Kapitel 1 - Fürst Pückler und Hacksteak
Es hatte schon was für sich, am Wannsee zu leben. Die Villengegend von Berlin ist an sich ein ruhiges Fleckchen. Und was will man mehr? Ich hatte mir hier ein Haus gekauft, groß genug für ein eigenes Studio und eine Küche, von der manche Hotels träumten. Das Studio war mir zwar das wichtigste an der ganzen Sache, dennoch bin ich froh, in einem großen Haus wohnen zu können. Viele Menschen würden sich einsam fühlen oder es wäre ihnen unheimlich, ich hingegen habe es immer sehr gemocht, meinen Freiraum und Auslauf zu haben. Aufgewachsen in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, mit meiner Mutter, wollte ich immer nur raus.Raus an die Luft, raus aus dem beengten Dasein einer viel zu kleinen Wohnung. Einfach nur raus. Ist doch verständlich, oder?
Und als ich mein Studium beendet hatte und in Lohn und Brot stand, hatte ich darauf hin gespart, mir mein eigenes Haus zu kaufen. Das es am Wannsee steht, war dabei eher zufällig. Ich wollte zwar meine Mutter ebenfalls einladen, dort mit mir einzuziehen, aber sie hatte mit den Worten, „Ich bin ein Stadtkind und ohne Platte ist mir das Ganze zu langweilig."abgelehnt. Na ja, jedem das seine.
Ich saß gerade im Studio und war dabei eine neue Tonspur abzumischen, als kleine zarte Hände sich auf meine Schultern legten und eine fröhliche Stimme verkündete, „Ich habe Eis besorgt. Willst du auch etwas?" Ich nahm die Kopfhörer ab und legte sie aufs Mischpult, dann dehnte ich meinen Kopf nach hinten und blickte in die klaren wasserblauen Augen von Levi.
Selbst nach einem Jahr, fand ich seine Augen noch immer faszinierend. Er mochte der älteste sein, aber seine natürliche Unschuld und Naivität, machten ihn zu einem ausgesprochen schönen jungen Mann. Schön im Sinne von seiner Seele. Falls er so etwas überhaupt besaß. Aber ihr wisst, was ich meine.
„Gern. Ich könnte jetzt was süßes vertragen." Er schenkte mir ein weiteres Lächeln und verschwand wieder.
Hach ja. Innerhalb dieses Jahres war wirklich einiges passiert und ich hatte immer wieder Gelegenheiten festzustellen, dass, obwohl sie mythologische Monster waren, die irgendwann die Erde vernichten sollten, so waren in vielerlei Hinsicht menschlicher als mancher Mensch. Und auch, wenn ich immer mal gezwungen bin, sie zurecht zu weisen und dafür zu sorgen, dass sie wieder in die Spur kamen, so mochte ich sie auch irgendwie. Ja, auch Phi.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Levi mit einer kleinen Schüssel den Raum betrat. Er steckte einen kleinen Löffel in die Schüssel, kam auf mich zu und reichte sie mir.
„Hier bitte."
„Danke."
Eis nach Fürst-Pückler-Art. Er hatte sogar darauf geachtet, die gleiche Menge an Schokolade, Erdbeer und Vanille in die Schüssel zu packen. Und nun stand er vor mir und sah mich erwartungsvoll an. Worauf wartete er denn?
„Ja?", fragte ich ihn und steckte mir einen Löffel voll Schokoladeneis in den Mund.
„Schmeckt es dir?"
„Mah." Ich weis, man soll mit vollem Mund nicht sprechen, aber wir waren unter uns. Verklagt mich doch.
„Kati wollte nachher noch vorbeikommen und ich wollte sie dabei gleich zum Abendessen einladen. Wäre es in Ordnung, wenn du etwas mehr kochen würdest?" Boah. Die Art wie er diese Frage stellte... wie kann man den da ablehnen? So richtig, mit großen Kulleraugen und gefalteten Bittstellerhänden. Ich konnte gar nicht anders, als ja zu sagen. Vor Glück hopsend verließ er mein Studio und bedankte sich noch mal überschwänglich. Ich lutschte derweil noch immer am Löffel rum und konnte nur den Kopf schütteln.
