13 ✿ Ecken und Kanten
Ich wache in seinen Armen auf. Es ist ganz früh und die Sonne ist noch nicht einmal komplett aufgegangen.
Ich spüre Alex' gleichmäßigen Atem und unsere Herzschläge aneinander pochen, und da trifft es mich wie eine Welle. Ich war so lange allein. Ich habe das so lange nicht gespürt. Fast hätte ich vergessen, wie wunderbar es ist, neben jemandem aufzuwachen. Und im Grunde bin ich noch nie neben jemandem aufgewacht, den ich so gern hatte ...
Wie sehe ich eigentlich aus?
Bestimmt wie eine Vogelscheuche nach nem üblen Trip. Ich muss ganz schnell und ganz unauffällig etwas dagegen unternehmen. Es ist das, was jede Frau zu tun versucht, ob nun im Film, oder im echten Leben – und ich bin leider nicht schön genug, um darauf zu verzichten.
Ich würde liebend gerne länger in seinem Arm liegen und lächeln wie eine himmlische Erscheinung, sobald er die Augen aufschlägt. Strahlend von innen, weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz und so weiter und sofort.
Aber man muss auch mal realistisch sein. Und bevor er mich so sieht und schockiert aus dem Fenster springt, steuere ich dem besser entgegen.
Ich schiebe vorsichtig seinen Arm von mir und lächle, als ich es mir nur ganz kurz erlaube, sein schnuckeliges Gesicht zu betrachten. Sind schlafende Menschen nicht total süß? So richtig zufrieden und selig. Im Schlaf will ja auch keiner was von einem ... Mit jedem Atemzug hebt und senkt sich der ganze Brustkorb und er schnarcht noch nicht mal. Als hätte ihn mir jemand gebacken.
Ja, so viel dazu.
Bevor ich mir wie ein gruseliger Voyeur vorkomme, schleiche ich mich schließlich ins Bad und betrachte im direkten Vergleich dazu gleich mal mich.
Zerzauste Haare, lila Augenringe unter Mascara-Klümpchen und Make-up Reste, die sich überall verteilt haben. Überragend.
Ich schnappe mir ein paar Blatt Klopapier – weil ich keines seiner schneeweißen Handtücher schmutzig machen will – und beginne mein Gesicht mit heißem Wasser zu bearbeiten. Ich bekomme das meiste ab, bin mir aber nicht sicher, ob das jetzt wirklich besser ist.
Zähne putzen wäre auch toll, ich rieche nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach wie ein toter Marder, der in einem Schnapsladen verendet ist.
Hey, und da fällt mir glatt auf, wie erstaunlich gut es mir angesichts der gestrigen Menge an Alkohol geht!
Hat sich mein Körper schon daran gewöhnt? Das wäre besorgniserregend. Oder hat vielleicht die halbe Packung Salzstangen mit dem Wasser das Gift aufgesaugt?
Was auch immer. Einem geschenkten Gaul schaut man bekanntlich nicht ins Maul, und natürlich schon gar nicht, wenn keine Zahnbürste zur Verfügung steht.
Ich beginne meine Katzenwäsche und reibe mir in meiner Not irre Mengen Zahnpasta auf die Zähne, die ich hektisch mit dem Zeigefinger verteile.
Oh ja, die guten, alten Festival-Survival-Tricks.
Die ich mir nur auf Youtube angesehen habe. Weil ich keine Kohle für Festivals habe ...
(Eine Runde Mitleid wäre jetzt schön.)
Ich schütte mir auch etwas von dem Mundwasser, das Alex im offenen Glasschrank neben dem Waschbecken stehen hat, direkt in den Mund, sodass es noch nicht einmal meine Lippen berührt. Irgendetwas – vielleicht die staubfreie Wohnung, in der man selbst vom Boden essen könnte - lässt mich nämlich die Vermutung hegen, dass Herr Anwalt einen Putzfimmel hat und nicht so auf Bakterien steht. Und darauf gehe ich natürlich ein, weil ich ein so aufmerksamer Mensch bin ...
Ich gurgle eine ganze Weile. Viel hilft viel, oder? Bestimmt rieche ich nicht mehr wie ein Marder, wenn meine Zunge nur lange genug brennt, als würde sie aus meinem Mund ätzen.
