23 ~ Wenn man erkennt was wirklich zählt
Chapter Fifty-Two
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Schnellen Schrittes lief ich zurück zu den Zellen.
Als ich in meine Zelle einbiegen wollte, bemerkte ich, dass sie nicht leer war.
Carl saß auf meinem Bett und hielt eines meiner Bücher in der Hand.
Im Winter hatten wir uns in einer verlassenen Bibliothek einen Unterschlupf gesucht und viele neue Bücher gefunden.
Diese hatte ich neben der Tür auf einem kleinen Tisch gestapelt, um sie nacheinander zu lesen.
Damals gab es nicht viel anderes zu tun, außer auf der Flucht zu sein oder um unser Leben zu kämpfen.
Langsam betrat ich die Zelle.
Der Junge hatte mich nicht bemerkt und betrachtete das Buch.
"Hey Buddy, ist das Buch wirklich interessant?", fragte ich einfach heraus.
Er hob seinen Kopf überrascht und sah zu mir herüber.
"Nicht gerade altersgerecht für dich", stellte ich fest.
Ich nahm das Buch und legte es zurück auf den Tisch.
"Was machst du hier?" fragte ich freundlich und schaute den Jungen an. "Wolltest du nicht mit deinem Vater draußen weiter sichern?"
"Der wollte etwas suchen gehen, und ich wollte nach Judith sehen", erzählte er ehrlich.
Es war schön zu sehen, dass er sich um seine Schwester sorgte, aber...
"Sie ist nicht in meiner Zelle", stellte ich fest.
"Sie ist unten bei Beth. Eigentlich wollte ich zu dir, aber du warst nicht da. Dann habe ich deine Bücher gesehen", erklärte er.
"Willst du etwa lesen?" fragte ich.
"Eigentlich würde ich lieber Comics lesen, aber Bücher sind auch okay, solange sie nicht zu viele Seiten haben", lächelte er. "Meine Mom wollte immer, dass ich mehr lese, richtige Bücher halt."
Ich lächelte zurück und setzte mich neben ihn auf das Bett.
"Denkst du noch oft an sie, Kleiner?" fragte ich.
"Ja", antwortete er und schaute traurig auf den Boden. "Als Dad, Michonne und ich Zuhause waren, um die Waffen zu holen, habe ich ein altes Familienfoto von uns mitgenommen, damit Judith weiß, wie ihre Mutter aussieht."
"Das ist wirklich schön", sagte ich leise und legte einen Arm um seine Schulter.
"Casey?", kam es dann wieder von Carl.
"Hm...?" schaute ich zu ihm hinunter. "Hast du schon mal einen Menschen getötet? So von Angesicht zu Angesicht?" fragte Carl mich geradeheraus.
Ich überlegte kurz, fand aber schnell die Antwort. "Ja, als das alles anfing, haben zwei Fremde mich und meine Freunde bedroht."
"So wie der Governor und seine Leute?" hackte er nach.
"So ähnlich", sagte ich und setzte mich zu ihm auf das Bett.
"Am Anfang hatten alle Leute schreckliche Angst, weil sie nicht wussten, was los war. Also hieß es, jeder ist sich selbst der Nächste. Aber wenn du Leute hattest, die dir etwas bedeuteten, Freunde, Familie, dann musstest du tun, was du tun musstest, um sie zu beschützen."
"Ich will Judith, Beth, Dad und dich beschützen", sprach er weiter, "Ich will unsere Gruppe beschützen, so wie du und die anderen das tun."
"Ich weiß, aber du bist noch zu jung für so etwas. Selbst ich war noch zu jung dafür und musste sehr schnell erwachsen werden", erklärte ich.
"Also lieber lesen statt kämpfen", stellte der Junge fest.
"Genau das", stimmte ich ihm zu.
"Aber du kannst mir helfen", sagte ich dann und schaute ihn ernst an. "Ich muss unbedingt mit deinem Vater reden."
"Worum geht es?" fragte er daraufhin.
"Das kann ich nicht sagen, weil ich es jemandem versprochen habe. Aber ich werde es unter Kontrolle bringen", versuchte ich zu erklären. "Also, wo ist dein Vater?"
"Ähm... Draußen, ich glaube, er wollte mit Michonne reden", erzählte er mir schließlich.
"Alles klar, danke, Kleiner", sprach ich und stand auf. "Nimm dir eins der Bücher, bei der nächsten Tour suche ich nach Comics."
Ich schnappte meinen Bogen und lief die Treppen hinunter und dann aus dem Zellentrakt heraus.
