𝟯𝟰 | Charakter
standardsprachlich
Substantiv, m.
1. individuelles Gepräge eines Menschen durch ererbte und erworbene Eigenschaften, wie es in seinem Wollen und Handeln zum Ausdruck kommt
2. Mensch mit bestimmten ausgeprägten Charakterzügen
「✿」
» Nein, das machst du jetzt nicht wirklich, Moon «, rief Yuta ihm entsetzt hinterher, als der Angesprochene ihn tatsächlich an der Haltestelle stehen ließ und einfach strikt weiterlief. » Du lässt mich links liegen? Ernsthaft? « Schnell spurtete der Junge ihm hinterher und lief keine vier Sekunden später neben Taeil her.
Der Kleinere schmunzelte unbewusst. » Geh nach Hause, Nakamoto. An meinem Geburtstag will ich dich nicht auch noch aushalten müssen. «
» Was? Ich dachte, du liebst mich! «, entgegnete er (mal wieder) melodramatisch und legte eine Hand an sein Herz. Die Passanten besahen die beiden mit Skepsis, allerdings wurden sie nicht sonderlich von dem vermeintlichen Liebespaar beachtet.
» Nein «, korrigierte er diese These und drückte eine Hand in Yutas Gesicht, damit der sich langsam mal verdünnisierte, allerdings wich er schon bald zur Seite und stellte sich weiterhin quer: » Doch! Lass uns nur was probieren! «
» Nein. «
» Nur ein Versuch! «
» Hast du ADHS? «
» Also einfach machst du es mir nicht, Moon. «
» Ich bin halt hard to get, im Gegensatz zu dir also keine Billigware «, gab er spöttisch grinsend zurück und wischte sich zur weiteren Verdeutlichung den imaginären Staub von der Schulter. Schon jetzt öffnete Yuta den Mund, um dem etwas zu entgegnen, das sich gewaschen hatte, allerdings drückte Taeil ihm eine Hand auf die Lippen und sagte: » Ich darf heute alles sagen, was ich will. Mein Achtzehnter, hast du selbst gesagt. «
Und dann hielt er auch schön die Klappe. Ja, Geburtstag haben war eigentlich gar nicht mal so schlecht.
» Mann, nur wegen deinen Babyhänden ... «, seufzte er beleidigt, sobald Taeil von ihm abließ, und schürzte die Lippen. » Als könnte ich etwas dafür. «
» Wegen deine-r Babyhände. Die Präposition › wegen ‹ steht mit dem Genitiv, wenn ─ «
» Ich schiebe dir deinen Genitiv in den Ar- «
» Uh-uh «, machte er und bewegte den Zeigefinger hin und her, als hätte er einem Kind gerade seine Süßigkeiten verboten. » Ich sage heute, was ich will. Das heißt: Ich korrigiere dich auch heute so viel, wie ich will. «
» Achso, stimmt «, murmelte er und schüttelte den Kopf. » Egal, was wollte ich jetzt? Ah, deine Babyhände. «
» Ich erwürge dich. «
» Mit deinen Babyhänden, sicher «, stichelte er und pikte Taeil in die Wange.
» Schau, da vorne wohne ich. « Taeil deutete auf ein großes neumodisches Gebäude voller Kleinwohnungen. » Das heißt: Entweder du gehst oder du erfährst die Vergeltung des Kochlöffels meiner Mutter. «
» Ähm, nein. «
» Du kannst nicht › nein ‹ auf eine oder-Frage antworten. «
Er hielt einen Moment inne. » Ähm, nein. «
Taeil musterte ihn einen Moment irritiert.
