06 ─ 𝗧𝗛𝗘 𝗟𝗔𝗦𝗧
─────── • 20.02.2018 • ───────
JUNGKOOK
Inmitten der faden Winteratmosphäre, die der wolkenschwere Himmel mit sich zog, schien alles in einen stumpfem Grau zu versinken, während Jungkook mit seinem senfgelben Hoodie ein verschleiertes Leuchten mit sich zog, als er mit gesenktem Kopf durch die Menschenmenge, die den Bürgersteig überflutete, zog. Die Kapuze seines Pullovers tief ins Gesicht gezogen, so dass man nur noch mehr die blassrosa Lippen erkennen konnte, die fröstelnd aufeinander gepresst waren, und seine Hände, die er in der Bauchtasche versteckt hielt, konnte man kaum erahnen, was wohl gerade in ihm vorging, bis aus die Tatsache, dass er fror. Und zwar gewaltig.
In Gedanken schwor er sich, nie wieder bei minus fünf Grad ohne Jacke - einer warm gefütterten Winterjacke - das Haus zu verlassen. Doch wenn er weiter über diesen Gedanken spekulierte, so fragte er sich: Würde es überhaupt ein nächstes Mal geben? Würde er heute, innerhalb der vierunddreißig Minuten, die ihm noch blieben bis diese Nacht vorüber war, noch einmal vor der Entscheidung stehen, wie warm er sich anziehen sollte?
Heute war der letzte Tag. Sein letzter Tag.
Es waren vier Tage und Nächte vergangen, seitdem Hoseok Jungkook völlig high in einer Schubkarre vorgefunden hatte. Seit dieser Nacht hatten sie nichts mehr von einander gehört. Ob wohl etwas vorgefallen war? Er konnte sich nicht erinnern, sein Gedächtnis war verschwommen, wie Nebel.
Doch was auch immer Hoseok's Problem war, ob er nun wütend oder vielleicht verstört war, eines wusste er ganz genau: Der rothaarige Sonnenschein wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben, und das war auch gut so. Er wollte keine weitere Bindung zu dieser Welt haben, die ihn davon abhalten könnte, sich seinem besten Freund in seinem Nachleben anzuschließen. Und somit erleichterte das alles ihm nur sein Vorhaben.
Er hüpfte gedankenversunken zwischen den ausgetretenen Zigarettenstummeln auf dem Boden hin und her, wollte keine dieser aufgebrauchten Drogen berührend, fand den Gedanken, sie mit seinen Schuhsohlen zu berühren, nachdem fremde Menschen sie im Mund hatten und dann einfach achtlos auf den Asphaltboden geworfen haben, widerlich.
Einige der tabakhaltigen Suchtmittel waren gar nicht ausgetreten, fiel Jungkook auf. Obwohl viele verschiedene Schuhpaare über den Boden liefen, die sie sicherlich durch Zufall ausgetreten haben könnten, leuchteten die Stummel immer noch ein einem schwachen Orange.
Als er noch eine weitere, immer noch brennende, Zigarette auf dem Boden vorfand, kam ihm die Frage auf: Warum hat die Person, die sie auf den Boden geworfen hatte, nicht ausgetreten? Für ihn gab es nur drei logische Erklärungen. Entweder er war - erstens - ein psychopathischer Pyromane, der darauf hoffte, die Wind würde das schwache Feuer der Kippe in eines der ausgetrockneten Beete, die links vom Bürgersteig verliefen, tragen und dort einen möglichst großen Brand verursachen, der vielleicht sogar Menschenleben kosten würde. Vielleicht war er aber auch - zweitens - wie Jungkook eine trostlose Hülle seiner selbst, der es einfach egal war, was mit dem übriggebliebenen, brennenden Stummel geschah. Unwahrscheinlich aber möglich er hatte - drittens - einfach zu viel Vertrauen in die Menschen hinter ihm, die das Feuerrisiko einfach an seiner Stelle austreten würden.
Jungkook seufzte. Er verstand die Menschen nicht und würde es auch nie. Während die einen nur das Beste für ihre Mitmenschen erstrebten, waren die anderen unausstehliche Egoisten, die nicht einmal daran dachten, welch Leid sie einem anderen antun könnten, bevor sie handelten. Und leider nahm Letzteres einen Großteil der Weltbevölkerung ein, und dazu gehörte auch er selbst.
Und Hoseok? Oh, Hoseok gehörte zur ersten Schicht, davon war Jungkook mit jedem Bruchstück seines Herzens überzeugt. Er war einer, wenn nicht sogar der gutmütigste Mensch seines Umfelds, dieses Landes, dieser Welt. Hätte er es nicht sowieso schon längst in die Hände des Todes gelegt, würde er sein Leben ohne eine Sekunde lang zu zweifeln dem allzeit positiv denkenden Sonnenschein mit dem Dauergrinsen anvertrauen.
