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10 ✿ Sturzflug


Verehrte Damen und Herren,

Kapitän Kitsch (die Autorin) und die gesamte Besatzung (also niemand sonst) begrüßen Sie ganz herzlich an Bord. Unsere Flugzeit wird heute voraussichtlich etwas länger betragen, siehe Kapitellänge, weil der Kapitän schlichtweg nicht wusste, wie er hier zwischenlanden hätte sollen.
Wenn sie nicht doch noch aussteigen wollen, so muss ich Sie nun bitten, Ihren Sitzgurt zu schließen und festzuziehen. Nicht öffnen, es sind Turbulenzen zu erwarten.
Im Falle eines akuten Seifenopern-Overkills befinden sich Kotztüten in der Sitztasche vor Ihnen, gleich neben den Modemagazinen mit Tipps für perfekte Date-Outfits, die Mara natürlich nicht gelesen hat.

Viel Spaß und guten Flug,
Ihre Coconut Airlines



–––


Der Tag vor dem Date, Mittwoch, war der zähste überhaupt. Wüsste ich es nicht besser, würde ich behaupten, er hatte 48 Stunden, so langsam verging die Zeit.

Es gab kaum Anrufe in der Arbeit, sodass Jan mir irgendwann das 2013er Wacken-Konzert von Nightwish auf YouTube gezeigt hat. (Ganz im Ernst, Symphonic Metal ist ja mal ein musikalisches Juwel!)

Und in all meiner Aufregung war selbst der Feierabend quälend lang. Im Grunde habe ich ihn mit Anni vor dem Kleiderschrank verbracht, denn ich musste mir ja schließlich überlegen, was ich zu meiner ersten Verabredung seit ... seit ... seit Urzeiten ... anziehe.

Sich vor allem über Klamotten Gedanken zu machen klingt jetzt vielleicht erst mal banal. Aber denken Sie nur mal an Des Kaisers neue Kleider von Hans Christian Andersen – der depperte Kerl hat vor lauter Selbstbewusstsein nicht einmal gemerkt, dass er gar nichts anhatte.
Und genau so eine Attitüde wünsche ich mir auch. Wenn ich etwas trage, worin ich mich wohlfühle – so richtig – ist das quasi schon die halbe Miete. So als würde ich eine Rüstung anziehen, an der alle Peinlichkeit einfach abperlt. Als würde ich meine Seele gegen Bullshit imprägnieren.

Mit dem richtigen Outfit kann man gefühlt alles schaffen. Es zu finden stellt nur eine gewaltige Geduldsprobe dar. (Anni verzweifelt fast an mir, weil mich so viele ihrer Vorschläge ratlos ins Leere starren lassen ...)

Des Klischees bin ich mir natürlich bewusst – immer, wenn es darauf ankommt, sind Frauen angeblich der felsenfesten Überzeugung, sie hätten nichts zum Anziehen. Und wenn Sie das jetzt belächeln, sind sie vermutlich ein Mann.
Es stimmt nämlich einfach.
Die MythBusters hätten vielleicht mal das untersuchen sollen, statt sich lediglich echter Wissenschaft zu verschreiben.

Wie dem auch sei – Anni und ich haben uns nach langem und beschwipstem Hin und Her schließlich auf ein Kleid geeinigt. (Ich weiß – wie bahnbrechend ...) Farbe Pfirsich, Länge knapp bis zum Knie, ab der Taille etwas ausgestellt und mit Rüschen an der Knopfleiste des Ausschnitts.

Kurzum: Am Tageslicht sehe ich jetzt ein bisschen so aus, als hätte ich am Nachmittag noch einen Termin als Brautjungfer.
Gestern Nacht vor dem Spiegel in unserer Wohnung fanden wir noch, dass das Kleid mit Chucks ziemlich cool aussieht. Aber hatte ich erwähnt, dass wir beschwipst waren?

Die späte Erkenntnis, dass ich zur falschen Rüstung gegriffen habe, nützt mir jetzt auch nichts mehr. Ich könnte wie der Kaiser nackt gehen, aber so draufgängerisch bin ich nicht. Stattdessen ändere ich einfach meine Meinung – Kleider machen überhaupt nicht Leute. Pfui, wäre das auch oberflächlich ...

Vom Büro aus werde ich in gut zehn Minuten in Richtung Odeonsplatz losziehen. Ich bin dermaßen aufgeregt, dass mir fast schwindelig wird. Ich atme so angespannt und tief durch, dass Jan neben mir sogar irgendwann vom Handy aufsieht.

„Ist dir kalt?", fragt er aus dem Nichts und sieht mich an wie die Unschuld vom Lande.

„Ja, ein bisschen", gebe ich skeptisch zu. „Unsere Abstellkammer ist immer kalt. Warum?"

Sein Blick wandert von meinen Augen aus eine Etage tiefer, verweilen kurz auf meinen Brüsten, dann schaut er wieder zurück zum Ausgangspunkt. Er ist dabei gar nicht anzüglich oder frech, sondern ehrlich besorgt.
Ich folge seinem Blick und mir wird sofort klar, dass mein BH doch deutlich zu bequem und dünn und unwattiert ist, wenn Sie verstehen ...

„Danke für den Hinweis", sage ich schnell und ziehe mir meine Jeansjacke über. „Jan, bevor ich's noch vergesse – ich muss dich heute Mittag alleine lassen. Ist das okay?"

