13. sie schläft nur
DIE LETZTE STADT ⸺ Müde erreichte Johanna das Büro von Ava Paige und beim klopfen merkte sie, wie kraftlos sie eigentlich war. Die ganze Nacht hatte sie nicht ein einziges Mal die Augen zubekommen. Ihre Gedanken waren ein reines Chaos und sie hasste sich so unglaublich sehr dafür, dass sie es nicht schaffte wenigstens einen ihrer Freunde zu beschützen.
Zu retten. Vor den ganzen Qualen, welche sie ihm Labyrinth erleben mussten. Sie schloss für einen Bruchteil einer Sekunde ihre hübschen Äuglein, als diese wässrig wurden und nahm einen tiefen Atemzug, bevor sie anschließend die Tür öffnete, nachdem die Organisationsleiterin "herein" gesagt hatte.
Ava Paige saß an ihrem großen Schreibtisch, wie sonst auch immer, während sie fokussiert einige Papiere begutachtete, die sie in ihren Händen hielt. Die beschrifteten Zettel legte sie allerdings augenblicklich zur Seite, um das junge Mädchen ansehen zu können. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen und ließ sie sympathischer wirken, als das ganze geschützte Gebäude.
»Johanna«, begrüßte die ältere Frau die angehende Ärztin und erhob sich schließlich von ihrem Schreibtischstuhl, der bei ihrer Bewegung ein leises quietschen von sich gab. »Schön, dass du gekommen bist, Liebes«, fügte sie stets lächelnd hinzu und erkannte deutlich beim genaueren Mustern ihres Gesichts, dass sie die letzte Nacht keinen Schlaf bekommen hatte.
Auch die Mundwinkel von der Brünetten wanderten ein kleines bisschen nach oben und zierten ihr dennoch hübsches Gesicht mit einem schmalen Lächeln. »Sie wollten mich sprechen?«, kam es von Johanna und bekam, nachdem sie zu Ende gesprochen hatte, ein kurzes Nicken von der Leiterin der Organisation. Ava Paige trat hinter ihrem Schreibtisch hervor und lief einige Schritte auf ihre Mitarbeiterin zu, die sie wirklich sehr ins Herz geschlossen hatte.
Janson hatte nicht gelogen, als er zu ihr meinte, dass Johanna ihr Liebling wäre. »Wir haben beschlossen, dass du dabei bist, wenn Proband A-9 ins Labyrinth geschickt wird«, erklärte sie dem jungen Mädchen und legte für einen Augenblick ihre weiche Hand an die warme Wange der angehenden Ärztin. Das schmale Lächeln verblasste augenscheinlich und hinterließ einen undefinierbaren Gesichtsausdruck.
Wir?, fragte sich Johanna verwirrt in ihren Gedanken und wusste vorerst nicht, wer noch diese Entscheidung getroffen hatte. Allerdings war es relativ offensichtlich, dass der Rattenmann wieder einmal seine schmutzigen Finger im Spiel hatte. Wäre Ava Paige nicht die Leiterin von ANGST, hätte er schon längst viel schlimmere Dinge getan, um ein Heilmittel zu finden.
Dabei war diese Phase hier auch nicht ohne. Selbst wenn es womöglich eine weniger schmerzhafte Methode gab das Virus zu besiegen, war sich die Braunhaarige Schönheit nicht einmal wirklich sicher, ob Ava Paige und der Vizekanzler einverstanden wären diese auch in Erwägung zu ziehen. Überhaupt an Stelle der Labyrinthexperimenten zu versuchen, damit die restliche Menschheit überlebte.
Die ältere Frau nahm ihre Hand wieder zu sich zurück und lief an Johanna vorbei, um anschließend die Bürotür zu öffnen. Geduldig wartete sie darauf, dass das Mädchen ihr zum Überwachungsraum folgte. Zugegeben war der Brünetten bewusst, dass sie keine andere Wahl hatte und ging anschließend zusammen mit Ava Paige den eintönigen, langweiligen Flur entlang.
»Proband A-9 befindet sich nun im Aufzug nach oben ins Labyrinth A«, teilte Mary den anwesenden mit, welche vor den vielen Bildschirmen auf einem Drehhocker saß und gelegentlich irgendwelche Knöpfe der Tastatur drückte. Johanna stand neben der Organisationsleiterin und beobachtete die ganze Situation mit schmerzendem Herzen.
