Namjoon und die Angst
„Lasst ihn uns braten!" Sugas Augen glänzten wie die großformatigen Hochglanzbilder in teuren Kochbüchern. Allein bei der Erinnerung lief Jin das Wasser im Mund zusammen, trotzdem war er nicht bereit, dass Alien, das in einem Karton auf dem Fußboden lag und glucksend Spuckeblasen produzierte, zu schlachten.
Doch bevor er Suga das Küchenmesser aus der Hand nehmen und den Kopf schütteln konnte, schritt Namjoon ein: „Niemand rührt es an! Wir wissen nicht, weshalb Lisa es dabei hatte und fragen sie, wenn sie aufwacht!"
Namjoon hasste sich selbst dafür, dass die Betonung in seiner Aussage auf WENN lag. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so elend gefühlt wie in den letzten Tagen, Stunden und Minuten.
Seit Rosés Verschwinden hatten sie jede Nacht nach ihr gesucht. Und mit jedem Tag, der verging, war es stiller geworden in ihrer Runde. Vor der Gewissheit, dass ihre Freundin den Aliens in die Hände gefallen war, konnte letztlich keiner von ihnen seine Augen verschließen; am wenigsten er selbst, der ihr den Auftrag gegeben hatte, mitten in der Nacht loszufahren.
Einen Unfall hatten sie ausgeschlossen, denn von dem kleinen Kia fehlte genauso jede Spur wie von Rosé.
Und dennoch war keiner der Jungs bereit gewesen, die Suche einzustellen.
Bis heute.
Denn dass sie bei ihren nächtlichen Suchaktionen ausgerechnet Lisa über den Haufen gefahren hatten, war die größte Tragödie überhaupt. Wer zur Hölle denkt sich so etwas Krankes aus? Namjoon hatte sich nie gefragt, ob es einen Gott gab. Doch falls es ihn gab, hasste er ihn jetzt. Abgrundtief.
Jimin hielt ihm wortlos ein Glas Wasser hin. Namjoon drehte sich weg, doch sein Kumpel packte ihn an der Schulter und drückte ihm das Glas in die Hand. Er seufzte. Sein Freund meinte es gut. Bestimmt war ihm aufgefallen, dass er den ganzen Tag nichts getrunken hatte. Namjoon wischte sich über's Gesicht.
Er schaffte es nicht, das Glas in seiner Hand anzusehen.
Die Wahrheit war; er fürchtete sich. Er - der Boss - war Sklave seiner eigenen Angst und Unzulänglichkeit. Denn er hatte versagt, wo er es nie hätte tun dürfen.
Er hatte sie nicht beschützt.
Und nun ertrug er es nicht einmal mehr, sein Gesicht zu sehen.
Seit Rose's Verschwinden mied er alle spiegelnden Flächen. Es begann mit den Spiegeln, ging über auf die Fensterscheiben und schließlich auf die Fliesenböden in Bad und Küche. Wenn er so weitermachte, wäre er bald gezwungen, im Bett zu bleiben. Jetzt war es das Glas Wasser in seiner Hand, das ihn den Schweiß auf die Stirn trieb, dass er meinte, auszuflippen. Doch selbst wenn er den Verstand verlor, wäre das kein Opfer, denn es brachte weder Rosé zurück, noch machte es Lisa wieder gesund.
Und bevor er begriff, was geschah, rutschte das Glas durch seine zitternden Finger und zerbrach.
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