Prolog
Als ihr einer der sperrigen Typen einen Klaps auf den Hintern gab, verlor Melissa ihre Beherrschung.
Sie packte ihn an seinem Kragen und schubste den Typen mit voller Wucht auf seinen Hintermann. Dieser drehte sich empört um, schaute sich suchend nach dem Unruhestifter um und nahm den widerlichen Hintern-Klaps Typen ins Visier.
Durch die Dunkelheit im Club würde es ihr schneller gelingen, den Typen abzuwimmeln. Weswegen sie sofort den Moment als Anlass zur Flucht nahm und in der Menschenmenge verschwand. Während sie gekonnt in Richtung Bar stolzierte, sah sie Macy auch schon auf einen der Barhocker sitzen.
Die Bar war von den Blicken der sich streitenden Männer geschützt. Die tanzenden Leute halfen zu ihrem Glück, die Sicht auf jegliches Geschehen am anderen Ende des Raumes, zu dem auch sie gehörten, zu vertuschen. Mit einer eleganten Drehung nahm Melissa zwei Drinks vom Tablet eines Kellners und ließ sich neben Macy auf einer der Barhocker fallen. Einen der Drinks schob sie ihr mit einem Augenzwinkern zu.
Macy verzog nur das Gesicht und stöhnte. Natürlich war ihr bewusst, dass sie, wenn sie mit ihrer Freundin auf einer Party war, kaum mit drei Gläsern Cola davonkam. Trotzdem schielte sie Melissa mit einem gespielt bösen Blick an und nahm einen großen Schluck von dem Getränk.
„Du bringst mich irgendwann noch ins Grab mit deinen unheimlichen Mischungen, ich fühle immer noch die Kopfschmerzen meines letzten Katers."
Sie massierte sich zur Verdeutlichung ihrer furchtbaren Schmerzen die Schläfen und zeigte ihr dann den Mittelfinger.
„Hab dich nicht so, außerdem ist der nicht von mir." Mit einem Lächeln deutete Melissa auf den Kellner von vorhin, der jetzt ein paar Meter hinter der Bar ein paar Gläser abtrocknete. Sie kannte den jungen Mann, er war ein regelmäßiger Kunde in der Brauerei ihrer Eltern. Sie schluckte schwer, sie hatte ihrer Mum versprochen morgen früh mit in die Kirche zu kommen. Daraus würde wohl nichts werden, es war bereits schon spät in der Nacht. Vermutlich würde Eliza Grant ihre Tochter geradewegs in einen Beichtstuhl zerren, wenn sie wüsste was sie hier gerade trieb.
„Noch schlimmer." Mit einem Lachen drehte Macy sich samt ihres Barhockers einmal herum und breitete die Arme aus, um sich zu strecken.
Ein lautes Grölen ließ die beiden Frauen verwirrt aufsehen, eine Gruppe von Typen stand am Rande der Tanzfläche, sie feierten anscheinend den Hintern-Klaps Typen von vorhin.
Sein Gegner lag etwas benommen am Boden, Blut tropfte ihm aus der Nase und an der Schläfe war eine Platzwunde zu erkennen.
Nasses Rot klebte ihm überall in seinen hellen, blonden Haaren und sein Blick war trüb und eiskalt. Trotz seiner Verletzungen stand er leicht torkelnd wieder auf. Der widerliche Typ wollte noch einmal zuschlagen. Doch der Verletzte parierte seinen Schlag und schlug ihm unerwartet mit eiserner Faust direkt ins Gesicht. Das Knirschen seiner Nase ließ Melissa zusammenzucken und befreite sie aus ihrer Starre. Gut so, er hatte angebissen und war abgelenkt.
Der Sichtschutz leerte sich und erschrockene Personen verließen die Tanzfläche. Der Blick zu den beiden sollte ihnen jetzt leichter fallen als vorhin. Sie stöhnte.
Der verletzte Kerl war nirgends zusehen. Der Widerliche dagegen hockte auf dem Boden und schien abwesend die Menschenmenge zu beobachten. Macy runzelte nur die Stirn und durchbohrte Melissa mit einem ihrer vorwurfsvollen Blicke.
Sie musste grinsen. Wie immer hatte sie einen Riecher dafür, wenn sie was ausgefressen hatte.
Langsam stand sie vom Barhocker auf und strich ihr mintgrünes, kurzes Kleid glatt.