Natürlich lässt sich auch das Unangenehmste aller menschlichen Bedürfnisse nach gefühlt zwei Fässern Alkohol und vier Gallonen Wasser nicht mehr wirklich aufschieben. Als ich endlich die Toilette benutze, lasse ich aber natürlich den Wasserhahn auf halbmast laufen.
Ich kann Alex unmöglich Pipi-Geräusche von mir hören lassen.
Unsere Bekanntschaft ist so jung, so flüchtig, dass jegliche Körperflüssigkeiten ein Mythos bleiben müssen. Er soll denken, dass ich ein glitzerndes Einhorn bin, das niemals auf die Toilette gehen muss.
Liebe Umwelt, es tut mir leid. Das laufende Wasser ist nicht schön, aber der Zweck heiligt die Mittel und ich verspreche, ich habe mich sehr beeilt.
Als ich das Wasser wieder abstelle, höre ich schon Geschirrklappern aus der Küche.
Achso.
Er ist also wach und ich kann mich nicht wieder in seinen Arm schmuggeln, um mich als gefakte Himmelserscheinung zu inszenieren ...
Mal gewinnt man, mal verliert man.
Ich ziehe wieder meine Klamotten vom Vorabend an und lege seine zusammengefaltet auf das weiße Fensterbrett, dann atme ich tief durch. Auf ins Gefecht.
„Morgen", begrüße ich Alex etwas schüchtern, als ich ihn, wie es zu erwarten war, in der Küche vorfinde.
„Hey", nickt er mir zu. Er lehnt an der Küchenzeile neben der tropfenden Filterkaffeemaschine und jetzt, bei aufgehender Sonne, fällt mir erst auf, wie wunderbar hell seine Wohnung ist. Es ist richtig schön hier. Was man mit Geld alles machen kann ...
„Kaffee?", fragt er und lächelt leise.
Ich setze mich auf einen der Barhocker an seinem Küchentresen und nicke. „Gerne ... Aber Filterkaffee? Ganz schön old-school, oder?"
Das klang jetzt vielleicht abfälliger, als es gemeint war. Ich hätte nur gedacht, er besitzt eine dieser sündhaft teuren – das ist er wieder, dieser schreckliche Begriff – Kaffeemaschinen für Profis.
„Kann man besser reinigen", ist die einleuchtende Erklärung, die meinen Verdacht auf Putzfimmel direkt noch mal untermauert.
Er stellt mir eine gefüllte Tasse vor die Nase, als der Kaffee endlich durchgelaufen ist. „Milch? Zucker? Baileys?"
„Nur Milch – hast du welche?", lächle ich und kurz überlegt er, obwohl er sie mir gerade noch angeboten hat.
„Hoffentlich", murmelt er, als er einen Blick in den saubersten Kühlschrank wirft, den ich je gesehen habe. Sein Blick erhellt sich schnell. „Du hast Glück," überreicht er mir schließlich einen Tetrapack.
Er füllt sich dann auch selbst eine Tasse und nimmt direkt einen Schluck – komplett schwarz – als wäre es Lebenselixier.
Keine Milch, kein Zucker. Was ist das denn?
Ich bin ein wenig schockiert. Solche Leute sind also kein Legendenmaterial? Die gibt es wirklich?
Ich verkneife mir einen Kommentar dazu und mische meinen Kaffee mit viel zu viel Milch, als ihm wohl ein Gedanke kommt.
„Hast du Hunger?", fragt er wie gestern Nacht und ich lüge, indem ich langsam den Kopf schüttle. Ich will ihm echt keine Umstände machen.
„Du hast Hunger", entscheidet er aber zum Glück und kramt in seinen leeren Schränken.
(Ich wusste, dass er nicht kocht! Die Küche wurde eingebaut und maximal vier Mal benutzt. Domi würde hier drinnen vermutlich vor Euphorie umkippen und sofort Spanferkel am Spieß an Langusten vom Moorhuhn zaubern ...)
„Ich hab Cornflakes", dreht Alex sich mit fragendem Blick zu mir um.
Natürlich greife ich zu, da gibt es nichts zu zögern.