Ihr Herzschlag hatte sich unwillkürlich beschleunigt. Ebenso unkontrolliert hob und senkte sich ihr Brustkorb bei jedem Atemzug, den sie machte. Beruhigend legte Ava Paige ihre Hand auf den unteren Rücken des jungen Mädchens und strich mehrmals über diesen, aber diese Berührung verschlimmerte nur alles bei der Brünetten.
Ihr war nicht aufgefallen, dass mittlerweile auch Janson im Überwachungsraum hinter ihr an der Wand stand. Neben ihm natürlich Teresa, die besorgt ihre ehemalige Freundin betrachtete. Sie wirkte so angespannt und völlig versteift, während ihre Atmung immer schneller wurde. »Schickt ihn nach oben zu den restlichen Testobjekten«, befahl die blonde Frau und nickte in die Richtung von Mary.
Diese drehte ihren Kopf zurück zu den vielen Bildschirmen und zögerte einen Augenblick, bis sie die Anweisung weiter gab. Der Aufzug setzte sich keine Sekunde später in Bewegung und alles was Johanna in diesem Augenblick wahrnehmen konnte, war, wie ihr Gally bewusstlos und ohne jegliche Erinnerungen mittig in der Box lag.
Ihr Magen drehte sich bei diesem Anblick komplett um und erzeugte ein unangenehmes Gefühl in ihrem inneren. Der Braunhaarigen Schönheit war schlecht. So schlecht, dass sie kaum noch ihre hübschen Äuglein offen lassen konnte. Ihre Beine fühlten sich wackelig an. Genau wie Wackelpudding. Johanna tat sich schwer damit nicht den Halt zu verlieren.
Jedoch trat sie einen Schritt nach hinten, wodurch sie beinahe mit dem harten Untergrund kollidiert wäre. Ihr Mund war ein Spalt geöffnet, die Augenbrauen leicht nach oben gezogen und ihr Gesichtsausdruck spiegelte die pure Angst wieder. Teresa wollte nach dem Arm der angehende Ärztin greifen und ihr helfen, weil sie nicht länger mitansehen konnte, wie sie von diesem Rattenmann und Ava Paige gequält wurde.
Es war ihr immernoch rätselhaft, wie sie herausgefunden hatten, dass sie mit Gally eine heimliche Beziehung geführt hatte. Denn diesmal hatte Teresa dicht gehalten und nichts weitererzählt. Nicht so, wie bei Johanna's Schwester Emma und ihrem geliebten Newt, der solch schlimme Erfahrungen im Labyrinth gemacht hatte, die ihn für immer prägten.
Das junge Mädchen stürmte zügig aus dem Überwachungsraum und rannte den langen Flur entlang. Hilfesuchend hielt sie sich an den Wänden fest, um nicht auf den Boden zu fallen. Es fühlte sich an, als wurde ihre Lunge von einer unsichtbaren Hand zugeschnürt und jeder Atemzug fiel ihr mit jeder Sekunde schwerer.
Ein erschrockenes keuchen entwich ihrem Mund, nachdem sie einen ekelhaften Schmerz in ihrer rechten Schulter spürte, der sich rasend schnell in ihrem gesamten Körper ausbreitete. Ihre Sicht war völlig verschwommen und kleine schwarze Punkte bildeten sich vor ihren Augen, bis ihre Umgebung endgültig verschwunden war.
Den Aufprall auf dem harten Untergrund spürte sie gar nicht mehr. Ava Paige blickte zu dem Vizekanzler und hob eine ihrer Augenbrauen in die Höhe. Janson hatte eine schwarze Pistole auf Johanna gerichtet und einen Schuss abgefeuert, damit sie den Vorgang nicht abrechen oder verhindern konnte.
Die Labyrinthexperimente durften verdammt nochmal nicht unterbrochen werden! War er der einzige, der diese Phasen ernst nahm?
»Keine Sorge, sie schläft nur. Ihrem Liebling geht's gut«, meinte der schmierige Rattenmann und konnte nicht vermeiden, dass seine Mundwinkel kurz zuckten. Ein leichtes Grinsen in seinem Gesicht bildeten.
