𝟰𝟴 | Singularität
bildungssprachlich
Substantiv, f.
1. das Singulärsein
2. (Astronomie) Ort, an dem die Gravitation so stark ist, dass die Krümmung der Raumzeit divergiert (» unendlich « ist)
「✿」
Nichts.
Nichts.
Nichts.
Existierte das Nichts überhaupt?
Denn selbst, wenn Taeil sterben und sein Dasein verwesen würde, würden sich seine Moleküle über Regen, Meer und Wind über den gesamten Globus verteilen, womit seine Atome auf ewig bestehen würden, so wären sie also niemals nichts. Es gab kein Nichts. Auch nicht in den Tiefen eines Schwarzen Lochs, denn nur weil es niemand dorthin geschafft hatte, hieß es nicht, dass im Inneren einer Singularität nichts passierte.
Dennoch war es genau das, was er gegenüber Sicheng empfinden sollte. Keinen Hass, keine Abneigung, aber auch kein Mitleid oder eine Form von Angst. Alles in ihm sollte Sicheng neutral gegenüberstehen, einfach, simpel, wie es eine rationale Wahrnehmung verlangt hätte, aber irgendwie machte ihn sein Anblick, so völlig allein am anderen Ende der Mensa sitzend, ganz traurig.
Nie im Leben hätte er gewollt, dass Sicheng sich einsam fühlte, jedoch wünschte er sich auch nicht, dass Yuta ihm in die Arme rannte. Das schien der Japaner auch zu kapieren, ohne dass Taeil ein Wort verlor ─ ob das gut oder schlecht war? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er Sicheng nicht dabei zusehen konnte, wie er deprimiert in seinem Obstsalat herumstocherte und insgeheim darauf hoffte, dass ein Prinz wie Yuta ihm zur Hilfe eilte.
Taeil kannte das zu gut.
Sicheng war keine Person, die sich seiner Angst stellte oder von selbst aktiv wurde, sondern jemand, der einfach von einem Ritter in schillernder Rüstung gerettet werden musste. In Taeils Augen hatte er schon immer die Rolle eines Schneewittchens eingenommen: Zwar bereit, in den giftigen Apfel zu beißen, aber nicht die Konsequenzen zu tragen; eine Prinzessin, die ihren Ritter brauchte.
Aus diesem Grund stupste Taeil seinen Freund an und deutete mit einem Kopfnicken in Sichengs Richtung. » Schau. «
Aufmerksam befolgte Yuta seine Anweisung. » Was ist? «
» Sicheng «, erwiderte er und zuckte mit den Schultern. » Geh zu ihm. «
Seine Miene verzog sich nun zu etwas sehr Erstauntem. » Was? «
» Er sieht so einsam aus. Dich hat er doch gern. Ich will dich nicht von ihm fernhalten ... oder so. «
Jetzt lachte er. » Ach, legt da jemand endlich seine kindische Eifersucht ab? «
» Tut mir Leid, ich habe mich blöd aufgeführt «, seufzte er ein weiteres Mal, woraufhin Yuta ihm nur durch die Haare wuschelte und sanft lächelte.
» Hey, ist okay «, sagte er und zog seine warme Hand wieder aus Taeils Haaren. Schade. » Nur wenn ich jetzt gehe, bist du allein. «
» Egal, ich setze mich zu Doyoung und Mark «, wenn ich sie finde. » Aber sei einfach befreundet, mit wem du willst. Sorry, wenn es so rüberkam, als wollte ich das ... kontrollieren oder so etwas. «
» Ist okay «, meinte Yuta und nickte, danach nahm er tatsächlich seinen Kram und setzte sich zu Sicheng, als wäre es absolut normal. Dabei fand Taeil es nicht normal. Hätte er nicht länger zögern sollen? Nein, er hätte länger zögern müssen! Wie leichtfertig er einfach ging! Hallo? Taeil hatte das vielleicht aus Anstand gesagt? Aber natürlich, das Prinzesschen konnte unter gar keinen Umständen warten. Ritter (oder eher Lakai!) Yuta eilte zur Hilfte, zick, zack! Blöder Ritter! Im Mittelalter hätten sie ihm für diesen Hochverrat die Eingeweide aus der Brust gezerrt und ihm ein Organ nach dem anderen vors Gesicht gehalten!
Okay, okay, Ruhe bewahren. Taeil ärgerte sich nicht. Ärger war ungesund und unwissenschaftlich. Taeil war ruhig, ganz ruhig, sein Puls hatte seine ganz gewöhnlichen 70. Was wäre das für eine Welt, wenn sich jeder ärgern müsste? Eine schlechte Welt. Deswegen: Vernünftig denken!