„Und du, isst du nichts?", wundere ich mich allerdings bald, als ich schließlich meine Schüssel vor mir habe. Ich sitze wie ein Schulkind auf meinem Hocker und löffle in mich hinein, während er da steht und seinen Erwachsenen-Kaffee ohne alles trinkt.
„Ich frühstücke nie", informiert er mich.
Aha. Daher ist er wohl auch so schlecht und ungemütlich darin ... Ihm fehlt ganz klar eine Frau in seinem Leben, die ihn zum ausführlichen Sonntags-Brunch zwingt, und diese Rolle könnte liebend gern ich übernehmen.
„Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages", gebe ich auch direkt fachkundig zu bedenken. Für einen verfressenen Menschen wie mich ist das Frühstück eigentlich der einzige Grund, am Morgen aufzustehen. Wie kann man also nur freiwillig darauf verzichten?
„Gewöhnungssache", winkt er ab. Er nimmt wieder einen Schluck von seinem Kaffee und irgendwie wirkt er plötzlich so komisch. So ... gestresst? Als wolle er etwas loswerden ...
Ich versuche das schleunigst zu analysieren, meinem geräuschvollen Kauen zum Trotz, doch jetzt fasst er sich wohl ein Herz – und es klingt unfassbar ernst.
„Hey, Mara, also ich denke –"
Oh nein. Oh nein!
Er hält inne – aber bestimmt schmeißt er mich gleich raus ...
Er sagt mir ganz sicher, dass ihm klar geworden ist, wie wir überhaupt nicht zusammenpassen und dass ich gehen soll. Dass er gestern nur verwirrt war, nicht er selbst, vollkommen überarbeitet und verzweifelt ...
Sein Ausdruck ist so steinern, sein Kiefer total angespannt, es kann nur so sein. Ich sehe ihn an wie Bambi, das gerade das Auto bemerkt, von dem es gleich bei Geschwindigkeiten jenseits von Gut und Böse über den Haufen gefahren wird.
„Das gestern Abend war spontan", beginnt er wieder und verzieht keine Miene. „Aber ich finde, dass –"
„Sich das nicht wiederholen darf!", komme ich ihm zuvor, um so zu tun, als wäre ich total damit einverstanden, obwohl mir gerade das Herz bricht.
„Was?", fragt er jetzt aber irritiert. Kurz zögert er, dann sagt er: „Okay, weißt du, ich dachte ... Vergiss es, schon möglich, alles gut."
Moment. Ist das etwa ein Missverständnis?
„Das wolltest du doch sagen, oder nicht?", frage ich bestürzt. „Du wolltest sagen, dass wir das nicht wiederholen können."
„Nein, ich wollte sagen, dass ...", widerspricht er erst, doch dann schweigt er abrupt, sichtlich verstimmt. „Willst du das etwa nicht wiederholen?"
Ich bin so verwirrt, dass ich kurz gar nichts darauf erwidern kann. Vielleicht auch lang, mein Zeitgefühl ist mies.
„Kommt da noch ne Antwort?", hakt er wohl nach doch etwas längerem Schweigen kühl nach.
Er hat beim Spaghetti-Date wohl nicht gelogen, was die Ungeduld angeht ...
„Wow, entspann dich mal!", verschränke ich trotzig die Arme und spüre Unmut in mir hochkriechen. (Und ich warne Sie vor – wenn der erst einmal da ist, werde ich meistens unverschämt und impulsiv.)
„Ich soll mich entspannen?" Ungläubig sieht er mich an.
„Ja! Wir sind hier nicht in einem deiner Gerichtssäle!"
„Was? Spinnst du jetzt?" Er verzieht das Gesicht und klingt ganz nach der abgeschmackten Münchner Schickeria, die alle Normalsterblichen so schrecklich finden.
„Ich dachte bis vor zwanzig Sekunden, dass ich dich unbedingt wieder sehen will", höre ich mich fauchen. „Aber offensichtlich spinnst du und daher ist das vielleicht doch keine gute Idee."
„Wieso nicht?", fragt er verärgert.
Ich bin ganz entrüstet. „Na, du sahst eben so aus, als wolltest du mich rausschmeißen!", versuche ich ihm eine Erleuchtung zu bescheren.
