
16. Schach: Weiß das Leben, Schwarz der Tod
Lucy
Es sind einige Sommertage vergangen und mittlerweile war es September. In zwei Wochen ging die Schule wieder los und von Tag zu Tag wurde es allmählich kühler. Dad hatte seine Strafe aufgehoben und endlich akzeptiert, dass es mein Leben war.
Ich klingelte stürmisch bei Henry, und erst als ich sein Gesicht erkannte, nahm ich meinen Finger wieder von der Klingel.
Sobald er mich sah, schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. «Komm rein. Ich hoffe, du hast kein Problem damit, dass Jasper hier ist. Er hat sich selbst eingeladen und dagegen kann man leider nichts machen», seufzte er. «Kein Problem, du bist ja auch da.» Ich nickte unsicher, trat dann hinein und setzte mich mit etwas Abstand neben Jasper.
Wir begrüßten uns. Danach herrschte jedoch peinliche Stille. Wir spielten Schach, besser gesagt versuchten wir es. Es dauerte furchtbar lange bis Jasper den Vorgang einigermaßen verstanden hatte. Henry zog mit seinem schwarzen Springer und stieß eine weiße Figur von Jasper um, dabei sagte er: «Schachmatt.»
Jasper sah verwirrt von mir zu Henry und wieder zurück. »Was? Hast du jetzt gewonnen? Ich verstehe gar nichts mehr.» Er und strich sich mit seiner Hand über die Stirn. «Jasper, merk dir den Spruch: Weiß beginnt, Schwarz gewinnt», fügte ich kichernd hinzu und klatschte bei Henry ab. Ich bildete mit Henry ein Team und wir wechselten uns immer mal ab.
«Ich finde es so still hier», meinte Henry auf einmal. «Lucy spielst du weiter? Ich suche mal das Radio in meinem Zimmer.» Ich nickte, setzte mich an Henrys Platz - der nahe an Jasper war - und zog mit der Dame. «Ich weiß, du gehst mir aus dem Weg, deswegen müssen wir hier reden. Dringend», fing Jasper an und pausierte das Spiel. «Schieß los.» Begeistert war ich kein bisschen, aber ich wusste, dass er Recht hatte.
Jasper holte Luft, rutschte etwas näher und ich hörte ihm zu. Am liebsten wäre ich weggerutscht, doch ich wollte ihn nicht verletzten. «Ich habe immer noch Gefühle für dich und ich ertrage es nicht, dich mit Henry zusehen», sagte er und sah mir wahrhaftig in die Augen.
Ich hob eine Braue. Er lebte also mit seinen ganzen Eimern wirklich noch im Sandkasten. «Jasper ich- », weiter kam ich nicht, den Jaspers spröde Lippen lagen auf meinen.
Mir stieg Galle die Kehle empor und ich versuchte ihn von mir wegzuschieben. Es funktionierte nicht. Schließlich knallte es und Jasper fuhr zurück. Ich gab ihm eine ordentliche Ohrfeige und drehte mich dann in die Richtung des Geräuschs.
Es war Henry, der kerzengerade stehenblieb, und das Radio, welches auf den Boden donnerte. Ungläubig schüttelte er den Kopf. «Das machst du also, wenn man mal für fünf Sekunden ein Radio holen geht, Jasper? Hm?» Vorsichtig ging ich auf ihn zu, sah, was für einen unglaublichen Zorn in seinem Blick herrschte.
«Es ... es tut mir leid. Ich wollte das nicht», stotterte Jasper ausweichend.
Henry machte bedrohlich einen Schritt auf ihn zu. «Geh einfach ...«
Jasper rührt sich nicht. «GEH!», schrie Henry so laut, dass ich zusammenzuckte. Und ich hätte schwören können, dass mein Herz für eine Sekunde stehen blieb. «Du hast sie nicht verdient», paffte Jasper abfällig, bevor er endlich verschwand.
Ich atmete erleichtert aus. Erst dann fiel mir auf, dass wohl ich die Luft angehalten haben musste.
Eine Weile starrte ich einfach noch auf die Tür. Aber er kam nicht wieder.
Henry schlang von hinten seine Arme um mich und umhüllte mich mit seinem Geruch. Ich drehte mich in seinen Armen um und lehnte mich an seine Brust. «Du bist der einzige für mich. Das weißt du, oder?», nuschelte ich. «Jetzt ja», erwiderte er lächelnd, gab mir einen Kuss auf meinen Haaransatz. «Weißt du eigentlich wie wichtig du mir bist?», fragte er, worauf ich mich von ihm löste und in seine rehbraunen Augen sah. «Jetzt, wo ich weiß, wie sich ein Leben mit dir anfühlt, will ich überhaupt nicht mehr wissen, wie es sich ohne dich anfühlt.»
Ich lächelte. «Ich bin mir sicher, dass es das Schicksal gut mit uns meint.»
Liebevoll gab ihm einen Kuss. Und die Zeit stand still.
Bevor sie sich anfing rückwärts zu drehen und mich in ein tiefes, endlosen Loch zog. Es verschluckte mich. Es löschte mich aus ...
Etwas sagte mir, dass es uns allen bald so ergehen würde.
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