𝟰𝟵 | Entschuldigung
standardsprachlich
Substantiv, f.
1. Begründung, Rechtfertigung für einen Fehler, ein Versäumnis o. Ä.
2. Nachsicht, Verständnis für jemandes Fehler, falsches Verhalten
3. Äußerung oder Höflichkeitsformel, mit der jemand um Nachsicht, Verständnis bittet
「✿」
Es gab eine Sache, bei der Yuta immerzu sein Bestes gab, und das war das Laufen.
Taeil saß wieder mal auf der Tribüne des Sportplatzes (heute in der Reihe ganz vorne) und sah dem Jungen gespannt dabei zu, wie er das kleine Fußballfeld umrundete. Er erinnerte sich, dass es ihn unfassbar fasziniert hatte, als er das erste Mal hier gewesen war ─ jetzt tat es das immer noch.
Yutas Stirn glänzte vom Schweiß, seine Haare flatterten im Gegenwind und manchmal formte er ein schwaches Lächeln mit seinen Lippen, wenn er noch weitere 200 Meter gelaufen war und Taeils interessiertem Blick antwortete. Natürlich erwiderte er die lieb gemeinte Geste immer, doch irgendetwas in Taeil spürte, dass Yuta die Bewunderung seines Freundes genoss. Wie sollte es auch anders sein? Yuta liebte es, angestarrt zu werden, er liebte die positive Aufmerksamkeit und die Begeisterung, mit der ihm andere Schüler begegneten. Wenn es auch noch Taeil war, der ihm so verträumt nachschaute, erschien die Vorstellung schon fast perfekt.
Zumindest solange, bis er eine Silhouette hinter sich spürte, die sich ebenfalls auf der Zuschauertribüne niederließ. Neugierig blickte Taeil über die Schulter und entdeckte dort Sicheng, welcher gerade fokussiert aufs Feld sah. Ihn schien Taeils Blick kurz aus seiner Konzentration gerissen zu haben, weshalb er verwundert in dessen Richtung sah. Ein schüchternes Lächeln umspielte seine kleinen Lippen, das Taeil nur ansatzweise zurückgab. Danach wandten sie sich voneinander ab und starrten weiter den furiosen Läufern hinterher.
Sicheng war wirklich eine der letzten Personen, die er im Moment sehen wollte. Sein Dasein tobte sich immer in Taeils Gedanken aus und warf immer wieder Fragen auf, komische › Was-wäre-wenn ‹-Fragen, zum Beispiel. Wie ein Granatsplitter hatte er sich in Taeils Gerhirn festgesetzt und kam nicht einmal auf die Idee, sich irgendwie herauszulösen. Immerzu verfolgten ihn Zweifel ─ morgens in der Schule, abends vorm Einschlafen und nachts in seinen Träumen.
Für ihn war es gerade, als knalle die heiße Sonne noch härter auf sie nieder, da konnte Taeil auch an seinem Shirt zerren und sich Luft zufächern wie sonst was, aber es war heiß. Sichengs Präsenz machte das nicht unbedingt besser ─ es war, als hätte sie Taeils inneres Thermometer an seine Grenzen gebracht, wie Sicheng es nun einmal immer tat. Auf einmal musste er staunen, denn Yuta hielt der Hitze einfach so (auch noch bei sportlicher Betätigung!) stand.
» Es ist echt heiß, was? «, begann Taeil und drehte sich etwas zu Sicheng um, worauf dieser eifrig nickte.
» Die letzten Tage waren echt anstrengend, vor allem in den stickigen Klassenräumen «, stimmte er zu und formte seine Lippen anschließend zu einer geraden Linie.
Und dann war es wieder still. Was für eine peinliche Stimmung! Sicheng und er hatten keinerlei Gesprächsthemen, diese Konversation war eigentlich zum Scheitern verurteilt.
» H-Hast du die Aufgabe in Chemie verstanden? Bei der Referendarin kapiere ich gar nichts «, versuchte er weiter, das beschämende Geplänkel aufrechtzuerhalten, woraufhin Taeil ratlos mit den Achseln zuckte.
» Nicht wirklich. Aber ich verstehe sowieso nicht, warum wir noch Aufgaben machen. Niemand schert sich darum «, erwiderte er, den Kopf schüttelnd, und sah wieder auf den Sportplatz. Frau Ho schiss gerade einen Läufer aus der Parallelklasse an. Welche Idioten wählten denn auch den Leichtathletik-Kurs von so einer Lehrerin? Die Frau war die Hölle. Genau in dem Moment drehte Yuta seine nächste Runde. Ach, stimmt.
