Kapitel 33
• N I C K •
Mit einem verliebten Lächeln lasse ich meine Finger durch die weichen Haare meines Freundes fahren.
Es ist kurz vor dreiundzwanzig Uhr. Sam ist schon vor etwa einer halben Stunde von der Müdigkeit übermannt worden.
Ihn neben mir liegen zu haben, erscheint so unwirklich. Aber ich könnte mich wirklich daran gewöhnen.
Mitten in der Dunkelheit meines Zimmer leuchtet auf einmal mein Handy auf. Verwundert greife ich danach und finde zu meiner Überraschung eine Nachricht meiner Schwester vor.
Paige [22:51 Uhr]: Schlaft ihr schon? Es ist so ruhig bei euch 🤭
Kopfschüttelnd antworte ich ihr.
Nick [22:52 Uhr]: Habt ihr etwa an der Tür gelauscht?
Paige [22:52 Uhr]: 😳
Paige [22:52 Uhr]: Was denkst du denn von mir? Bin ich etwa Grandma?
Nick [22:52 Uhr]: Vergiss es
Ich mache Anstalten, das Smartphone wegzulegen, als es wieder aufleuchtet.
Paige [22:53 Uhr]: Komm schon, Bruderherz 💜
Paige [22:53 Uhr]: Erzähl deiner kleinen Schwester ein paar Details... 😊
Sam bewegt sich in dem Moment, als ich tippe, und legt seinen Kopf auf meinen Brustkorb und seufzt leise vor sich hin, als würde mein nun beschleunigter Herzschlag ihm beim Schlafen helfen.
Während ich mich dazu entschlossen habe, im T-Shirt zu schlafen, presst sich sein nackter Oberkörper gegen meinen. Mir wird augenblicklich warm, dass ich es bereue, das Shirt angezogen zu haben.
Es ist ja nicht so, dass er mich nicht schon mal oberkörperfrei gesehen hat. Alleine in der Umkleide oder aber, als wir an den See gefahren sind.
Meine Wangen glühen, als ich meine Fingerspitzen sanft über seinen Rücken streifen lasse.
Paige [22:55 Uhr]: Nick?
Paige [22:55 Uhr]: Du bist doch nicht etwa eingeschlafen, oder?
Nick [22:55 Uhr]: Sam hat vorhin etwas zu mir gesagt
Paige [22:56 Uhr]: ??
Ein verräterisches Grinsen umspielt meine Lippen, das sie zum Glück aber nicht sehen kann.
Nick [22:56 Uhr]: Er meinte, ich täte ihm gut...
Mit diesen Worten hatte er mich vorhin komplett aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, war aber so glücklich darüber, dass ich ihn geküsst habe. So hoffe ich inständig, dass der Kuss ihm gezeigt hat, dass es mir mit ihm genauso geht.
Paige [22:57 Uhr]: 'Du tust mir gut' ist wohl eines der schönsten Komplimente, das man einem Menschen machen kann
Verwundert runzle ich die Stirn. Das klingt nicht nach meiner Schwester. Eher nach...
Paige [22:57 Uhr]: Übrigens ist hier Granny 😚
Wer auch sonst.
Nick [22:58 Uhr]: Gute Nacht, ihr beide
Ich lege mein Handy umgekehrt auf den Nachttisch und rutsche vorsichtig ein wenig herunter, um es mir bequemer zu machen, aber Sam schlafen zu lassen.
Es ist schon erstaunlich, wie sehr eine einzelne Person jemanden so lebendig fühlen lassen kann, wie es er mit mir tut.
Nachdem meine Eltern verstorben sind, habe ich mich von dem Großteil meines Umfelds abgekapselt. Um mich nicht zu sehr an Menschen zu klammern, die früher oder später sowieso gehen würden. Um daran dann nicht zu zerbechen.
Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, weiß ich, dass dieser Weg falsch war.
Wenn mir dieser Schicksalsschlag eines gezeigt haben soll, dann ist es, dass Zeit kostbar ist. Man kann niemals voraussagen, wie lange man jemanden an seiner Seite stehen hat.
Deshalb verschließe ich mich auch nicht mehr. Nicht vor ihm und auch vor keinem anderen. Ich habe Sam von meinen Eltern erzählt, er weiß, weshalb ich mich so zurückgezogen habe.
Aber jetzt ist Schluss damit.
Ich möchte ein normales Leben führen. Mit all den guten und schlechten Seiten. Mich über schöne Momente freuen.