Er nickt notgedrungen. Wir sind inzwischen nämlich dazu übergegangen, in unseren Mittagspausen im Raucherbereich herumzulungern. Keiner von uns raucht, aber da hört man immer die spannendsten Geschichten. Wir zwei Eigenbrötler reden zwar immer noch nicht allzu viel miteinander, aber dafür verstehen wir uns langsam nonverbal total gut. Es könnte sein, dass er mir fehlt, wenn sein Praktikum zu Ende geht.

Und als ich aus meiner Tasche einen Lippenstift hervorkrame, obwohl ich sonst nie welchen trage, fragt er aufmerksam: „Hast du was Besonderes vor?"

Ertappt sehe ich ihn an. „Schon, ja. Sehe ich doof aus?"

„Nein, du bist schick", zuckt er mit den Schultern. „Ich mein, schicker als sonst. Normalerweise bist du etwas lässiger gekleidet, aber das steht dir auch gut."

Ist er nicht goldig?

„Danke!", sage ich erleichtert. „Ich hab beim Weggehen jemanden kennengelernt und bin jetzt mit ihm verabredet, weißt du ..."

Wieso erzähle ich das denn jetzt Jan? Weiß der überhaupt schon, was Dates sind?

„Mittags?", hakt er allerdings mit einem Mal fachmännisch nach und lehnt sich in Denkerpose zurück.

Du liebe Güte, endlich findet das auch mal jemand außer mir eigenartig! Genau dieses Rätsel konnte ich bislang selbst noch nicht lösen!

„Mittags ist eine komische Zeit, oder?", platzt es aus mir heraus. „Ich hab mich auch schon gefragt wieso ausgerechnet Mittags ..."

„Bestimmt will er dich bei Tageslicht sehen", mutmaßt Jan.

„Was?" Meine Augen weiten sich vor Schreck. „Wozu das denn?"

„Das machen viele so, wenn sie jemanden beim Weggehen kennenlernen", sagt er ganz ruhig. „Man will wissen, ob die Lichter nachts getäuscht haben."

Mir wird ganz mulmig. „Die Lichter?"

„Ja, die vorteilhaften Lichter", wiederholt er, als teile er gerade Jahrhunderte altes Wissen mit mir. „In denen sieht fast jeder gut aus. Das ist wie Sonnenbrille tragen."

Ich schlucke. „Du meinst ... er prüft heute nur mein Aussehen an der Sonne?"

„Ja, genau, das ist gängige Praxis."

Ich staune nicht schlecht. 23 Jahre auf Erden und ausgerechnet Heavy-Metal-Jan erklärt mir das?

„Sei mir nicht böse, aber bist du nicht etwas zu ... jung, um das zu wissen?"

„Doch, aber ich hab drei ältere Cousins." Er lächelt unbedarft und ist wirklich zum Knuddeln.

„Okay, verstehe", versuche ich mich wieder zu beruhigen. „Das ist gut zu wissen. Wirklich gut."

„Und weißt du, sie sagen auch, dass das erste Date immer Mittagessen oder Kaffee trinken ist, weil man da gut flüchten kann."

„Flüchten?", frage ich schrill und fordere ihn mit verzweifeltem Blick auf, mehr des Fachwissens seiner Cousins mit mir zu teilen.

„Ja, beim Weggehen nachts geht das nicht", erklärt er. „Da setzt man unter Umständen den kompletten Abend in den Sand. Aber beim Kaffee oder Mittagessen kann man einfach sagen, man hätte noch Termine."

Oh, du meine Güte, er hat vollkommen recht! Darauf hätte ich selbst kommen können. Jemand, der immer so geschäftig tut, im Pub E-Mails mit Kostümchen tragenden Kolleginnen bespricht, erst bei Dunkelheit aus dem Büro kommt – der hat keine Zeit zu verlieren! Er will mich erst noch mal bei Tageslicht begutachten, bevor er mehr Stunden investiert!
Wie zur Hölle soll ich diesen Test bestehen?

„Aber was soll schon schief gehen?", reißt Jan mich aus meinen galoppierenden Gedanken. „Vielleicht findest ja auch du ihn gar nicht so toll am Licht."

Ich belächle ihn erst, denn wie könnte das möglich sein, dann schaltet sich aber mein Selbstschutz ein und ich beginne heftig zu nicken. Genau! Vielleicht finde ja ich ihn nicht gut und ich bin diejenige, die keine unnötige Zeit verschwendet.

„Du hast recht", nicke ich und erhebe mich von meinem Schreibtischstuhl, als wolle ich in die Schlacht ziehen. „Heute sehe ich mir ihn bei Tageslicht an!"

„Erzählst du mir morgen, wie's war?" Jan ist offensichtlich mit mir aufgeregt.

Ich lächle bereit. „Auf jeden Fall. Kickstart my heart!"

Are you ready girl?", freut er sich über meine Mötley Crüe Referenz und antwortet natürlich direkt mit einer anderen.




Weg-Update: Mein Mut ist schon wieder beträchtlich geschrumpft.
Ich habe ganz schwitzige Handinnenflächen, meine Knie sind wie taub und dieses unangenehme Gefühl von Herausforderung lässt mich nicht los.
Es stresst mich, was hier passiert. Ich bin nicht für Dates gemacht. Ich kann auch nicht flirten. Und dieser Umstand mit dem Tageslicht setzt mir gerade ganz schön zu ...

