieß ich ihn vor die Brust, sodass er überrascht einen Schritt zurücktaumelte, befreite mich rasch aus meiner misslichen Lage und trat von der Wand weg. „Wie soll ich mich beruhigen, wenn du..." Ich hatte keine Ahnung wie der Satz enden sollte: Nicht tot bist? Vielleicht. Stattdessen zischte ich: „Was willst du von mir?"
Erst als ich die Worte ausgesprochen hatte und Sugas breites Grinsen sah, wurde mir klar, dass ich die Antwort lieber nicht wissen wollte. Wollte er mich töten? War ich vielleicht sein Mittagessen? Ich wich vor ihm zurück und Suga folgte mir langsam.
„Habe ich dir schon mal gesagt, dass man in deinem Gesicht lesen kann, wie in einem Buch? Denkst du wirklich, ich würde dich hier auf offener Straße anfallen? Für wie ungehobelt hältst du mich? Denkst du, ich hätte gar keine Manieren?" Er wurde wieder ernst. „Ich bin hier, um dich zu warnen. Du bist in Gefahr, Tae."
Also das war ja wohl der beste Witz von allen. Ich blieb stehen und richtete mich auf.
„Danke", zischte ich ihn an. „Ich habe all deine Warnungen verinnerlicht. Ein paar davon sind immer noch zu sehen." Damit drehte ich mich abrupt um und wollte davoneilen, doch wieder folgte mir Sugas Stimme.
„Vorsicht. Wenn du zu laufen beginnst, könntest du aus Versehen meinen Jagdtrieb wecken. Das willst du doch nicht, oder?"
Tatsächlich blieb ich stehen und drehte mich halb zu ihm um. Zugegeben, ich war verunsichert. Ich hatte alles Mögliche im Internet gelesen und so ziemlich alles davon hatte sich als unwahr herausgestellt. Was, wenn das, was er sagte, also der Wahrheit entsprach? Vielleicht gab es tatsächlich so etwas wie einen Jagdtrieb unter- Nein, ich weigerte mich immer noch, ihm einen Namen zu geben.
„Was willst du?", fauchte ich ihn also an.
Suga kam ein paar Schritte näher, blieb jedoch stehen, als er so nah war, dass ich erneut vor ihm zurückzuweichen begann.
„Ich will mit dir reden", sagte er leise und sehr ruhig. „Ich will dir erklären, was geschehen ist."
„Ich weiß, was geschehen ist", fauchte ich erneut. „Du hast mich... gebissen." Das letzte Wort war so leise, dass es niemand, der zufällig vorbeiging, hören konnte.
Zum ersten Mal wich Suga meinem Blick aus. „Ja", raunte er dumpf. „Und das tut mir leid. Ich habe-" Mittendrin brach er ab, hob plötzlich den Kopf und sah sich um, bevor sein unruhiger Blick wieder zu mir zurückkehrte.
„Okay, hör mir zu, Tae. Du – bist in Gefahr, das ist kein Scherz. Ich bin hier, um dich zu beschützen, also – wenn ich jetzt deine Hand nehme, mach bitte keine Szene." Tatsächlich streckte er langsam die Hand nach mir aus, aber ich riss meine rasch zurück und wich erneut vor ihm zurück.
„Wage es ja nicht, mich anzufassen. Wenn du mich berührst, schreie ich hier alle Menschen zusammen, verstanden?"
Aber Suga schüttelte nur genervt den Kopf, packte mich so rasch an der Hand, dass ich es kaum mitbekam, wie er sich bewegt hatte und die andere Hand fuhr an meinen Hals.
„Wenn du nur einen Ton von dir gibst", raunte er mir zu. „Breche ich dir das Genick – versprochen."
Nun, ich glaubte ihm und deswegen schwieg ich, atmete nicht einmal mehr, bewegte mich nicht, auch wenn mein Körper vor Angst bebte. Und dann griff Suga meine Hand fester, marschierte los und zerrte mich einfach hinter sich her. Ungeschickt stolperte ich an seiner Seite dahin, wagte es nicht, mich loszureißen, wollte aber auch nicht bedingungslos aufgeben und erst als er in die nächste Straße einbog, brachte ich ihn mit einem Ruck an seinem Arm zum Stehen.
