24
JAY
Sam kommt sogar mit nach oben, um sich zu vergewissern, dass es Jackson auch wirklich gut geht.
Holly musste Jackson nicht mal eine Stunde nach Schichtantritt im Med aus dem Kindergarten abholen, da dieser starken Fieber, Durchfall und weinend über Schmerzen im Hals klagt.
„Ich war im Med, sie sagte, sei eine Grippe die wieder umgeht. Habe gedacht, ich hätte noch alles von der letzten Grippe da und bin direkt nach Hause gefahren", erklärt sie. „Pustekuchen. Ich hab nur noch das Paket Zäpfchen gegen Fieber da", flucht sie und nimmt ihren Bruder dankend die Tüte ab. „Ist das der Hustensaft mit Erdbeergeschmack?"
„Natürlich. Sogar die große Flasche", antworte ich, als ich ins Kinderzimmer gehe.
Jackson liegt hoch gebettet und tief schlafend in seinem verdunkelten Zimmer und bekommt noch nicht mal mit, wie ich meine kalte Hand auf seine Stirn lege.
Der Kleine ist richtig am glühen. „Ich arbeite heute ganz schnell, damit ich dir ganz viele Geschichten vorlesen kann", flüstere ich ihn zu und drücke einen kleinen Kuss auf die heiße Stirn.
Dann verlasse ich das Kinderzimmer und ziehe die Tür ran. „Du siehst so nachdenklich aus", höre ich Sam zu Holly sagen.
„Ach ist nur wegen dem Kleinen."
„Mach dir keine Sorgen. Es ist nur eine harmlose Grippe", kommentiert Sam und greift abermals nach der Schale mit den Keksen.
Trotzdem hat Holly diesen komischen Unterton. Ich weiß auch warum. Sie hat mindestens genauso Schiss wie ich, dass Jax wieder einen Fieberkrampf erleidet, sagt ihrem Bruder aber nichts.
Sam nickt und blickt kauend zu mir. „Wir müssen auch los. Wir werden ja nicht umsonst bezahlt."
„Passt auf euch auf. Ihr kennt das Gelaber ja", schnaubt Holly belustigt und blickt Sam hinterher, der unsere Wohnung verlässt.
Ich drücke Holly einen Kuss auf die Stirn und wollte ebenfalls gehen, aber sie zieht mich zurück. „Achte heute besonders auf Sam", sagt sie und blickt mich eindringlich an.
„Wieso?"
„Tristan wäre heute elf Jahre alt geworden."
Ich komme mir schlecht vor, dass ich das einfach vergessen habe. Das muss ich doch wissen, schließlich bin ich derjenige der Tristan gefunden hat und er war... ist ein Teil von Hollys Familie- auch irgendwie von meiner.
Und wenn Tristan heute seinen elften Geburtstag feiert, ist sein Todestag auch nicht mehr weit.
In genau einer Woche. Vor vier Jahren.
„Oh", mache ich. „Ich pass heute schon auf Sam auf." Ich küsse Holly zum Abschied und verlasse die Wohnung.
Im Fahrstuhl denke ich fieberhaft darüber nach, ob ich mit Sam über Tristan reden, oder kein Wort darüber verlieren soll.
Ich kann ja nicht in seinem Kopf gucken, ob er darüber reden will und darauf wartet, dass er nicht den ersten Schritt machen muss, oder er gar nicht darüber reden will.
Eindeutig eine Zwickmühle und ich beschließe kein Wort darüber zu verlieren.
***
Wir müssen einige Zeit an diesem Treffpunkt in mitten eines stillgelegten kleinen Güterbahnhof warten, bis ich aus den Augenwinkel endlich eine Person wahrnehme, die auf das Auto zugelaufen kommt.
„Endlich", bemerkt Sam, der komplett aus dem Fenster geschaut hat. „Der ist eigentlich immer pünktlich."
Die hintere Fahrertür wurde aufgerissen und die hibbelige Person springt auf die Rückbank.
Ich beiße von meinem Burger ab, drehe mich um und ziehe eine Augenbraue hoch. „Boah", schüttelt er sich. „Meine Fresse ist das kalt!" Sams Informant pustet sich in die Hände und reibt diese aneinander.