In der U-Bahn habe ich, wann immer die Beleuchtung im Fahren gegen Wände reflektiert und aus dem Fenster einen Spiegel gemacht hat, stolze vier Mal überprüft, ob mein Concealer unterm Auge in die feinen Fältchen gerutscht ist. Ich habe drei Kaugummis im Mund, kaue wie eine Irre, und ich bekomme allmählich schon selbst Kopfweh von dem Parfüm, dass ich mir so großzügig auf der Büro-Toilette aufgesprüht habe.

Zu allem Überfluss ist jetzt auch noch die Sonne rausgekommen, und zwar so richtig. Wäre an sich ja schön, dumm ist nur, dass ich die Jeansjacke trotzdem anbehalten muss, weil Alex ansonsten vermutlich denkt, ich sollte lieber mir selbst als einer „Kundin" einen BH kaufen gehen ...

Ich bin ganz ehrlich – meine Beine wollen sich kaum bewegen, als ich mich Schritt für Schritt zum verabredeten Ort schleiche. Den Kaugummi beseitige ich noch schnell, bevor ich in die Zielstraße einbiege, und dann sehe ich auch schon das Restaurant.

Ist ja schnuckelig. Nicht groß oder protzig oder laut, sondern ziemlich gemütlich. Der Duft von Pizza liegt in der Luft und überdeckt hoffentlich meinen Angstschweiß.

Ich sehe Alex nämlich nicht. Hier sitzen einige Leute und streiten und essen und quatschen, aber hier ist kein Alex.

Mich beschleicht in meiner Paranoia sofort der ungute Verdacht, er könnte doch noch zu Sinnen gekommen und somit gar nicht aufgetaucht sein, dann höre ich allerdings direkt hinter mir seine Stimme.

„Suchst du wen?"

Ich fahre herum und kann ein Strahlen bei seinem unverschämt schönen Anblick einfach nicht unterdrücken.
Ich komme mir vor wie eine dämliche Grinsekatze, aber immerhin scheint Alex meine Euphorie zu erfreuen.

„Hey!", begrüße ich ihn mäßig geistreich. Ich stehe einfach nur da wie angewurzelt, aber er schiebt mich ganz sanft in Richtung Restaurant weiter.

„Hast du Hunger?"
Oh, dieses schiefe Lächeln ...

Ich nicke nur und es ist nicht gelogen. Abgesehen davon, dass ich im Grunde immer Hunger habe, ist es jetzt gerade besonders schlimm.

„Der da am Fenster ist für uns", zeigt er auf den mit Abstand gemütlichsten Tisch hier draußen. Ist auch schon alles, dass darauf kein Scheinwerferlicht gerichtet ist.
Hat er das so geplant oder spielt ihm das Leben einfach solche Asse zu? Nach dem Motto, hey, gut aussehender, erfolgreicher Kerl, sicher kannst du noch etwas Glück gebrauchen, hier eine Prise?

„Setz dich schon mal, ich sag nur kurz Hallo", holt er mich zurück ins Hier und ich tue, wie mir geheißen.

Ich lasse es mir aber selbstverständlich nicht nehmen, hin und wieder sehr unauffällig durchs Fenster zu schielen und ihn dabei zu beobachten, wie er mit dem Mann hinter der Bar plaudert.

Was dauert denn da auch so lange? Macht er das mit Absicht, ist das vielleicht seine Taktik? Mich zermürben und schmoren lassen? (Das braucht gar nicht er zu übernehmen – die unverhoffte Mittagssonne brennt hier echt erbarmungslos her und ich schwitze schon Bäche in meiner Jacke ...)

Er macht gerade kehrt, als ich meinen Blick diskret abwende und so tue, als würde ich die Sonne genießen und mich hier nur ganz unverfänglich umsehen. Oh, so ein schöner Tag, welch Italo-Flair, und erst diese herrliche Kreide-Schrift auf dem Tageskarten-Aufsteller. Ganz unverkennbar die Handschrift einer Frau, so geschwungen und filigran ...

„Das ist genau der Blick, dem ich auch im Pub gefolgt bin", sagt Alex unvermittelt, als er aus dem Restaurantinneren tritt und sich zu mir setzt.

Wie? Hat er etwa bemerkt, dass ich ihn unauffällig beobachtet habe? Das ist ja wohl ein Witz! Das war klammheimlich!

Meine offensichtliche Verunsicherung lässt durchaus Genugtuung über seine Lippen huschen und er lehnt sich ganz entspannt zurück. „Du weißt, was ich meine."

„Nein, nicht so ganz", bluffe ich mit dem rotesten Pokerface der Welt. „Welcher Blick?"
Es ist der vergebliche Versuch, immerhin noch ein bisschen Restwürde in Minute vier unserer Verabredung zu retten, doch ich bin durchschaut.

„Der auffordernde Blick", sagt er, während er sein Jackett auszieht. (Was würde ich jetzt nur dafür geben, auch meine Jacke ablegen zu können ...) „Sehr subtil. Kaum forsch."

„Jaah, ich glaube, das bildest du dir ein", behaupte ich und versuche nicht zu blinzeln. Wahrscheinlich sogar so zwanghaft, dass es schon gruselig ist.

Er lacht leise und nickt wie Dr. House, wann immer Wilson etwas Idealistisches sagt.

Und dann wird's noch peinlicher. Nachdem er ja bereits im weißen Hemd dasitzt und wir der sengenden Maisonne beide gleichermaßen ausgesetzt sind, fragt er aufmerksam: „Ist dir nicht zu warm in der Jacke?"