„Ich wollte dir nur mitteilen, dass ich gestern perfekt fand."
Jetzt muss ich ja glatt lachen. „Was? Wer sagt einer Frau das denn mit einem so grimmigen Gesichtsausdruck?"
„Ich", zuckt er mit den Schultern. Unbeeindruckt schiebt er hinterher: „Ich bin kein Romeo, Mara."
Ich hasse es, wenn man meinen Namen betont, als wäre ich ein Kleinkind, das nichts kapiert. Das hat Frau Pickel-Brennsuppe immer gemacht ...
„Dann war der Kerl gestern wohl dein Zwilling, Alexander", schieße ich zurück und betone seinen Namen auch so, als wäre er dämlich. Ha!
Ich stehe auf, stelle die Tasse und die Schüssel an seine Spüle und atme laut aus. „Danke für den Kaffee. Und die Cornflakes. Und die zehntausend Salzstangen, die ich gestern weggefuttert habe. Aber ich gehe jetzt."
Ich drehe mich um, im vorhin erwähnten Unmut impulsiv entschlossen, das auch tatsächlich durchzuziehen, doch plötzlich ist da seine Hand an meinem Arm, und sie hält mich ungeahnt sanft zurück.
„Warte", raunt er. „Ich bin nicht gut in so was."
„Worin? Am Tag danach nett sein?"
„Wir haben nicht miteinander geschlafen", wirft er jetzt auch noch mit Fakten um sich.
Ja, gut, das klang vielleicht auch ein bisschen falsch ...
„Trotzdem!" Ich schaue ihn skeptisch an.
Wir sind jetzt irgendwie in einer Sackgasse, schätze ich.
„Ich verhalte mich wie ein Arsch, wenn ich jemanden echt gern hab", gibt er ungern zu. „Fluchtreflex."
Vielleicht ist das doch nicht ganz so verfahren, wenn er immerhin ehrlich ist?
„Du magst mich ja wirklich", kann ich meine Freude darüber noch nicht einmal so recht unterdrücken.
„Die Frage erübrigt sich ja wohl ..."
„Ganz schön übellaunig, Mr. de Winter", tippe ich ihm auf die Brust und muss angesichts seines beleidigten Blickes schon fast wieder alles vergessen.
„Ich hab' dich gewarnt."
Ich stemme die Hände in die Hüften. „Und du hast nicht untertrieben!"
„Ja, aber ... bleib doch noch." Er atmet tief durch, denn das war eine waschechte Bitte aus seinem ansonsten wohl in Bitten ungeübten Mund. „Ich hab dich gern bei mir ..."
Gefühle zu zeigen fällt ihm offensichtlich nicht sehr leicht, aber ich finde, dafür lässt er mich gerade ziemlich tief in seine Karten schauen.
„Soll ich bleiben, damit du mich weiterhin ausschimpfen kannst?", frage ich dennoch halb ernst, halb amüsiert. „Ich glaube, wir zwei könnten streiten, bis die Fetzen fliegen."
„Wir zwei könnten vieles miteinander machen, bis die Fetzen fliegen", sagt er unvermittelt, und seine Stimme ist auf einmal dunkler als sonst.
Er mustert mich wie beim ersten Mal im Irish Pub, für einen kurzen Herzschlag lang von oben bis unten, sichtlich hungrig, bis er mich langsam zu sich zieht. Hypnotisiert er mich gerade?
Ich bin sofort wie benommen. Verlangen meldet sich in mir, heftig und plötzlich.
„Meinst du?" Ich muss schlucken und kann den Blick nicht von ihm abwenden.
Er nickt stumm und ernst, dann küsst er mich einige Male so sanft, so flüchtig, dass meine Sinne es kaum mehr verarbeiten können. Bis er mehr will, so als wären meine Lippen das Einzige, das ihn jetzt noch retten kann. Mich hat noch nie jemand so innig geküsst. Mein ganzer Körper pocht. Und ich lasse mich völlig fallen, wie in Ekstase.
Vielleicht wandern meine Hände ja deshalb an seinen ... ähm ... na ja. Knackarsch ... Ist wie ein Instinkt. (Sicher ein niederer, aber spielt das eine Rolle?)
