𝗗𝗔𝗦 𝗦𝗣𝗜𝗘𝗟 - 𝗧𝗘𝗜𝗟 𝟮
Hier stehen wir nun. Eddie - der Freak, Steve, Robin und ich.
Freak. Wer kommt denn eigentlich auf so einen Titel? Soll das eine Beleidigung darstellen? Für mich klingt es jedenfalls nicht beleidigend.
Freaksein bedeutet für mich anders sein. Und anders ist gut. Ausnahmslos.
Okay, außer du bist ein Serienmörder, der irgendwie anders tickt und seinen Blutdurst an dir auslässt. Das ist dann anders schlecht.
Jedenfalls würde ich in diesem Moment gerne ein Foto machen. Von uns allen.
Denn Steve hat seine Augenbrauen so komisch zusammengekniffen, dass sie fast so wirken als seien sie zusammengewachsen. Und mit diesem sehr unzufriedenen Ausdruck stiert er Billy hinterher.
Robin sieht eigentlich nur besorgt aus. Aber wie sie dabei ihre Hände in einen abnormal unbequemen Winkel hält, ist das ebenfalls ein Bild für die Götter.
Eddie wirkt wie ein verschrecktes Huhn. Sein wildes Haar erinnert an den Kamm eines Hahnes, seine Lippen sind nur ein dünner Strich, weil er sie so fest aufeinanderpresst.
Ich kann mich zwar nicht selbst sehen, aber meine unteren Zähne nagen sich wütend in meine Oberlippe. Ich muss aussehen wie eine Piranha oder einer dieser Hunde, die so einen seltsamen Überbiss haben.
Ich bilde mit meinen Lippen einen fischähnlichen Mund, wippe unruhig mit den Beinen umher und entspanne meine Mundwinkel dann sehr langsam wieder. Robin quittiert meinen Anblick mit einem leichten Grinsen.
Steve sieht Billy immer noch hinterher. Seine Hände sind zu Fäusten geballt, er wirkt beinahe so als würde er mich beschützen wollen.
Aber höchstwahrscheinlich will er eher seinen Ruf schützen. Das passt vielmehr zu ihm.
Ich sehe auf die große Uhr vor dem Eingang zur Turnhalle und schnipse Steve gegen die Brust.
„Musst du nicht wieder los?", frage ich und deute mit dem Kopf auf die Uhr. Die Halbzeitpause ist fast vorbei und bestimmt will ihr Trainer noch motivierende Worte verlieren. Oder ihnen Feuer unterm Hintern machen.
Beides ist mir recht.
Steve nickt mir zustimmend zu, dann nimmt er Robin in den Schlepptau und verschwindet mit ihr hinter die Kulissen.
„Ich mag den Typen nicht.", lispelt mir eine Stimme entgegen. Ich drehe mich zur Seite und sehe Dustin neben mir stehen.
„Steve?", frage ich überrascht, doch Dustin schüttelt heftig mit dem Kopf.
„Max's Bruder."
Ich erstarre, lege meinen Kopf leicht schief und sehe ihn mit großen Augen an, dann wedele ich wie wild mit den Armen. „Billy ist Max's Bruder?"
„Stiefbruder.", korrigiert sie entnervt und stellt sich neben Dustin. Eine wahre Spaßkanone, diese rote Zora.
„Mein Beileid.", murmele ich und zucke mit dem Schultern. „Und Willkommen im Club, Dustin. Ich kann ihn auch nicht leiden."
Ich werfe Max einen prüfenden Blick zu, ich will nicht ihre Gefühle verletzen, indem ich ihren Bruder - ihren Stiefbruder - so runtermache. Aber ihre unzufriedene Mimik verrät mir, dass sie auch nicht viel von ihm hält.
„Bin auch kein großer Fan.", murmelt Eddie und fährt sich durch die dunklen Locken. Der Schreck steckt ihm immer noch in den Knochen und das kann ich gut verstehen.