Und die erlebt man vor allem mit seinen Freunden und der Familie.
In den letzten Wochen ist es mir gut ergangen. Ohne es mitbekommen zu haben, habe ich ein Freundeskreis aufgebaut. Und es tut mir gut. Diese Leute tun mir gut.
*
Es ist mitten in der Nacht, als Mickey zu bellen beginnt. Brummend versuche ich es zu ignorieren und kuschle mich stattdessen enger an Sam heran.
Doch er hört nicht auf. Auf einmal hüpft er auf mein Bett und knurrt. Dann bellt er wieder. Dieses Mal noch aufgeschreckter.
Davon wird nun auch Sam geweckt. "Was hat er denn?", gibt er leise von sich, ist noch im Halbschlaf.
Seufzend schüttle ich den Kopf. "Keine Ahnung."
Kurz ist es still. Der Mops scheint sich beruhigt zu haben. Doch dann höre ich ein merkwürdiges Geräusch, und kurz darauf bellt Mickey wieder.
"Ich habe ihn ja wirklich ins Herz geschlossen", höre ich Sam murmeln, "Aber ich brauche meinen Schlaf."
Wieder dringt dieses auffällige Geräusch bis zu mir hervor. Und endlich kann ich es auch zuordnen. Jemand wirft kleine Steine an mein Fenster.
Ich richte mich langsam auf, was Sam weniger gefällt. Brummend versucht er, mich bei sich zu behalten. Doch ich entziehe mich seinem Griff sanft. "Ich komme gleich wieder. Versuch weiterzuschlafen."
Sobald ich aufgestanden bin, zieht er sich meine übergroße Decke nun auch zu sich und schlüpft zur Hälfte darunter. Schmunzelnd beobachte ich, wie Mickey sich an Sam herankuschelt. Anscheinend ist er nun beruhigter, da ich nachschauen will, woher das störende Geräusch kommt.
So laufe ich um das Bett herum und öffne meine Vorhänge, wenn auch nur einen winzigen Spalt, um durchschauen zu können. Meine Augen haben sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, und das Licht der Straßenlaternen vereinfachen meine Suche nach den Täter.
Und tatsächlich bewegt sich etwas hinter den Rosenbüschen meiner Großmutter. Eine dunkle Gestalt tritt hervor, bleibt aber noch im Schatten verborgen.
Meine Augen weiten sich.
Wer zur Hölle taucht mitten in der Nacht in unserem Garten auf und wirft Kieselsteine gegen mein Fenster?
Als ich mich zum Bett umdrehe, scheint Sam schon wieder ins Land der Träume eingetaucht zu sein. Er bekommt von all dem nichts mit.
Da ich auf die Schnelle nichts anderes finde, schlüpfe ich in meine Flip Flops und schleiche mich dann aus meinem Zimmer. Leise, um meinen Freund schlafen zu lassen.
Auf dem Weg nach unten gehe ich die Fragezeichen in meinem Kopf nochmal durch. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das keine allzu gute Idee ist, selbst nachzuschauen. Aber ganz ehrlich, wenn es jemand wäre, der auf etwas Böses aus wäre, würde er einfach einbrechen. Steine gegen meine Fensterscheibe zu werfen, ist nicht sonderlich unauffällig.
Diese Person im Garten scheint mich aufsuchen zu wollen.
Mit langsamen Schritten lasse ich die Treppe hinter mir und gehe in die Küche. Dort durchfährt mich ein kalter Schauer. Ein deutlicher Schatten einer menschlichen Gestalt ist an der Glastür zu erkennen. Die Person weiß also, dass ich nach unten gegangen bin.
Ein ungutes Gefühl breitet sich in mir aus, als ich auf die Terrassentür zugehe. Doch wen ich dahinter hinter dem vermeintlichen Einbrecher erkenne, verschlägt mir wirklich den Atem.
Mit zitternden Händen öffne ich die Tür und sehe Trevor entgegen, der meinen ungläubigen Blick unsicher erwidert.
"Du?"
Nervös wippt er auf seinen Fußspitzen hin und her, scheint offenbar nicht ganz bedacht zu haben, was er sagen wollte, wenn ich ihm gegenüber stehe. Oder ihm hat es die Sprache verschlagen. Das könnte ich nachempfinden.
"Trevor, was machst du hier?"
"Ähm... Hallo, Nick..."