Seine Hände umschließen erst meine Wangen, dann wandern sie ebenfalls fordernd tiefer an meine Taille und mir bleibt fast der Atem weg, als er mich kurz anstrahlt.
Ist er manisch?
Vielleicht ist er manisch.
Von der einen auf die andere Sekunde wird aus diesem grimmigen Kerl jemand, der mich hoffentlich gleich so unglaublich liebt, wie es seine Küsse versprechen.
Er dreht uns, sodass ich an seiner Stelle mit dem Rücken zur Küchenzeile stehe, dann hebt er mich auf sie, als würde ich rein gar nichts wiegen. Wir sehen uns wieder kurz an, beide schwer atmend, dann will ich mehr.
Ich habe gar keine Zeit zu zweifeln oder mir Gedanken darüber zu machen. Ich will einfach eine Sexual Healing Szene mit Mr. de Winter, gleich hier, gleich jetzt, selbst wenn ich ihn dafür noch nicht lange genug kenne und wir uns gerade total angezickt haben. Wir sind erwachsen, wir hatten unseren ersten, kleinen Streit, also ... Zeit für eine filmreife Versöhnung.
Er löst die Schleife am Ausschnitt meiner Tunika und ich will gerade sein Shirt hochziehen, da – wie könnte es auch verdammt noch mal anders sein? – klingelt sein Handy eine Handlänge von uns entfernt.
Verflucht, wieso jetzt?
Ich kann ein leises Stöhnen nicht unterdrücken. Hat sich denn alles gegen mich verschworen?
Er schließt nicht minder genervt die Augen, im nächsten Moment bestätigt er aber meinen Verdacht.
„Ich muss kurz rangehen", angelt er nach seinem Handy, aber immerhin ohne sich auch nur einen Zentimeter zwischen oder aus meinen Beinen zu bewegen.
„Raschauer", hebt er wenig enthusiastisch ab, minimale Betonung auf dem ersten A. Klingt beinahe wütend. Und das gefällt mir irgendwie.
Noch immer zwischen meinen Beinen spielt er gedankenverloren mit den Bändern am Ausschnitt meiner Tunika. Er hört einige Sekunden lang zu, dann sagt er schließlich: „Fragt Wolfgang, er war von Anfang an involviert ... Auf keinen Fall, heute nicht ... Was soll die Frage? Es ist Sonntag!"
Er schüttelt ungläubig den Kopf, dann legt er auf und ich grinse.
„Weiter?", fragt er verwegen.
„Weiter", hauche ich, küsse ihn eilig und ziehe ihn wieder ganz nah zu mir.
Er lässt seine Hände an meinen BH gleiten, fast tief genug, um mich zu berühren, doch dann klingelt es schon wieder.
Diesmal ist er derjenige, der laut stöhnt – ich ziehe nur eine Schnute. Er wirft verärgert einen Blick auf das Display und ich tue es ihm neugierig gleich. Da steht Wolfgang.
„Fragt Wolfgang jetzt dich?", versuche ich meinen Galgenhumor anzubringen.
„Wahrscheinlich ..." Er schüttelt den Kopf und hebt widerwillig ab. „Ja? ... Ich weiß, Wolfgang, aber – ... Nein, du musst das dieses Mal echt ohne mich hinkriegen, ich – ... Ich kann nicht immer einspringen, nur weil du – ... Was? Weil ich letzte Woche praktisch im Büro übernachtet habe, ich war jeden Tag bis ultimo – ... Nein, natürlich nicht, das – ... Ach, Wolfi, verdammt noch mal, ist ja gut ... Gut, bis gleich."
Er legt missmutig auf und diesmal frage ich deutlich ungläubiger: „Weiter?"
Doch er schüttelt den Kopf. „Ich muss in die Kanzlei. Tut mir ehrlich leid."
„Mh", bringe ich hervor. „Okay."
„Nein, ist es nicht. Aber merk dir, wo wir waren – wir nehmen uns dafür richtig Zeit."
Mit großen Augen nicke ich. Immerhin ist das ein Versprechen ...
„Mara?"
„Hey", schaffe ich es gerade so, nicht aufgeregt ins Mikro meines Handys zu quietschen.
