
3. Das erste Gespräch
Henry
Ray schnellte vor, stieß mich zur Seite und rettete mir somit mein Leben. Da er unzerstörbar war, prallte die Kugel schließlich von ihm ab, und keinem war etwas passiert.
Fassungslos und geschockt stand ich da. Ich konnte den Ernst der Lage nicht erkennen. Was wäre, wenn die Kugel mich getroffen hätte und ich jetzt tot wäre? Wie hätte man das meinen Eltern erklären sollen, immerhin wussten sie nicht, dass ich Kid Danger war - der Sidekid eines unzerstörbaren Superhelden. Das letzte, an was ich mich jedoch erinnern konnte, war, dass es plötzlich schwarz wurde.
***
Ich wachte in meinem Zimmer auf dem Bett auf. Wie war ich hierhergekommen? Was war letzte Nacht passiert? Ich langte mir an meinen Kopf der so schrecklich dröhnte. «Au», stöhnte ich. Meine Armbanduhr fing an zu piepen. Ich ging davon aus, dass es Ray war.
Vorsichtig klappte ich meine Uhr auf und Ray erschien darauf als Hologramm.
«Was ist gestern passiert?», fragte ich. «Und wie bin ich hierhergekommen? Wie viel Uhr ist es?»
«Langsam, langsam, Henry», beruhigte mich Ray. «Gestern hat dich der Verbrecher von der Bank versucht umzubringen. Ich bin dazwischen gegangen, die Kugel ist abgeprallt, und du wurdest ohnmächtig. Ich habe dich dann Nachhause gebracht und deinen Eltern gesagt, die übrigens gestern Abend wiederkamen, dass du dir den Kopf angeschlagen hättest.»
Ich schwieg für eine Weile.
«Danke, Ray.»
«Danke, Ray.»
«Na ja, ich glaube kaum, dass Swellview sich auf dich hätte verlassen können, wenn ich nicht mehr da wäre.»
«Wenn du so frech bist, kann's dir ja nicht so schlecht gehen.»
«Bis zur Schule sind es noch zwei Stunden», fügte Ray hinzu, bevor unser Gespräch endete und ich die Uhr wieder zuklappte.
Die Zeit ging schneller vorbei, als ich gehofft hatte und ich begab mich auf den Weg zur Schule. Mit meinem Rucksack lief die Treppe hinunter und verabschiedete mich von meinen Eltern und meiner kleinen Schwester Piper.
«Das verdammte Internet, wieso funktioniert das nicht?», schrie Piper frustriert. Nicht schon wieder. Seufzend rollte ich mit meinen Augen und machte die Tür hinter mir zu. Nichts wie weg.
In der Schule angekommen, begrüßten mich Charlotte und Jasper.
«Guten Morgen Henry. Auch mal da?», sagte Jasper komisch genervt, was ich nicht verstand. Vielleicht hatte er einen schlechten Tag erwischt oder etwas stimmte mit seinen Eimern nicht. Bei dem Gedanken musst ich grinsen, besser gesagt, ich musste es unterdrücken.
«Hey Henry!», sagte Charlotte eine Spur netter als Jasper.
«Hey Leute», gebe ich eloquent von mir.
«Schau mal, wer da kommt», sagte Charlotte mit einem Grinsen, während sie auf die Tür schaute. Lucy. Sie stand unbeholfen am Eingang und wirkte sichtlich nervös.
Ich lief ihr entgegen.
«Morgen Lucy, wie geht's dir?» Ich lächelte gutherzig.
«Ganz gut, ich bin froh, dass du hier bist.» Lucy wurde rot. Es war ihr peinlich. Dabei erwärmte sie gerade mein Herz. Und ich verstand schon, in was für einem Sinn sie es gemeint hatte. Sie war froh, dass ich nun hier war, um ihr zu helfen.
«Das kann ich nur erwidern. Wegen gestern ... Hast du jetzt vielleicht noch mal Zeit für meine Frage?» Unsicher langte ich mir an den Nacken, wartete, was sie sagte.
«Sicher, schieß los», lächelte sie und widmete mir ihre ganze Aufmerksamkeit.
«Ich wollte gelegentlich fragen, ob wir vielleicht später zusammen Nachhause laufen wollen», wiederholte ich. «Wo wohnst du? Vielleicht ist es ja bei mir in der Nähe.»
Sie erzählte mir wie ihr Haus aussah und, dass der Nachbarn. Die Orangene Tür mit Glas an beiden Seiten. Ich erkannte es sofort, dieses Haus was Lucy da beschrieb, war meins. Mein Haus. Sie war also zu allem Übermut noch meine Nachbarin.
Wir verabredeten uns nach der Schule, um gemeinsam zusammen nach Hause zu laufen.