„Lass uns verschwinden." Ihr flüsternder Unterton ließ Macy verstehen, dass sie das gefälligst unauffällig machen sollten.
Sie nickte und zwinkerte ihr zu. „Die Kopfschmerzen bleiben mir wohl doch erspart."
„Freu dich nicht zu früh, Menders. Der Abend ist noch lang und der Weinkeller meiner Eltern ziemlich voll."
Melissa nahm Macy ihre Tasche ab, auf die sie aufgepasst hatte, und ging mit ihr Richtung Ausgang.
„Ich bitte dich, du würdest dir lieber freiwillig die Kugel geben, als den heiligen Keller deines Vaters zu plündern und in Kauf zu nehmen, lebenslänglich Hausarrest zu bekommen."
„Ich bin bald einundzwanzig, dann ziehe ich aus. In eine kleine Wohnung oder so. Vielleicht auch zu dir und deiner Tante", gab sie zurück und beide lachten.
„Sei dir gewiss, die Luftmatratze in der Küche ist dir gesichert." Das Lachen schallte laut durch die dunklen, leeren Pfade, auf denen sie unterwegs waren.
Die Finsternis umschlang sie beide wie eine wohlige Decke, Melissa nahm Macy an die Hand und führte sie zur Hauptstraße. Sie war ihr ein und alles, beste Freundin und Begleiterin in guten sowie schlechten Zeiten.
Sie war etwas Besonderes und jeder, der das Gegenteil behauptete, kannte sie nicht richtig. Seit ihrer ersten Begegnung an bewunderte sie ihre Freundin, sie war fasziniert von ihrer Stärke.
Hinter ihrer stillen Fassade verbarg sich eine Persönlichkeit, die die Welt bereicherte. Sie hatte schon so viel durchgestanden, hatte trotz allem nicht aufgegeben.
Melissa drückte Macys weiche Hand, die in ihrer lag, und ließ für einen Moment dieses Gefühl von Geborgenheit auf sich wirken. Der helle, rote Stein ihres goldenen Ringes stach ihr bei jedem Schritt unangenehm ins Fleisch und dennoch musste sie grinsen.
An ihrer eigenen rechten Hand prangte genau das gleiche Schmuckstück. Auch wenn solche Dinge wie Freundschaftsringe in ihrem Alter vielleicht kindisch wirken, waren die beiden bereits schon einige Jahre stolze Besitzer der beiden Goldringe.
Melissa hatte Macy den Ring damals zu ihrem Geburtstag geschenkt. Erst war ihre Freundin misstrauisch gegenüber dem auffälligen Schmuckstück gewesen. Später jedoch hatte sie keine Ausreden mehr, diesen nicht anzuziehen.
Sie wusste, dass Macy sich ein solches Schmuckstück niemals selbst gekauft hätte, denn ihrer Freundin fehlte das Geld an allen Ecken und Kanten. Sie jobbte regelmäßig neben ihrem Studium und versuchte sich zusammen mit ihrer Tante irgendwie über Wasser zu halten.
Selten sprach Macy über ihre Vergangenheit. Sie war stets darauf bedacht, ihren Fokus auf die Zukunft zu legen. Nie hatte sie ihr gegenüber ein klares Wort über ihre Familie geäußert. Das brauchte sie auch nicht, Melissa war bereits klar, was damals passiert war.
„Ist das dein Ernst, willst du mich umbringen? Wir laufen seit einer Ewigkeit hier rum und ich sehe immer noch kein Auto." Kichernd ließ sich Macy auf einer der vielen Steine, die am Rande des Pfades herumstanden, herabfallen.
„Sind gleich da, nur noch ein Stückchen", antwortete Melissa monoton auf die Frage.
„Ach komm schon, Melissa. Ich kann nicht mehr, warte mal kurz." Sie sprang auf und zog sie am Ärmel ihrer Strickjacke nach hinten.
„Wir sollten hier echt verschwinden, außerdem muss ich nach Hause. Meine Mum meinte, ich soll um kurz vor zwei Uhr zu Hause sein", zischte sie.
„Verarsch mich nicht. Ich hab genau gesehen, wie du vorhin die Prügelei zwischen den beiden Männern angestiftet hast. Wieso lügst du mich an? Deiner Mum ist es doch eh egal, wann du nach Hause kommst, solange du rechtzeitig in der Kirche sitzt."
„Du verstehst das nicht, Macy. Komm jetzt." Diesmal zog sie ihre Freundin am Arm weiter den dunklen Weg entlang.