Es ist kurz vor Mitternacht. Ich hatte gerade meine Kopfhörer ausgepackt, um mich mit meiner theatralischsten Playlist in den Schlaf zu grübeln, da hat das Handy in meiner Hand geklingelt. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er mich anruft. Ich hätte nicht einmal mit einer Nachricht von ihm gerechnet ...
„Fertig mit Wolfgang?", frage ich etwas zurückhaltend. Würde er das Lächeln auf meinem Gesicht sehen, wüsste er aber, dass ich vor Freude fast explodiere, weil er sich meldet.
„Ja, endlich", seufzt er müde.
„Was macht man denn so lange mit einem Wolfgang?", will ich neugierig wissen.
„Ewig diskutieren", beginnt er aufzuzählen, „ihn zehn Kaffeepausen machen lassen und im Anschluss daran jeden Buchstaben seiner nicht digitalisierten Fallakte durchgehen, weil ihm alles aus dem Ruder läuft."
„Klingt fantastisch", gebe ich zu. „Besser als mit mir fernzusehen allemal."
„Nein, ich hätte das den ganzen Tag machen können", widerspricht er – wie ich mir einbilde – mit einem Hauch von Wehmut in der Stimme. „Was hast du heute so gemacht?"
„Äh ... Ich hab ..."
Mir von meinem Mitbewohner zum Trost über unseren unverhofften Abschied und hinsichtlich meiner Alkoholeskapaden fettige Spaghetti Bolognese mit richtig viel Sahne kochen lassen? Anni und Jeff beim Sex in der Badewanne erwischt, als ich duschen wollte? Mich vor dem morgigen Montag im Büro gegruselt?
Alles, was ich ihm jetzt erzählen könnte, würde eine langen Erklärung zu meiner wahren Person erfordern. Und ich kann das unmöglich übers Telefon machen ...
„Ehrlich gesagt ... habe ich heute meine Mama angerufen", lüge ich nicht einmal. „Sie ist immer so liebenswert hektisch am Telefon."
„Hast du ihr von uns erzählt? Nicht dass sie am Ende total überrascht ist, wenn wir heiraten." Ich kann mir sein Grinsen bildlich vorstellen.
Ich bin ganz verzückt und setze wagemutig eins drauf. „Ja, weißt du, ich hab ihr auch schon versprochen, dass wir auf jeden Fall ein Kind nach ihr benennen werden ..."
„Mh." Es amüsiert ihn, das höre ich genau. „Eine Entscheidung weniger zu treffen. Wie heißt sie denn?"
„Kunigunde."
Ersticktes Lachen am anderen Ende. „Kaufe ich dir nicht ab."
Kurz finden wir das wohl beide witzig – vielleicht denkt einer von uns auch tatsächlich ernsthaft über Heirat und Kinder nach ... Ich nämlich ... Dann kommt mir etwas anderes in den Sinn.
„Sag mal – war ich gestern eigentlich sehr betrunken?"
Halt. Wieso stelle ich diese Frage? Die Antwort ist ein kristallklares Ja! Was erhoffe ich mir davon?
Sein hübsches Gesicht ziert wahrscheinlich genau jetzt ein Schmunzeln. „Ach Schätzchen, du hast mich nur bezichtigt, ein Serienmörder zu sein ... Und du hast auf dem Weg zu mir ein paar Mal fast Straßenschilder und Laternen umarmt, aber du warst zuckersüß."
„Danke", hauche ich gleichermaßen beschämt wie gerührt. „Also war ich betrunken, aber nicht nur ... lustig?"
„Doch, das natürlich auch", zieht er mich auf. „Aber vor allem warst du goldig."
„Wieso bin ich denn nicht gegen die Laternen gelaufen?"
Mir ist das echt peinlich, aber vom Weg weiß ich kaum mehr was ...
„Du hast mir deine Hand gegeben", erklärt er ruhig, „ganz am Anfang. Und ich hab sie nicht losgelassen."
Hören Sie das? Er hat nicht losgelassen! Er soll mich bitte nie wieder loslassen!
„Wie nett von dir", ist das Einzige, was mir in meiner Unbeholfenheit einfällt.
„Ich bin doch niemals höflich, weißt du nicht mehr?", zitiert er wieder Maxim de Winter.