War Taeil also jemand, der weder Rücksicht noch Mitgefühl für Sicheng übrighatte? Nein. War Taeil jemand, der bei jeder Kleinigkeit eifersüchtig wurde? Nein. Wie hätte er auch das Recht dazu? Eifersucht war einer von vielen Trennungsgründen, nie im Leben würde er damit das, was er und Yuta hatten, in Gefahr bringen. Wie konnte es sein, dass sich Taeil bereits in seiner ersten Beziehung wie ein Idiot benahm? Ein selbstsüchtiger Idiot, ganz genau, und niemand konnte das verleugnen.
Es war doch egal.
Sicheng war egal.
Jeder war egal.
» Was geht denn bei euch zwei Spezialisten? «, fragte Taeyongs Stimme hinter ihm, dabei schob er einen Stuhl zurück, um sich darauf niederlassen zu können.
Erschrocken von seiner Anwesenheit besah er ihn mit großen Augen. » Bitte? «
» Sah nur seltsam aus «, erwiderte Taeyong und lächelte so freundlich, dass Taeil seinen leicht abwertenden Satz verdrängte.
» Achso «, murmelte der Angesprochene und nickte. » Wo sind denn ... deine Leute? «
» Nicht hier. «
» Weil? «
Taeyongs Lippen verformten sich zu einer schmalen Linie. » Weil ich nicht mit dir gesehen werden wollte, sorry. «
Taeil fühlte sich in seiner Würde beleidigt, auch wenn er so eine Antwort erwartet hatte. (Womöglich nicht so direkt, aber er hatte so eine Antwort definitiv erwartet.)
» Charmant. «
» Ich meine es nicht böse, echt «, beteuerte er und zeigte ihm diesen wehrlosen Hundeblick, mit dem er auch die Lehrer und Mädchen um den Finger wickelte.
Taeil musste zugeben, dass Taeyong durchaus etwas hatte. Er war groß und gutaussehend und witzig. ─ Trotzdem war Yuta eine Millionen mal toller als er. Yuta war nämlich nicht nur groß und gutaussehend und witzig, er schmeckte auch nach Zuckerwatte und hatte Taeil in einem Brunnen geküsst und hatte weiche Wangen wie Marshmallows und schrieb blöde Briefe und war wie Flash, weil er ihn beschützte und immer zur rechten Zeit am rechten Ort war. Yuta war der Tollste, nicht im Positiv, nicht im Komparativ, sondern im Superlativ, und nicht mal der genügte, um auszudrücken, wie toll Yuta war. Für ihn musste man eine neue Steigerungsform erfinden, so was wie einen Ultralativ oder so. Nein, das klingt blöd. Belassen wir es beim Superlativ. ─ Momentchen mal, Yuta hatte ihn verraten! Blödmann! Ach warte, um was ging es nochmal?
» Schon okay «, murmelte Taeil, weil er sich erinnerte, dass Taeyong irgendetwas Gemeines gesagt hatte, auch wenn er ein wenig vergessen hatte, was genau es war.
» Ja, ähm ... Das Ding ist: In letzter Zeit sehen wir Yuta kaum noch und ich habe mich irgendwie gefragt, ob das an ... dir liegt. « Das Wort › dir ‹ hatte wirklich nur eine Silbe, trotzdem konnte man damit scheinbar eine Menge Abwertung artikulieren. » Oder an irgendwas anderem. Und weil du in letzter Zeit viel mit ihm rumhängst, denke ich, er erzählt dir vielleicht mehr. Könntest du mir sagen oder ... vielleicht herausfinden, was es damit auf sich hat? «
Jetzt war ja klar, warum Taeyong ihn zu seiner dämlichen Party eingeladen hatte. Das war alles Taktik. Aber sehr schlechte Taktik, denn Taeil war nicht so einfach gestrickt, wie er dachte. Noch dazu war Taeyong ein erbärmlicher Schauspieler. Fast so erbärmlich wie Taeil.
Demnach hätte er vielleicht » Kümmere dich doch selbst darum! « oder » Sehe ich aus wie ein Diener? « oder etwas anderes Sarkastisches sagen sollen, aber letzten Endes kam aus ihm nur ein viel zu höfliches » Ja, wieso nicht? «, weil er nur gemein zu Yuta sein konnte, ohne sich schlecht zu fühlen. Nein zu Taeyong zu sagen wäre schon ein bisschen gemein, oder?
Deshalb lächelte Taeyong und nickte zufrieden. » Dankeschön. «
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