Oder vielleicht würde er ihn auch mit in den Tod reisen.
Die Sterne heut Nacht schienen stärker zu leuchten als üblich. Oder vielleicht sind sie ihm einfach noch nie so wirklich aufgefallen. Er erinnerte sich noch an einen Spruch aus dem König der Löwen. »Sieh hoch zu den Sternen. Da oben wachen die großen Könige der Vergangenheit über uns«, das hatte Mufasa zu Simba gesagt. Jungkook fragte sich, ob das selbe vielleicht für Jimin gilt, dass er da oben über ihn wachen würde. Auch, wenn er wusste, dass diese kleinen, schimmernde Punkte am Nachthimmel nichts weiteres als Kugeln aus Gas waren, hatte er einen Drang dazu, über spirituelle Unmöglichkeiten zu schwärmen.
Nun, falls er wirklich dort oben sein sollte, selbst wenn es jetzt nicht unbedingt ein Stern sein musste, dessen Form er nach seinem Tod angenommen hatte, so musste er nun nicht mehr auf ihn Acht geben. Jungkook kannte seinen Platz. Und dieser war bei Jimin, selbst wenn er dafür eine ihm völlig unbekannte Welt betreten müsste, ohne jemals zurück kommen zu können.
Er spürte den Druck seines eigenen Körpergewichts auf der Mitte seiner Schuhsohle lasten, als er seinen rechten Fuß in einer der viereckigen Löcher des Maschendrahtzaunes steckte. Vielleicht hätten seine Hände zittern sollen, als er sich damit auf der Metallstange abstützte, um auf die andere Seite des Zauns zu hüpfen, doch sein Körper schien wie taub.
Er stand an der Schwelle des Todes, buchstäblich. Er sah nachunten, beäugte das wilde Wasser, dessen Strömung unterhalb der Brücke, auf der er sich gerade befand, jeglichen Müll, den die Leute unachtsam in den Fluss geworfen hatten, mit sich riss und zu ertränken schien.
Und obwohl das Wasser wilde, schaumige Wellen schlug, spiegelten sich die Sterne zur Mitternachtsstunde klarer in ihm denn je.
─────── • 21.02.2018 • ───────
HOSEOK
Das kleine Obstmesser schnitt geschickt durch die dünne Schale des roten Apfels in seiner Hand, ließ einen sofort vermuten, dass er geübt in dieser Tätigkeit war. Und das war er; jeden Morgen schälte er sich einen Apfel, schnitt ihn in Stücke und aß eine Nougattasche dazu.
Seine Mutter meinte des Öfteren, Hoseok hätte Probleme damit, sich zwischen zwei Dingen zu entscheiden. Und sein übliches Frühstück war das perfekte Beispiel dafür. Er wollte sich gesund ernähren, doch er könnte niemals auf Süßes verzichten.
»Wärst du so lieb und machst nachher den Abwasch?«, murmelte die dunkelhaarige Frau, musterte stirnrunzelnd die kleinen Hochzeitsfiguren in ihren Händen, links die Braut mit einem kaum verzierten weißen Kleid und in der rechten Hand der Bräutigam, dessen Mund aussah, als hätte ein Kleinkind ihn mit Lippenstift bemalt und anschließend über sein gesamtes Gesicht verwischt. Seitdem eine Freundin aus ihrer Schulzeit verkündet hatte, dass sie heiraten würde, sucht seine Mutter ständig nach solch kitschigen Dekorationen. Diesmal hatte sie allerdings wohl ein ziemlich wegwerfwürdiges Pärchen bestellt.
Er gab ein zustimmendes Brummen von sich und stellte sich vor den Küchentisch, auf dem eine ganze Kiste mit solchem Kitsch befüllt war. Seine Hand griff automatisch nach einem roten Kerzenhalter mit weißen Kunstrosen bestückt. »Bist du sicher, dass ihr das gefallen wird?«, fragte er skeptisch, fand bis jetzt jede einzelne Deko, die seine Mutter aus dieser Schachtel genommen hatte, grauenvoll. Die Frau seufzte niedergeschlagen, als hätte sie diese Erkenntnis erst jetzt getroffen. »Nein, Bomi wird es hassen.« Sie griff nach einem weißen Bilderrahmen in Herzform und starrte es an, als würde sie es mit bloßen Händen zerbrechen wollen.
»Warum gehst du dann nicht einfach mit ihr zusammen in ein Geschäft und ihr sucht zusammen etwas aus?« Sie sank auf dem Küchentisch in sich zusammen und damit wusste Hoseok, dass das wahrscheinlich auch ihr erster Gedanke war. »Genau das ist es ja. Sie ist so stur. Sie würde ein Geschenk gar nicht annehmen und alles alleine bezahlen.«
»Willkommen zu einer weiteren Episode von ›Frauen sind schwieriger zu verstehen als mein Matheunterricht‹«, witzelte er und machte auf dem Absatz kehrt, damit seine Mutter sich in Ruhe in ihrem Hochzeitschaos entfalten konnte.