„Wohin bringst du mich?"
„Nach Hause", gab er schroff zurück, zerrte mich dann erneut hinter sich her und ich trabte ihm nach, wie ein ungehorsames Kind, das von seinem Vater heimgebracht wurde.
Nach Hause. Zu mir nach Hause. Hundert Dinge schossen mir durch den Kopf. Dort wären wir allein, niemand, der uns beobachtet, niemand, der mir helfen würde. Er könnte mich töten und mich kalt und blutleer im Wohnzimmer liegenlassen, ohne behelligt zu werden. Man würde mich erst finden, wenn den Nachbarn der unangenehme Geruch auffallen würde. Zitternd holte ich Luft, wurde langsamer, als mein Wohnhaus in Sicht kam und sträubte mich nun doch, so gut es eben ging.
Zweimal ruckte Suga hart an meinem Arm und warf mir dabei einen finsteren Blick zu. „Mach jetzt ja keine Szene, Tae. Ich schwöre dir, das würdest du bereuen."
Aber würde ich das nicht sowieso?
„Schlüssel", verlangte er knapp, als wir vor dem Haus standen und ich gab ihn ihm widerstrebend. Schon wurde ich in den Hausflur bugsiert und während ich durch den dunklen Flur schlich, in Richtung Treppen, fand ich endlich meine Stimme wieder. Sie bebte, als ich sprach.
„Wirst du mich töten?"
„Nicht heute", murmelte er. Und ohne mir wirklich viel Beachtung zu schenken, packte mich Suga wieder an der Hand und eilte die Treppe hinauf. Ich stolperte über die Stufen, fiel beinahe und wurde grob wieder in die Höhe gerissen.
„Was?", fuhr mich Suga beim zweiten Mal unwirsch an. „Fürchtest du dich?"
Er machte mir tatsächlich Angst, mehr aber noch die Situation selbst, die ich einfach nicht unter Kontrolle hatte. Ich nickte schwach, flüsterte „ja" und ein grimmiges Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
„Gut!", gab er wütend zurück. „Denn du solltest dich fürchten, verdammt nochmal!"
Meine Tür flog auf und er schubste mich in meine Wohnung. Jetzt hatte er mich losgelassen und ich prallte mit einem leisen Schluchzen gegen die Wand, wo ich einfach stehenblieb und die Arme um meinen Körper schlang. Es war doch auch sinnlos, mich zu wehren, wohin sollte ich hier flüchten? Vielleicht war es einfacher, wenn ich aufgab und es geschehen ließ, dann wäre es immerhin schnell vorbei.
Zu meiner grenzenlosen Verwirrung verriegelte Suga jetzt die Tür, kam dann zu mir und fixierte mich missmutig, bevor er mich mit einem Kopfschütteln von der Wand weg dirigierte und mich vor sich her ins Wohnzimmer lenkte.
„Setz dich", wies er mich außerdem an und ich gehorchte.
Mit einem tiefen Seufzen nahm Suga neben mir Platz, streckte die Hand nach mir aus, zog sie aber wieder zurück, als ich zusammenschrak.
„Himmel nochmal, Tae", flüsterte er. „Wir waren so oft allein, du warst zwei Mal in meinem Haus. Ich hatte unzählige Gelegenheiten und du lebst immer noch, wieso glaubst du, dass ich ausgerechnet heute etwas daran ändern würde? Ist es wirklich nur das Wissen darum, was ich bin?"
Er hatte recht, das war ja das absurde daran. Er hatte recht und ich wusste es. Mir war vollkommen bewusst, wie absolut dämlich ich mich gerade benahm, aber ich konnte die irrationale Angst nicht abstellen.
„Wer bist du?", brachte ich stammelnd heraus. „Was willst du von mir, warum hast du mich ausgesucht?"
