
4. Keine Angst
Henry
Ich nahm meine vom vorherigen Tag gepackte Schultasche und stürmte die Treppen hinunter. Es war fünf Minuten nach Acht und die Schule begann in wenigen Minuten. In letzter Zeit war ich oft spät dran. Charlotte und Jasper saßen unten auf dem Sofa und warteten auf mich.
«Sorry, Leute. Können wir gehen?»
«Ja, bitte», flehte Charlotte schon fast und zeigte mit einem Blick zu Jasper, der sich mit Piper stritt.
«Lass meinen Eimer in Ruhe!», hörte ich, bevor ich eilig mit Charlotte das Haus verließ.
«WAAAAAAARTEETTTT!», schrie Jasper und kam keuchend neben uns zum Stehen. Das konnte ja noch was werden.
«Ihr könnt mich mit der doch nicht alleine lassen!», jammerte er. Ich grinste und sah zu Charlotte die ebenfalls grinste.
«Doch können wir, siehst du ja!», zog ich ihn auf.
«Haha sehr witzig ...», brumtme Jasper, was ich nur noch lustiger fand.
«Was ist eigentlich jetzt mit dir und Lucy?», wechselte Jasper das Thema, was mir den Atem stocken ließ. Was sollte ich darauf antworten? Immerhin mochte ich sie, andererseits kannte ich sie kaum.
«W-Was sollte da sein?», tat ich auf unschuldig.
«Hör auf zu lügen Henry! Wir wissen beide, dass du sie gernhast», sagte Charlotte. Sie sagte die Wahrheit. Wie immer. Woher wusste sie das? War das so offensichtlich?
«Ich habe ja nie gesagt, dass ich sie nicht gernhabe ...», verteidigte ich mich.
«Wir sind schon spät dran, willst du noch später als spät kommen?», fragte ich und beschleunigte meine Schritte.
«Ne bitte nicht rennen! Ist doch nur Schule», jammerte Jasper.
«Ja und die ist wichtig. Oder willst du dumm sterben?», stichelte Charlotte. Bei letzterem musste ich grinsen. War Jasper noch zu retten?!
«Ich will gar nicht sterben!!» Ich verdrehte meine Augen und schob ihn ein Stück vorwärts. «Ratzfatz jetzt, du Nervensäge.»
Mit schnellen Schritten erreichten wir die Schultür, als es klingelte. Gerade noch richtig. Jasper stürzte nach mir die Tür hinein und außer Atem brach er zusammen vor allen anderen zusammen. Peinlich.
«S-Sind ...wir...pünktlich?» War wohl seine einzige Sorge.
«Ja gerade noch so. Und stehe endlich auf!» Ich streckte Jasper meine Hand vor die Nase und half ihm auf die Füße.
Plötzlich hörte ich hinter mir eine zärtliche Stimme meinen Namen sagen und drehte mich um. Vor mir stand Lucy, glitzerte mich mit ihren Augen an.
«Heute ist schon Tag drei.»
«Ja, die Zeit geht schnell vorbei. Manchmal zu schnell, so dass man kaum hinterher kommt», antwortete ich ihr. «Aber wie geht es dir?», fügte ich hinzu.
«Könnte nicht besser sein.» Sie lächelte. Ich wünschte sie wüsste, wie glücklich sie mich damit machte. Ihr Lächeln erwiderte ich nur zu gerne. Lucy trug einen einfarbigen Pullover mit einer blauen Jeans, was nur zu gut zu meinem Hemd passte.
«Wir sollten in den Unterricht.» Vorsichtig legte ich meine Hand auf ihren Rücken, als Zeichen mit ihr zusammen zur Klasse zulaufen. Vielleicht aber auch, weil ich sie berühren wollte.
***
Es war Unterrichtsende und wie immer verließ ich als letzter die Klasse. Von weiter weg hörte ich zwei Stimmen, die ich nicht zuordnen konnte. Bis ich näher kam. Es waren Lucy und Mitch. Dieser Idiot. Ich war mir nicht sicher, was ich tun sollte, also versteckte ich mich um die Ecke und beobachtete die zwei.
«Bitte Mitch, geh mir einfach aus dem Weg!», bat Lucy nervös.
«Wenn du versprichst mit mir auszugehen, dann Ja», sagte dieser.