Der Kleine wusste genau, was er tat. Dieses unschuldige und kindliche war lediglich Fassade. Leviathan war nicht ohne Grund der mächtigste. Man wird nicht so mächtig, ohne ein gewisses Maß an Hinterlist und der Fähigkeit andere zumanipulieren. Und er wusste, das Fürst Pückler meine Schwachstelle war. Das und der Geruch von Weichspüler.
Doch so wie ich noch darüber nachdachte, was ich heute Abend überhaupt kochen sollte, da klingelte es schon an der Tür. Ich schaute auf die Uhr und anhand der Uhrzeit wusste ich sofort wer das war. Seufzend erhob ich und wanderte durch den Flur zur Haustür. Das stabile Milchglas ließ zwei Silhouetten zu, deren Gestalt ich nur zu gut kannte. Mit der Schüssel in der Hand öffnete ich die Tür und zum Vorschein kamen zwei junge Frauen.
Die ältere der beiden hatte langes rotes Haar. Gefärbt, natürlich. Aber es stand ihr. Die jüngere war eine dunkelblonde Schönheit mit einem bezaubernden Lächeln. Dies waren Nadine und Dhalia. Meine Nachbarinnen und immer darauf aus, ein Gratisabendessen abzustauben. Als erfolgreiche Autorinnen hatten sie alle Hände voll zu tun und fanden deshalb nur wenig Zeit zum kochen. Behaupteten sie jedenfalls. Aber mich konnten sie nicht täuschen. Die beiden waren einfach zu faul, irgendwas zu kochen. Obwohl Nadine wenigstens kochen konnte. Bei Dahlia hatte ich immer meine Zweifel. Sie würde vermutlich sogar Wasser anbrennen lassen.
„Guten Abend, mein werter Markus." Wenn sie schon so anfingen...
„Ja, bitte?"
„Gibt es schon eine Planung für das heutige Abendessen?"
„Ich habe mir gerade Gedanken darübergemacht. Wieso?"
„Nur so." Seht sie euch an. Diese zuckersüßen Gesichter, mit ihren engelsgleichen Lächeln. Mhm, und wie gut sie wieder dufteten. Na! Nicht ablenken lassen.
„Wenn ihr bei Planung behilflich sein wollt, gerne. Aber heute werde ich nicht für euch mitkochen können. Wir erwarten noch einen Gast." Tjahaha, was konnte ich doch für ein grausamer Mistkerl sein.
„Kein Problem. Sollte etwas fehlen, holen wir es aus unserer Speisekammer und schon kannst du mehr kochen." Schon drücken sich die beiden an mir vorbei und ließen mich stehen. Jetzt guckt doch nicht so! Wie hättet ihr auf sowas reagiert, hä? Ich kann sie ja schlecht rausschmeißen. Oder doch? Nein. Das brachte ich auch nicht über mich.
Die beiden Frauen hatten es sich bereits im Wohnzimmer bequem gemacht, als ich sah, wie Dhalias Blick an der Schüssel kleben blieb. Ich ignorierte sie geflissentlich und setzte mich ihnen gegenüber.
„Das heutige Abendessen wird wohl ein Hacksteak mit Kartoffelstampf und Mischgemüse sein.", tat ich meine Entscheidung kund. Es brachte ja doch nichts, die beiden abermals darauf hinzuweisen, dass sie, zumindest heute, nicht willkommen waren. Wie dem auch sei. Ich blickte in zwei strahlende Gesichter und sie klatschten ihre Hände vorfreudig zusammen.
„Das klingt doch hervorragend. Was brauchst du denn noch?" Ich ging im Kopf die Zutaten durch und stellte fest, dass ich tatsächlich genug hatte, um ein ganzes Festessen zu kochen. Mist. Hätte ich doch nur nicht den Großeinkauf gemacht. Aber es war so herrlich billig und mit dem Kühlraum konnte ich Vorräte für Wochen anlegen.
Ich wollte schon meinen Kopf hängenlassen, entschied mich aber dann doch für ein Lächeln.
„Ich denke, ich müsste alles haben. Aber danke, für das Angebot."
