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HOLLY
Dad blickt mich an, als hätte ich seine Mutter auf übelste beleidigt und beschimpft, während aus Becas Mund ein quietschendes: „Was!?" kommt.
„Du hast mal erwähnt, dass du Würde hast und dich niemals auf sowas einlassen würdest. Und jetzt, nachdem Mom etwas mit einem Jüngeren hatte, rutschst du in die Midlife-Crisis und knatterst eine billige Stripperin!"
Beca will etwas sagen, aber mein Dad kommt ihr zuvor. „Holly, eine Sekunde, deine Wortwahl ist ja wohl das allerletzte!" Er redet leiser weiter. „Dein Sohn sitzt mit dir an dem Tisch und soll diese Wortwahl mitbekommen?"
„Ach, er kennt schon bösere Wörter", zische ich.
„Ja, ich darf die nur nicht sagen. Ich muss fragen und Mama darf Geld in die Fluchfrikadelle schmeißen!", redet Jackson mit einem stolzen Grinsen. „Für mein Kellogs."
„College", brummelt Dad und wendet sich wieder zu mir. „Wie kommst du darauf, dass Rebecca als eine... du weißt schon..."
„Schlüpperin", wirft Jackson ein, spielt aber mit seinem Auto weiter.
„Um, ja", nickt Dad. „Wie kommst du darauf?"
„Oh Gott", flucht Beca auf und schlägt sich die Hand vor die Stirn. „Wie sie darauf kommt? Das fragst du wirklich?" Sie fängt an zu lachen. „Lass unser Gespräch über das Glitzer und die verkorkste Amazon-Bestellung mal Revue passieren, Schatz!"
Sie scheint sich gar nicht mehr einzukriegen und ich komme mir einfach nur dumm vor. Auch Dad wird nicht ganz schlau aus der Sache und blickt sie verwirrt an. „Auch die kleinen Jungs stehen auf Glitzer", wiederholt Beca. „Handbälle passen nicht so in enge Löcher wie Pingpong-Bälle."
„Ist doch wohl mehr als offensichtlich!", rufe ich und deute auf Beca.
Diese blickt ernst zu mir, als Dad ahnungslos mit den Schultern zuckt. „Nein, nein, nein, ich bin keine, um deinen wundervollen Sohn zu zitieren Schlüpperin Zitat Ende", sagt sie. „Ich glitzere nur wegen einer selbst gemachten Glitzerbombe, die mir um die Ohren geflogen ist. Und das mit den Pingpong-Bällen, das ist nur für eine groß gebaute Murmelbahn, natürlich passen in die angepassten Rohre für die Pingpong-Bälle keine Handbälle rein. Die Löcher sind wirklich viel zu eng." Sie hält kurz inne, um nicht wieder anfangen müssen lauthals und schrill zu lachen. „Holly-Lolly, ich bin Naturwissenschaftslehrerin an einer Highschool. Unterrichte die Frischlinge."
Ich schlucke. „Tatsächlich?", krächze ich.
Beca nickt. „Ja, ich kann verstehen, dass du verwirrt bist. Die Sachen von gerade, Glitzer, mein Aussehen. Man schiebt mich immer in die falsche Schublade, finde ich blöd, aber ich liebe es, wie blöd Leute aus der Wäsche gucken können, wenn ich ihnen die Wahrheit sage." Lachend schlägt sie Dad auf den Oberarm. „Guck mal, sie guckt wie ein Auto, nur nicht so schnell."
Ich reibe mir die Schläfen. „Also bist du keine Schlüpperin?"
„Nein", wiederholt Beca deutlich. „Ich bin wirklich Lehrerin, an der Walter Payton oben in der Near North Side. Rebecca Tobyn, kannst mich googeln. Bin stellvertretende Rektorin, seit Jahren Vertrauenslehrerin. Walter Payton Highschool."
Fassungslos blicke ich sie an. „Es tut mir so unfassbar leid!", bringe ich stammelnd hervor. „Aber alle Punkte haben... och..."
„Ist okay, Holly, ist okay. Deine Mutter hat mich auch erst für eine Schlüpperin gehalten, wenn nicht sogar als eine leichtere Dame. Als ich ihr beweisen konnte, dass ich Lehrerin bin, hat sie die Klappe gehalten und mich auf die Ignorierliste gesetzt."
Keine Ahnung was ich noch sagen soll, außer: „Es tut mir echt leid."
