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Der Donnerstag ist ziemlich schnell gekommen und es ist bis dato nichts groß passiert. Zwischen Nicklas und mir ist es ein unruhiger Wellengang und ich drehe langsam aber sicher ziemlich am Rad. Diese ganze Situation verwirrt mich von Tag zu Tag mehr und ich wache jeden Morgen mit der Frage auf, wo wir beide eigentlich stehen. Ich mag zwar sehr widersprüchlich klingen, doch irgendwie kann ich mich nicht entscheiden. In der einen Minute möchte ich es langsam angehen, in der anderen am liebsten in die Welt hinausschreien, dass sich alle Mädchen gefälligst von Nicklas fernhalten sollen. Kaum zu glauben, dass ich nach knapp fünf Tagen schon in einen Jungen verliebt bin, über den ich nur das weiß, was er mir in der verhängnisvollen Pause am Montag erzählt hat. Immer wieder stelle ich mir die Frage ob ich überhaupt bereit für einen Freund bin. Ob ich bereit bin, im schlimmsten Fall eine wichtige Person in meinem Leben zu verlieren. Und immer wieder antworte ich mir selbst, dass ich es nicht weiß. Wahrscheinlich muss ich mich einfach darauf einlassen.
Ich schaue auf mein großes Blockblatt, welches vor mir liegt. Leer. Ich war viel zu beschäftigt mir Gedanken über Nicklas zu machen als das ich das Stillleben vorne an der Tafel abzeichne. Ich schaue mich im großen Kunstraum um und sehe meine tief in ihre Zeichnung vertieften Mitschüler. Selbst unsere Kunstlehrerin hat sich einen Stift genommen und angefangen zu zeichnen. Ich stöpsele mir meine Kopfhörer in die Ohren und krame in meinem Mäppchen nach einem geeigneten Bleistift. Als ich endlich einen nicht zu kleinen gefunden habe, fange ich an schemenhaft die Umrisse der zwei Äpfel, der Walnuss und der Avocado aufs Blatt zu bringen. Ich betrachte zufrieden mein Werk. Sieht gar nicht mal so schlecht aus. Ich fange an die hellen, zarten Striche genauer nachzufahren und somit zu verdunkeln. Langsam, aber sicher erkennt man was dargestellt werden soll. Zufrieden stehe ich auf, um mir vorne die passenden Acrylfarben zu holen. Es ist noch eine knapp eine halbe Stunde bis Nicklas mich abholt. Da schaffe ich es locker noch den Äpfeln ihre Farbe zu geben und plastischer wirken zu lassen.
Mit dem Gong werde ich gerade mit dem zweiten Apfel fertig. Eilig räume ich meine Malsachen zusammen und lege das bemalte DinA3 Blatt zu den anderen Blättern in den Trockenständer. Eins davon sticht mir dabei besonders ins Auge. Es ist Rickas. Ihre Malerei sieht so lebensecht aus, dass man fast sagen könnte, dass das aufgemalte Obst in der Schale zum Essen verlockt. Ihr Bild ist ein Meisterwerk. Jetzt verstehe ich was Mary mit Künstlergenie gemeint hat. Ich reise mich von dem Kunstwerk los und schnappe mir auf dem Weg zur Tür meinen Rucksack. Draußen habe ich schon Nicklas in den Raum schauen sehen.
„Hey", begrüßt er mich auch sofort als ich raustrete und umarmt mich. Ich erwidere es kurz und wir machen uns auf.
„Können wir nochmal kurz zu meinem Spind gehen? Ich müsste noch meine Sportsachen für nachher holen."
„Klaro. Dann können wir uns auch gleich noch was zu trinken holen. Es ist heute ziemlich warm."
„Das stimmt. Ich bin auch fast am Verdursten. Dann kann ich noch kurz meine Trinkflasche für nachher auffüllen."
Wir laufen durch die leeren Gänge vorbei an den Klassen- und Fachräumen Richtung Spinde und großer Saal. Je näher wir ihr kommen desto mehr riecht es nach dem Chicken Tikka Masala von heute Mittag. Vor allem der intensive Currygeruch hängt noch ziemlich in der Luft. Dann sind auch schon die in Gelb und beigefarbenen gestrichenen Spinde in Sicht. Wir trennen uns und während ich meine Sport- und Schreibsachen aus dem Spind hole, macht Nicklas einen Abstecher in die Kantine, um uns etwas zu trinken und zu essen zu holen.
