01
"Seulgi, bitte erzähl uns, was genau passiert ist. War irgendetwas in der Nähe von Jongin ungewöhnlich?" Noch immer völlig geschockt stand ich zitternd im Eingangsbereich. Um mich herum hatten sich meine Freunde versammelt, ihre besorgten Stimmen überschlagen sich in einem Sturm von Fragen. Ihre Gesichter spiegelten Angst und Verwirrung wider, doch ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ich wollte antworten, aber die Worte blieben mir im Hals stecken.
Giselle, eine meiner engsten Freundinnen, die mich gut genug kannte, um zu spüren, dass ich kurz davor war zusammenzubrechen, hob ihre Hand und sprach in einem festen, aber ruhigen Ton. "Lasst Seulgi erst mal durchatmen. Sie ist offensichtlich überfordert." Sie hielt kurz inne und schaute mich mitfühlend an, bevor sie fortfuhr. "Ich denke, wir sollten ihr etwas Zeit geben, bevor wir weitere Fragen stellen. Die Polizei wird sich sowieso mit ihr unterhalten müssen, und es wäre besser, wenn sie sich nicht zu sehr unter Druck setzt."
Ihre Worte schienen die Gruppe zu beruhigen. Langsam löste sich die Anspannung, und viele der Anwesenden zogen sich zurück, um mir Raum zu geben. Nur Wendy, Joy und Giselle blieben dicht bei mir, ihre Blicke voller Sorge und Mitgefühl.
Einige Augenblicke später trat eine Polizistin auf uns zu. Sie war auffallend schön und wirkte gleichzeitig professionell und beruhigend. Ihr langes, schwarzes Haar fiel in weichen Wellen über ihre Schultern, und ihre Augen musterten mich aufmerksam, aber freundlich. "Du bist Seulgi, richtig? Diejenige, die das Opfer gefunden hat?" Ihre Stimme war ruhig und sachlich, aber dennoch hatte sie etwas Tröstendes an sich.
Ich brachte nur ein schwaches Nicken zustande. Die Bilder, die sich in meinen Gedanken wieder und wieder abspielten, raubten mir die Worte.
"Gut," fuhr sie fort, während sie ein Notizbuch und einen Stift hervorholte. "Ich bin Bae Joohyun, und ich leite die Ermittlungen in diesem Fall. Könntest du mir bitte genau beschreiben, was passiert ist?"
Tief durchatmend versuchte ich, mich zu sammeln, obwohl mein Herz vor Angst und Schmerz hämmerte. Mit zitternder Stimme begann ich zu erzählen. "Meine Freunde und ich... wir waren beunruhigt, weil Jongin plötzlich nicht mehr auf unsere Nachrichten geantwortet hatte und auch nicht zu unserem geplanten Treffen erschienen war. Das war völlig untypisch für ihn." Ich hielt inne, der Kloß in meinem Hals wurde dicker. "Also beschlossen wir, ihn zu suchen. Wir teilten uns auf, und ich ging in die zweite Etage, um die Übungsräume zu durchsuchen."
Meine Stimme begann zu brechen, als die Erinnerung mich überrollte. "Als ich die sechste Tür öffnete..." Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, doch ich zwang mich, weiterzusprechen. "Da lag er... Mitten in einer Blutlache." Mein Atem stockte. "Ich bin sofort zu ihm hin und habe versucht, seinen Puls zu fühlen, aber... er war schon tot." Meine Stimme brach endgültig, und ich schluchzte leise. "Dann habe ich die Polizei und die anderen verständigt."
Joohyun, die geduldig zugehört hatte, machte sich fleißig Notizen. Sie wirkte ungerührt, aber dennoch voller Mitgefühl. "Vielen Dank für deine Auskunft", sagte sie schließlich sanft. "Wie lange habt ihr vorher nichts mehr von dem Opfer gehört?"
Wendy, die meine Unsicherheit spürte, sprang für mich ein. "Es waren etwa zwei Tage. Das ist sehr ungewöhnlich für Jongin. Er war sonst immer zuverlässig und hat sich regelmäßig gemeldet."
Joohyun nickte ernst, bedankte sich noch einmal und verabschiedete sich dann mit einem letzten freundlichen Blick auf mich.
Ich atmete tief ein, doch die Last auf meiner Brust schien sich nicht zu lösen. Die Ereignisse des Tages hatten mich völlig ausgelaugt. Mit schwacher Stimme wandte ich mich an meine Freundinnen. "Ich glaube, ich sollte jetzt nach Hause gehen. Das alles ist einfach zu viel für mich im Moment."
