Kapitel 2
Unnützlich stand ich einfach herum und blickte einem jungen Mann zu, wie er den ohnmächtigen Mann an Ort und Stelle versorgte und ihm zuerst mit einer Pinzette die Kugel aus seiner Schulter holte, ihm dann einen riesigen Pflaster aufklebte und danach einen Verband umwickelte. Ein kleines Erste-Hilfe-Köfferchen stand neben ihm und er kramte ununterbrochen darin herum und zog einen Gegenstand nach dem anderen heraus.
Als der Mann, der etwas jünger als ich aussah, aus dem roten Ferrari rausgestürmt war, noch bevor er gehalten hatte, hatte ich bezweifelt, dass das Köfferchen für das ganze Blut, welches immer noch floss, reichen würde. Jetzt stand ich aber besorgt und mit den Armen in die Hüften gestemmt da und dachte ernsthaft darüber nach, ob er ein Zauberer war. Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte ich niemals gedacht, dass all die Sachen da reinpassen könnten.
Plötzlich trat die Braunhaarige aus dem Lebensmittelladen neben mich.
"Vielen Dank für deine Hilfe. Du kannst jetzt gehen!"
Ich zuckte bei ihrer scharfen Tonlage zusammen und blickte sie erschrocken an. Sie kniff sich frustriert in die Nasenwurzel und wandte sich wieder an mich.
"Tut mir leid, ich habe nur ziemlich Angst um ihn. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn er sterben würde."
Etwas Verletzliches trat in ihre vor Tränen glänzenden Augen und ich musterte sie mitleidig.
"Kein Problem!" Ich konnte sie echt verstehen.
Ich drehte mich um und wollte gerade verschwinden, ehe mir etwas einfiel.
"Dein Freund wird überleben, ich spüre es! So eine nette und hübsche Freundin würde niemand verlassen wollen."
Ich lächelte ihr zu, schnappte meine Stofftasche mit den Lebensmitteln und ging davon, während sie mir sprachlos nachstarrte.
Auf dem Nachhauseweg dachte ich darüber nach, was gerade passiert war. Zum einen musste ich dümmlich vor mir her grinsen, während ich daran dachte, wie der attraktive Mann mich ein Engel nannte. Es war echt süß von ihm. Zum anderen hatte er eine Freundin und hat wahrscheinlich wirklich gedacht, ich sei ein Engel und er wäre gestorben, was meine gute Laune wieder dämpfte. Oder er war ein Arschloch, welches mit anderen Frauen flirtete, obwohl er eine Freundin hatte.
Als mir eine kühle Brise entgegen wehte, stellten sich meine Härchen an den Armen auf. Fröstelnd rieb ich mir über die Arme und versuchte die Gänsehaut wegzubekommen. Erst jetzt merkte ich, das ich meinen Pullover auf dem ohnmächtigen Mann, dessen Namen ich nicht wusste, vergessen hatte.
Bei einem hatte ich recht. Heute war mein Pechtag. Zuerst hatte ich mein Handy kaputtgemacht, nur um kurze Zeit einem halbtoten Mann über den Weg zulaufen und danach hatte ich auch noch meinen Lieblingspullover vergessen. Ich seufzte traurig auf und kickte einen kleinen Stein bis vor meine Haustür. Dort kickte ich ihn ins Blumenbeet, dass davor wuchs.
Ich schloss die Tür zu unserem schlichten Hochhaus auf und ging die Treppe hoch. Es roch etwas muffig im Treppenhaus, und der Lift machte komische Geräusche, was mich ein wenig mein Gesicht verziehen ließ.
Auf dem Weg begrüßte ich unsere alte Nachbarin, die gerade die Blumen, die jeweils rechts und links von ihrer Fußmatte standen, goss. Frau Wanama war eine ein wenig seltsame, aber dafür sehr nette Frau. Sie war immer bunt gekleidet, trug pro Finger nicht weniger als drei Ringe und redete in Jugendsprache, als hätte sie nie was anderes gemacht. Morgens, wenn ich an ihr vorbeiging, guckte ich ihre Haare an, die jede Woche in einer anderen Farbe strahlten und zählte die Ketten, welche sie um ihren Hals trug. Schon mehrmals lud sie mich zu ihr nach Hause ein und jedes Mal nahm ich die Einladung freudestrahlend ein. Sie buk die besten Kekse und hatte ein Dutzend schwarzer Katzen aus dem Tierheim, die sie alle nach ihren Lieblingscharakteren aus Harry Potter benannt hatte.
Je öfter ich bei ihr war, desto mehr mochte ich sie. Manchmal saßen wir bis zum Morgengrauen auf ihrem geblümten Sofa, schaufelten Tüten von Popcorn in uns hinein und diskutierten über die Disneyfilme, die wir einen nach dem anderen reinzogen. Mit ihren 89 Jahren war sie fitter als mein Sportschuh, der irgendwo in der hintersten Ecke meines Zimmers vergammelte.
Als ich im zweiten Stock ankam und die Tür zu unserer Wohnung öffnete, erblickte gleich in vier Augenpaare, die mich alle abwartend anguckten.