„Gut. Dann bleiben wir hier und du kümmerst dich ums Essen." Ja, ja.
Ich nickte und schlürfte das,mittlerweile geschmolzene Eis aus der Schüssel. Dann erhob ich mich wieder und wanderte zurück in die Küche.
Dort sah ich bereits Moth stehen. Er blickte aus dem Fenster und wirkte seltsam nachdenklich.
„Na? Wieder ein Zitat, dass dich nicht in Ruhe lässt?", fragte ich ihn, während ich die Schüssel in den Geschirrspüler stellte. Der Ärmste wurde völlig vernachlässigt.
Moth drehte sich zu mir um und hatte ein sanftes Lächeln aufgesetzt. Er schüttelte leicht den Kopf und antwortete, „Ich möchte nur nicht deinen beiden Freundinnen über den Weg laufen." In gewisser Hinsicht konnte ich ihn verstehen.
„Hast du etwa Angst vor ihnen?"
„Das ist es nicht. Aber sie können schrecklich aufdringlich sein. Dhalia möchte immer ihr Bedürfnis nach menschlicher Nähe erfüllt bekommen und Nadine schwärmt darüber, wie männlich ich bin und das ich alles mit ihr anstellen dürfe, was mir in den Sinn kommt. Ich finde das... befremdlich." Gut gesprochen, Spock.
„Du musst sie verstehen. Sie sind beides Frauen in der Blüte ihrer Jahre. Natürlich sind sie dahinterher. Vor allem wenn so ein gut gebauter Typ wie du, plötzlich vor ihnen auftaucht."
„Gut gebaut?" Was sollte dieses verschüchterte, bitte?
„Finde ich zumindest." Es stimmte sogar. Als Moth das erste Mal aus der Dusche kam, wäre ich fast selber über ihn hergefallen. Und ich stehe nicht mal auf Männer. Der Typ sieht einfach verboten gut aus, wenn er nackt ist. Oder kurz davor steht.
Moth wurde tatsächlich ein wenig rot und wandte sein Gesicht von mir ab. Was sollte denn jetzt diese Reaktionen? Ich will doch gar nichts von dir.
Bevor ich auch nur etwas sagen konnte,klingelte es erneut an der Tür. Abermals den Flur entlang wandernd, sah ich wie schon wie Levi zur Tür eilte und diese förmlich aus den Angeln riss. Manchmal hatte ich echt Sorge, dass ihm das eines Tages gelingen würde.
Seine Freundin betrat den Hausflur und beide begrüßten sich mit einem Schmetterlingskuss auf die Lippen. Irgendwie konnte ich nicht anders als zu schmunzeln. Wenn ich da an meine erste Freundin zurück dachte, waren wir nicht anders.
Kati drehte sich zu mir um und schenkte mir ein Lächeln, als sie mich begrüßte.
„Hey. Ich hoffe, du hast Hunger mitgebracht."
„Oh ja. Ich hatte noch Training. Ich könnte also einen Bären verschlingen." Unwillkürlich glitt mein Blick zu Levi. Wenn der in seiner wahren Gestalt unterwegs war, konnte er wirklich einen Bären verschlingen. Und das wäre nur ein Appetithappen für ihn.
„Da hast du Glück. Ich muss heute sowie so mehr kochen, also sollte genug da sein.", erwiderte ich und deutete aufs Wohnzimmer.
Dhalia und Nadine winkten den beiden zu und dann waren sie auch schon wieder in ihren Gesprächen vertieft. Als ich mal gelauscht hatte, worüber sie sich unterhielten, hatten sie mit Ideen herum gespielt, wie irgendwelche Drachen Menschenfrauen vergewaltigen sollten. Aber erst nach dem sie ihnen ihr Blut zutrinken gegeben hatten. Ab da war ich raus. Das war mir einfach zu abgedreht. Vor allem, da ich einen Fantasyroman buchstäblich lebte. Auch wenn dieser deutlich langweiliger war, als alles, was diese beiden sich ausgedacht hatten.
Levi nahm Kati an die Hand und führte sie in sein Zimmer. Hoffte ich zumindest. Das letzte Mal habe ich sie in meinem Studio erwischt, wie sie an meinen Sets rumgefummelt hatten. Danach durfte ich drei Stunden lang die kompletten Tonspuren neu mischen und alle Aufnahmen erneut veredeln.