Suga setzte zu einer Erklärung an, zumindest sah es so aus, doch dann schüttelte er den Kopf. „Nein", sagte er, „das wäre jetzt nicht der richtige Moment. Wirklich. Ich... werde dir alles erklären, wenn du das willst. Zu einem anderen Zeitpunkt. Jetzt ist wichtig, dass du verstehst, was gerade mit dir passiert. Taehyung – du musst mir zuhören, hast du verstanden?"
„Du hast mich gebissen", murmelte ich, weil das alles war, was gerade noch in meinem Kopf existierte. Die Tatsache, dass er mich gebissen hatte und dass er mich unter anderem auf meine Kopfschmerzen aufmerksam gemacht hatte. Ich sah ihn an.
„Heißt das, ich verwandle mich? Werde ich zu einem... Vampir?" Es war kaum zu verstehen, aber es war auch das erste Mal, dass ich es aussprach und neben mir atmete Suga tief durch.
„Sind wir endlich soweit", murmelte er, wie zu sich selbst.
„Heißt das ja?" Die Panik griff erneut nach mir.
„Nein." Entschlossen schüttelte Suga den Kopf. „Nein, wirklich. So einfach ist es nicht. Aber das, was du erlebst, hat mit dem Gift zu tun."
Gift!? Das wurde ja immer besser! Vermutlich wich gerade jede Farbe aus meinem Gesicht, denn schon wieder seufzte Suga.
„Wenn du mir einfach zuhören würdest, wäre das hier erheblich leichter, Tae. Als ich dich gebissen habe..."
Dreiundzwanzig Mal! Ich verknotete die Hände fest ineinander.
„... gelangte mein Gift in deinen Körper. Alles was du spürst, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit. Empfindlichkeit auf Licht – hat damit zu tun. Die Symptome klingen ab, wenn das Gift abgebaut wird, aber es kann ein paar Tage, oder Wochen, dauern, je nach Giftmenge." Jetzt wirkte er tatsächlich etwas zerknirscht und ich begriff auch warum. So oft wie er mich gebissen hatte, würde es wohl eher einige Wochen dauern.
„Das ist alles?", fragte ich spröde. Er warf mir die Erklärung hin, wie ein Arzt, der mir sagte, dass die Erkältung in einer Woche vorbei sein würde. Als wäre es keine große Sache.
„Nein", murmelte Suga und fasste nun doch nach meiner Hand. Ich wollte sie zurückziehen, gab aber auf, als sein Griff härter und gröber wurde. „Leider nicht", fuhr er ebenso ruhig fort. „Vampirgift und ein menschlicher Organismus sind leider eine recht... ahm... sagen wir, eigenwillige und einprägsame Kombination. Etwas, das andere über Meilen hinweg wahrnehmen können. Solange du in meinem Haus geblieben wärst, wäre das kein Problem gewesen, dort hätte man deine Witterung nicht aufnehmen können, weil alles von meiner Anwesenheit durchdrungen ist. Aber hier draußen-"
„Was?!" Unterbrach ich ihn scharf und wenig freundlich. „Soll das heißen es gibt noch mehr von euch hier?"
Überrascht war Suga verstummt und sah mich nun an. „Ja", sagte er endlich und nickte schwach. „Einen von ihnen hast du ja schon ein paar Mal getroffen – in der Bar, der Kirche..."
Großartig! Ich hatte also in ein regelrechtes Vampirnest gestochen! Was war ich doch für ein Glückspilz.
„Das Problem ist", fuhr Suga nun fort. „Sie werden meinen Geruch erkennen und dass ein Mensch ihn trägt. Sie werden dich für einen Wirt halten", er blinzelte, „ahm... eine Art... Nahrungsquelle. Jemand der freiwillig..."
„Ich verstehe das Prinzip", warf ich krächzend ein, riss meine Hand aus seinem Griff und brachte ihn mit einer vagen Geste zum Schweigen. Dann wurde ich allerdings wütend.
„Du hast mich also markiert?", warf ich ihm vor. „Und jeder dahergelaufene Blutsauger der dort draußen rumschleicht, denkt sich jetzt, oh lecker, wie praktisch, Snack to go."