"Madame, wo warst du so lange?", kam dann auch die erste Frage von meiner Mutter, die das Chaos auslöste. Ich ignorierte meine beiden Eltern und meinen Bruder gekonnt, die mir eine Frage nach der nächsten entgegenwarfen und mir nicht mal Zeit zum Antworten ließen, bevor sie die nächste stellten.
"Stopp!", schrie ich mit den Nerven am Ende und drückte meiner Mutter die Stofftasche mit den Lebensmitteln in die Hand.
"Was?", brüllte meine Oma, die mal wieder vergessen hatte, ihr Hörgerät anzuschalten.
Müde schlurfte ich ins Badezimmer. Alle folgten mir, als wären sie meine Hündchen.
"Ich war beim Einkaufen und habe einen Mann gesehen der angeschossen wurde", erklärte ich allen und hob meine Hände, an denen immer noch das getrocknete Blut klebte.
"Sag bloß du hast ihn umgebracht?! Lebt er noch?", fragte meine Mutter hysterisch und griff sich ans Herz.
"Und wieso bist du nicht ans Handy gegangen?", fragte sie gleich danach.
Fassungslos starrte ich sie an.
"Natürlich nicht, was denkst du den?", fauchte ich entsetzt und begann meine Hände zu waschen.
"Also ist der arme Mann wegen dir gestorben? Du hast ihn umgebracht?"
Meiner Mutter traten Tränen in die Augen. Wenn es möglich war, guckte ich noch verblüffter. Meine Mutter war schon eine sehr schräge Person.
"Nein! Ich bin mir zwar nicht sicher, ob er noch lebt, aber ich denke schon. Außerdem habe ich niemanden umgebracht, was denkst du von mir?"
"Und wieso hattest du Blut an deinen Händen?", mein Bruder, der wesentlich entspannter an die Sache ranging als meine Mutter und deutete in das Waschbecken, in dem das rote Wasser gerade in den Abfluss sickerte.
"Ich habe einfach nur geholfen, damit er nicht stirbt. Das hätte euch von Anfang an klar seien müssen!"
Ich trocknete meine Hände am Handtuch ab und ging etwas beleidigt in die Küche.
Schon wieder folgten mir alle, mitsamt meiner Oma, die am Arm mitgezogen wurde. Tüchtig nahm ich meiner Mutter die Tasche wieder aus der Hand und begann sie auszuräumen und auf den Esstisch zu legen.
Schweigend beobachtete meine Familie, wie ich alles in die Regale tat. Ich wollte gerade den alten Kühlschrank öffnen, als mir der Henkel unter der Hand wegbrach. Ich verdrehte genervt die Augen.
"Der Henkel ist schon wieder ab!", seufzte ich. Mein Vater kramte in einer Schublade herum und holte einen Schraubenzieher heraus. Geschäftig schraubte er den Griff wieder rein und rüttelte daran, um zu sehen, ob es hielt. Meine Mutter nahm mir die Milch ab und stellte sie für mich in den Kühlschrank.
"Ich geh schlafen", murmelte ich.
"Zuerst sagst du uns, wieso du nicht an dein Handy gegangen bist", bestimmte mein Vater.
"Mir ist mein Handy runtergefallen, als ich den Schuss gehört habe, der den Mann verletzt hat. Jetzt geht es nicht mehr an."
"Ich kann es nicht fassen", murmelte meine Mutter und griff sich mal wieder ans Herz. "Jemand läuft in unserer Gegend herum und schießt auf Menschen."
Mein Bruder guckte mich besorgt an. "Ich glaube, du solltest nicht mehr alleine rausgehen, Noel. Es ist viel zu gefährlich", murmelte er und schloss mich in eine feste Umarmung, die mich fast erdrückte.
Ich lachte auf und kuschelte mich enger an ihn.
"Eigentlich sollte ich das zu dir sagen, Brüderchen. Immerhin bist du jünger als ich", triumphierend blickte ich ihn von unten an.
"Ah Hasi", er kniff mir in die Wange. "Diese drei Minuten zählen nicht." Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand in unserem gemeinsamen Zimmer.
"Sehr wohl zählen diese drei Minuten!", rief ich ihm noch beleidigt hinterher und wedelte mit meinem Zeigefinger. Mein Vater griff nach meinen Händen und sah mir ernst in die Augen.
"Noel", sagte er sanft. "Ich glaube, es wäre wirklich besser, wenn du nicht mehr allein rausgehst. Was weiß ich, was passieren könnte und wir würden es nicht mal erfahren."
"Wir wissen, wenn du irgendwo bist, dann ist Wesley auch nicht weit weg, aber wenn er nicht bei dir ist, dann musst du deinen Bruder mitnehmen", ergriff meine Mutter das Wort.
"Na gut", ergab ich mich. "Jetzt gehe ich aber schlafen." Ich küsste meinen Eltern und meiner Oma noch auf die Wange und legte mich in unserem Zimmer schlafen. Ich dämmerte fast weg, als ich noch meine Mutter hörte.
"Noelani, du hast den Reis vergessen!"
≛≛≛≛≛≛≛≛≛≛
Dieses Kapitel war nicht so spannend.
Wie gefällt euch die Geschichte bisher?
Viel Spaß beim Lesen!
ᴇᴜʀᴇ ʙʟᴀᴄᴋꜰᴀɪʀʏᴛᴇᴀʀ ☽
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