Irgendetwas hat Billy an sich, das mich unwohl fühlen lässt. Selbst, wenn er nicht in meiner Nähe ist.
„Wollen wir wieder reingehen?", fragt Dustin und sieht mich dabei abwartend an. Ich nickte leicht und sehe dann flüchtig zu Eddie, der teilnahmslos in die Leere starrt.
„Ich schätze du wirst nicht mitkommen?", stelle ich mit einem fragenden Unterton fest. Er hat ja schon deutlich gemacht, dass er nichts von dem Sport hält.
Er lässt den Blick weiterhin in die Ferne gerichtet, schüttelt aber eindringlich mit dem Kopf.
„Nope. Aber, wenn sie gewinnen, bin ich beim Feiern dabei.", sagt er grinsend, ohne einen von uns anzusehen.
Ich kann nicht anders als zu schmunzeln. Das gefällt mir. Und Feiern klingt eigentlich ziemlich gut. Vor allem, wenn der Herr im Haus nicht zugegen ist. Wir könnten ohne Probleme eine kleine Party bei Steve schmeißen.
Wenn sie denn gewinnen. Ansonsten wird es eben ein Frustsaufen. So oder so. Ein wenig Entspannung bevor die Schule für mich losgeht, wäre gar nicht mal so verkehrt.
„Vámonos.", rufe ich und klatsche in die Hände. Eine der einzigen spanischen Aufforderungen, die ich beherrsche.
Ich erinnere mich an die vielen Spanischstunden, in denen ich nichts gemacht habe, als auf meinen Block herumzukritzeln. Und wenn die Stunde endlich vorbei war, rief mir meine beste Freundin zu, dass wir jetzt gehen sollten. Vámonos.
Eigentlich bin ich mir sehr sicher, dass ich es total falsch ausspreche und wieder kommt mir die Idee, Robin nach Nachhilfeunterricht zu fragen.
Wunderbar. Die Schule hat für mich noch nicht einmal begonnen und ich will mich schon um eine Nachhilfe kümmern, weil ich ganz genau weiß, dass ich es einfach verbocken werde.
Ich winke Eddie zum Abschied zu und folge den anderen in die Turnhalle zurück. Am liebsten würde ich bei ihm bleiben und schon einmal etwas vorglühen. Aber das kann ich Steve nicht antun.
Die Bank, auf der wir sitzen ist noch unbequemer geworden. Ich frage mich wie das überhaupt möglich ist und rutsche hin und her, um eine erträgliche Sitzposition zu finden. Vergeblich.
Diesmal ist das Spiel von Beginn an spannend, weil es jetzt um etwas geht. Es liegen nur wenige Punkte zwischen einem Sieg und einer Blamage.
Und obwohl ich eigentlich kein großer Fan von Mannschaftssport bin, fiebere ich mit. Meine Fingernägel krallen sich schmerzhaft in meine Oberschenkel. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und wieder einmal wird mir bewusst, dass ich eine solche Aufregung nur schlecht ertragen kann.
Diese Anspannung, die Hoffnung, das Adrenalin. Ich hasse diese Gefühle.
Ich muss immer alles sofort wissen. Ich kann den Moment der Ungewissheit nicht ertragen. Aber jetzt verfolge ich das Spiel mit Argusaugen. Allen voran Steve.
Meine Augen sind wie Zement an ihn geheftet, ich lasse ihn nicht aus meinem Blick. Und als er dann den alles entscheidenden Punkt macht, überlege ich wirklich kurz blank zu ziehen.
Aber das wäre dann vielleicht doch zu viel des Guten.
Stattdessen springe ich auf, klettere auf die Bank und werfe meine Arme kreischend in die Höhe.
„JA HARRINGTON! DAS IST MEIN COUSIN, IHR PISSER!", rufe ich der gegnerischen Mannschaft entgegen und lache freudig.
Dieses Lachen verstummt allerdings genauso schnell wieder, als ich sehe, wie sich unzählig viele Menschen nach mir umdrehen.