Ich blinzle verwirrt, schaue weg, um dann wieder auf die Rückbank zu glotzen. „Was gibt's, Sammy?"
Dieses mal fixierten die strahlend blauen Augen mein Gesicht. „Meine Fresse."
„Das ist mein Kumpel. Hal..."
„Jay!"
„Mouse! Wo zum Geier bist du gewesen?", frage ich stinkig und drehe mich ganz zu ihm.
„Mouse? Er hat mir gesagt er heißt Jesse!"
Sam ist verwirrt und sauer zu gleichen Teilen.
„Um Gottes Willen. Woher kennt ihr beiden Vollidioten euch?"
„Äh", macht Mouse. „Wir waren in der Army. 3rd Battalion 75th Ranger Regiment..."
Sam dreht sich ganz zu Mouse. „Das sagst du erst jetzt? Du warst bei der Army? Jesse heißt du dann wohl auch nicht?"
„Du hattest nicht gefragt. Du hättest auch einfach ein Backround-Abfrage in sämtlichen polizeilichen Server zu meinem Leben machen können, Sam. Ich bin vertrauensvoll und du machst deine Arbeit nicht richtig!"
„Wie bitte? Ich habe deinen Namen Jesse Upton durchchecken lassen. Sämtliche Datenbanken haben mir deine Visage angezeigt!", motzt Sam rum.
„Dann habt ihr echt beschissene Server."
Mouse lehnt sich zurück und blickt zwischen Sam und mir hin und her.
„Wie heißt er richtig, Jay?"
„Greg Gerwitz."
„Und so heißt er auch wirklich und hat dir nicht ebenfalls irgendwelche falschen Daten gegeben."
Ich schnaube belustigend. „Hoffentlich." Eindringlich blicke ich Mouse an.
„Doch, doch, doch. Ich bin Greg Gerwitz. Ich schwöre auf meine Granny, Leute."
Ich schneide eine Grimasse und blicke zu Sam. „Er liebt seine Granny. Ich hab die alte rüstige Dame schon kennenlernen dürfen."
„Na dann", murrt Sam und ich weiß, dass er das nicht auf sich sitzen lassen wird. Er ist ziemlich angepisst, was Mouse lügen angeht.
„Was ist mit Apple?", hake ich nach.
Ich war von ein paar Tagen sämtlichen Apple-Store abgefahren, um mit Mouse wegen der Therapie-Sache zu quatschen, aber der Hauptstore in Downtown meint, dass er schon einige Monate dort nicht mehr arbeiten würde. Immerhin gab er da seinen richtigen Namen an.
„Vertrag war nur befristet. Naja. Hab mich die letzten Monate so rumgeschlagen", gesteht er.
„Und dich nicht ein einziges mal bei mir gemeldet!"
„Du doch auch nicht."
„Ich hab's versucht!", rechtfertige ich mich.
„Ich bin viel beschäftigt, änder oft meine Nummer, meine Identität. Gibt viele Arschlöcher dort draußen." Mouse schnieft und wendet sich Sam zu. „Wieso das Treffen, Detective?"
Sam, sichtlich eingeschnappt, bis von seinem Burger ab und blickt mich an. Dann muss ich das wohl übernehmen.
Ich halte Mouse die kalte Packung mit den Pommes hin, die er mir gierig entreißt. Sofort stopft er sich Pommes in den Mund hinein.
„Weißt du was über den Baustellen-Diebstahl in Harvey?", will ich wissen.
Mouse kaut auf einigen Pommes herum, während er sich nervös umschaut. Dann kratzt er sich den Dreitagebart. „Kann sein, dass ich was gehört habe."
„Okay, gut." Keine Antwort, während Mouse aus den Fenster glotzt. „Uuuund?"
„Aber meine Ohren sind so voller Ohrenschmalz..."
Ich verdrehe die Augen. „Natürlich. Immer dieser Ohrenschmalz", kommentiere ich und ziehe zähneknirschend aus meiner Jackentasche ein Bündel Bargeld hervor.