«Bis dann, Henry. Ich freue mich», war Lucys letzter Satz, bevor sie in die Klasse ging. In meiner Brust stieg das verräterische Gefühl von Wärme auf. Ich glaubte nicht, dass es je davor schon einmal war. Sie war so ... anders. Unbewusst strahlend ging ich zu Jasper und Charlotte zurück, welche mich erwartungsvoll angrinsten. Oder war es doch nur Charlotte und nicht Jasper? Desto näher ich kam, erkannte ich, dass Jasper mich wütend anfunkelte. Sowas kannte ich von ihm überhaupt nicht. Was machte ihn so dermaßen wütend? War ich es? War es Lucy? Mochte er sie? Dann spürte ich es.
Das Gefühl von bitterer Eifersucht. Aber warum?
Ich unterdrückte meine einfach Gefühle so gut es ging, und lief mit den beiden ins Klassenzimmer. Die Schulstunden rannten wortwörtlich an mir vorbei und ich bekam nicht viel mit. Meine aufdringlichen Gedanken lenkten mich ab. Über Jasper. Warum war er so wütend? Wir waren immerhin beste Freunde ... das dachte ich zumindest.
Am Ende des Unterrichts verließen Lucy und ich das Klassenzimmer und liefen die Gänge entlang zur Tür hinaus. Ich verabschiedete mich noch kurz von Charlotte und Jasper und gab ihnen Bescheid, dass wir uns später in der Meanhöhle sehen würden.
Lange Zeit schwiegen wir. Null Ahnung hatte ich, was ich hätte sagen sollen. Schließlich brach sie das Schweigen.
«Danke!» Überrascht blickte ich zu ihr. Was meinte sie damit? Für was denn genau?
«Für was genau?»
«Einfach ... für alles! Dass du so nett zu mir bist. Dass du mir geholfen hast. Ich könnte mir keinen besseren Sitznachbar vorstellen.» Ich wurde sicherlich rot, so gerührt war ich, von dem was sie da sagte.
«Danke. Aber ich denke nicht, dass ich bei einer unhöflichen Person ebenfalls nett wäre. Das muss wohl an dir - dass ich so freundlich bin.» Ich zwinkerte ihr zu.
Die letzten Meter starrte ich sie dann jedoch nur unsicher an.
«So, da wären wir.» Einen Hauch von Enttäuschung blitzte in ihren Augen auf. Die verdammte Zeit hätte ich nutzen sollen, um mit ihr zu sprechen. So richtig. Sie kennenzulernen.
«Danke sehr, war eine sehr angenehme Begleitung.» Lucy kicherte ein wenig, und ich wusste, dass sich mir keine andere Gelegenheit ergeben würde. Ich nahm also all meinen Mut zusammen, und fragte einfach.
«Wollen wir vielleicht mal etwas außerhalb der Schule unternehmen?» Ich langte mir an den Nacken. Die Typische ich-bin-verlegen-Haltung bei Jungs.
Mit einem diabolischen Lächeln schloss sie ihre Haustür auf. «Das lässt sich bestimmt einrichten.»
Lucy
Ich stellte meine Tasche ab und begrüßte Dad. Keine Antwort. Ich rief nach ihm.
«Dad?» Das einzige, was ich vernahm, war ein Flüstern.
«Ja, heute Abend ist gut. Ist sonst noch jemand eingeweiht? Meine Tochter kommt gerade Nachhause ich muss Schluss machen», hektisch beendete er das anonyme Telefonat und tat so als wäre nie etwas passiert. Ich dachte mir nicht viel und fragen wollte ich auch nicht. Vielleicht plante er ja eine Geburtstagsparty für mich. Ich ging ihn mein Zimmer und ließ meine Gedanken über den heutigen Tag schweifen. «Geht es dir gut Lucy? Hast du Hunger? Ich rufe dich in ungefähr einer halben Stunde.» Dad lehnt am Türrahmen, verschränkt seine Arme vor der Brust und sieht mich zufrieden an.
«Danke, Dad. Mir geht es prima», meinte ich, eine Spur zu ironisch. «Mach das, noch habe ich kein so großen Hunger.» In meinem Zimmer machte ich mich derweil an die paar Hausaufgaben. Aber als ich da an meinem Schreibtisch sah, tat ich nichts anderes, als vor mich hinzustarren. Diese Hausaufgaben waren einfach nicht fesselnd genug. Henry hingegen ... Henry war fesselnd, das dachten sich auch meine Gedanken, die um ihn kreisten.
Langweilig sah ich aus dem Fenster hinüber in Henrys. Mein Herz blieb fast stehen, als ich ihn schlafend auf seinem Sofa entdeckte. Wie konnte er mitten am Tag schlafen? Andererseits waren die Hausaufgaben auch so uninteressant, dass man nur einschlafen konnte.
«Essen ist fertig», riss mich Dad aus meinen Gedanken. Und ich war wohl einfach gezwungen, sie zu vergessen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro