𝟏𝟕. 𝐆𝐞𝐭𝐫𝐨𝐟𝐟𝐞𝐧𝐞 𝐄𝐧𝐭𝐬𝐜𝐡𝐞𝐢𝐝𝐮𝐧𝐠𝐞𝐧
✧ 𝐋𝐈𝐋𝐘 𝐏𝐎𝐓𝐓𝐄𝐑 ✧
"𝐖𝐞 𝐦𝐮𝐬𝐭 𝐚𝐥𝐥 𝐟𝐚𝐜𝐞 𝐭𝐡𝐞 𝐜𝐡𝐨𝐢𝐜𝐞 𝐛𝐞𝐭𝐰𝐞𝐞𝐧 𝐰𝐡𝐚𝐭 𝐢𝐬 𝐫𝐢𝐠𝐡𝐭 𝐚𝐧𝐝 𝐰𝐡𝐚𝐭 𝐢𝐬 𝐞𝐚𝐬𝐲."
In der folgenden Nacht bekam Lily kein Auge zu. Die ganze Zeit dachte sie an Narzissas gequälte Schreie und fragte sich, was Lucius ihr jetzt antat. Folterte er sie immer noch? Oder hatte er schon damit aufgehört und lag jetzt friedlich im Bett, während seine eigene Frau im Esszimmer war und vor Schmerzen nicht schlafen konnte?
Es musste schon gewesen Mitternacht sein, als sie irgendwann aufstand und leise aus ihrem Zimmer schlich. „Lumos!", sagte sie so still wie möglich, und ihr Zauberstab leuchtete auf. Das Licht warf unheimliche Schatten von den vielen Artefakten, die in Vitrinen aufbewahrt wurden, an die dunklen Wände. Am Ende des Ganges schien der Mond durch das Fenster und verlieh dem Raum eine unheimliche Atmosphäre. Ein Gefühl von Déjà-vu machte sich in Lily breit, denn es erinnerte sie an den Traum, den sie vor einer Ewigkeit gehabt hatte. Der Traum, in dem sie in genau diesem Flur gewesen war und eine verhüllte Gestalt erschienen war, die ihren Zauberstab auf sie gerichtet hatte, bevor der Traum geendet hatte und sie aufgewacht war.
Da ihr nichts anderes einfiel, ging Lily zu Draco und öffnete vorsichtig die Tür zu seinem Zimmer, bis der Spalt groß genug war, dass sie hineinschlüpfen konnte. Offensichtlich konnte auch er nicht schlafen, denn er stand vor seinem offenen Fenster und starrte gedankenverloren in die Nacht.
„Draco? Ich kann nicht schlafen", flüsterte Lily, während sie zu ihm trat. Die kühle Nachtluft ließ sie in ihrem Schlafanzug frösteln, und sie rieb ihre Hände aneinander, um etwas Wärme zu spüren. Die Wolken des Tages waren verschwunden und hinterließen einen pechschwarzen Himmel mit hellen Sternen.
„Ich auch nicht", gab Draco zu, immer noch aus dem Fenster blickend, „Ich wollte ihr auch helfen, glaub mir."
„Ich hatte solche Angst, ich wollte einfach nur ins Esszimmer und Lucius irgendwie aufhalten", schluchzte Lily verzweifelt. Allein der Gedanke an Narzissas kreischende Schreie ließ sie noch mehr zittern, als sie es wegen der Kälte ohnehin schon tat.
„Das wollte ich auch. Aber ich wollte nicht, dass er dir auch noch wehtut. Lily, du bist wie eine Schwester für mich, ich will dich nicht leiden sehen." In dem Moment sah er ihr tief in die Augen, in denen sich das helle Licht Lilys Zauberstabs reflektierte, sodass die graublaue Farbe besonders hervorstach. Es war, als würde sie in einen Sturm blicken, der über einem dunklen Meer tobte. Sein Blick war so beschützend, dass er in diesem Augenblick bestimmt für jeden, der Lily auch nur böse ansah, eine hundertmal größere Bedrohung darstellte als ein Gewitter.