„Ähm, oh ...", schinde ich Zeit, dann schüttle ich betont lässig den Kopf bevor ich dazu übergehe, mir die Schweißperlen von der Stirn zu wischen. „Schon, aber ... Tja, weißt du, ich bin so ein bisschen zugemfpindlich ... Ich lass die Jacke lieber an."

Eine glatte Lüge, aber immer noch besser als ihm beim nächsten Windhauch meine Nippel ins Gesicht zu halten. Oder?
Ein gekünsteltes Lachen entkommt meinen Lippen und er kauft mir das nicht so richtig ab, aber er ist einfach extrem charmant und haucht nur schmunzelnd ‚Okay'.

„Signorina, Signore, willkommen!"

Nie trat ein Kellner in einem passenderen Augenblick mit Speisekarten in mein Leben. Dankbar greife ich danach, als wäre der Ledereinband ein Rettungsring.

„Darf's denn gleich was zu Trinken sein?"

Beide Männer sehen mich auffordernd an und ich höre mich sagen: „Für mich bitte ein Wasser."

„Mach eine Flasche für uns draus, Georgio", ergänzt Alex und sieht mich im nächsten Moment wieder verschwörerisch an. „Nur Wasser?"

„Ist es nicht zu früh für Wein?", frage ich unentschlossen und plötzlich muss er lachen.
Wieso lacht er denn?

„Ich dachte, du willst so was wie ne Cola", massiert er amüsiert seine Schläfe, „aber Wein ist gut. Wir nehmen Wein."

Huch. Hab ich jetzt mein latentes Schnapsdrosseltum zu deutlich gemacht?

Georgio zwinkert, bevor ich mir Gedanken machen kann. „Bene, bene, der Wein muss aber zum Gericht passen ..."

Alex dreht sich zu mir. „Vertraust du mir?"

„Womit?", frage ich wie automatisch.

„Sag schon", grinst er. „Ja oder Nein."

Ich bin gestresst und erheitert zugleich. „Ja, okay!"

Er wendet sich wieder an Georgio. „Für uns beide Spaghetti Aurora."

„Bene, dann hab ich genau den richtigen Wein für euch", gelobt der drahtige Italiener, bevor er wieder geschäftig ins Innere des Restaurants wuselt.

Ich lasse das kurz sacken, dann kann ich mich nicht länger zurückhalten. „Nudeln mit Tomatensoße und Sahne?"

„Oft sind es die simplen Rezepte ...", behauptet Alex verwegen.

Er sieht mich an und ich ihn und es ist kurz so, als würde die Zeit stillstehen. Völlig selbstverständlich fühlt sich das an und ich verliere mich glatt in seinen schwarzen Augen, da sagt er: „Dein Kleid ist übrigens süß. Fast so gut wie Leder."

„Ooh, unser Chat war so schlimm", stöhne ich schon bei der bloßen Erinnerung daran und vergrabe kurz das Gesicht in den Händen. „Es war schon so spät und ich war echt durch den Wind ..."

Er breitet die Arme aus. „Du hast ja auch kurz zuvor mich getroffen." Gerade noch so reicht die Portion Selbstironie aus.

„Mh", muss ich grinsen und denke unweigerlich an unser spätes Treffen vor der Kaminbar zurück. Mir stellt sich eine Frage, die ich umgehend an ihn weitergebe: „Sag mal, arbeitest du immer so lange?"

„Nein", behauptet er zuerst entschieden. Dann revidiert er allerdings: „Wobei. Doch. In letzter Zeit schon."

„Wow", schlucke ich und kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass jemand freiwillig einer so zeitintensiven Karriere nachgeht. Was ist das für ein Horrorjob? Hat er nicht am Dienstag eine Kanzlei erwähnt?

„Du bist ... Anwalt?", tippe ich kurzerhand.

„Ja, Rechtsanwalt", bestätigt er fast träge, „Familientradition. Mein Großvater hat die Kanzlei gegründet."

„Ihr habt eure eigene Kanzlei?", staune ich nicht schlecht. „Wäre ja dann eine glatte Schande, wenn du dich nicht auch der Juristerei gewidmet hättest."

Er lächelt matt. „Mich haben alle schräg angeguckt, als ich Pilot werden wollte."

„Pilot?", wiederhole ich. „Ich kann mir die Uniform an dir aber irgendwie auch nicht vorstellen ..."

„Ich hab sogar ein halbes Jahr lang auf die Prüfung gelernt", verteidigt er sich und lehnt sich ein Stückchen zu mir vor. „Ich war wild entschlossen!"

„Du hast sogar ne Prüfung dafür abgelegt?"

„Ja, ich wollte es durchziehen", höre ich schon das leise Aber, bevor er es überhaupt ausspricht. Als er allerdings nicht fortfährt, übernehme ich das kurzerhand gespannt.

„Aber?"

„Aber ich wurde abgelehnt", gibt er ungeniert zu.

„Was, echt? Wie das?"

„So, bitte sehr, einmal die Flasche Wasser und euer Wein", kommt Georgio der Auflösung dieser Karriereepisode kurz dazwischen. Er stellt die Getränke ab und sagt beschwichtigend: „Die Spaghetti kommen auch gleich!"

„Danke, Georgio", greift Alex direkt nach dem Weinglas und ich tue es ihm gleich, damit wir anstoßen können.

„Wieder aufs Leben?", schlägt er vor. Natürlich nicke ich.

