06. nicht immun
DIE LETZTE STADT ⸺ »Hey, Mary«, ertönte die beruhigende Stimme von Emma, nachdem sie hinter sich die schwere Metalltür geschlossen hatte. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre perfekt geformten Lippen, als sie den Blick von der älteren Ärztin streifte, die vor einem Mikroskop saß. »Hast du schon die Ergebnisse von Subject A5?«, fragte sie nach und setzte sich neben ihr auf einen der Hocker. Sofort wanderten ihre hübschen Augen über die kleinen Blutstropfen auf der schmalen Glasfläche und dann hinüber zu der Mappe von dem Blondschopf.
Erneut spürte sie dieses unangenehme Gefühl in ihrer Magengegend, das alles in ihr zu schnürte. Beinahe kaum Platz zum Atem ließ und das einzige, was sie deutlich fühlen konnte, war die Angst. Die Angst vor dem Ergebnis seiner Werte. Herauszufinden, dass er wahrscheinlich nicht Immun war und das Virus nicht überleben würde.
Womöglich nicht einmal die bevorstehenden Labyrinthexperimente, die ein wichtiger Bestandteil der verschiedenen Phasen war. Der Anfang von allem.
Oder hatte es bereits begonnen, als sie zu ANGST gebracht wurden? Sie und ihre älteren Geschwister?
Mary drehte ihren Kopf in die Richtung des Braunhaarigen Mädchens und schüttelte leicht mit dem Kopf, bevor sie sprach: »Nein, ich hab auf dich gewartet, Emma. Schließlich geht's hier um deinen Newt«. Die angehenden Arzthelferin wurde augenblicklich rot und strich sich gewohnheitsbedingt eine Haarsträhne hinters Ohr, schaute dann auf ihre Hände.
»Er ist nicht mein Newt«, stritt sie sofort ab und rutschte etwas auf dem Hocker umher. Die Braunhaarige Frau schüttelte lachend ihren Kopf und stellte noch einiges am Mikroskop ein, bevor sie mit dem Test beginnen konnten. Emma nahm sich Handschuhe, die sie sich überstreifte und überreichte ihrer Sitznachbarin einen Glasbehälter mit dem Virus.
Jetzt würden sie erfahren, ob der Blondschopf eine Chance hatte den Brand zu überleben oder nicht. Zuerst wollte Emma ihre Augen zusammen kneifen, um es nicht sehen zu müssen, aber sie entschied sich dagegen und beobachtete haargenau, was Mary da eigentlich machte. Sie fügte einige Tropfen von der fast schwarzen Flüssigkeit hinzu und legte dann die Utensilien zur Seite.
Stumm teilte das Braunhaarige Mädchen der Frau mit, dass sie nachsehen sollte, wie sich das Experiment entwickelt hatte und beobachtete genau ihre Mimik, die sich schlagartig verändert hatte.
»Was ist?«, wollte die angehende Arzthelferin wissen und ihr Herz blieb für einen Moment stehen, als sie den traurigen Ausdruck in ihrem Gesicht erkannte. »Ich glaube, du solltest es dir selbst ansehen, Liebes«, erwiderte sie und rutschte mit ihrem Hocker zur Seite, sodass Emma sich das Ergebnis auch einmal ansehen konnte.
Sie zögerte einen kurzen Augenblick, ehe sie sich dann doch endlich traute herauszufinden, wie seine Werte waren. »Er ... ist nicht Immun«, kam es leise über ihre trockenen Lippen, nachdem es eine Weile still in dem Raum war. Sie blinzelte einige Male, weil sie nicht glauben konnte, was hier gerade vor ihren Augen passierte.
»Ist alles okay?«, fragte Mary vorsichtig und legte sanft eine Hand auf die Schulter des Braunhaarigen Mädchens, als sie bemerkt hatte, dass ihre Atmung sich verschnellert hatte. Die Jugendliche schluckte erkennbar und zwang sich zu einem leichten Lächeln, bevor sie mit einem Nicken auf ihre Frage antwortete. »Ja, ich ... ich brauche nur etwas frische Luft«, meinte sie und stand auf.
Die Handschuhe zog sie eilig aus und schmiss diese achtlos in den Mülleimer neben dem Tisch. Ihre Hände strichen ihren weißen Arztkittel glatt, während sie zur Tür hinüber ging und relativ zügig das Zimmer verließ.
Ob Alli schon mit ihrem Training fertig war?, fragte sie sich in ihren Gedanken, hatte ja keine Ahnung, dass der Tag ihrer älteren Schwester ebenfalls keine gute Wendung genommen hatte. Mit schnellen Schritten lief sie zu dem Fahrstuhl am Ende des Flures und war unglaublich froh, dass sie weder Newt noch einen der anderen Probanden auf ihren Weg getroffen hatte.