Draußen auf dem Hof kam mir Rick sofort entgegen.
"Casey? Hey, ich dachte, du wärst drin bei den anderen. Was hast du vor?" fragte er mich gleich.
Ohne ihm zu antworten, lief ich geradewegs auf ihn zu.
"Ich weiß es!", brach ich nun heraus, ohne eine Miene zu verziehen.
"Was?" fragte Rick verwirrt.
"Rick, ich weiß es. Ich weiß, was du vorhast, und ich weiß, dass du denkst, dass dies die beste Lösung für uns ist, aber..." Ich stockte kurz und schaute zu dem ehemaligen Sheriff und jetzigen Anführer unserer Gruppe.
"Ernsthaft, Michonne auszuliefern? Wer sagt uns, dass er uns dann in Ruhe lässt? Dieser Typ hasst uns und will uns tot sehen, weil er uns als Gefahr sieht, und deswegen sollten wir auch kämpfen. Und sie ist eine gute Kämpferin und ein guter Mensch..."
"Casey!" sprach er nun etwas lauter, damit ich verstummte. "Ich habe mich umentschieden."
"Du hast was?" fragte ich ungläubig nach, da ich dachte, ich hätte mich verhört.
"Ich habe mich umentschieden!" fuhr er langsamer fort.
"Ich konnte es nicht einfach tun. So sind wir nicht." Ich musste lächeln bei dem letzten Satz.
"Woher wusstest du das eigentlich?" fragte er mich jetzt ernster.
"Ich habe gelauscht", nuschelte ich und schaute erst auf den Boden, dann aber wieder zu Rick.
"Aber du hättest mich in so etwas einweihen sollen. Ich dachte, wir könnten uns gegenseitig vertrauen." Beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust und wollte an ihm vorbeigehen.
Rick kam mir jedoch zuvor und sprach einfach weiter.
"Das können wir. Du hattest recht", stimmte er mir nun zu. "Ich hätte es dir und den anderen sagen sollen."
"Ja, das hättest du tun sollen!" fuhr ich herum und sah ihn vorwurfsvoll an.
Er fuhr sich erst durch die Haare und dann übers Gesicht.
"Aber ich verstehe dich", sprach ich dann wieder ruhiger weiter.
"Du willst uns doch nur beschützen."
Ich versuchte freundlich zu lächeln, aber Ricks Blick ließ mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen.
"Vielleicht ist es dafür schon zu spät", meinte er nach kurzer Zeit und atmete tief durch.
Ich riss die Augen auf.
"Was? Wie meinst du das?" fragte ich hektisch.
"Merle und Michonne sind verschwunden. Er hat sie verschleppt und bringt sie zum Governor. Ich war zu spät, ihn davon abzuhalten. Und Daryl..."
"Was ist mit Daryl?" unterbrach ich ihn dann aufgebracht.
"Er ist Merle hinterher", erklärte mir Rick. "Er wollte allein gehen. Ich konnte nichts machen."
Er fühlte sich schuldig, einen Menschen für uns alle opfern zu wollen.
Ich verstand ihn natürlich und versuchte zu helfen.
"Ich nehme Helios und reite hinterher", bestimmte ich nun und wollte schon zu dem Pferd rennen.
"Er ist auf dem Weg zum Treffpunkt, dort an den Silos." Doch Rick funkte wieder dazwischen. "Daryl will das allein machen. Es ist sein Bruder."
"Ja, das ist ja das Problem daran", sagte ich schon fast hysterisch und warf die Arme in die Luft. "Daryl denkt, sein Bruder ist die einzige Familie, die er hat, und Merle ist das scheißegal."
"Casey, beruhige dich erst mal. Daryl weiß, was er tut. Er schafft das schon", versuchte Rick mich jetzt zu beruhigen und hielt seine Hände auf meine Schulter.
"Nein, tut er nicht!" schrie ich jetzt den älteren Mann vor mir an und wurde panisch. "Ich muss hinterher!"
"Warum?" wollte er jetzt wissen. "Weil ich ihn nicht verlieren will", sprach ich es jedoch aus und versuchte die Tränen zu unterdrücken.
Ich schüttelte nur mit dem Kopf, doch Rick umarmte mich langsam.
Dann schaute ich wieder zu ihm auf.
"Bitte, Rick, ich kann nicht, nicht schon wieder.
Also lass mich bitte gehen." flehte ich den Mann an, der mich immer noch in den Armen hielt.
"Casey...", sprach Rick jetzt leise und strich über meine teilweise geflochtenen Haare.