Habe ich gerade wirklich vor der gesamten Hawkins High zugegeben, dass Steve mein Cousin ist? Nachdem ich mir geschworen habe es nicht jedem auf die Nase binden zu wollen? Jap. Ein Klassiker.
Ich bin vielleicht gut darin selbstbewusst zu wirken, aber die vielen Augen, die mich jetzt anstarren lassen meine Wangen erröten.
Scheiße, ist das peinlich.
Ich räuspere mich noch einmal, zeige dann mit meinen ausgestreckten Daumen zu Steve und setzte mich wieder. Beschämt und bis auf die Knochen blamiert.
„Ich...gehe einfach schon einmal vor und ihr tut so, als ob das nicht passiert ist. Okay? Schön, schön.", meine Worte durch ein mehrmaliges Nicken untermalend, stehe ich wieder auf und humpele zwischen einer Vielzahl an Bänken hindurch.
Mich erreichen so viele Worte, dass ich irgendwann nicht mehr zuhöre. Von Beileidsbekundungen, zu freudigen Begrüßungen, bis hin zu spöttischen Bemerkungen ist wirklich alles dabei.
Langweilig würde es nun nicht mehr werden.
Bei dem Gedanken daran, was mich erwarten wird, verdrehe ich überfordert die Augen.
Als ich meinen - zugegeben etwas anders durchgeführten - Walk of Shame hinter mich gebracht habe, lasse ich die metallene Tür lautstark hinter mir zufallen, stürme aus der Eingangstür und lehne mich gegen dieselbige.
„Niederlage?", fragt mich eine nicht ganz fremde Stimme, aber ich kann sie nicht sofort zuordnen. Im Moment darauf erkenne ich Eddie, mit einer Zigarette zwischen den Lippen, an die Mauer gelehnt und lache leise auf.
„Nein. Aber ich schätze ich werde morgen nicht mehr ganz neu sein. Zumindest nicht total unbekannt."
Eddie nickt zustimmend, obwohl er ja gar keine Ahnung haben kann, wovon ich rede. Lässig zündet er sich die Zigarette an, nimmt einen tiefen Zug und pustet den Rauch in kleinen Kreisen aus.
Ich gehe grinsend auf ihn zu und stecke meinen Finger zwischen die ausgestoßenen Rauchkreise.
„An meinem ersten Schultag habe ich auch ne Performance aufs Parkett gelegt.", erzählt er mir.
„Hast du?", frage ich schmunzelnd.
„Und was für eine. Ich kam nicht nur zu spät, ich war auch so high, dass ich vergessen habe mein Bandshirt auszuziehen. Ich dachte echt die rufen mir gleich nen Exorzisten."
"So schlimm?", frage ich mit einem noch breiteren Grinsen auf den Lippen, er nickt lachend und erzählt weiter.
„Schätze diese spießige Kleinstadt ist es nicht gewohnt, solche Motive auf der Brust eines 7-Klässlers zu sehen."
„Du hast in der 7. Bandshirts getragen? Welche Band hast du gehört?", frage ich neugierig, woraufhin er sich straft und stolz seine Brust ausstreckt.
„Meine eigene.", gibt er grinsend von sich.
„Du hast eine Band?", schmunzelnd verschränke ich meine Finger ineinander, als würde ich beten wollen und bewege sie vor ihm auf und ab.
„Oh bitte, my Lord. Erzählen Sie mir alles von ihrer musikalischen Gruppierung."
Dann stoppe ich in meiner lächerlichen Bewegung und sehe ihn irritiert an. „Warte mal. Du warst in der siebten Klasse high? Wie alt ist man da? Dreizehn? Heilige Scheiße, bist du durchtrieben."
Eddie sieht mich an, verschluckt sich am Rauch seiner Zigarette, und beginnt daraufhin heftig zu husten.
In einer Mischung aus einem beinahe eintretenden Tod durch seinen Hustenanfall und extremer Belustigung, schlägt er sich wie wild geworden auf die Oberschenkel.