„Glaubst du, Narzissa ist jetzt allein?", fragte sie. Vielleicht könnten die beiden nach ihr sehen und ihr irgendwie helfen.
„Ich glaube schon", überlegte Draco, „Schauen wir mal nach." Somit verließen sie sein Zimmer und schlichen auf Zehenspitzen die Treppe hinunter. Als sie im Esszimmer angekommen waren, öffnete Draco vorsichtig die Tür einen winzigen Spalt und spähte in den Raum. Dann öffnete er sie noch ein Stückchen weiter, so dass die beiden genau durchpassten. Der Anblick, der sich Lily bot, versetzte sie in Schockstarre.
Da lag Narzissa auf dem Boden des Esszimmers. Ihr schlanker Körper zuckte leicht, obwohl sie offensichtlich eingeschlafen war. In ihrem Gesicht spiegelte sich der Schmerz von vorhin, anstelle des friedlichen Ausdrucks, den Menschen normalerweise im Schlaf hatten.
Wie lange hatte Lucius sie noch gequält? Wo war er jetzt? In seinem Zimmer? Lily konnte sich nicht vorstellen, wie er schlafen konnte, nachdem er so etwas getan hatte. Fühlte er sich nicht schuldig? Bereute er nicht, was er seiner Frau angetan hatte? Hasste er sich nicht selbst?
Plötzlich konnte Lily sich wieder bewegen, weshalb sie mit Tränen in den Augen zu Narzissa eilte und sich mit einem Gefühl der Hilflosigkeit neben ihr hinkniete. Was sollte sie tun? Wie konnte sie Narzissa helfen?
„Draco, was sollen wir tun?", fragte Lily verzweifelt, ohne den Blick von der Person, die sie wie eine Mutter angenommen hatte, zu heben.
„Hilf mir, sie ins Wohnzimmer zu tragen", forderte Draco seine beste Freundin auf. Sofort nahm Lily Narzissa an den Armen, während er ihre Beine festhielt. Gemeinsam trugen sie Narzissa ins Wohnzimmer und legten sie vorsichtig auf das große Sofa. Noch vor wenigen Stunden hatte Lucius hier gesessen und Zeitung gelesen. Jetzt saß hier seine Frau, schwach und zuckend vor Schmerzen, die immer noch schrecklich sein mussten. Was würde der Malfoy tun, wenn er sie so sehen würde? Würde er sich dann wenigstens schuldig fühlen?
„Lily, holst du bitte ein Glas Wasser und etwas Süßes?", bat Draco Lily, die sofort in die Küche ging, ein Glas mit kaltem Wasser füllte und eine Tafel Schokolade holte. Anschließend kehrte sie ins Wohnzimmer zurück und stellte die Sachen auf den Tisch, bevor sie Narzissa besorgt ansah. Aus irgendeinem Grund tauchte in diesem Moment eine Erinnerung aus ihrer Kindheit vor Lilys Augen auf.
Es war ein sommerlicher Tag im Mai. Severus war noch in Hogwarts, weswegen Narzissa auf Lily aufpasste. Heute würden sie mit Draco eine kleine Wanderung durch den Wald unternehmen, was sie oft taten. Schon als Sechsjährige liebte Lily den Wald. Das Zwitschern der Vögel, das Rascheln der Blätter und die Sonnenstrahlen, die durch das dichte Blätterdach drangen, zauberten ihr immer ein Lächeln aufs Gesicht.
Lachend liefen Lily und Draco den Pfad entlang. Dabei hielten sie jeweils einen ganz normalen Besen und taten so, als würden sie darauf fliegen. Narzissa rief ihnen hinterher, dass sie nicht zu weit laufen sollten. „Werden wir nicht", antwortete Lily und schaute zurück, um zu sehen, wo Narzissa war. Dabei stolperte sie über einen Stein und fiel zu Boden.
„Narzissa!", schrie Lily weinend. Sofort kam Narzissa angelaufen und kniete sich neben die Gestürzte.