„Ich habe dich nicht markiert", verteidigte sich Suga empört. „Ich wollte das nicht, ich habe dir gesagt, du sollst nicht rauskommen. Du erinnerst dich an den Sturm, ja? Ich wollte, dass du in dem Zimmer bleibst, aber du hörst ja nie und..." Er brach ab, womöglich auch, weil ihm klar wurde, wie es sich anhörte.
„Also ist es meine Schuld?", schnappte ich prompt. „Ist das so, wie wenn man jungen Mädchen sagt, selber schuld, hättest du mal keinen kurzen Rock angezogen?!" Ich wusste das war unfair, denn er hatte mich ja tatsächlich eindringlich gebeten, in dieser Nacht nicht aus dem Zimmer zu kommen. Aber ich befand auch, dass er das verdient hatte, für all das, was er verschwiegen hatte.
„Du weißt, dass es das nicht ist und dass ich dir das niemals zum Vorwurf machen würde. Was willst du hören Tae? Ich bin was ich bin, das ist meine Natur. Es gibt Dinge, die entziehen sich meiner Kontrolle, das Wetter zum Beispiel, aber-"
„Oh bitte", fiel ich ihm ätzend ins Wort. „Du bist also wetterfühlig? Damit versuchst es gerade zu erklären, ernsthaft? Tut mir leid Tae, der Luftdruck war mies und-"
„Hältst du das für einen Scherz?", fuhr er mir jetzt recht grob über den Mund. In seinen Augen glomm erneut dieser silbrige Schimmer und das war es schlussendlich, das mich verstummen und ganz klein werden ließ. Suga schien zufrieden, denn etwas ruhiger fuhr er nun fort: „Du musst begreifen, dass du in Gefahr bist. Ich bin nicht dein Feind, ich will nur, dass du weißt, dass du dich in nächster Zeit auf sehr dünnem Eis bewegst. Du musst vorsichtig sein. Und soweit es mir möglich ist, werde ich natürlich-"
„Ich will, dass du verschwindest", unterbrach ich ihn leise.
„Tae...!"
„Nein", wiegelte ich sofort ab. „Ich will das alles nicht, ich ertrage es nicht. Ich will auch nichts mehr hören."
„So einfach ist das nicht", widersprach Suga. „Der andere Vampir. Der, der deine Spur verfolgt-"
„Ich will es nicht wissen", unterbrach ich ihn matt. „Ich habe ohnehin keine Chance, oder? Wenn er mich jagt, wird er mich irgendwann erwischen."
„Dann komm mit mir mit", flüsterte Suga. „Lass mich dir helfen."
„Mit dir hat doch erst alles angefangen!" Ich schluchzte und stieß ihn weg, als er wieder nach mir griff. „Verschwinde endlich! Geh! Ich will, dass du endlich verschwindest!"
Still wich Suga jetzt vor mir zurück. Er zog den Kopf ein, nickte schwach und murmelte „verstehe", dann stand er auf und schritt langsam in Richtung Flur. Er blieb im Durchgang stehen, sah aber nicht zu mir zurück.
„Du brauchst dir keine Sorgen machen, ich... werde dafür sorgen, dass sie dich in Ruhe lassen. Leb wohl, Taehyung."
Und dann ging er.
Er ging tatsächlich, die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und plötzlich saß ich mutterseelenallein in der stillen Wohnung. Kein Geräusch, keine Bewegung, nichts. Ich wagte kaum zu atmen, rührte mich nicht, weil ich Angst vor meiner eigenen Reaktion hatte und lauschte auf ein Zeichen, dass er zurückkommen würde, aber nichts geschah. Und nach endlosen Minuten, in denen ich reglos auf meiner Couch gekauert hatte, richtete ich mich endlich auf und sah zum Durchgang hin.
Er war gegangen. Es war nur schwer zu begreifen. Der Mann, der mein Leben auf den Kopf gestellt hatte, war gegangen, weil ich ihm gesagt hatte, dass er verschwinden solle. Noch schwerer war es, meine eigene Entscheidung zu akzeptieren, denn plötzlich fühlte sie sich nicht mehr gut und auch nicht mehr richtig an. Ich holte tief Luft, aber der Druck auf meiner Brust war unerträglich.
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