„Ich vermute, dass ich zu ungeduldig bin", sagt er dann nach einem Schluck wie aus dem Nichts und ich mache große Augen, weil ich ihm nicht folgen kann.

„Als Pilot", klärt er mich auf, „ich wäre zu ungeduldig – mit Sicherheit bin ich beim psychologischen Test durchgefallen."

Ich kichere bescheuert. „Dann haben die also erkannt, dass du bei Turbulenzen sofort in den Sturzflug gehen würdest ..."

„Bestimmt", seufzt er. „Aber darauf kann man sich nicht vorbereiten. Die Psychologen durchschauen dich."

Ich kann nicht widerstehen zu fragen: „Wie und wann äußert sich denn besagte Ungeduld?"

„Das spricht nicht für mich, oder? Stress und Druck sind kein Problem. Aber Stillstand. Egal wobei. Ist ein rotes Tuch."

„Du bist ja doch wie der Mr. de Winter aus dem Film!"

Er zuckt schelmisch mit den Schultern und lehnt sich wieder zurück. „Mein Horror sind zum Beispiel Leute an Supermarkt-Kassen, die Kleingeld einzeln aus dem Geldbeutel zählen."

„Oh nein, ich bin so ein Mensch", verziehe ich das Gesicht schuldbewusst. „Aber ich verstehe, dass das nervt."

Er grinst. „Tja, du vielleicht – die Leute bei der Lufthansa aber nicht."

„Also wurde es doch Jura", folgere ich und nehme gleich noch einen Schluck Wein. Entspanne ich mich gerade so ein bisschen? Ich glaube, ich komme in Fahrt.

„Jura bis zum Abwinken", nickt er. „Aber genug von meinem Versuch, dem Schicksal zu entkommen – was machst du so?"

Oh. Nein. Ab jetzt wird's wohl doch wieder eher der Rückwärtsgang. Das sollten wir besser nicht thematisieren ...

„Ich hab so ein paar Sachen ausprobiert, ehrlich gesagt", eiere ich herum. „Aber von Berufung konnte ich bislang noch nie sprechen."

„Erzähl mal", mustert er mich interessiert.

Ich kann doch jetzt unmöglich den Infostand für Touristen erwähnen? Oder den Kindergarten ... Was sag ich bloß?

„Na ja, also ... ich habe zum Beispiel mal ne Zeit lang gekellnert", höre ich mich herumdrucksen.

„Du auch?", zwinkert Georgio erfreut, als er mit den Nudeln zu uns herausschwebt. „Lasst's euch schmecken – der Chef hat sich extra viel Mühe gegeben, Alex."

„Danke", nickt er und sieht mich dann wieder auffordernd an. Scheinbar rettet mich das Essen jetzt doch nicht davor, meine gescheiterten Karrieren offenzulegen ...

„Ich war auch mal kurz in einem Kindergarten", gebe ich in meiner Verzweiflung zu.

Er fügt die Puzzle-Teile zusammen. „Hm, klar. Daher wusstest du so gut über rutschfeste Socken Bescheid."

Selbst beim Gedanken an die grässliche Delfin-Gruppe bringt er mich noch zum Lachen. Das heißt doch was, oder?

„Widmen wir uns doch mal den Nudeln, bei denen ich dir blind vertraut habe", wechsle ich nur zu gerne das Thema und beäuge meinen Teller.
Das sind ... Spaghetti mit sahniger Tomatensoße.
Meine Erwartungen sind ... niedrig.

Aber ich probiere und – wow!
Ehrlich, die sind unfassbar lecker!
Ich fühle mich durch den bloßen Geschmack von guten Tomaten und teurem Olivenöl nach Italien in eine dieser schnuckeligen Gassen versetzt, durch die sich gleichzeitig Fußgänger und Vespa-Fahrer drängen, während Einheimische in chicen, weißen Klamotten Espresso trinken.

„Und?", fragt Alex direkt, weil ich genießerisch die Augen verdrehe.

„Das ist gut", nuschle ich glückselig, „richtig gut!"

„Siehst du? Ich bin vertrauenswürdig. Also Kellnern und Kindergärtnern hast du durch ... Was machst du im Moment?" Da ist sie plötzlich wieder – die unausweichlichste aller Fragen. Und noch bevor ich etwas sagen kann, beantwortet er sie leider selbst. „Weißt du, Linda ist ja schwer beeindruckt von dir."

Woher zum Kuckuck weiß er das?
Haben sich die beiden etwa über mich unterhalten?
Alarmstufe gelb!

„Echt?", lächle ich schräg. „Hat sie dir das gesagt?"

Er nickt und nimmt einen perfekt auf die Gabel aufgewickelten Bissen Spaghetti in den Mund, ohne sich auf sein weißes Hemd zu kleckern, während ich mir wie ein Kleinkind mit buntem Plastikbesteck vorkomme und am liebsten einen Latz anhätte. Wie schafft er das bloß, die Nudelenden immer so akkurat abschließen zu lassen? Bei mir hängt alles kreuz und queer von der Gabel ...

Zurück zur Alarmstufe gelb. Ich muss mehr Details erfahren, um abzuwägen, ob ich schreiend davonlaufen soll. Wenn Linda ausgeplaudert hat, dass ich reiche Eltern habe, die ich nicht habe, dann wäre das eine glatte Katastrophe.