„Alles ist gut, Lily", redete Narzissa beruhigend auf sie ein, während sie Lilys Hosenbein über ihr Knie zog. Dort befand sich eine blutende Wunde, die wie die Hölle brannte. „Bald ist dein Bein wieder ganz", versicherte ihr die Malfoy, bevor sie einen Heilzauber aussprach. Sofort heilte Lilys Knie, als hätte es nie eine Wunde gegeben.
Als Kind hätte Lily sich nie vorstellen können, dass die Rollen vertauscht waren und sie Narzissa helfen musste. Trotzdem war dieser Tag heute gekommen. Aber sie kannte keinen Zauberspruch, der einen von den Schmerzen des Cruciatus-Fluchs befreien konnte.
„Was machen wir jetzt?", fragte Lily. Sie musste etwas tun, um nicht verrückt zu werden. Sie hasste es, Narzissa so zu sehen.
„Am besten versuchen wir, sie aufzuwecken, und wenn sie wach ist, werden wir sehen, was gemacht werden muss", entschied Draco, der seine geliebte Mutter mit einem besorgten Blick musterte.
Also versuchten die beiden, Narzissa vorsichtig zu wecken. Zuerst sagten sie leise ihren Namen, aber als das nicht half, mussten sie sie schließlich wachrütteln. Als sie endlich die Augen öffnete, blickte sie etwas verwirrt in die Gesichter der Kinder. „Draco? Lily?", fragte sie perplex.
„Mum, geht es dir gut?", erkundigte sich Draco. Gleichzeitig reichte Lily der Malfoy das Glas Wasser und die Schokolade. Narzissa nahm sie dankend an, bevor sie Dracos Frage beantwortete.
„Ja, mir geht es gut, ich bin nur im Esszimmer eingeschlafen", meinte sie, „Danke, dass ihr mich hierhergebracht habt." Dass dies eine Lüge war, war angesichts ihres schmerzverzerrten Gesichts nicht zu übersehen.
„Narzissa, wir haben gehört, was passiert ist", kam Lily so schnell wie möglich zur Sache, „Lucius hat Crucio an dir benutzt. Wir haben an der Tür gelauscht."
„Dir geht es nicht gut, Mum. Du wurdest gefoltert, von deinem eigenen Mann", fuhr Draco fort und bei den letzten Worten wurde seine Stimme immer lauter.
„Ich... Lucius...", stotterte Narzissa, der offensichtlich keine Antwort einfiel. Stattdessen biss sie mit Tränen in den Augen von der Tafel Schokolade ab.
„Narzissa, bitte erzähl uns, was passiert ist", bat Lily sie in der Hoffnung, dass sie die Wahrheit sagen würde.
„Mum, du hast gesagt, dass du und Dad euch nur gestritten habt, weil du ihn nicht eingeweiht hast, bevor ich nach Österreich gegangen bin", fügte Draco hinzu, „Ich bin überzeugt davon, dass mehr dahintersteckt. Weiß er etwas über Lily? Hat er dich gezwungen, ihm alles zu erzählen?"
„Nein, das hat er nicht", verteidigte Narzissa ihren Mann immer noch.
„Mum, bitte erzähl uns ganz genau, was passiert ist!"
„Gut, aber ich weiß nicht, ob ihr das hören wollt", warnte Narzissa sie. Nachdem Draco und Lily beide genickt hatten, fuhr sie fort: „Wie ihr wisst, habe ich Lucius in Hogwarts kennengelernt. Damals war er charmant, freundlich und unglaublich attraktiv. Viele Mädchen waren in ihn verknallt. Als er mich dann um ein Date bat, war ich überglücklich. Bei diesem Date war er so nett, er hat mir alle Türen aufgehalten und mir endlose Komplimente gemacht. Dieses Bild von ihm hat er mich immer sehen lassen, auch nach unserer Hochzeit. Er hat Mauern in meinem Gehirn errichtet, um meine schlechten Erinnerungen zu verstecken. Denn er ist nicht der nette, charmante Mann geblieben, den ich kennengelernt habe. Als einer der größten Anhänger des dunklen Lords musste er oft schwarze Magie anwenden. Diese Magie hinterlässt Spuren auf der Seele, dunkle Spuren, die deine Seele mehr und mehr verdunkeln. So wurde aus dem Lucius, den ich kannte, ein eiskalter Mörder. Er hat sogar mich, seine eigene Frau, gefoltert." An dieser Stelle der Geschichte begann Narzissas Stimme heftig zu zittern und Tränen liefen wie wilde Flüsse über ihre Wangen. „Aber das habe ich erst vor einem halben Jahr erfahren. Damals hat er mich gefoltert, weil ich ihm nicht sofort gesagt habe, wo du bist, und es vor ihm durch Okklumentik verheimlicht habe. Irgendwann sind meine Mauern gefallen, aber mit ihnen auch seine. So weiß ich jetzt, was er mir angetan hat. Und was er mir immer noch antut."