„Das hab ich dir schon längst verziehen. Kriegst du überhaupt noch was mit?", lacht sie und greift nach dem Glas mit der Cola. „Deine Tochter ist ulkig. Kommt nach dir. Was ich hoffe. Deine Mutter ist echt eine Mistgabel."
„Das du und meine Mutter nicht gegenseitig Fans voneinander seid, ist okay, akzeptiere ich, aber das du sie beleidigst, finde ich nicht okay. Egal, was meine Mutter getan hat."
Beca hebt beschwichtigend die Hände. „Entschuldige. Ich reiße mich zusammen nicht die komplette Wahrheit über deine Mutter zu erzählen."
„Rebecca", mahnt mein Dad sichtlich genervt. „Jetzt nicht. Wir wollen Essen und ihr sollt euch kennenlernen. Ich will wieder Kontakt zu meiner Tochter haben."
„Nein, nein", werfe ich hellhörig ein. „Ich will aus ihrem Mund hören, was Mom angeblich noch gemacht haben soll. Sie muss es ja wissen."
„Ich weiß so einiges, Holly-Lolly, aber das soll dein Vater dir erzählen, wenn er dafür bereit ist. Entschuldige, dass ich dich jetzt deswegen kirre mache. Ich will auch nicht streiten, oder so."
„Ich will dir auch nicht die Gabel ins Auge rammen, oder so", ahme ich sie im gleichen Tonfall und mit Piepsestimme nach. „Komm, hau raus, was weißt du über meine Mutter, was mein Dad dir alles so erzählt haben soll und was ich nicht weiß."
„Holly, Rebecca. Könnten wir aufhören, danke!"
Dad wurde wieder überhört. „Nein, Abel. Deine Tochter verdient die Wahrheit über ihre Mutter und weil Sally und du..."
„Ich will es, verdammt noch mal, nicht an diesem Tisch besprechen, nicht in der Öffentlichkeit. Ich will hier mit dir, meine Tochter und meinem Enkel sitzen, über positive Dinge reden und in Ruhe essen, also tut mir beide den Gefallen und haltet die Klappe!"
„Boah", schnaube ich beleidigt und auch Beca scheint sichtlich empört zu sein.
Sie wendet sich zu mir. „Fährt er dich nach Hause?"
„Ja", antworte ich knapp.
„Willst du ein Weißwein?"
„Nein."
„Rotwein?"
„Ja!"
Beca und ich hauen beide auf den Tisch und stehen gleichzeitig auf, um zur Bar zu gehen und ich bin mir sicher, dass Dad und Jackson ziemlich verwirrt hinter her blicken.
„Also", fange ich an. „Ich weiß, dass meine Mutter untreu gewesen ist. Das ist kein Geheimnis. Ich meine, sie ist mit dem Bruder meines Verlobten im Bett gelandet... nicht nur einmal..."
Wir bleiben an der Bar stehen und warten auf den Kellner. Beca mustert mich. „Uff, dass Drama habe ich miterlebt. Dein Dad und ich kennen uns schon länger. Er ist Sergeant geworden, da habe ich gerade meinen ersten Arbeitstag als richtige Lehrerin gehabt."
„Wie alt bist du zur Hölle? Mein Dad wurde 2001 zum Sergeant befördert!", stoße ich perplex hervor.
„Ich werde dieses Jahr vierzig. Was glaubst du, wie alt ich bin?"
„Ich hab dich jünger eingeschätzt. Ich meine, ich hab dich damals gefragt, ob du überhaupt volljährig bist. Sagt ja wohl alles."
Beca legt die Stirn in Falten. „Hier. Kein Botox. Ich trinke sehr viel Wasser und achte auf meine Ernährung, aber der Hauptbestandteil sind die guten Gene meiner Familie. Danke für das Kompliment."
„Habe keins gemacht."
„Das ich aussehe wie nicht volljährig, nicht das, dass ich aussehe wie eine Schlüpperin."
„Es tut mir wirklich leid."
„Entschuldigst du dich heute noch einmal bei mir, gehen wir die Clubs unsicher machen. Ich weiß, laut deinem Dad, dass du Clubs verabscheust."
Ich nicke. „Ich bin eher so die Bargängerin." Ich denke kurz nach. „Um zurück auf meine Mutter zukommen, ich weiß auch mit der Sache vom Coach Finstock bescheid. Die beiden denken, ich weiß es nicht. Ich schleppe das Jahre mit mir herum und nicht mal mein Verlobter weiß das."