"Es ist mitten in der Nacht. Woher weißt du, wo ich wohne?", überhäufe ich ihn mit Fragen, obwohl mein Hals wahnsinnig trocken ist.
Passiert das gerade wirklich oder träume ich? Liege ich eigentlich im Bett, Sam in meinen Armen liegend?
Er kratzt sich am Hinterkopf, ihm scheint das alles hier sehr unangenehm zu sein. Verstehe ich vollkommen. Ich weiß nicht, wie ich diese Situation händeln soll.
"Also, eh, ich habe deiner Freundin auf Instagram geschrieben..."
"Miley?", rufe ich fassungslos aus, bereue es in der nächsten Sekunde aber, da die Terrassentür immer noch offen steht. Leise schiebe ich sie zu und dränge Trevor ein wenig außer Sichtweite. "Sie hat..."
"Sei ihr nicht böse. Ich habe sie um deine Adresse gebeten..."
"Das hätte sie aber nicht tun sollen", entgegne ich sogleich, wenn auch ein wenig zu harsch. Auf meine Worte hin zuckt er ein wenig zusammen. "Warum bist du hier, Trevor?"
Gerade eben schien es noch dringend zu sein, wirkt es jetzt auf einmal so, als wolle mein Ex auf der Stelle verschwinden. "Es tut mir leid. Es ist eine bescheuerte Idee gewesen, dich aufzusuchen", meint er und geht einige Schritte zurück. "Am besten vergessen wir das hier einfach und..."
"Jetzt lass den Unsinn", halte ich ihn auf und greife nach seinen Arm, dessen Muskeln in den letzten Jahren gut definiert worden.
Er scheint sich in den Jahren nicht sonderlich verändert zu haben. Noch immer sieht er sehr attraktiv aus. Würde mein Herz nicht Sam gehören, könnte Trevor meinen Puls schneller schlagen lassen. Das glaube ich schon.
Aber Vergangenes sollte man bekanntermaßen ruhen lassen.
"Du bist noch nicht grundlos hergekommen", versuche ich es dieses Mal mit sanfterer Stimme. Auch bin ich immer noch verwirrt, weshalb er mitten in der Nacht in meinem Garten herumspringen muss. Oder dass er mich nicht direkt kontaktiert hat sondern Miley. Mit ihr sollte ich auch nochmal reden. Dass sie sich mit meinem Exfreund zusammen tut - und mich nicht einmal vor seinem Besuch vorwarnt!
"Ist irgendwas passiert?", frage ich mit schief gelegten Kopf. "Du wirkst irgendwie...bedrückt."
Er lässt sich von mir auf die kleine Bank führen, auf die wir uns dann setzen.
"Es tut mir leid, dass ich einfach so in deinen Garten geplatzt bin. Beziehungsweise eigentlich in dein Leben. Ich, eh,... Habe mir irgendwie nicht ganz überlegt, wie ich das alles angehen soll", sagt er schließlich, wenn auch zögerlich.
"Warum muss es denn eigentlich um diese Uhrzeit sein? Andere Menschen schlafen, während du dich in den Gärten anderer Leute herum treibst."
Trevor weicht meinem verwirrten Blick aus, starrt stattdessen auf seine Finger.
So habe ich ihn in all der Zeit, die wir gemeinsam verbracht haben, niemals erlebt. Er ist immer der aufgeweckte, coole Junge gewesen, der von jedem gemocht wurde. Der respektiert wurde. Zu dem man vielleicht auch ein wenig aufgeschaut hatte.
Doch in diesem Augenblick ist von diesem Typen nichts zu sehen.
"Miley hat mir erzählt, du hättest einen Freund?", weicht er meiner Frage abrupt aus, was mich die Stirn runzeln lässt.
"Hat sie eigentlich irgendwas für sich behalten, diese Göre?"
"Ich freue mich, dass du glücklich bist, Nick. Wirklich. Vor allem nach dem Unfall deiner... Eltern. Du hast es verdient, dein Glück zu finden."
Schweigend beiße ich mir auf die Unterlippe, kann mir ein Grinsen allerdings wenig verkneifen.
"Weißt du, ich bin.. Ich finde es schön, dass du so zu dir selbst stehst", meint er weiter, macht aber keine Anstalten, mich anzusehen. "Dazu...gehört eine Menge Mut. Also, ähm..."