„Habt ihr euch über mich unterhalten?", frage ich ganz direkt, weil sich innere Panik in mir ausbreitet und ich nicht die nervlichen Kapazitäten habe, das jetzt charmant und durch die Blume zu lösen.

„Ich gestehe – ja", offenbart er mir ohne jeden Hauch von Reue. „Ihr Mann hat mich Dienstag Abend nach unserem kurzen Treffen noch angerufen. Er ist einer unserer Mandanten – daher kenne ich Linda." Er nimmt einen Schluck Wein, als wolle er den Spannungsbogen aufrecht erhalten, was völlig unnötig ist, weil mir mein Herz ohnehin gleich auf den Teller springt. Seelenruhig fährt er fort: „Und bevor er auflegen konnte, bestand sie darauf, mich auch noch zu sprechen."

Oh, oh. Ich ahne Finsteres. Ein Sturm zieht auf. Ein dunkelgraues Wölkchen schwebt allein für mich herbei, um direkt über meinem Kopf zu verweilen ...

„Du kennst das ja", zuckt er mit den Schultern. Er verstellt die Stimme, um mehr nach Linda zu klingen, und piepst: „Es war heute so nett, dich mal wieder zu sehen – und ich war ja so überrascht, dass du Mara kennst!"

Ich nicke mit irrem Strahlen im Gesicht, nur damit er fortfährt.

„Sie hat mir erzählt, wie ihr euch getroffen habt. Ist echt clever, älteren Damen in Boutiquen deine ehrliche Meinung zu sagen, damit sie auf dich aufmerksam werden", lobt er meinen vermeintlichen Geschäftssinn und ehe ich protestieren kann, fährt er fort: „Und sie wird dich allen weiterempfehlen und sie bewundert deine ... wie formulierte sie es? Deine löbliche Bodenständigkeit."

„Meine löbliche Bodenständigkeit", wiederhole ich wie gelähmt.

„Ja, sie hat's einfach mit dem Klischee der reichen, verwöhnten Kinder", lacht er in sich hinein und ich lache mit – vor lauter Wahnsinn.

Das graue Wölkchen über mir entlädt sich in Eimern, inklusive Blitz und Donner.
Ich will aus tiefster Kehle NEIN ins Universum schreien.
Meine Damen und Herren, hiermit ist sie offiziell erreicht: Alarmstufe rot!
Röter als rot. Die Bombe ist geplatzt – er hält mich für reich!

„Verwöhnte, reiche Kinder ...", stammle ich, das Herz schlägt mir bis zum Hals.

„Die sich nie einbringen, weil sie sich allein auf das Geld ihrer Eltern verlassen", nickt er und spricht wieder in Linda-Stimme. „So eine ist die Mara nicht!"

Oh weh. Oh weh, oh weh, oh weh.
Nein, vollkommen richtig, so eine bin ich nicht. Ich bin nicht mal ansatzweise so eine.
Ich bin eine verlogene Betrügerin, die weder reiche Eltern, noch die leiseste Ahnung von Mode oder der Schickeria hat. Und doch sitze ich hier mit einem der Topanwälte der Stadt, weil er mich für eine völlig andere Person hält!
Dieses Date kam womöglich nur zustande, weil Linda ihm von mir und meiner Bodenständigkeit vorgeschwärmt hat! Und wenn ich so darüber nachdenke, dann natürlich auch nur deshalb, weil er meint, ich sei eine von ihnen. Eine Reiche ...

Du liebe Güte, wie komme ich nur aus dieser Nummer wieder raus? Soll ich es ihm ins Gesicht brüllen, damit es gesagt ist?

„Mach' dir keine Gedanken", winkt er ab, als er meinen abwesenden Gesichtsausdruck bemerkt. „Linda ist 'ne Liebe – sie hat nur Gutes über dich gesagt."

„Super, ja, also ... da bin ich aber froh", bringe ich unter Anstrengung hervor. Mein Magen hat sich inzwischen drei Mal verknotet und ich schwitze wieder wie in einer finnischen Sauna.

Ob er den Braten riecht und mich nur wie im Gericht verhört?

Nein. Ich bin mir relativ sicher, dass er die Mara, die er da meint kennenzulernen, gar nicht mal so schlecht findet. Nur ist die echte Mara ja dagegen verdammt schäbig ...

„Machst du das schon länger?", fragt er.
Was, lügen?
„Das mit der Einkaufsberatung?"

Oh, das. „Ja, weißt du, eigentlich noch nicht allzu lange, das hat sich irgendwie so ergeben ..."

Ich hole tief Luft, weil ich kurzerhand all die Missverständnisse aufklären möchte. Ich will meinen Mund öffnen und alles gestehen – ich versichere Ihnen, dass ich das will – da sagt er: „Die besten Dinge im Leben ergeben sich manchmal einfach so, oder?"

Alles klar. Jetzt bekomme ich keinen Piep mehr raus. Ist der Typ einer romantischen Komödie entsprungen? Bilde ich ihn mir vielleicht nur ein? Womöglich sitzt da gar niemand und ich sehe schon Gespenster ...

„Mh", zweifelt er dann allerdings an seinen eigenen Worten und ist doch wieder sehr real. „Das klang jetzt verdammt kitschig. Streich das wieder."

„Nein", schüttle ich meinen Kopf, „will ich nicht."

