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Er fragt das so leise, dass ich es fast überhört hätte. Durch das angenehm warme Wetter heute hat es viele nach draußen gezogen und so lärmt es von überall her.
„Hast du Zeit für eine lange Geschichte?", nuschle ich mit geschlossenen Augen, ohne aufzublicken.
„Ja".
Eine schlichte Antwort die doch so viel Gewicht für mich hat. Ich habe außer mit Simon mit keinem mehr darüber gesprochen. Selbst meine Mutter kennt nicht die ganze Geschichte. Ich habe ihr nur kurz erzählt, dass es mit Timo aus ist und das auch Linna und die anderen keine Rolle mehr in meinem Leben spielen.
„Aber lass uns woanders hingehen. Hier ist zu viel los", Nicklas richtet sich auf und klopft sich die Hose ab.
Dann reicht er mir seine Hand und ich lasse mich von ihm hochziehen. Seine Hand ist warm und leicht rau. Und sie passt perfekt in meine. Es ist wie als ob unsere Hände füreinander bestimmt sind. Einen Moment bleiben wir so stehen. Unsere Hände ineinander verschränkt gegenüber, doch dann löse ich sie zögernd. Auch wenn ich sie noch nicht loslassen will, fühlt es sich nicht richtig an mit ihm Händchen zu halten. Ich kenne ihn schließlich erst einen Tag und seit Timos Seitensprung bin ich eher vorsichtig, wenn es um Jungs geht. Nun zieht auch er seine Hand weg und wir laufen langsam von der Gruppe weg. Ich werfe noch einen letzten Blick über meine Schulter und bemerke das Paule zu unserer Gruppe dazugestoßen ist. Unsere Blicke treffen sich und ich bemerke wie er uns stirnrunzelt beobachtet. Nicklas merkt es allerdings nicht, sondern geht einfach nur weiter und bleibt irgendwann doch stehen als er bemerkt, dass ich stehen geblieben bin. Er kommt zurück und schaut zwischen Paule und mir hin und her, um mich dann anzustupsen. Ich lächle nur noch kurz und wende mich dann ganz von den anderen und Paule ab um mit Nicklas den Weg fortzusetzten. Er führt uns zu einer kleinen, menschenleeren Sitzgruppe unter den Bäumen und wir lassen uns nieder.
„Vor drei Monaten habe ich meinen Ex mit meiner besten Freundin im Bett erwischt. Es war eigentlich eher zufällig. Ich wollte ihn an unserem Jahrestag mit einem romantischen Picknick überraschen und habe alles geplant. Alles lief wie es sollte. Seine Mutter und die restliche Familie waren nicht da. Er sollte später vom Fußballtraining kommen. Eigentlich. Allerdings hatte er an diesem Tag kein Fußballtraining. Er hatte auch an den anderen Tagen an denen wir uns treffen wollten, kein Fußballtraining. Er hat mich die ganze Zeit angelogen und während wir uns immer weiter voneinander entfernten und uns eigentlich nur in der Schule sahen, fing er mit Linna, meiner früheren besten Freundin, eine Sexbeziehung an. Ich glaube allerdings nur aus Verzweiflung. Die Schlange hat ihm erzählt, dass ich schon seit Monaten etwas mit jemand anderen am Laufen habe und auch mit ihm mein ersten Mal hatte. Dazu musst du wissen, dass wir eigentlich beide noch warten und es dann zusammen haben wollten. Sie tat bei uns beiden auf verständnisvoll. Mir erzählte sie, dass er wahrscheinlich gerade einfach nur viel Training hätte, da bald wieder die Turniere anfingen und ihm erzählte sie eben das mit der anderen Beziehung. Sie erzählte ihm immer mehr Lügen über mich und er glaubte sie alle. Und dann gabs eben den großen Knall. In den nächsten Wochen machten mir meine früheren vier besten Freunde das Leben schwer. Allen voran Linna und Timo. Lizza und Meghan meine anderen Freundinnen haben zwar anfangs auch mitgemacht aber vorallem Meghan hat dann anscheinend bemerkt wie falsch Linna ist. Sie hat mir schließlich die ganze Geschichte erzählt. Allerdings hat sie solange ich auf der Schule war nie den Mut gehabt Linna und vorallem Timo zur Rede zu stellen. Vielleicht weiß er bis heute nicht, dass er mit einer Intrigantin zusammen ist. Sie hat alle so manipuliert wie sie es wollte und selbst vor den miesesten Dingen nicht halt gemacht", ende ich meinen Bericht und schaue auf den Boden. Nicklas hat mich die ganze Zeit nicht unterbrochen, sondern nur aufmerksam zugehört und irgendwann meine Hand genommen. Diesmal habe ich sie nicht zurück gezogen, sondern sie da gelassen wo sie ist.