» Komm, lass uns irgendwas unternehmen! «, schlug Yuta vor, blockierte Taeils Weg, indem er sich vor ihn stellte, und umfasste die Hände seines Gegenübers. » Alter, du lebst in der Hauptstadt! Du lebst in Seoul, verdammt! Und da willst du ernsthaft nur zu Hause rumliegen? «
Taeil stellte es sich einen Moment vor. Vollkommen in Ruhe gelassen saß er auf seinem Bett und tauchte in die ereignisreiche Welt eines Fantasy-Romans ein, dabei lief die gute alte Playlist mit Liedern von seinen liebsten Interpreten. Oh, das klang zu schön, um wahr zu sein. » Jap. «
» Du bist echt komisch, weißt du das? «
» Sagte er, nachdem er mich spontan zu seinem Freund erklärt hat. «
Der Größere verfiel kurz in lautstarkes Gelächter. » Touché «, erwiderte er und zuckte ergeben mit den Achseln, nachdem er seine Finger aus Taeils gelöst hatte. Nein! Ach, schade. Sie haben sich so gut angefühlt. Ob Taeil sich auch mal überwinden würde, einfach mal Yutas Hand zu nehmen? Auch ohne besonderen Anlass? » Aber du bist echt ein guter Kerl, Tae. Egal, wer dein erster ... naja, richtiger Freund wird, ich glaube, er wird dich echt über alles lieben. «
Taeils Herz nahm einen Anlauf. Er wird dich echt über alles lieben. Und wenn Yuta wirklich sein Freund wäre? Wenn Yuta und er vielleicht genau das wären, was Taeil sich wünschte? Ein Paar mit seinen lustigem, aber auch ehrlichen und intimen Momenten. Ein Paar, das sich über alles unterhalten konnte, ohne Angst vor einer falschen Reaktion zu haben ─ über Gefühle und über Lyrik und darüber, noch nie jemanden geküsst zu haben. Das klang schön.
» Yuta, komische Frage, ähm «, begann er unsicher. » Hast du einen Typ? «
» Einen Typ? «, wiederholte der Angesprochene und hob verwirrt beide Augenbrauen.
» Auf wen du so stehst, meine ich «, erläuterte er, aber hey, nur aus Wissbegier, auch wenn Taeil schon eine Ahnung hatte: Bestimmt jemand, der gut aussah. Und witzig war. Vielleicht etwas verspielt und niedlich, unbeholfen, schüchtern und unschuldig. Wie Sicheng, vielleicht. Aber Taeil war nicht wie Sicheng.
Und dann traf es ihn wie ein Schlag.
Wer sagte Taeil denn, dass Yuta keine Gefühle mehr für Sicheng hatte?
Ja, Taeil selbst konnte sich diesem Vorwurf auch nicht entziehen, dennoch bestand die (sehr wahrscheinliche) Möglichkeit, dass er niemals eine so tolle Person wie Sicheng übertrumpfen könnte. Bedachten wir mal die Fakten: Taeil war ein nerviger Besserwisser mit null Selbstvertrauen, keinerlei Vorteilen wie Attraktivität oder gutem Humor, nein, er war nie im Leben jemand, den Yuta in Betracht ziehen würde.
Es war unerträglich, wie Taeil schon wieder in diesen Teufelskreis verfiel: Sich verlieben, sich Hoffnung machen, leiden, Abfuhr kassieren. Es würde ganz genauso ausgehen und das bereitete ihm nicht nur ein Gefühl von Misserfolg, sondern auch Kopfschmerzen. Warum musste Taeil sich immer in die Unerreichbaren verlieben? Sicheng war heterosexuell und mochte hübsche Frauen wie Juhyun, Yuta war in Sicheng verliebt und würde es genauso wie Taeil selbst schwerhaben, über ihn hinwegzukommen; wo sollte das hinführen? Taeil war nicht genug. Sein Dasein reichte höchstens für Freundschaft, aber nicht dafür, von einem so beeindruckenden Menschen wie Yuta über alles geliebt zu werden.
» Schon klar, nur ... hm ... Schwierige Frage «, überlegte er, als wäre es nicht offensichtlich. Sag es. Jemand wie Sicheng. Anders konnte es doch gar nicht sein.
Sein Blick wanderte nachdenklich zu Taeils Körper.
» Jemand mit Charakter. «
Verdutzt hob der Kleinere den Kopf. » Hä? «
Yuta nickte eifrig. » Jemand mit Charakter, glaube ich. «
» Wie gemeint? « Denn warte, jeder hatte doch einen Charakter. Oder war das eine Metapher? Oder eine Andeutung, dass er kein Wert auf das Aussehen seines Partners legte? Oder Moment, vielleicht war das auch ein Rätsel! Das verstand er nicht. Wo waren die ganzen Details?
» Jemand, der ... hm ... Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll «, seufzte er und kratzte sich nervös am Hinterkopf. » Jemand, der nicht nur eine Seite hat. Jemand, den ich auseinanderfalten kann und ... aus dem ich mit jeder Seite ... mehr und mehr lernen kann. « Überlegend leckte er sich über die Unterlippe. » Du ... Also ... Egal, es ist dumm «, kapitulierte er letztlich doch und verwarf den Gedanken mit einem Kopfschütteln.