„Genau das war das, ja", nickt Beca und mustert mich. „Tut mir leid, ich bin eine, die will das man immer ehrlich zueinander ist und ich kann es absolut nicht haben, wenn Eltern meinen müssen ihre Erwachsenen Kinder anzulügen. Ja, die haben ihr eigenes Leben, ihre eigenen Bürden, aber wenn man Ehrlichkeit von euch verlangt, dann kann man diese auch von den Eltern verlangen."
„Hm", mache ich. „Sam und ich sind auch nicht immer ehrlich gegenüber Mom und Dad gewesen, vermutlich, weil diese uns selbst nicht immer ehrlich gegenüber waren. Ich hab wirklich gedacht, dass so etwas sie nicht auseinander bringen wird- also, meine Mom und Finstock... wenn es noch mal passiert."
„Aber es ist passiert und damit ist das Ende besiegelt. Nun, dein Dad ist älter geworden, weiser, weiß mittlerweile was ihm gut tut und was nicht, was er in seinem Leben gebrauchen kann und ebenso was nicht. Ihm geht's gut, seitdem er die Last namens Sally nicht mehr rumschleppen muss. Das siehst du auch selbst an ihm. Ein richtiger Dilf."
Ich pruste los. „Naja, eigentlich ist er ja schon ein Gilf."
Beca verzieht die knallroten geschminkten Lippen zu einem Lächeln. „Stimmt. Wobei ich ehrlich bin, dein Verlobter ist auch nicht von schlechten Eltern."
Sie stupst mich mit dem Ellenbogen an.
„Och, danke, japp, er sieht übertrieben gut aus."
„Das ist noch untertrieben und sein Charakter ist auch erstklassig, sonst hätte er Weihnachten nicht alles versucht um uns los zu werden, bevor dein Bruder und du davon mitbekommen."
Ich nicke. „Ja, kämpft wie ein Löwe der Typ."
„Welches Sternzeichen hast du und welches hat er?", fragt Beca mich.
Sie steht doch nicht etwa auf solch ein Sternzeichen-Ding, oder? Bitte nicht. Das ist der größte Humbug den es gibt.
„Er ist Stier und ich bin Fische", antworte ich und schaue abermals zu dem viel beschäftigten Kellner. Er trocknet am anderen Ende gerade Gläser ab und bemerkt uns noch immer nicht.
„Der Stier ist ein freundlicher und ehrlicher Mensch. Er ist ein guter Freund und Partner, der gern seine Liebsten umsorgt. Im Sternzeichen Stier geborene Menschen brauchen eine gewisse Sicherheit und Stabilität in Partnerschaft und Beruf", erzählt Beca.
Ja, passt alles zu Jay. „Hm", mache ich.
„Fische, nun, wenn einer einen guten Ratschlag und ein offenes Ohr braucht, steht ein Fisch an erster Stelle. Sie sind äußerst feinfühlig, hilfsbereit und handeln oft selbstlos. Für Familie und Freunde würde der Fisch alles tun. Deshalb sind die meisten Fischgeborenen im sozialen Berufen unterwegs."
„Ah, okay."
„Du kennst so überhaupt nichts mit den Sternzeichen-Kram anfangen, oder?"
„Nicht wirklich" gestehe ich. „Ich kenne mich nicht nur aus, es interessiert mich auch nicht wirklich."
„Oh, dass liegt an deiner Generation. Kinder der Achtziger hassen das. Die Neunziger sind wieder näher an den Siebzigern dran. Aber was soll's. Ich sag's kurz und knapp, ihr beiden passt zusammen, aber ob es bis interessiert und nicht, ihr beiden passt zu achtundachtzig Prozent zusammen."
„Okay."
„Wozu ich hinzufügen muss, euer Sexualleben liegt eher bei 99 Prozent."
„Könnten wir das Thema wechseln? Wie ich bereits erwähnt habe, interessiert mich dieser Hokuspokus-Kram nicht."
„Ist euer Liebesleben in der Kiste so grauenvoll?"
„Quatsch, nein. Absolut nicht", winke ich ab. „Da läufts rund. Ich finde es nur nicht gerade ein perfektes Gesprächsthema beim ersten kennenlernen."
Beca denkt nach und nickt. „Okay, du hast irgendwie recht. Kein gutes Thema. Okay. Ich bin echt zu offen für die Welt. Tut mir leid, tut mir leid."