Diese kleine Geste hat mir während der ganzen Zeit in der ich erzählt habe, gezeigt dass er für mich da ist und dass er mir zuhört. Dass meine Geschichte bei ihm sicher ist und dass er mich unterstützt. Das er hinter mir steht. Und es fühlt sich verdammt gut an.
Es herrscht eine Zeit lang eine angenehme Stille zwischen uns und man hört nur die Geräuschkulisse um uns herum und unser Atmen. Einträchtig sitzen wir dicht nebeneinander und neben unseren verschlungenen Händen spüre ich dieses zarte Band zwischen uns welches durch jedes meiner Wort vorhin gesponnen wurde. Es ist so zart, dass jede falsche Bewegung es kaputt machen kann. Eine kleine Bewegung, ein falsches Wort und der Bann ist gebrochen. Ich wage kaum mich umzudrehen geschweige denn was zu sagen. Das was gerade zwischen und ist, ist wie Porzellan und ich möchte nicht der Elefant im dazugehörigen Laden sein.
Und dann passiert es. Wahrscheinlich hat er die ganze Zeit mit sich gerungen, doch dann wagt er den Versuch. Ohne ein Wort lässt er meine Hand los und umarmt mich. Er zieht mich so dicht wie möglich an sich heran und umhüllt mich mit seinem Aftershave. Es ist ganz zart und nicht so aufdringlich wie Timos. Es ist ein leichter Duft welcher trotzdem männlich wirkt. Im ersten Moment ringe ich mit mir, doch dann erwidere ich die Geste und schlinge genauso wie er meine Arme um seinen Hals. Es fühlt sich gut an. Ich fühle mich geborgen. Vergessen sind meine Vorsätze von vorhin. Vergessen meine Worte, dass es sich nicht richtig anfühlt, denn es fühlt sich verdammt richtig an. Diese einfache Umarmung die so leicht ist, dass es auf garkeinen Fall aufdringlich wirkt. Diese Umarmung die voll ist mit Freundschaft, Vertrautheit und dem aus welcher sie entstanden ist. Aus dieser Umarmung kann etwas entstehen und das vermittelt er mir auch. Doch er zeigt mir auch, dass er sich nach mir richtet. Das er notfalls auch wartet und wir es langsam angehen. Das wir auch befreundet sein können und dass er mich nicht drängt.
Wir sitzen eine ganze Weile so da, bis der gong erklingt. Schweigend lösen wir uns voneinander. Keiner sagt ein Wort und wir laufen einfach nur nebeneinander zum Gebäude zurück. An der wiese angekommen stoßen wir zur Gruppe die fröhlich schwatzend loszieht.
Auch beim Mittagessen sagt keiner von uns ein Wort. Stumm sitzen wir uns gegenüber und mümmeln am gedünsteten Gemüse und dem Schnitzel. Nur unsere Zehenspitzen berühren sich vorsichtig.
Marissa scheint unsere in sich Gekehrtheit aufgefallenzu sein, denn sie stupst mich leicht mit dem Ellenbogen an und schaut mich erstprüfend und dann fragend an. Ich mache ein Zeichen, dass ich es ihr nachher erkläreund sie nickt beruhigt. Dann wendet sie sich wieder den anderen zu.
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