Jetzt, genau in diesem Moment, wünsche ich mir, dass ich mit der Polaroidkamera auch Videos machen kann. Das wäre eine Erinnerung fürs Leben.
Ein hustendes Walross, das in die Hände klatscht und auf den Namen Eddie - Der Freak - hört.
Keuchend hält er mir die Zigarette hin, ich nehme sie ihm ab und - obwohl ich eigentlich nicht rauche - ziehe ich einmal dran.
Jetzt stecken wir beide in einem mittelschweren Hustenanfall fest.
„Erstens: Ekelhaft.", hüstele ich und halte mir eine Hand an den Brustkorb, weil es schmerzt. „Zweitens: Aua."
Die nächsten Minuten verbringen wir damit, irgendwie wieder zu Atem zu kommen, werden aber immer wieder durch kleine Lachattacken daran gehindert.
„Das ist...nie im Leben...nur Nikton.", pruste ich schon wieder, woraufhin Eddie lachend den Kopf schüttelt.
„Hab ich auch nie behauptet."
Erschrocken weite ich meine Augen, ein belustigter Ausdruck auf meinem Gesicht bleibt aber bestehen.
„Kacke.", strahle ich. „Wenn das Steve erfährt, bin ich tot."
„Wenn ich was erfahre?", fragt er jubelnd und hält den Pokal in die Höhe.
Ich versuche ein möglichst nüchternes Lächeln aufzulegen, bin mir aber sicher, dass ich ziemlich beschränkt aussehe.
„Yaay, gewonnen.", lenke ich vom eigentlichen Thema ab und schlage ihm freundschaftlich auf die Schulter.
„Hast du gut gemacht.", lobe ich ihn. Steve hebt verwirrt eine Augenbraue an, aber man erkennt trotzdem, dass er sich sichtlich freut.
„Stevie, wir haben uns gedacht, jetzt wo ihr so toll gewonnen habt, könnten wir ja bei uns...feiern?".
„Wir?", fragt Steve. „Bei uns?", fragt Eddie gleichzeitig.
Ich sehe ein wenig überfordert zwischen ihnen hin und her, dann zeige ich mit meinen beiden Zeigefingern auf Eddie. „Bei uns, ja. Steve ist mein Cousin, ich wohne bei ihm. Lange Geschichte."
Dann wandern meine Zeigefinger zu Steve und mein Blick liegt nun ebenfalls auf ihm. „Wir. Hauptsächlich ich, aber so generell haben bestimm viele Lust zu feiern. Also?"
Steve will irgendwas erwiedern, sein offener Mund und der aufgewühlte Blick, den er Eddie zuwirft, macht das mehr als offensichtlich.
Anstatt etwas zu sagen, zuckt er mit den Schultern. „Von mir aus."
Ich klatsche begeistert in die Hände. „Sehr gut. Lass uns Robin suchen. Sie muss mitkommen. Ich mag sie. Und ich verstehe, dass du auf sie stehst. Standest. Was auch immer. Sie ist lustig und verrückt. Hast du ihr komisches Kostüm gesehen?", gebe ich schwallartig von mir.
Junge, Junge. Ich habe doch nur einen Zug genommen? Was hat Eddie da reingeknallt?
Steve verdreht seufzend die Augen, als er bemerkt wie Eddie etwas sagen will, schüttelt er ablehnend mit dem Kopf.
„Wag es dich ja nicht, Munson.", droht er ihm. Und ich? Ich muss schon wieder lachen. Weil seine Drohung genauso bedrohlich ist, wie die aufgeblasenen Wangen eines Hamsters. Gar nicht.
Als ich Robin aus der Entfernung erkenne, laufe ich - unsportlich wie ich bin - auf sie zu und habe das Gefühl, dass ich dabei große Ähnlichkeit mit einer Ente habe.
„Roooooobbie!", rufe ich lachend.
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