Wenn er ehrlich war, wollte er so wenig wie möglich von diesem Wahn mitbekommen, also schnappte er sich Mickey und ging mit ihm nach draußen in den Garten, wo schon eine dünne Schneeschicht die Grasfläche eingenommen hatte. Die weißen Flocken glitzerten wie winzige Kristalle in der hellen Morgensonne.
Die kalte Luft brannte in seiner Lunge und vielleicht hätte er sich noch zusätzlich einen Schal mitnehmen sollen. Er verkühlte sich doch eh immer so einfach.
Von dem mehrfärbigen Fell des kleinen Shi Tzu's war bald nicht mehr viel zu erkennen, als er anfing sich wild in dem Schnee zu wälzen und kleine Löcher zu graben. Hoseok konnte ein sanftes Lächeln auf seinen Lächeln nicht verhindern. Wenn er seinem kleinen Welpen beim Spielen zusah, fühlte er immer sowas wie inneren Frieden. Als würde sich die Unbeschwertheit des Tieres unvermeidlich auf Jeden übertragen, der sich in seinem Umfeld befand.
Manchmal, da wünschte Hoseok sich, er hätte die selben Kräfte. Dass er jeden nur mit einem einfachen Lächeln von all seinen Problemen und Ängsten befreien könnte. Es gab mal eine Zeit, da dachte er, er wäre tatsächlich dazu in der Lage. Doch seitdem er Jungkook getroffen hatte, musste er immer öfters an diesem Gedanken zweifeln. So oft hatte er versucht, ihn mit seiner alleinigen Anwesenheit aufzuheitern, wie es seine Schwester immer von ihm behauptet hatte, doch nie bekam er die Reaktion, die er sich gewünscht hatte. Und das führte letztendlich nur dazu, dass er selbst in ein Tief fiel, aus dem er nicht so einfach hinausgelangen zu können schien. Und nun war er auf die Hilfe eines Hundes angewiesen, um sich wieder an den einfachen Dingen des Tages erfreuen zu können. Er fühlte sich unnütz, ein Loser.
Bei den Gedanken an Jungkook wanderte sein Blick automatisch zu der hölzernen Gartenhütte neben dem riesigen Nussbaum. Es musste schon bald eine Woche vergangen sein, seitdem er ihn das letzte Mal gesehen hat. Ob es ihm wohl gut ging? Vielleicht hätte er sich melden sollen. Doch er hatte zu sehr Angst davor, etwas falsch zu machen; dass er ihn verschrecken, nerven, erzürnen oder sich einfach blamieren hätte können.
Gewiss war das nicht gerade seine beste Idee - es ist nie eine gute Idee, jemanden oder etwas so lange zu ignorieren, bis es zu spät war - jedoch hatte er es in diesem Moment einfach nicht über sich gebracht, an eine Alternative auch nur zu denken.
Der Rothaarige seufzte frustriert. Seine behandschuhten Hände vergruben sich in seinen Jackentasche und in der rechten konnte er die Kälte seines Handys durch den warmen Wollstoff spüren. Sollte ihn anrufen? Seine Nummer hatte er ja. Doch was sollte er sagen, wenn er abhebt? Sollte er sich dafür entschuldigen, dass er sich ganze fünf Tage lang nicht bei ihm gemeldet hatte, ihn einfach ignoriert hatte? Bestimmt wäre er wütend... oder vielleicht auch traurig. Er kannte ihn noch nicht gut genug, um erahnen zu können, wie er wohl reagieren würde.
Oh verdammt, dachte er. Noch ein Grund, warum er ein Gespräch mit ihm suchen sollte. Er wollte ihn doch kennenlernen, damit er für ihn da sein konnte. Jungkook ging es schlecht, sehr schlecht. Und das wollte er nicht mit ansehen müssen. Er wollte ihn lächeln sehen. Wenigstens noch einmal, sein süßes Hasenlächeln.
Nur noch einmal. Ein letztes Mal.
━━ a u t h o r 's n o t e.
schon ein merkwürdiges gefühl, weiterhin an einer ›liebesgeschichte‹ (ehrlich gesagt bin ich selbst nicht einmal sicher, ob es hier im großteil nicht einfach nur um freundschaft geht) zu schreiben, wenn man in der nacht davor entschieden hat, dass man nie wieder etwas mit liebe zu tun haben möchte.
anyways hab ich, seitdem ich in quarantäne bin, viel mehr zeit zu schreiben, was heißt: join you hat samt seiner charaktere bald ihr trauriges ende erreicht. ich werde dieses buch vermissen, auch wenn ich mich darüber freuen werde, dass ich nun mehr zeit für meine anderen habe :D
see ya!
- leflowna
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