"Trevor, du bist doch nicht nur hier, um mir alles Gute fürs Leben zu wünschen", unterbreche ich ihn, und springe über meinen Schatten, als ich meine Hand auf sein Knie lege. "Hör mal, mein Freund ist oben in meinem Zimmer. Ich möchte ungern, dass, naja, ihr aufeinander trefft. Zumindest wüsste ich nicht, wie ich das hier erklären sollte, wenn er..."
"Alles gut, ich verstehe schon", winkt er ab und nimmt einen tiefen Atemzug. "Also, eh, es geht darum, dass ich... Nick, ich brauche deine Hilfe."
"Meine Hilfe?"
Er nickt.
"Wobei könnte ich dir denn helfen?"
"I-ich... Ich habe mich Zuhause noch immer nicht geoutet", höre ich ihn leiser sagen. "U-und ich glaube, es wird an der Zeit, das zu ändern."
"Du..." Mir bleiben die Worte im Hals stecken. Ehrlich gesagt weiß ich auch nichts darauf zu erwidern.
Wie kommt er darauf, dass ich ihm hierbei helfen könnte? Warum kommt er damit ausgerechnet zu mir?
"Mein Dad", fährt Trevor fort, als ich weiterhin schweige. "Ich glaube, er ahnt schon etwas. Ständig versucht er mir irgendwelche Mädchen schmackhaft machen zu wollen. Und Mom wundert sich auch schon, dass ich bisher nie jemanden mit nach Hause gebracht habe."
Um ihm ein wenig Beistand zu leisten, drücke ich sein Knie. Als würde diese kleine Geste irgendwas bezwecken. "Denkst du denn, sie würden negativ darauf reagieren, wenn sie wüssten..."
Sein leises Lachen dringt an mein Ohr. "Nick, ich tauche nicht ohne Grund in der Dunkelheit bei dir auf. Mein Vater behält mich ständig im Auge. Er kontrolliert mittlerweile sogar manchmal mein Handy."
"So schlimm?"
Im Licht der Straßenlaterne, die uns ein wenig Helligkeit schenkt, sehe ich ihn betrübt nicken. "Er scheint große Angst zu haben, dass sein Sohn schwul sein könnte."
"Hast du denn jemanden?", frage ich bedacht nach, woraufhin er seufzend den Kopf hängen lässt.
"Hatte. Er hat vor knapp zwei Wochen Schluss gemacht. Weil er sich nicht verstecken will, wenn wir zusammen sind", erzählt er und scheint wirklich darüber niedergeschlagen zu sein.
Trevor tut mir leid.
Nicht nur er hat damit zu kämpfen - mit der Angst vor dem Outing. Die Angst, weggestoßen zu werden. Aber gerade jetzt braucht er dringend Unterstützung. Jemanden an seiner Seite, der ihn auffängt.
Stattdessen gibt sein Freund ihm aber einen Korb? Das ist so unfair.
"Und du möchtest meine Hilfe bei..."
"Du warst mein Erster, Nick", unterbricht er mich weiterhin mit gesenkter Stimme. "Und, ich weiß nicht, ich dachte, du könntest mir vielleicht einen Rat geben und... Ach, es ist so bescheuert."
"Ist es nicht, Trevor", versuche ich ihn zu besänftigen. "Schau mich an, bitte."
Als seine blauen Augen den meinen begegnen, versetzt es mich für einen kurzen Moment in die Vergangenheit. In die Zeit, als ich süchtig danach war, das einzige zu sein, was sie Aufmerksamkeit schenkten.
"Niemand sollte dich zu irgendwas zwingen, wofür du nicht bereit bist, okay? Das gilt für deinen Vater, aber auch für deinen Freund", sage ich. "Er kann dich nicht zu einem Outing drängen, indem er droht sich von dir zu trennen."
"Aber er hat doch Recht. Wie lange soll ich mich denn noch im Schatten meines echten Ichs verstecken? Und außerdem... Ich vermisse ihn", beichtet er mir. "Wir sind etwa ein Jahr zusammen gewesen. Und... Ich liebe ihn, verstehst du? Er ist alles, was ich möchte."
Auf seine Worte hin breitet sich ein warmes Gefühl in meinem Bauch aus. Mein Blick wandert über das Haus nach oben zu meinen Fenster. Das Zimmer liegt in der Dunkelheit.
"Das verstehe ich sehr gut."
Einige von euch haben es schon geahnt - Trevor sucht Nick auf!!
Aber nicht um ihn zurückzugewinnen, sondern weil er seine Hilfe benötigt.
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