Sie lehnt sich über die Theke, weil wir hier schon sicherlich fünf Minuten stehen und pfeift den Kellner zu sich rüber. „Bekommen wir hier auch noch etwas Alkoholisches zu trinken?", ruft sie rüber.
„Die Bar öffnet erst um achtzehn Uhr. Tut mir leid. Sie müssen zurück auf Ihren Plätzen und von dort aus bestellen!", ruft er uns zurück, um uns keines Blickes zu würdigen.
Beca und ich tauschen einen Blick aus und gehen zurück zu dem Tisch, an dem bereits unser Essen geliefert wurde.
Das ging schnell.
„Über was habt ihr beiden geredet?", will Dad skeptisch wissen und blickt zwischen uns beiden hin und her. „Hast du etwas gesagt, Beca?"
„Sie brauchte nichts sagen", werfe ich ein und greife nach der Gabel neben meinem reichlich gefüllten Teller, während der Kellner von hinter der Bar auf unser Tisch zu kommt.
Er nimmt die zwei Rotweine auf und verschwindet wieder. „Bevor wir anfangen zu essen", sagt Beca und schiebt die kleinen Gläser mit dem Uzo in die Mitte des Tisches. „So gehört sich das."
„Du kannst meinen trinken. Ich stehe nicht so auf Lakritze."
„Nehme ich dankend an. Dein Vater hasst diesen Geschmack auch. Drei für mich", freut sie sich und haut alle drei Gläser innerhalb weniger Sekunden weg.
„Weil das Thema mal wieder gewechselt wurde, wie Beca brauchte nichts sagen? Über was reden wir hier überhaupt?"
„Das deine Frau sich von dem damaligen Fußballcoach deines Sohnes hat begatten lassen."
Dad blickt mich entsetzt an. „Das weißt du?"
Der Kellner stellt Beca und mir endlich die Gläser Rotwein hin. Wir bedanken uns und ich greife sofort nach meinem Glas.
„Ja, war einige Jahre euer Lieblingsgesprächsthema und im Gegensatz zu Sam, diesem Trampel, kann ich mich unsichtbar machen. Habe so einiges mitbekommen."
Dad schließt die Augen und reibt sich die Schläfe. „Tut mir leid, dass du das mitkriegen musstest, Holly."
„Habe genug Zeit gehabt um das zu Verarbeiten und habe gedacht, das wird mit euch ewig halten, weil ihr danach enger zusammengewachsen seid. Habe mich dann wohl getäuscht", murmle ich und trinke einen Schluck.
„Einmal kann man schweren Herzens verzeihen, aber kein zweites mal. Ich wollte und konnte das nicht, Kleines."
„Ich verstehe, was du meinst, wenn die Liebe zwischen den Personen stärker ist, gibt man sich eben noch eine Chance."
„Du verstehst was du meinst. Heißt es, dein Verlobter war dir untreu?", fragt Beca hellhörig.
„Jay absolut nicht. Kelly ja."
„Du warst mit einer Frau verlobt!? Verdammt, Holly, Du fischst in beiden Gewässern. Das ist ja toll."
„Kelly, der Feuerwehrmann von dem ich dir erzählt habe", wirft Dad ruhig ein.
„Oh", macht Beca. „Achso. Dieser Kelly hat also eine andere neben dir gehabt, was?"
„Sie war auch nicht besser. Sam hat mir gesagt, dass du dich mit Jay eingelassen hast, als du noch mit Kelly liiert warst."
„Dad, dass sind zwei unterschiedliche Gründe. Mom hat mit Will geschlafen, weil sie einfach nur Spaß wollte, ich mit Jay, weil ich immer noch Gefühle für ihn hatte, Kelly weil der Typ sein Ego mit mehreren Frauen pushen will. Freundin, oder Verlobte hin und her."
„Man geht trotzdem nicht fremd. Hast du nicht gemerkt wie das wehgetan hat, als Kelly dir das angetan hat?"
Ich nicke. „Natürlich. Es tat weh, aber ich..."
Ich hab's nur gemacht, weil ich mich von meinen Gefühlen habe leiten lassen, nicht weil Kelly mir nicht gut genug war. „...wechseln wir einfach das Thema."
„Eben. Sowas gehört sich nicht beim ersten Kennenlernen", stimmt Beca mir zu.
Dankend blicke ich sie an und wende mich wieder meinem Essen zu.
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