» Nein, nein, red weiter «, bat er und traute sich (von selbst!) nach Yutas rechter Hand zu greifen und sie in seine zu nehmen. Falls jemand nach Taeil fragte: Sorry, er hatte gerade einen Infarkt. Keine Sorge, das passierte immer, wenn er Yuta berührte. (Übrigens ist jeder herzlich zu seiner Beerdigung eingeladen.) » Eine Person mit Charakter, erzähl mir mehr. «
Seine Mundwinkel zuckten augenblicklich nach oben. » Ich möchte keine Fassade sehen, ich möchte die Person dahinter sehen, weil ich weiß, dass im Inneren so viel Besseres ... und Schöneres steckt. « Langsam führte er seine freie Hand zu Taeils Brust, dorthin, wo sein Herz immer lauter hämmerte. » Hier, genau hier steckt so viel Schönes. Bei jedem von uns. Niemand ist nur schlecht, Taeil. Aber niemand ist auch nur gut. Es gibt eine Art ... Gleichgewicht. Wie bei Tag und Nacht oder Yin und Yang. «
Ein Schauer lief dem Älteren über den Rücken.
» Jemand mit Charakter. Danach suche ich. «
Es vergingen einige Sekunden, die Taeil dazu nutzte, über seine Worte nachzudenken. Ihm kam das so abstrakt vor. Das könnte ja so gut wie jeder sein. So gut wie jeder. Das heißt doch ... auch ich, oder? Hatte Taeil eventuell ... zumindest den Hauch einer Chance? Auch wenn sein Gegner Dong Sicheng war? Sein › Gegner ‹. Manchmal kam es ihm vor, als würde er Liebe mit Krieg verwechseln. Aber Liebe konnte so grausam sein. Sie forderte Opfer. Und Kampf. Ob er nochmal für jemanden in die Schlacht ziehen würde? Mit dem hohen Risiko, zu verlieren?
» Hat Sicheng denn ... Charakter? «, fragte er nun, da er gar nicht mehr von diesem Gedanken wegkam.
Yutas Lippen verformten sich zu etwas äußerst Amüsierten, als hätte er bereits gewusst, dass diese Frage kommen würde. » Lass uns nicht bis ins Unendliche philosophieren, Dummkopf. «
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» Wo willst du hin, Nakamoto? «, seufzte er und trabte dem Japaner keuchend hinterher, indessen hastete der nur weiter zu einer U-Bahnstation.
» Der Zug kommt in zwei Minuten, beweg dich! «
» Das war keine Antwort auf meine Frage! «
Aber Yuta, V.I.P. und absolut oberste Priorität, hatte es natürlich nicht nötig, ihm eine Auskunft zu geben. So viel zum Roman und der Playlist, das konnte Taeil sich heute abschminken. Stattdessen rannte er weiter dem ambitionierten Läufer hinterher und stieg anschließend in einen Zug mit einer ihm unbekannten Linie.
» Komm, entspann dich, Dummkopf «, befahl er, allerdings konnte er sich bei dem frechen Grinsen seines Gegenübers auf gar keinen Fall entspannen, selbst als sie knapp noch zwei Plätze ergatterten, sobald eine Mutter mit einem Kind ausstieg. » Vertraust du mir? «
» Soll das ein Witz sein? «, stellte Taeil dem entgegen und ließ sich mit einem ungläubigen Blick neben dem Angesprochenen nieder. Ja, warum war er ihm überhaupt gefolgt? Gott, Taeil machte sich für ihn andauernd zum Vollidioten, für was?
Jedes Mal, wenn er mit Yuta zusammen war, schaffte der es, ihn zu irgendwelchen total bescheuerten und unvernünftigen Aktionen zu bringen, wie zu spät zum Unterricht kommen oder die Regeln seiner Mutter nicht einhalten oder ihm einfach gehorchen, wenn er nicht einmal im Ansatz erläuterte, was überhaupt die Mission dieses gesamten Stresskonstrukts war. Welche gottverdammte Qualifikation hatte er, die ihm Taeils Vertrauen sicherte?
» Okay, das war ja mal eine richtig beschissene Antwort «, blaffte er, sah sogar etwas enttäuscht aus. Danach blickte er Taeil fest in die Augen und wiederholte die Frage: » Nochmal von vorne: Vertraust du mir? «
Ein warmer Zug passierte Taeils Adern. Welche gottverdammte Qualifikation hat er, die ihm mein Vertrauen sichert? Keine. Aber logisches und rationales Denken? Schnee von gestern.
» Ja. «
Und sagt, was ihr wollt, aber Taeil war in diesem Moment vermutlich der dümmste Mensch auf dem gesamten Planeten.
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