⸺❀⸺
Teresa stellte das Tablet mit dem leckeren Essen aus der Kantine auf den Tisch, nachdem ihr die Zimmertür von dem Wachmann, der vor dieser stand, geöffnet wurde. Sie bedankte sich mit einem Lächeln bei ihm und widmete sich dann ihrer ehemaligen Freundin, welche mittlerweile wieder bei Bewusstsein war.
Johanna saß auf einem relativ unbequemen Bett und starrte die gegenüberliegende weiße Wand an. Die Agnes kniete sich langsam vor ihr auf den Boden und hatte ihre perfekt geformten Lippen aufeinander gepresst, sodass diese zu einem schmalen Strich geformt wurden. Sie hatte keine Ahnung, wie sie ein Gespräch mit ihr anfangen sollte.
»Ich bin nicht die Verrätetin, Allison. Zumindest nicht diesmal«, teilte sie der angesprochenen mit und hielt unbewusst ihren Atem an, als die beiden intensiven Blickkontakt miteinander hielten. Ihr Gesichtsausdruck war unmöglich zu entziffern und ihre Augen wirkten so leer. »Wenn du ... Wenn du etwas brauchst, dann sag es mir, okay?«, fügte Teresa hinzu.
Sie wartete einen Augenblick auf eine Reaktion, ehe sie letztendlich wieder aufstand und nervös mit dem Saum ihres Arztkittels. Sie ließ den weichen Stoff zwischen ihren Fingern gleiten und suchte vergeblich nach den passenden Worten, um mit bedacht ihren nächsten Satz anzufangen. Es gab da nämlich noch etwas, was Teresa der Brünetten unbedingt noch mitteilen wollte, bevor sie es wahrscheinlich auf eine viel schmerzhaftere Art erfuhr.
»Mr. Janson und Dr. Ava Paige haben mich darum gebeten, dass ich die Probanden von Labyrinth A beaufsichtige und die Untersuchungen durchführen könnte«, rückte sie endlich mit der Wahrheit raus, doch während die Worte ihr Mund verließen, hatte sie Johanna den Rücken zugekehrt. Sie hatte Angst der angehenden Ärztin in die Augen zu blicken.
»Es tut mir wirklich so leid, Allison«, war das letzte, was die Agnes noch sagte und verschwand dann anschließend aus dem kleinen Raum. Die schwere Metalltür wurde verriegelt, damit Johanna nicht abhauen konnte.
Oder eher die Labyrinthexperimente nicht erschweren würde.
Vorerst jedenfalls.
Sie vernahm ein merkwürdiges Geräusch, welches immer lauter wurde und schaute sich verwundert im ganzen Zimmer um, bis sie bei dem Lüftungsschacht hängen blieb. Die Metallplatte wurde nach oben geklappt und jemand kletterte aus dem schmalen Schacht heraus. »Noah?«, kam es verwirrt von der Jugendlichen. Ihre Stimme hörte sich an, als hätte sie durchgehend geweint.
Sie rutschte an das Ende des Bettes und versuchte aufzustehen. Der eben erwähnte Junge war sofort bei ihr und platzierte seine großen Hände an ihre Hüfte, damit sie einen besseren Halt auf den Boden hatte. Johanna legte leicht lächelnd ihre Armen um seinen Nacken und umarmte ihn. Sie brauchte es. So sehr.
Er gab ihr einen sanften Kuss auf ihren Haaransatz und genoss diesen Körperkontakt in vollen Zügen. »Du liebst ihn also immer noch?«, fragte der Dunkelblonde Junge und unterdrückte die aufkommende Eifersucht, die er gegenüber von Gally verspürte. Obwohl die beiden miteinander befreundet waren, störte es ihn doch ziemlich, dass sein bester Freund etwas von Alli angefangen hatte.
Sie zog ihren Kopf zurück, damit sie ihn ansehen konnte und runzelte überrascht ihre Stirn, wodurch sich auf dieser einige Falten bildeten. »Was? Warum sollte ich denn aufhören etwas für ihn zu empfinden?«, wollte sie wissen und entfernte sich nun vollständig von dem Probanden, der hier eigentlich nichts zu suchen hatte.
Noah starrte sie stillschweigend an, ehe er ihr eine klare Antwort gab. »Er ist nicht der einzige, der sich in dich verliebt hatte«.
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