Damit winke ich vor Mouse's Gesicht herum.„Und? Sind deine Ohren wieder sauber?"
So schnell ich gar nicht gucken kann, reißt Mouse sich das Bündel unter die Finger und steckt es weg. „So ein neuer Vogel in der Stadt hat nach Knallfröschen gesucht. Ich unterstütze ihn als, naja, Berater, oder so."
Wieder schiebt er sich mehrere Pommes in den Mund und erst jetzt nehme ich den intensiven Geruch von Gras wahr, der eindeutig aus seiner Richtung kommt.
Er hat doch damit aufgehört. Mensch, Mouse.
Sam blickt zu mir. „Organisiere ein Treffen. Wir bieten Kapseln und Zündschnüre an."
Mouse blickt mich langsam kauend an. „Wie? Sofort?"
„Ja, mach das Treffen klar. Spreche ich Spanisch?"
Mouse nickt. „Okay. Fahr Richtung Erie und Sedgwick. Ich mach's."
***
Während Mouse mit diesen unbekannten Typen telefoniert, kann ich in Ruhe meinen Burger essen und Sam konzentriert sich ziemlich genervt auf den Verkehr.
„Das Treffen geht klar", höre ich Mouse sagen, nachdem ein älteres Klapphandy zugeklappt wurde. „Einfach da hin fahren. Den Rest erkläre ich dir gleich."
„Nur noch mal auf Nummer sicher zu gehen... wir beide...", sage ich und drehe mich zu Mouse, dabei deute ich erst auf Sam und dann auf mich. Mouse blickt mich aufmerksam an. „...bieten Zündschnüre und Zündkapseln an."
„Das hab ich schon beim ersten Mal verstanden, Jay", lässt mich Mouse wissen. „Alles gut, du kannst mir da vertrauen."
„Schwierig, wenn du Lügen kannst ohne rot zu werden, Jesse Upton, oder Greg Gerwitz, wenn Greg Gerwitz überhaupt dein richtiger Name ist", zischt Sam genervt.
„Ich schwöre dir, dass ich wirklich Greg heiße, sei doch deswegen nicht eingeschnappt. Ich bin dir immer ein verlässlicher Informant gewesen. Mein Wissen hat dich weit gebracht. Also zieh den Dildo deiner Mutter..."
„Mouse!", schreie ich und gebe noch irgendwelche anderen Laute von mich, damit Mouse die Klappe hält. Macht er dann auch, während Sam unerwartet ruhig bleibt.
Sam unnötig zu provozieren bringt halt nichts, außer, je nach Grad der Beleidigung, entweder eine Ohrfeige, oder die geballte Faust.
„Am besten nicht provozieren. Er hat eine saugute Rechte."
„Hab ich schon Bekanntschaft mitgemacht", murmelt Mouse kleinlaut.
Oh, gut zu wissen.
„Wenn du gerne ein Wiedersehen willst", Sam hält seine rechte, geballte Faust hoch. „Kein Problem, die stopft dir gerne deine große Klappe."
„Ja, ist ja schon gut. Ich hab's verstanden. Ich halte die Klappe." Für drei Sekunden bleibt Mouse ruhig, ehe er sich räuspert. „Und Jay, wie geht's Holly so?"
„Ganz gut."
„Eurem Kind?"
„Jackson macht sich gut. Wird im Juni Drei."
„Schon. Wow. Wie die Zeit verfliegt. Krass. Geht er schon in den Kindergarten?"
„Ja, findet er ganz toll. Nicht vergessen uns zu sagen, wo wir hin müssen."
„Ja, klar, natürlich. Wie gesagt. Wir müssen erstmal Erie Ecke Sedgwick."
***
Wir gehen den unfreundlichen und nicht gerade von Licht gefluteten Treppenhaus hinauf, folgen Mouse durch den Flur, bis wir an einer Tür stehen bleiben, an die er anklopft.
Ein paar Sekunden später wird uns die Tür von einer jungen Frau geöffnet. Sie sagt nichts, geht wieder weg und verschwindet den langen Flur entlang, um in einen der vielen Zimmer zu verschwinden.