Die Frühlingssonne strahlt wärmend auf uns herab, während wir im saftigen Gras auf der ausgebreiteten Decke sitzen. Das leise Rauschen der Bäume, welches durch die leise raschelnden Blätter ausgelöst wird, wenn ein leichter Windhauch durch die Baumkrone streicht und das angenehme Zwitschern der Vögel, die kühle Limonade und die durch den dicken Zuckerguss glänzenden Donuts, das leise Summen von Nicklas und das Rascheln des Textblattes mit unserem Song, wenn er etwas nachschaut. Es ist unglaublich schön. In einem Wort beschrieben: idyllisch. So könnte ich den ganzen Tag lang hier liegen. Doch leider vergeht die Zeit mal wieder viel zu schnell. Wie bei all den wunderschönen Dingen im Leben. So verabschiede ich mich kurze Zeit später von ihm mit einer langen Umarmung um mich zu den Umkleidekabinen zu begeben, wo Katlein auf mich wartet. Während ich mich immer mehr von Nicklas entferne, drehe ich mich nochmal kurz um, um zurückzuschauen. Sein Blick ist wieder aufmerksam auf die Blätter in seinem Schoß gerichtet und ich kann erkennen, wie er leicht mit dem Kopf wippt. Ein verstohlenes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und ich muss mich geradezu dazu zwingen meinen Blick von ihm loszureißen damit ich nicht zu spät zum Probetraining zu komme. Am Tor wartet auch schon eine schon umgezogene Katlein auf mich und ihr spöttisch-analysierender Blick lässt mich jetzt schon rot werden. Als ich bei ihr ankomme grinst sie mich feixend an und ich ahne schon was jetzt auf mich zukommen wird. Ich schaue sie flehend an, doch sie schüttelt nur immer noch grinsend den Kopf und ich seufze theatralisch auf. Als wir dann schließlich auf dem grünen Kunstrasen ankommen bin ich auch schon fertig mit den Ereignissen des heutigen Nachmittags. An sich gab es ja auch nichts groß zu erzählen. Doch Kira grinst, selbst als ich schon lange mit meinen Erzählungen abgeschlossen habe, immer noch sehr vielsagend und wackelt zweideutig mit ihren Augenbrauen, wenn sich unsere Blicke kreuzen. Und was soll ich sagen, sie bringt mich jedes Mal in Verlegenheit. Es ist zwar nicht mehr passiert als die beiden Umarmungen vorhin und die paar Neckereien, aber sie findet das alles sehr vielversprechend. Wenn sie sich da mal nicht zu viel verspricht. Ich kenne ihn ja schließlich erst seit ein paar Tagen, aber selbst die unmöglichsten und unrealistischsten Dinge können wahr werden. Schaut euch nur Rebel Wilson an. Sie wollte Schauspielerin werden, als sie durch die vielen Medikamente gegen Malaria halluzinierte und dachte sie würde einen Oscar gewinnen- und heute ist sie eine sehr bekannte Schauspielerin. Ich würde mich zwar jetzt nicht persönlich direkt mit Rebel Wilson vergleichen, aber wenn sie es durch eine Infektion schafft ihrem Traum zu folgen ist bei mir ja wohl auch so eine kleine Sache drin.
Als wir eine dreiviertel Stunde später nassgeschwitzt auf der Tartanbahn stehen ist die Luft zwar schon leicht abgekühlt, doch die Hitze, die ich ausstrahle, lässt mich vorkommen wie in der Sahara. Wir sind mit einigen Pausen zur Rehabilitation durchgehend gelaufen und meine Knie sind wie Wackelpudding. Doch es fühlt sich auch gleichzeitig so befreiend an. Das Blut, welches mir in den Adern wie wild poch und mein Herz welches schnell gegen meinen Brustkorb schlägt, wenn ich fertig mit Rennen bin. Der Schweiß auf meinen Armen und der Stirn. Aber vor allem das befriedigende Gefühl etwas gemacht und geleistet zu haben. Obwohl ich seit einer längeren Zeit täglich gejoggt bin, hat es mich nie so glücklich gemacht wie jetzt gerade im Moment. Erst jetzt merke ich, was mir immer gefehlt hat, ohne dass ich es selbst bemerkt habe. Das Team ist wirklich super und der Teamgeist unübertrefflich. Ich könnte noch ewig mit ihnen zusammen trainieren und mich hier verausgaben, doch bald klingelt es zum Abendessen und wir laufen uns noch drei Runden aus, bevor wir unter die erfrischend kalte und nasse Dusche gehe dürfen. Auch dieses Gefühl lässt die Vorfreude und die Glücksgefühle in mir steigen. Es ist wie eine Belohnung nach dem arbeitsreichen und aufregenden Tag. Ich freue mich jetzt schon.
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