Als sich die Fahrstuhltür schloss, lehnte sie sich mit ihrem Rücken gegen die Wand und betätigte den Kopf, um zum fünften Stock zu gelangen. Mit einem kräftigen Atemzug machte sie für einen Augenblick ihre Augen zu, sodass sie ihre chaotischen Gedanken besser ordnen konnte.
Das Ergebnis bedeutete so viel und gleichzeitig auch gar nichts.
Zumindest sollte es ihr nichts bedeuten. Er war einfach ein weiterer Proband, der das Virus nicht überleben würde.
Aber es war verdammt nochmal ihr Newt!
Es war ihr nicht egal, dass er keine Chance hatte. Er sterben könnte.
Und sie ...
Sie würde nur dabei zu sehen.
Im selben Moment, wo sich die Fahrstuhltüren geöffnet hatten, veränderte sich in Sekundenschnelle ihr Gesichtsausdruck und lief den Flur entlang, bis sie die Tür von ihrer älteren Schwester erreicht hatte. Vorsichtig klopfte sie und öffnete dann einfach die Zimmertür, um nachzusehen, ob Johanna schon wieder vom Training zurück war.
Anscheinend hatte sie das Klopfen einfach nicht gehört. Die Brünette stand vor dem Spiegel und wusch sich das Gesicht, doch die erkennbare Verletzung an ihrer Lippe wollte nicht verschwinden.
Mit einem Räuspern machte sich die Arzthelferin bemerkbar und erschrocken drehte sich die angehende Ärztin um. »Was ist passiert?«, kam es sofort von Emma, als sie die blutende Stelle an ihrer Unterlippe entdeckt hatte.
Johanna seufzte und machte das laufende Wasser aus, bevor sie sich ausschließlich dem Braunhaarigen Mädchen widmete. »Nichts ... Ich hab beim Training nur nicht aufgepasst«, meinte sie schulterzuckend und schlüpfte zurück in ihre weißen Klamotten, die sie täglich trug.
Emma atmete hörbar aus. »Er hat es schon wieder getan, stimmt's?«, kam es von ihr, während sie ihre Arme vor der Brust miteinander verschränkte. Die ältere presste ihre Lippen stillschweigend aufeinander und sagte nichts, aber ihre Schwester wusste ohnehin schon, dass sie gar nicht so falsch lag mit ihren Worten.
Entweder hatte Janson ein verdammtes Problem mit ihr oder er wollte wirklich nur, dass sie besser und stärker im Kämpfen wurde.
»Lass uns nicht darüber reden, okay?«, bat Johanna ihre jüngere Schwester und stützte sich mit ihren Händen am Waschbecken ab. Die angehende Arzthelferin seufzte und warf ihren Kopf kurz in den Nacken. »Na gut«, stimmte sie nach einer Weile zu, »aber du weißt schon, dass es nicht normal ist, was Janson mit dir macht?«, sprach sie weiter und setzte sich auf einen der bequemen Sessel, die vor dem großen Schreibtisch standen.
Die Brünette nickte lediglich auf die Worte des hübschen jungen Mädchens und nahm gegenüber von ihr auf dem Schreibtischstuhl Platz. »Wieso bist du eigentlich hier? Sind die Ergebnisse von Newt schon da?«, wollte Johanna neugierig wissen und hielt ihr eine kleine Schale entgegen, die mit Pistazien gefüllt war.
Seitdem sie wusste, wie sehr die jüngere diese aß, hatte sie immer welche in ihrem Büro stehen. Bedrückt tippte Emma mit ihren Fingerspitzen auf ihrem Oberschenkel und presste ihre perfekt geformten Lippen aufeinander, sodass diese zu einem schmalen Strich geformt wurden. »Newt ... Er ist⸺«. Die angehende Ärztin merkte deutlich, dass es ihr schwer fiel darüber zu sprechen.
»Er ist nicht immun«, kam sie letztendlich zum Punkt und schloss für einen kurzen Augenblick ihre wunderschönen Augen. Ihr Herz schlug plötzlich wieder so unnatürlich schnell und das Atmen war viel anstrengender, als vorher. Die ältere senkte ihren Blick etwas nach unten und starrte nachdenklich auf die Unterlagen vor sich.
Vorsichtig streckte sie ihre Hand aus und platzierte diese auf Emma's, strich zärtlich mit ihrem Daumen über ihren Handrücken. »Wenn wir erstmal das Heilmittel haben, dann ... dann wird ihm nichts passieren«, meinte sie leicht lächelnd und zog die Aufmerksamkeit von dem Braunhaarigen Mädchen auf sich.
»Ich verspreche dir, ich werde alles dafür tun, damit du ihn nicht verlierst«, hauchte Johanna.
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