«Ich habe dir gesagt, ich will nicht mit dir ausgehen. Warum verstehst du das nicht?», seufzte Lucy.
Ein Hauch von Fröhlichkeit wehte mir zu. Ich war ziemlich froh, dass Lucy Mitch so abblitzen ließ. Warum, war ich eigentlich so froh darüber? Ich mochte sie doch nicht etwa, oder doch? Mitchs Antwort unterbrach meine leicht gehässigen Gedanken.
«Du bist so ein hübsches Mädel, wenn ich dich nicht krieg, soll dich keiner bekommen!», konterte er mit einem fiesen Lächeln. Ich sah und konnte ganz eindeutig fühlen, wie Lucy riesige Angst bekam. Lucys stimme zitterte bei ihren Worten: «I-ch ... »
Diesmal ging Mitch zu weit und fasste Lucy an ihrer Wange an. Ich konnte das Geschehene nicht weiter mit ansehen und beschloss etwas zu unternehmen. Ich stürmte auf Lucys Seite und drohte Mitch.
«So ein Schwachsinn! Lucy gehört niemandem und dir erst recht nicht. Sprich und Fass sie nie wieder an!» Ich machte eine Pause, sah in Lucys Augen, die hoffnungsvoll aufleuchteten, als ich zu ihr kam.
«Von jetzt an wirst du Lucy nie wieder alleine zu Gesicht bekommen. Also mach dich auf was gefasst», beendete ich meine Drohung, legte Lucy meinen Arm auf ihren Rücken und verließ gemeinsam mit ihr die Schultür. Noch überrascht, davon was ich ihm gesagt hatte, setzte ich mich mit Lucy auf die nächstliegende Bank.
Was tat ich nur für Sachen? Ich dürfte niemals mit ihr zusammen sein. Ich war ein Superheld, doch trotzdem verspürte ich den Drang auf sie aufzupassen. Wahrscheinlich, deswegen der Satz: Von jetzt an wirst du Lucy nie wieder alleine zu Gesicht bekommen.
«Mal wieder hast du mir geholfen. Danke Henry.» Lucy lächelte, wobei sie rot würde, was ihr Gesicht noch bezaubernder aussehen ließ. Hatte ich gerade bezaubernd gesagt? Oh Mann, mir war echt nicht mehr zu helfen.
«Bedanke dich doch nicht bei mir. Ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort», spielte ich mein Auftreten herunter.
Lucy war in ihren Gedanken versunken, und so wusste ich, dass sie überlegte, etwas zu fragen.
«Wie willst du das jetzt anstellen, dass er mich nie wieder alleine zu Gesicht bekommt?», fragte sie.
«Mhm, wahrscheinlich werde ich-» Jasper gesellte sich zu uns und unterbrach meine Unterhaltung mit Lucy. Ich war dankbar, ich hatte nämlich überhaupt keine Ahnung, was ich hätte antworten sollen. Ich hätte kaum sagen können, dass ich ihr so oder so schon hinterher spionierte, oder noch besser, sie beschatten würde.
«Hey Lucy, da bist du ja, ich habe dich gesucht.» In Jasper's Stimme verspürte ich einen merkwürdigen Unterton. Irgendwas heckte er aus.
«Was ist denn Jasper?» Lucy antwortete so furchtbar ruhig und gelassen. Wodurch sich anfing, mein Puls zu senken.
Jasper kratze sich verlegen am Hinterkopf, worauf ich wusste, dass er gleich was super angenehmes kommen würde.
«Wollen wir später zusammen Hausaufgaben machen? Ich könnte zu dir kommen.» Er grinste und seine Augen leuchteten so komisch. Das hatte ich bei ihm noch nie zuvor gesehen. Was hatte er bloß? Ich wandte meinen Blick von Jasper auf Lucy und wartete gespannt auf ihre Antwort.
«Wieso nicht. Komm später einfach vorbei. Du weißt ja wo ich wohne, oder?»
«Echt? Natürlich weiß ich, wo du wohnst.» Letzteres hätte ich persönlich weggelassen. Das klang zu Stalkerhaft.
«Bis später», sagte Jasper.
Lucy stand von der Bank auf, rief ihm laufen noch 'Bis dann' und drehte sich ein letztes Mal zu mir um. Auf ihren Lippen brannte ein Lächeln. Ich wusste, dass sie sich somit auch von mir verabschiedete.