Dann atmete er tief durch und schaute mich ernst an. "Bist du sicher?"
"Ja", antwortete ich knapp, aber bestimmt.
"Dann komm ich mit!" bestimmte er jetzt.
Ich zog mich schnell zurück.
"Nein! Du musst es den Anderen erzählen, und ihr müsst euch vorbereiten. Wenn das schief läuft, müssen wir bereit sein." Doch Rick zweifelte daran und schüttelte nur den Kopf. "Vertrau mir, wenn du es ihnen erklärst, dann werden sie es verstehen. Und wenn nicht, weißt du, dass ich es verstehe."
"Na gut. Pass auf dich auf, klar!" stimmte Rick nun zu und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Ich musste lächeln und trennte mich dann von ihm.
Kurz darauf schnappte ich mir Helios und ritt im schnellen Galopp zum Futterlager.
Als ob Helios spüren würde, dass wir schnell zu diesem Treffpunkt mussten, galoppierte er durch den schmalen Waldweg, der genau dorthin führte.
Auf der Straße vorm Gefängnis traf ich Michonne, die von Merle freigelassen wurde.
Sie erzählte mir, dass Daryl ihm weiter hinterhergelaufen war.
Ich musste ihn schnell einholen.
Wie im Rausch zog der Wald an uns vorbei, und ich musste aufpassen, dass ich keinen herausragenden Ast gegen den Kopf bekam.
Aus dem Wald heraus auf den Feldweg konnte ich mich wieder richtig aufrichten und nach vorne sehen.
Ich sah bereits die hohen Silos am Ende des Feldes.
"Los, komm schon", trieb ich Helios noch einmal an und ließ ihn über das Feld rennen.
Hinter der Scheune angekommen, merkte ich bereits, dass etwas nicht stimmte.
Es war ruhig, zu ruhig, bis auf ein leises Stöhnen einiger Beißer.
Es herrschte absolute Stille.
Vorsichtshalber holte ich einen Pfeil aus dem Köcher und spannte ihn in meinen Bogen ein.
Den ersten Beißer, den ich sah, schoss ich bereits vom Pferd ab.
Helios wirkte etwas nervös, folgte aber meiner Leitung und ließ sich an den restlichen Untoten, die uns nicht bemerkt hatten, vorbeileiten.
Irgendwann kam ich an den Platz, wo mehrere alte Landwirtschaftsmaschinen standen.
Ich erledigte einen zweiten Beißer, der mir und dem Pferd zu nahe kam, und sah dann Daryl an einem Holzhaufen sitzen.
Schnell sprang ich vom Pferd ab und rannte zu ihm.
"Daryl? Oh Gott, bitte nicht", flehte ich vor mich hin, als ich den am Boden sitzenden Mann sah.
Neben ihm lag ein toter Beißer mit zerstochenem Gesicht.
Als ich näher herantrat, erkannte ich jedoch, dass es Merle war.
Ich schaute wieder zu Daryl auf, der mich nicht eines Blickes würdigte.
Er musste seinen Bruder erlösen, es musste hart für ihn gewesen sein.
Vorsichtig kniete ich mich nun vor Daryl, hob meine Hände auf seine, die auf seinen Knien lagen, und nahm sein Gesicht in meine Hände, um ihn dazu zu bringen, mich anzusehen.
"Hey", sprach ich leise und behutsam.
Ich spürte, wie er anfing zu zittern.
Sein Kopf rutschte in meine Halsbeuge, und ich spürte seinen heißen Atem auf meiner Haut.
"Willst du... Wollen wir ihm ein Begräbnis geben?" fragte ich nach einer Weile des Schweigens.
"Verbrennen", beschloss er dann und stand auf. "Wir verbrennen ihn. Das geht schneller."
Zum Glück gab es in der alten Scheune noch genug Benzin und etwas zum Anzünden.
Als die Leiche vor uns verbrannte, versuchte ich etwas zu sagen.
"Weißt du, am Ende war er doch kein Arschloch. Am Ende wollte er uns beschützen, er wollte dich beschützen, weil du ihm doch am Herzen lagst", sprach ich dann leise, aber Daryl konnte mich verstehen.
Daraufhin ergriff ich seine Hand mit meiner und drückte fest.
"Er war zwar dein Bruder, aber er war nicht deine einzige Familie", sprach ich weiter.
"Ich weiß", erwiderte er darauf hin den Kopf und sah mich mit seinen blauen Augen an.
Und ich erkannte, dass er es ernst meinte.
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1862 Wörter
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