Mit einem Ruck befreite sie sich aus ihrem festen Griff und schaute sie fragend an.
„Was verheimlichst du mir? Seit Monaten verschwindest du heimlich, triffst dich mit irgendwelchen Leuten und kommst schlecht gelaunt bei mir an. Ich bin nicht blöd, rede doch einfach mit mir." Macy war verzweifelt.
Melissa ging nicht auf ihre Diskussion ein. Sie hielt ihren Blick stumm auf das Geschehen hinter sich gerichtet. Macy folgte den blauen Augen ihrer Freundin und drehte sich um. Melissa beobachtete, wie sie nervös an ihrer Tasche herum fummelte, als sie die Gruppe von Männern sah. Welche zielstrebig auf die beiden zu marschierte.
Macy keuchte, sah Melissa an und während sie noch nickte, packte sie sie an den Schultern und schubste sie vom Pfad runter aufs Feld.
Sie geriet ins Stolpern und versank im nassen, lehmigen Erdboden.
„Musste das sein? Die sehen uns eh nicht so dunkel, wie es ist." Melissa wischte den Schlamm von ihren Händen an den Seiten ihres Kleides ab und rappelte sich auf.
Macy fischte währenddessen ihr Handy aus ihrer Jackentasche und tippte ungeduldig darauf herum.
„Was machst du da?", fragte Melissa leise.
„Ich versuche ein bisschen Netz zu finden. Vielleicht kann ich dann herausfinden, wo wir landen, wenn wir übers Feld gehen", murmelte sie unverständlich.
„Ist egal, darum kümmern wir uns später, lass uns erst mal hier verschwi...", sie verstummte. Ein grauer Ford kam den Weg entlang geschossen. Schnell näherte sich das Auto dem Plätzchen auf dem Feld.
Melissa musste nicht lange überlegen, um zu wissen, wer der Fahrer war.
„Macy, verdammt, renn", schrie sie.
Sie schossen beide los, der holprige Matsch ließ die beiden nur mühsam vorankommen und die Dunkelheit schien ihnen endlos. Es gab kein Ziel, auf das man sich konzentrieren konnte. Man sah rein gar nichts. Nur Dunkelheit und Schwärze.
Melissa hörte hinter sich die Autotüren zuknallen. Ihr liefen die Tränen hinab. Sie fühlte, wie sie stumm ihre warmen Wangen hinunter liefen und auf ihren Lippen zu etwas Salzigem verschmolzen.
Die Typen waren bereits hinter ihnen und sie hatte furchtbare Angst. Sie war nie so mutig gewesen wie Macy, sie war nicht so mutig wie ihre Freundin.
Sie war nur Melissa, ihre unbedeutende Freundin, die jeden in Schwierigkeiten brachte.
Macy lief vor ihr, sie schien geradezu leichtfüßig durch den Matsch zu waten. Zielstrebig setzte sie einen Fuß vor den anderen.
Melissa versuchte es ihr nachzumachen, rutschte allerdings selber andauernd aus oder stolperte über kleine Mulden. Die Typen hatten ein ganzes Stück aufgeholt. Mit großen Taschenlampen liefen sie den Frauen hinterher und machten ihnen Druck, indem sie laut grölten.
Sie waren mindestens zu viert und allesamt groß und breit.
Schnell lief Melissa weiter, um bei Macys großen Schritten dranzubleiben. Auf einmal hielt sie abrupt an und Melissa stolperte gegen ihre Schulter. Als sie an ihrer Freundin vorbei blickte, sah sie die leicht blendenden Taschenlampenlichter von vorne.
„Was zum Teufel hast du getan, Melissa?" Macy kam zu ihr und nahm ihre Hand, während die Schritte von beiden Seiten immer näher kamen.
„Es tut mir leid." Melissas Stimme zitterte und ihre Beine brachen unter ihr weg.
Sie landete tief im Matsch, während sie lauthals anfing zu weinen. Melissa konnte sich keinen Zentimeter mehr bewegen, ihr Körper war wie gelähmt.
„Es wird schon wieder, es wird schon wieder", tröstete Macy.
Sie spürte, wie sich ihre Freundin neben sie fallen ließ und ihre Arme um sie schlang. Ihre geschlossenen Augenlider nahmen die Lichter wahr, die immer heller wurden. Nur hatte sie diesmal keine Angst, sie fühlte sich beschützt.
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