» Und du schaust heute Yuta zu? «, warf Sicheng ein und trat über die Stufe, um sich neben Taeil setzen zu können. Mit gutem Abstand. Mindestens ein halber Meter. Zur Sicherheit.
» Mh. Er ist echt schnell unterwegs. «
» Witzig. Ich habe gerade irgendwie ein Déjà-vu. «
Taeil lachte. » Ja, ich auch. «
» Aber dieses Mal bist du glücklicher «, stellte Sicheng fest und wandte den Kopf direkt zu ihm, was Taeil dazu animierte, ihm in die Augen zu schauen. » Das freut mich. «
Ein bitteres Lächeln zierte nun Taeils Lippen. » Klar. «
» Nein, also ernsthaft. Es freut mich. Wirklich. « Die ehrliche Aufrichtigkeit in seinen Augen bekräftigte das. Irgendetwas an Sichengs Augen war schon immer interessant und beruhigend gewesen. Es war, als würde man in eine glitzernde Kristallkugel sehen, die vorhersagte, dass alles gut wird. Ihre Wärme und Unschuld waren aufmunternd und gaben Taeil Hoffnung. Auf eine neue Chance.
Oder war es eher ein Blick in die Vergangenheit? Durch eine rosarote, nostalgische Brille?
» Das ist lieb, danke «, erwiderte Taeil und nickte. Es war absurd, nicht? Wie es zwischen ihnen plötzlich war, als hätte man die Zeit zu dem Punkt zurückgedreht, an dem sie sich kennengelernt hatten, und doch war es das irgendwie nicht. Geschichte ließ sich nämlich nicht ausradieren, und auch wenn kein aufwendig gebundenes Sachbuch in Zukunft darüber berichten würde, so hatten sie Geschichte geschrieben. Ihre eigene. Taeil hoffte nur, dass sie ein gutes Ende fand.
» Ich hatte viel Zeit, nachzudenken, Tae. «
Das war der Moment, in dem Taeil den Blick wieder abwandte. Nein. Das klang zu ernst, als dass er dem entgegenblicken konnte.
» Ich wollte nur sagen, dass ich ... mich ziemlich falsch verhalten habe. Die ganze Zeit über. Ich war wirklich kein guter Freund und ich habe ständig versucht, immer die Schuld von mir zu schieben, aber ... ich hätte mit der Situation anders umgehen sollen. Gerade, als du es ... mir ... gestanden hast ... «
Taeil biss sich gereizt auf die Unterlippe. Hat jemand danach gefragt? » Schön. «
» Aber ich stand echt unter Stress ... und habe vielleicht Sachen gesagt, die nicht hätten sein müssen. Da dachte ich ─ «
» Ist okay «, fiel ihm Taeil schnell ins Wort, die Hände nervös ineinander gelegt, während er weiter geradeaus sah. » Ich kann das verstehen. «
Einige Sekunden schwieg er. » Das ist aber ─ «
» Du kannst dich meinetwegen entschuldigen, aber .... «, eigentlich habe ich dir schon verziehen. » Ist okay. «
» Ich ... Du weißt, dass das ... «
Ja, natürlich. Sicheng war nie ein Mensch großer Worte gewesen. Damit war nicht gemeint, dass er sich schlecht ausdrücken konnte, er war nur nicht dazu in er Lage, sich ordentlich zu bedanken oder zu entschuldigen. » Vielen Dank « entsprach für ihn nämlich » Scheiße, jetzt schulde ich dir was «, und » Es tut mir Leid, bitte verzeih mir « hieß » Ich bin schuldig und kann damit nicht leben «, und das passte ihm nicht. Sicheng war nicht zu stolz, er hatte nur eine andere Ethik, die Taeil nicht verstand. Er musste sie auch nicht verstehen.
» Taeil, du weißt, wie ich bin. « Ja, das wusste er zu gut.
» Ich weiß, mhm «, machte er nun und nickte. Eigentlich war Sicheng doch keine Prinzessin. Er brauchte keinen Ritter, der ihn retten musste, dieses Mal musste er sein Leben selbst bewahren. Wieso brachte er also keine einfache Entschuldigung übers Herz?
Im Grunde tat er auch Sicheng damit einen Gefallen, damit er endlich einsah, dass das Leben kein Puppenspiel war, das er mit seinen eigenen Händen steuern konnte. Taeil war doch keine Spielfigur. Zumindest jetzt nicht.
» Ich habe meine Strafe bekommen. Wirklich. «
» Das tut mir leid für dich «, bedauerte Taeil und biss sich nervös auf die Unterlippe, weil er Schuldgefühle bekam. Schon seit Ewigkeiten lastete auf ihm ein schlechtes Gewissen, immerhin hatte er Sicheng aus dem Nichts im Stich gelassen. Taeil war wahrlich ein selbstsüchtiger Mensch.