Ich lasse meinen Mund geschlossen.
Weil wir uns für einen Moment lang so ansehen, als wäre ohnehin schon alles gesagt. So, als würden wir uns beide freuen, dass wir uns in diesem Meer von Menschen auf tollpatschigen Umwegen kennengelernt haben.
So dumm und naiv es vielleicht auch klingt, ich kann direkt durch diese dunklen Augen hindurchsehen und ich erkenne, dass in ihm wie in mir die leise Vorahnung anklopft, dass aus uns beiden etwas werden könnte.

Das Unmögliche ist geschehen, das, was ich nicht zu träumen gewagt habe – die Chemie stimmt. Und nicht einmal das Tageslicht kann das ändern.

Meine Lügerei könnte es aber. Deshalb sollte ich die Karten so schnell es geht auf den Tisch legen.
Aber wie? Etwa sagen, dass ich Linda in dem Glauben ließ, reich zu sein, um ihr kompetenter zu erscheinen? Weil ich mir mein kleines Gehalt aufbessern muss, um irgendwann Wein in Flaschen statt im Tetrapack zu kaufen?

Ich habe keine waghalsigen Hobbies, die die Welt beklatschen könnte. Ich kenne mich auch nicht mit Kunstwerken oder Wissenschaften aus, die mich super weltgewandt machen würden. Und von Sachen Liebe will ich gar nicht erst anfangen.
Ich bin nur eine Traumtänzerin vom Land, die nach München kam, um die große Welt zu bestaunen, kläglich daran gescheitert ist und sich im Alltag immer wieder einredet, dass eigentlich nur noch Auswandern helfen könnte.
Ich meine – entschuldigen Sie, dass ich ihn schon wieder erwähne – aber der Tetrapack-Wein fasst doch alles treffend zusammen, oder nicht? Ich bin gescheitert!

„Mara?", holt mich Alex' samtige Stimme wieder ins Leben.

„Sorry", bringe ich hervor. „Tagtraum ..."

Wohl eher ein Tagalptraum. Denn das hier ist alles viel zu perfekt und zerbrechlich.

„Von mir?", schlägt er großspurig vor, muss aber wieder selbst darüber lachen.
Verurteilen Sie mich bitte nicht, aber ich mag sein Selbstbewusstsein. Seine situative, wohldosierte Großkotzigkeit, die sich mit einem Wink Selbstironie vermischt und unterm Strich doch noch ein glattes No-Go ist ...

„Zufällig nicht", behaupte ich dennoch, meine Mundwinkel zucken aber so sehr, dass es recht unglaubwürdig ist.

Sicher gibt es noch einen besseren Zeitpunkt, um das alles zu erklären, oder? Ich muss das nach Gefühl machen, ganz sicher. Denn im Moment unterhalten wir uns so gut, so ungezwungen, dass es einfach nicht geht.

Er erzählt mir, dass er ein Einzelkind ist und ich rufe gleich, dass ich auch eins bin. Weiterhin stellen wir fest, dass wir wirklich ein paar lustige Gemeinsamkeiten haben – wir lieben alte Filme, wir hassen unseren Geburtstag aus unerfindlichen Gründen und Camping wäre schon ziemlich cool, gäbe es da nicht das Problem mit den ekligen Gemeinschaftstoiletten ...

Dann wiederum sind wir aber auch total verschieden. Er hält Urlaub, Musik hören, Lesen von Nicht-Fachlektüre und eventuell Spaß im Allgemeinen für die reinste Zeitverschwendung, was ich als eine schreckliche Einstellung abstempeln würde.
Er ist zielstrebig – Workaholic trifft es wohl eher – während ich vor Verantwortung schreiend davonlaufe. Und, halten Sie sich fest, er ist verbissener Golfer. Seine eigenen Worte. Verbissen.

Ich habe keine Ahnung von Golf. In meinem Kopf hält sich dazu nur hartnäckig ein Bild von alten Männer in Karohosen und lächerlichen Hüten, die waghalsig in diesen dunkelgrünen Carts herumfahren und über Finanzkrisen diskutieren.

„Spielt in eurer Familie keiner Golf? Nicht einer?", fragt er ungläubig und sieht mich ganz schräg an.

Ja, richtig, reiche Leute machen das ja eigentlich für ihr Leben gern ...

„Irgendwie nicht", rede ich mich raus, doch er lehnt sich zu mir und sieht mich an, als würde er mir gleich ein Geheimnis verraten.

„Wir gehen mal zusammen auf die Driving Range", kündigt er an und, na ja, das ... klingt doch wirklich prickelnd?

Die Zeit vergeht mit ihm wie im Flug und als schließlich die Rechnung kommt, will ich natürlich selbst zahlen. Das sage ich auch drei Mal.
Aber er besteht darauf, mich einzuladen und, na ja, ich wäre gerne zu emanzipiert dafür, aber ich finde es nun mal echt nett.

Wir wollen uns beide noch nicht so recht voneinander verabschieden und deshalb schlendern wir kurzerhand in Richtung Eisbachwelle. Er trägt jetzt Sonnenbrille und es ist bodenlos, wie gut er damit aussieht. Als hätte ich die Jura-Version eines Posterboys neben mir ...

Am liebsten würde ich seine Hand nehmen und ihm verkünden, dass wir das von jetzt an so machen, weil wir meinetwegen sowieso gleich heiraten und Babies bekommen können.
Aber das geht natürlich nicht.
Die Gründe dafür sind so offensichtlich wie bizarr. Wir treffen uns zum dritten Mal überhaupt und ich bin eine Hochstaplerin.