„Und woher kennst du diese Leute, Mouse?", fragt Sam, als wir uns neugierig umblicken. Ich bin sogar so nett und drücke die Wohnungstür wieder zu.
„Keine Ahnung. Man kennt den einen man kennt irgendwie den anderen."
„Das ist nicht gerade hilfreich", kommentiert Sam und stämmt genervt die Hände in die Hüfte.
„Was haben wir denn?", ertönt eine tiefe Stimme und wenig später tritt aus einem der Räume ein Mann hervor.
Schwarzes Haar, welches ihm bis zum Kinn ging, dunkler Bart, dunkle schmale Augen. Unsympathisch- und das schon auf dem ersten Blick.
Mich würdigt er keines Blickes, während er Sam anstarrt und Sam ihn anstarrt. Beide wirken, als kennen sie sich, seien nicht gerade begeistert sich zu sehen.
„Ihr sucht nach etwas was wir euch geben können", sage ich.
„Etwas?", fragt der Typ gespielt irritiert. „Was für Etwas bitte schön?"
„Zündschnüre, Zündkapseln."
„Und für was genau brauche ich diese Dinge?"
Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung für was du das Zeug brauchst. Ist deine Sache."
Der Typ blickt von mir zu Sam. „Ernsthaft, Detective."
Die beiden kennen sich. Hätte Sam mich nicht vorwarnen können?
„Was meinst du, Charlie?", fragt Mouse.
„Schnauze, Mouse", fuhr dieser Charlie ihn an, um dann wieder zu Sam zu blicken. „Wir sind uns doch auf der Wache begegnet- als ich Erin Lindsay besucht habe. Hast du das etwa vergessen?"
Sam tritt auf diesen Typen zu, der fast einen ganzen Kopf kleiner ist und schaut auf ihn ab. „Sowas würde ich doch nicht vergessen. Ist da vielleicht etwas, was du uns sagen willst?"
„Nein, nein, ich habe nichts zu erzählen. Richte Erin doch liebe Grüße von mir aus."
Damit dreht sich der Typ um und lässt uns stehen.
***
„Muss ich irgendwas wissen?", frage ich Sam, als wir durch den Hintereingang die Wache betreten.
Wir haben Mouse an einem Hotel im Norden rausgeschmissen und sind dann schweigend zur Wache gefahren.
Ich meine, wir sind einen Schritt weitergekommen. Dieser Charlie war offensichtlich an dem Deal wegen den Zündschnüren und den Zündkapseln interessiert und hätten Sam und er sich nicht gekannt... vielleicht wären wir dann einen gewaltigen Schritt, als einen Schritt weiter.
„Nein, du brauchst gar nichts wissen", brummt Sam. Nach dem Zusammentreffen mit diesem unsympathischen Typen ist seine Laune wirklich mehr als im Keller.
„Du weißt, dass wir das Voight melden müssen."
Aus dem Nichts hat mich Sam am Kragen meiner Jacke gepackt und mich gegen die Wand im Treppenhaus gedrückt.
„Einen Scheißdreck, Jay. Du hältst die Schnauze, bis ich dir das okay gebe", motzt er mich an. Warnend starrt er mich an.
„Rede nicht so mit mir, als sei ich gerade erst in die Unit getreten!", knurre ich und schubse ihn von mir weg.
Sam hat meine Stärke unterschätzt und knallt mit dem Rücken an die gegenüberliegende Wand im viel zu schmalen Treppenhaus.
Entgeistert blickt er mich an.
„Ich ziehe auch jeden Tag die Weste an, mach mir die Hände schmutzig, riskiere mein Leben für andere Leute, damit diese sicher sind."
„Ich rede mit Erin", brummt Sam, springt die restlichen Treppen nach oben, um dann viel zu grob die Tür zu öffnen.
„Vollidiot", flüstere ich vor mich hin, als er außer Hörweite ist und lehne mich an die kalte Wand.
Einen Moment später gehe ich nach oben und setze mich an meinem Schreibtisch, wohlwissend, dass ich etwas habe, was uns weiterbringen kann.
Aber ich soll ja die Schnauze halten.
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