In meiner Brust loderte ein Feuer. Am liebsten hätte ich losgeschrien ohne Ahnung warum. Was ziemlich peinlich gewesen wäre. Stattdessen stand ich von der Bank auf und lief auf Jasper zu, damit wir machten uns ebenfalls auf den Heimweg machen konnten. Charlotte hatte in der Schule noch zutun und sagte, dass wir uns später bei Ray in der Meanhöhle zu treffen.
Jasper und ich liegen schweigsam nebeneinander her. «Ich glaub sie mag mich», brach Jasper das schweigen. Ich rollte mit den Augen und grinste diabolisch.
«Träum weiter», lachte ich ihn aus. Innerlich hoffte ich, dass er das weiterhin tun würde. Weiter 'träumen'.
«Glaub mir, du wirst schon sehen, wenn ich sie geküsst habe und mit ihr zusammen bin», sagte er so zuversichtlich, dass ich Gänsehaut bekam.
Warum fühlte sich jeder Junge so sehr zu ihr hingezogen? Warum ausgerechnet Lucy? Aber was sollte ich da schon sagen, mir erging es genauso wie den anderen. Nur durfte ich es mir nicht erlauben, mein Herz zu verlieren. Ich hatte wichtigeres zu tun.
Jaspers Weg und meiner trennten sich daraufhin, und ich lief den Rest des Weges allein Nachhause. Die letzten Schritte, bis ich die Tür aufmachte, rannte ich wortwörtlich um zu schauen, ob Jasper schon bei Lucy war.
«Ich bin wieder zu Hause, Familie», stürmte ich die Tür hinein und schmiss meinen Rucksack in die Ecke.
«Halt die Klappe, Henry! Wo warst du so lange? Die Schule ist schon seit fast einer Stunde vorbei. Warst du mit diesem Mädel unterwegs?», quetschte sie mich hinaus. Seit wann kannte Piper Lucy?
«Du magst sie, nicht wahr?», versuchte es Piper weiter.
«Ich ... Naja egal.» Fuck. Ich sagte am besten gar nichts.
«Es ist kompliziert», sagte ich schließlich. Mehr zu mir selbst als zu Piper.
«Okay ... komm und setz dich einfach, es gibt Essen.»
«Ist gut.» Ich nicke zustimmend und setze mich zu ihr an den Tisch.
Ich legte meinen Teller mit Besteck in die Spüle und machte mich mit meinem Rucksack, den ich vom Boden aufhob, auf den Weg in mein Zimmer. Meine Hefte packte ich aus dem Rucksack und schmiss mich aufs Bett.
Mitten in den Hausaufgaben, lief ich vor zum Fenster und schaute hinüber in Lucys Zimmer. Dort lachte sie mit Jasper und wirkte ... Glücklich.
Das machte mich glücklich, obwohl es in meinem Herzen wehtat. Wie gerne wäre ich jetzt an Jaspers stelle. Ich seufzte. Mit gedrückter Stimmung machte ich weiter. Doch auch dabei blieb es nicht lang, den ich würde von dem Piepen meiner Uhr unterbrochen. Schnell klappte ich die Uhr auf und hörte gespannt zu, was Ray zu sagen hatte. «Hör zu Henry, du musst sofort kommen!» Ray wirkte aufgebracht, was normal nie war.
«Warum denn?» Geschockt über Rays verhalten, hörte ich ihm weiterhin zu.
«Hör gut zu, in Swellview verschwinden Kinder. Schwoz und ich wissen noch nicht, wer es ist und wo wir hinsollen. Deswegen brauchen wir euch alle!» Ich schluckte. Kinder? Kinder wie Piper oder Kinder wie ich und Lucy? Bevor ich was sagte, hallten Rays letzte Worte in meinem Kopf wider. Immer und immer wieder. 'Euch alle!'
«Wir werden da sein», beendete ich die Unterhaltung und klappte die Uhr wieder zu. Ich war furchtbar aufgeregt. Das letzte Mal, als ich mit verschwundenen Kinder zu tun hatte, war, als ich den Film Es gesehen hatte.
Sowas war noch nie passiert.
Und dreimal nicht in einer Kleinstadt, wie Swellview eine war ...
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