„Doch, stimmt", beiße ich mir auf die Lippen. „Tja, schade, dass du heute Morgen wegmusstest. Das war sicher nicht höflich."
„Ich hab's den ganzen Tag bereut ... Wo wir schon beim Thema sind – ich weiß nicht, wann ich dich nächste Woche sehen kann."
„Nicht?" Ich kann meine Enttäuschung gar nicht verbergen.
„Ich hab ständig Termine, mittags und abends ..."
Zögerlich hauche ich: „Oh."
„Versprichst du mir was?"
„Was?"
„Verkopf dich nicht. Ich melde mich."
„Oh, klar ... Klar, kein Problem", behaupte ich großspurig, als wüsste ich nicht längst, dass ich wie ein Schluck Wasser in der Kurve hängen werde. Aber eigentlich gibt es ja keinen Grund, ihm nicht zu vertrauen.
Ich bin ja die Schurkin ...
Er gähnt jetzt jedenfalls, das kann ich genau hören.
„Du solltest schlafen gehen, du bist sicher todmüde", höre ich mich mütterlich sagen.
Wo kommt das denn jetzt her? Du meine Güte ...
Er schüttelt bestimmt gerade den Kopf. „Schickst du mich ins Bett?"
„Weiß nicht?", kichere ich.
„Einer von uns muss ja vernünftig sein", stimmt er mir überraschend zu. „Schlaf gut, Mara."
„Du auch." Einen Atemzug später sage ich: „Alex, warte! Ich ..."
„Mh?"
„Ich freue mich. Über uns ..."
„Ich mich auch. Wir sehen uns bald."
Anni muss hören, wie wir auflegen. Sie streckt direkt ihren Lockenkopf durch die Tür, als ich mein Handy glückselig auf mein Kissen fallen lasse.
„Love is in the air!", wackelt sie vom Türrahmen aus mit den Augenbrauen. „Das war doch dein Schnösel, oder?"
Ich nicke und kann meiner Freude nicht anders Ausdruck verleihen als dämlich zu klatschen.
„Sehr schön", reibt sich auch Anni heiter die Hände und setzt sich kurzerhand zu mir aufs Bett. „Ich glaube, ihr könntet auch richtig guten Sex in Badewannen haben."
Wir gackern wie zwei aufgedrehte Paradiesvögel, bis die plötzliche Erinnerung an die Verkettung ungünstiger Missverständnisse in meinem Leben wieder mal kräftig auf die Euphoriebremse drückt.
„Aber ich bin eine Lügnerin, Anni, er hält mich für eine ganz andere Person", stöhne ich schweren Herzens und hoffe, dass das Universum immerhin anerkennt, dass ich vor unbeteiligten Dritten meine Schuld als solche begreife.
„Weißt du was?", legt sie sich so auf mein Bett, dass sie die Füße an der Wand aufstellen und ihren Kopf von der Kante hängen lassen kann. „Du sagst es ihm einfach, sobald ihr euch das nächste Mal seht. Jetzt weiß er ja schließlich, dass du ein heißer Feger und lustig bist. Und er wird vielleicht etwas irritiert sein, aber das kannst du sicher gut geradebiegen."
„Ja, guter Plan", nicke ich wild entschlossen. „Er verdient es nicht, so geblendet zu werden."
„Ach, du flunkerst ja nur. Im Grunde nicht mal das – du bindest ihm nur nicht gerade die ganze Wahrheit auf die Nase." Sie zwinkert, dann fügt sie hinzu: „Jetzt mach dir mal keinen Kopf. Mein Opa aus Kölle sagt immer, et hätt noch immer jot jejange."
A/N: Ihr Lieben,
wenn ihr es bis hierher geschafft habt – wow! Ich danke euch fürs Lesen und dass ihr Mara ein Stück weit begleitet habt. Sie hat noch einiges vor sich, aber leider habe ich mich vorerst dazu entschlossen, aufgrund der Truyen-Problematik keine weiteren Kapitel auf Wattpad hochzuladen. Bitte entschuldigt ...
Solltet ihr dennoch weiterlesen wollen, schreibt mir gern einfach für einen Link :)
xx Dalia
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