» Ich bin komplett allein, Taeil. Die einzige Person, die ich habe, ist Juhyun, Yuta ist ja jetzt scheinbar nur noch für dich da «, murmelte er und ballte die Fäuste, wahrscheinlich um seinen Frust abzubauen und nicht an Taeil auszulassen. » Weißt du, wie es ist, komplett abhängig von jemandem zu sein? «
Taeil dachte an all die Male, die er sich an Sicheng angepasst hatte, wie er sich immer total verrückt für ihn gemacht und ihm jeden einzelnen Wunsch von den Lippen abgelesen hatte. » Nein, nein ... Gar nicht «, antwortete er dennoch so ernst wie möglich und stützte die zusammengefaltenen Hände gegen seine Lippen. Herr, steh mir bei. Sorry, dass ich deine Allmacht letztens infrage gestellt habe, Bro.
» Ich fühle mich so einsam und ... ich hoffe zumindest, du hasst mich nicht für alles, was geschehen ist ... «
» Ich könnte dich nie hassen «, stellte er dem entgegen, da er den Gedanken, dass Sicheng das tatsächlich glaubte, besorgniserregend fand. » Es ist nur ... so viel passiert und ... «
Schon allein der Gedanke, dass Yuta ihn auch heute noch als Rivalen sehen könnte, versetzte ihm einen Stich. Es war so dumm. Dumm, einander zu hassen, weil man sich in dieselbe Person verliebt hatte. Womöglich hatte er Sicheng immer nur durch einen bunten Farbfilter gesehen und alle seine Fehler in eine Ecke gedrängt, doch Yutas Mängel hatte er von Anfang an gesehen und akzeptiert. Da existierte Hoffnung. Ehrliche Hoffnung.
» Also ... Sicheng, wirklich, wenn du dich jetzt nicht entschuldigen willst, dann lass gut sein. Ich möchte das alles einfach ... abschließen und hinter mir lassen. «
» Es tut mir leid, Taeil. Aufrichtig leid «, platzte es nun aus ihm, dabei legte er beide Handflächen entschuldigend aneinander und schloss die Augen.
Taeil hielt überrascht inne. » Wie bitte? «
» Ich habe meinen Fehler eingesehen und bitte um Verzeihung. «
Sein Herz morste ihm einen ganz kuriosen Rhythmus. » Danke, ähm ... ist schon okay? «
Sicheng presste die Lider fester zusammen und verfaltete seine Hände. » Bitte nicht böse sein. «
Jetzt musste Taeil ein wenig schmunzeln. » Hör schon auf. «
Sicheng schlug ein Auge wieder auf, dann auch das andere. Sein Blick war sowohl von Argwohn als auch Erleichterung erfüllt, während er versuchte, Taeils Miene zu lesen.
» Also ... Also ... Frieden? «
» Hatten wir denn jemals Krieg? «
Von Sicheng kam nur ein stumpfes Schweigen zurück.
» Ich glaube, ein Mauerfall wäre als Metapher passender «, korrigierte Taeil, wofür er ein entnervtes Augenrollen kassierte.
» Ernsthaft ... ? «, murmelte Sicheng betreten, was Taeil zwar nicht zum Lachen brachte, aber innerlich ein wenig amüsierte.
Sicheng wollte den Blick abwenden, doch plötzlich kam Frau Ho mit einem lautstarken » Hey! « von der Seite angelaufen.
Sofort saßen beide aufrecht.
» Was macht ihr hier? «
Sicheng sah verängstigt zu Taeil herüber. » Äh, wir schauen einem Freund zu. «
» Ah, achso. Also ihr ergötzt euch daran, wie meine fleißigen Läufer hier schwitzen und leiden «, stellte sie mit einem aufgesetzten Lächeln fest.
» Nein, also er h-hat uns gebeten «, redete sich Sicheng nun halbwegs heraus.
» Ja, natürlich «, erwiderte sie mit gespieltem Verständnis, kurz darauf wurde ihr Ton erneut streng: » Komm, fauler Sack, auf den Boden und 30 Liegestütze. «
Taeil musste sich innerlich sehr stark davon abhalten, nicht schadenfroh loszulachen, als Sicheng es sich auf dem Boden › gemütlich ‹ machte, ohne einen Mucks von sich zu geben, und seinen Körper kraftlos nach oben drückte.
» Und was lachst du, Kurzer? «, keifte sie. » Du auch. Auf den Boden. Ich will 30 stramme Liegestütze sehen. «
Perplex schaute er zu ihr auf. » Ich schaffe nicht mal zwei. «
» Oh, ich werde dich noch dazu bringen, dass du mehr schaffst. Los, auf den Boden. «
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