Und wieder stand ich etwas verloren im Flur. Eigentlich wollte ich den Rest des Tages arbeiten, damit ich in den nächsten Tagen abliefern konnte. Aber heute steckte irgendwie der Wurm drin. Seufzend und kopfschüttelnd kam ich zurück in die Küche, wo Roxie in ihrer besten Baraufmachung saß und ein Glas Whiskey trank. Es war für sie einfach die natürliche Wahl gewesen, in einer Bar zu arbeiten und dort die Drinks zu machen. Ihre ganze Art und ihre Erscheinung machten es einfach mit ihr zu sprechen. Und nicht nur Dirty-Talk. Das behauptete sie jedenfalls immer wieder.
„Wann gibt's Essen?", fragte sie und setzte erneut an.
„Siehst du hier schon irgendwelche Pfannen oder Töpfe? Nein. Essen ist fertig, wenn das Essen fertig ist." Die Antwort war barscher als beabsichtigt, aber ich war gerade etwas genervt.
Wieso blieb das alles eigentlich an mir hängen? Wieso muss ich jetzt gerade ein üppiges Bankett zubereiten? Und dann diese Frage.
„Ist ja gut. Ich frage ja nur."
Ich schloss für einen kurzen Moment meine Augen und sah sie dann entschuldigend an.
„Tut mir leid. Ich bin gerade nur etwas gestresst."
„Soll ich dir..."
„Nein.", fiel ich gleich ins Wort.
„Du weißt doch gar nicht...."
„Doch weiß ich. Du bleibst da sitzen, trinkst deinen Whiskey und laberst mich nicht voll. Vor allem, wenn es wieder in diese Richtung geht." Daraufhin erntete ich einen Flunsch. Aber das war mir egal.
Ich sagte Moth, was ich heute kochen wollte und er holte die Zutaten aus dem angrenzendem Kühlraum. Er konnte zwar nur notgedrungen kochen, aber schneiden, würfeln und vorbereiten konnte er wie ein Weltmeister. Er war mir zumindest eine Hilfe.
Derweil ich mit der Zubereitung des Essens beschäftigt war, bemerkte ich, wie Roxie immer näher kam. Auffällig unauffällig kam sie Schrittchen für Schrittchen näher an mich heran.
„Kann ich dir helfen?", fragte ich die Bratpfanne und Roxie erstarrte mitten in der Bewegung. Sie antwortete mir nicht. Habe ich auch nicht erwartet.
„Setzt dich bitte wieder hin. Lenke Markus nicht ab. Nicht, dass noch etwas anbrennt." Da war sie wieder. Die Stimme der Vernunft. Roxie warf mir zwar noch einen schmachtenden Blick zu, hörte jedoch auf ihren jüngeren Bruder.
Als ich endlich fertig, rief ich durchs ganze Haus und tischte bereits auf. Es dauerte nicht lange, da war das Esszimmer gut gefüllt.
Meine Mitbewohner und Gäste hatten sich an ihren Plätzen eingefunden, mit mir am Kopf der Tafel.
Und wie ich so meinen Blick über den Esstisch schweifen ließ, musste ich zugeben, dass ich einen gewissen Stolz verspürte. „Egal, wie hart es im Leben kommt und wie viel Scheiße es dir entgegen schmeißt; wichtig ist das sich am Ende des Tages alle zusammen setzen und gemeinsam essen." Das hatte meine Großmutter immer gesagt. Und recht hatte sie. Egal, wie viel Mist passiert und wie man sich darüber aufregt, am Ende des Tages kommt es darauf an, dass man gemeinsam am Tisch sitzt und darüber redet. Nur so kann man die Probleme aus der Welt schaffen, die einen belasten und bewegen.
Und jetzt alle hier sitzen zu sehen, lässt mich lächeln. Zumindest bis der nächste Tag kommt.
Ich lebe unter Monstern und Monster leben mit mir. Ich würde es nicht offen sagen, aber ich bin gespannt, was noch alles kommen wird.
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