Danach herrschte Schweigen, denn sowohl Draco als auch Lily mussten das soeben Erfahrene zunächst einmal verarbeiten. Lucius hatte Narzissa nicht heute zum ersten Mal gequält, sondern schon seit langer Zeit. Er hatte ihre Erinnerungen genommen, sodass sie immer noch dachte, er sei ihr wunderbarer Ehemann. Anscheinend hatte die ganze Sache nichts mit Lily zu tun, Lucius war nicht hinter ihr her und wollte sie nicht töten. Aber er war für etwas verantwortlich, das mindestens genauso schlimm war.
„Aber wieso zeigst du ihn nicht an und lässt dich nicht scheiden?", fragte Draco. Seiner Stimme nach zu urteilen, war auch er unglaublich entsetzt. Es war Lily ein Rätsel, wie keine Träne seine Augen verließ, so wie es bei ihr der Fall war.
„Weil Voldemort eines Tages zurückkehren wird. Und wenn er das tut, will ich ihn in einem entscheidenden Moment verraten. Aber das kann ich nur, wenn ich in seinen Kreisen bin. Und dazu brauche ich Lucius", erklärte Narzissa.
„Aber ... Mum, das kannst du nicht einfach so hinnehmen! Du musst dafür leiden! Das kann ich nicht zulassen!", rief Draco und ballte die Hände zu Fäusten. Es kostete ihn sicherlich einiges an Willenskraft, nicht sofort die Auroren zu rufen, damit sie seinen Vater nach Askaban brachten.
„Draco, ich schaffe das. Lucius wird mich nicht töten, dafür braucht er mich zu sehr. Außerdem weiß er nicht, dass meine Mauern gefallen sind. Ich bin sehr gut in Okklumentik und trainiere es gerade noch mehr, damit er auf keinen Fall herausfindet, dass ich alles weiß."
„Narzissa!", meldete sich nun auch Lily zu Wort, „Das kannst du nicht machen! Bitte!"
„Lily, ich tue das alles, um dich und Draco zu beschützen. Ich will nicht, dass der dunkle Lord die Zaubererwelt übernimmt, wenn er zurückkehrt. Das kann ich am besten verhindern, wenn ich in seinen engsten Kreisen bin", erklärte Narzissa.
„Aber...", wollte Lily anfangen, doch ihr fiel keine Fortsetzung ihres Satzes ein.
„Mum, ich kann das auch. Wenn er zurückkommt, schließe ich mich ihm an", schlug Draco vor, „Ich werde ihn verraten. Du musst das nicht tun."
„Draco, so sehr mich deine Entschlossenheit auch berührt, ich habe meine Entscheidung getroffen. Wenn die Zeit gekommen ist und er zurückkehrt, kannst du auch deine treffen. Das Gleiche gilt für dich, Lily", beendete Narzissa die Diskussion.
***
Anmerkung der Autorin
Entschuldigung für die lange Wartezeit! Ich bin in letzter Zeit ziemlich im Stress, weshalb ich nicht so viel schreiben kann. Ich hoffe, ihr wollt Lily trotzdem weiterhin auf ihrer Reise begleiten, auch wenn Updates nicht mehr so oft kommen.
Liebe Grüße Amy
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