Wendy, Joy und Giselle tauschten besorgte Blicke aus, sagten aber nichts dagegen. Stattdessen begleiteten sie mich wortlos bis zur Tür. Dort blieben sie stehen, und ich spürte ihre Blicke auf mir, während ich langsam den Weg nach draußen ging. Bevor ich die Straße erreichte, drehte ich mich noch einmal um und sah, wie sie mir nachwinkten, ihre Gesichter voller Mitgefühl.
Als ich die Haustür hinter mir schloss, ließ ich mich erschöpft an die Wand sinken. Meine Beine fühlten sich wie Blei an, und mein Herz pochte noch immer in meinem Brustkorb, als könnte es sich nicht beruhigen. Die Stille meines leeren Apartments fühlte sich überwältigend an. Sie erinnerte mich daran, wie endgültig alles war. Jongin war tot. Diese schreckliche Tatsache wollte einfach nicht in meinen Kopf. Ich wünschte mir, dass ich nur träumte und jeden Moment aufwachen würde.
Doch das tat ich nicht. Die Realität war unbarmherzig.
Ich ließ die Tränen, die ich zurückgehalten hatte, endlich freien Lauf. Ein verzweifeltes Schluchzen entkam meiner Kehle, und ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Alles kam über mich wie eine Flutwelle. Die Bilder von Jongins leblosem Körper, das Blut, das sich um ihn herum ausgebreitet hatte – es war zu viel.
Ich wusste nicht, wie lange ich dort saß und weinte, aber schließlich hörte ich das leise Vibrieren meines Handys auf dem Couchtisch. Zögernd stand ich auf, wischte mir die Tränen ab und sah auf das Display. Es war eine Nachricht von Wendy.
Wendy: Wir denken an dich, Seulgi. Wenn du irgendwas brauchst, egal was, sag einfach Bescheid.
Ein kleiner Teil von mir war dankbar, dass ich nicht allein war, auch wenn ich mich in diesem Moment so fühlte. Ich wollte antworten, aber meine Finger zitterten. Was hätte ich sagen sollen? Dass ich gerade das Gefühl hatte, die Welt würde untergehen? Dass ich keine Ahnung hatte, wie ich mit diesem Schmerz umgehen sollte?
Stattdessen legte ich das Handy zurück und ließ mich auf die Couch fallen. Die Erschöpfung überkam mich mit solcher Wucht, dass ich die Augen schließen musste. Vielleicht, dachte ich, würde der Schlaf mich für ein paar Stunden von dieser Realität befreien.
Doch kaum hatte ich die Augen geschlossen, wurde ich von einem merkwürdigen Geräusch aufgeschreckt. Es war ein leises Klopfen – oder war es ein Kratzen? Irritiert setzte ich mich auf. War das von der Tür gekommen? Oder vielleicht von einem der Fenster?
Mit klopfendem Herzen stand ich auf und ging langsam zur Eingangstür. Ich lauschte, aber da war nichts. Vielleicht war es nur meine Fantasie. Der Tag hatte mich zu sehr mitgenommen, und mein Geist spielte mir Streiche.
Doch dann hörte ich es wieder. Ein ganz leises, fast unmerkliches Kratzen, diesmal deutlicher. Es kam von der Tür. Ich atmete tief durch, zwang mich, ruhig zu bleiben, und griff vorsichtig nach der Türklinke. Langsam öffnete ich die Tür einen Spalt.
Die kalte Abendluft strömte herein, aber da war niemand. Der Flur war leer, nur das schwache Licht der Flurlampen spiegelte sich auf dem Boden. Verwirrt trat ich einen Schritt vor und sah mich um.
Gerade als ich mich entschloss, die Tür wieder zu schließen, fiel mein Blick auf den Boden. Ein kleiner, unscheinbarer Zettel lag dort, als wäre er unter der Tür durchgeschoben worden.
Mein Herz setzte einen Moment aus.
Zögernd hob ich den Zettel auf. Die Buchstaben darauf waren hastig und ungleichmäßig geschrieben, als hätte der Verfasser es eilig gehabt oder wäre nervös gewesen.
Ich hielt den Zettel in meinen zitternden Händen, unfähig zu glauben, was ich gerade las:
Du bist die Nächste. Sei vorsichtig, Seulgi
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