Vielleicht ist jetzt der passende Augenblick, das aufzuklären? Mein Mund wird schon bei dem Gedanken daran ganz trocken, aber jetzt oder nie.

„Hey, Alex", höre ich mich wild entschlossen in die Einbahnstraße rasen, „du, hör mal ..."

Ich sehe ihn ernst an und er bleibt sogar kurz stehen – immerhin erreichen wir sowieso gleich die von Passanten umkämpfte Kanalbrücke der Eisbachwelle, an der sich die Zuschauer der Surfer tummeln. Ich habe Schwierigkeiten, meinen Satz zu beenden und es fällt so sehr auf, dass Alex die Augenbraue hebt und zu schmunzeln beginnt.

„Ja?", hakt er nach, um mich wieder zum Reden zu bringen.

Ich hole noch einmal tief Luft, dann fahre ich fort: „Ich muss dir was gestehen."

„Deine Liebe", schlägt er vor und nur Schlips und Kragen und dieses übermütige Grinsen können verhindern, dass es unterirdisch ist. „Entschuldige, alte Anwaltsgewohnheit – wilde Spekulationen."

Ich gluckse und versuche ernsthaft, irgendwie die Wahrheit über meine Person rauszuwürgen, indes jedoch mustert er mich mit einem ganz eigenartigen Blick, fast so, als wäre er ein bisschen froh, jetzt mit mir hier zu sein.

„Aber wenn wir schon dabei sind", kommt er mir zuvor, „ich muss dir auch was gestehen."

Mit großen Augen sehe ich auf und bin Allzeit bereit, mich wie Scarlett O'Hara in Rhett's Arme zu werfen, weil seine Kunstpause es gerade so dramatisch macht.
Ich vergesse mein eigenes Geständnis komplett, als er schließlich an der Kanalbrücke lehnend seine Brille abnimmt, um mir direkt in die Augen zu sehen.

„Das hat Spaß gemacht. War mein erstes Date seit ..." Er hält inne und sieht kurz nach oben, als würde er überlegen. „Dass ich überhaupt darüber nachdenken muss, macht ja deutlich, was ich sagen will." Er lächelt leise und ich löse mich schon in meine Bestandteile auf, um dahinzuschmelzen.

Ich bin heillos überfordert. Was zu einem unangebrachten Kurzschluss in meinem Gehirn führt. Ich kann es praktisch gar nicht mehr verhindern, dass mein Blick zu seinen Lippen wandert – es ist wie ein Reflex. Zwar nur ganz kurz, aber er bemerkt es sofort und sein Gesicht antwortet klar und deutlich ‚ertappt'.

Meine Wangen ziert gleich wieder die Schamesröte, doch ihn scheint das nicht zu stören. Als er einen Schritt auf mich zumacht und amüsiert den Kopf schief legt, kriege ich kurz keine Luft mehr.

Könnten wir uns jetzt nicht theoretisch küssen? Ich meine, zumindest wenn ich nicht noch vorher vor Aufregung in Ohnmacht falle? Ich habe schon so lange keinen Mann mehr geküsst! In meinem Bauch explodiert ein Feuerwerk der Vorfreude und meine Hände werden irre warm.

Und dann klingelt sein Handy.

Ist das denn zu glauben?

Es gab wohl selten einen Moment, in dem ich mir mehr gewünscht hätte, im verdammten Mittelalter zu leben!

„Entschuldige", raunt er und hebt schon im nächsten Moment ab. Kurz hört er zu, dann fragt er verärgert: „In einer Stunde? Ihr hattet doch noch gar keine Gelegenheit, das ordentlich vorzubereiten!"

Er läuft ein Stück entlang an der Brücke weiter und starrt angespannt auf die Wellen im Eisbach.

„Wolfgang, das hätten wir viel früher besprechen müssen", stöhnt er. „Ja, ist mir klar, aber es hilft ja nichts ... Nein, lass alles, wie es ist, ich komm sofort."

Sichtlich gereizt legt er auf. Er macht es wie Helge – er legt einfach auf. Ich weiß ja nicht, ob das für ihn spricht ... Oder machen das vielleicht einfach alle Menschen mit einer echten Karrieren so?

„Du musst los", sage ich und kann die Enttäuschung in meiner Stimme kaum verbergen, als er zu mir zurückkommt.

„Ich muss los", bestätigt er. „Du wolltest mir allerdings vorhin noch was sagen."

„Ach, ja, richtig", beiße ich mir auf die Lippen, als wolle mein Körper die Beichte in sich verschließen.

Und wissen Sie was? Ich bringe es nicht über mich. Nicht jetzt.

„Ich wollte nur ... Also, ich hatte auch schon lange kein gutes Date mehr", murmle ich. Immerhin das ist keine Lüge. „War ziemlich lustig heute."

Ich sehe auf, er nickt, dann gibt er mir – richtig alte Schule – einen galanten Kuss auf die Wange. Ein halbes Bussi-Bussi sozusagen.

„Bis dann", sagt er.

Viel schneller, als mir lieb ist, lässt er mich wieder ganz allein mit meinen Träumen. Und den Ängsten.

Das war wie ein Sturzflug ohne Fallschirm und Rettungsweste – und ich bin platt.


–––


Vielen Dank, dass Sie sich für Coconut Airlines entschieden haben.
Über Ihre Bewertung zum Flug würde sich die Crew (also wieder nur die Autorin) sehr freuen.
Fliegen Sie doch bald wieder mit :D

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