[25] DER DRITTE OPAL
Dienstag, 31. Oktober 2000
»KIKERIKIII! KIKERIK- GUTEN Morgen!«
Missmutig brachte Celine ihren nervigen Wecker zum Schweigen. Sie hatte gestern nicht mehr daran gedacht, ihn auszustellen, so dass er sie auch an diesem eigentlich schulfreien Tag wieder viel zu früh aus dem Schlaf riss. Schlaf – dieses Wort hatte für die Elfjährige mittlerweile eine vollkommen andere Bedeutung, als es das für Menschen gewöhnlich haben sollte. Normalerweise schläft man, um sich von den Strapazen und Abenteuern des vergangenen Tages auszuruhen. Sicher, den ein oder anderen absurden Traum durchlebt man in diesen Stunden des komatösen Zustandes, doch das war kein Vergleich zu dem, was sie und ihre ältere Schwester seit Kurzem mitmachen. Oder war es am Ende nichts als ein langer und verwirrender Traum gewesen?
»Das kann alles nicht wirklich passieren. Das ist Wahnsinn«, murmelte das Mädchen vor sich hin, nachdem sie sich mühsam aus dem warmen und weichen Bett gekämpft hatte.
Ihre Haare waren zerzaust, die Augen klaterig und der Kreislauf musste erst in Gang kommen – alles wie immer. Celine gähnte herzhaft, dennoch fühlte sie sich nicht mehr oder weniger müde als nach einer gewöhnlichen Nacht. Ein ungläubiger Blick durch ihr Kinderzimmer verriet ihr, dass sich dort keine Dinosaurier, außer denen aus Plastik und auf den Postern befanden. Aber im Gegensatz zum Vortag hatte das Mädchen an diesem Morgen sofort die Erinnerung an all dem, was in der Dino-Welt geschehen war. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte all das, was sie dort erlebt hatte, und all jene, die sie traf, nicht als Traum abstempeln.
»Hinz und Kunz!«, rief sie sich die beiden Compsognathus in den Sinn, auf die sie und Sophie aufpassen sollten. »Sie sind noch immer verschwunden. Verdammt!«
Eilig trankt Celine ein Glas Wasser, schlüpfte in ihre Klamotten, kämmte notdürftig ihr dunkelbraunes Haar und band sich einen unordentlichen Pferdeschwanz. Dann eilte sie aus dem Zimmer und tappte den Flur entlang, um zu ihrer Schwester zu gehen.
»Hey, Celine. Was machst du so früh schon hier draußen?«, hinderte sie die Stimme ihrer Mutter daran, in Sophies Zimmer zu platzen. »Die Schule geht erst morgen wieder los. Du kannst noch ein bisschen schlafen oder hast du heute irgendeinen Termin? Hab ich den vergessen?«
»Nein, Mama. Alles gut«, antwortete Celine geistesabwesend, denn in Gedanken war sie bei den Worten Hermes', dem Ornithocheirus.
»Mama? Bei welchem Juwelier hast du Omas Opal machen lassen?«, fragte sie ihre Mutter und spürte, wie ihr Herz immer schneller schlug.
»Bei Juwelier Delusius. Du weißt schon, die Eltern meiner ehemaligen Klassenkameradin betreiben dieses Geschäft und ich wollte euer Erbstück nur den allerbesten Händen anvertrauen«, erklärte Frau Krauss und sah ihre Tochter fragend an. »Stimmt etwas nicht mit deiner Kette? Wenn was kaputt oder locker sein sollte, haben wir sechs Monate Garantie. Soll ich den Anhänger mitnehmen und nach der Arbeit nochmal da vorbeifahren?«
»Nein, nein. Es ist nichts kaputt. Ich war nur neugierig, weil es wirklich hübsch geworden ist. Mach dir keine Umstände. Alles in Ordnung, Mama.« Celine setzte ihr unschuldigstes Grinsen auf, was ihre Mutter umso misstrauischer machte.
»Du bist trotzdem komisch heute. Ist wirklich alles in Ordnung?«
»Ja, mir geht es gut. Hab nur den Wecker aus Versehen gestern Abend gestellt und dachte, heute ist schon Schule. Denn gehe ich nochmal ein bisschen schlafen. Bis heute Nachmittag. Viel Spaß auf Arbeit. Tschüss.«
Celine nahm Kurs auf ihr Zimmer und schnappte sich beim Vorbeigehen unbemerkt ein Telefonbuch von der kleinen Kommode im Flur und winkte ihrer Mutter ein letztes Mal zum Abschied, bevor sie ihre Tür hinter sich schloss.
Dann tat Celine so, als würde sie sich noch einmal ins Bett legen. Sie löschte das Licht und verhielt sich ganz ruhig. Dabei lauschte sie, wann ihre Mutter das Haus verließ. Als dies nach etwa einer viertel Stunde endlich geschehen war, setzte sie sich mit dem Telefonbuch an den Schreibtisch und suchte die Adresse von diesem Juwelier Delusius heraus. Sie konnte sich nur dunkel daran erinnern, schon einmal dort gewesen zu sein. Damals hatte ihre Mutter schicke Ohrringe für Oma Willi gekauft.
Oma Willi.
»Ach, wenn sie doch nur da wäre. Es gibt eine Menge Dinge, die ich sie fragen muss. So viele Probleme, die nur sie lösen kann.« Stumme Tränen rannen ihre Wangen herunter und ließen Celines Blick verschwimmen.
»Celine?« Vorsichtig schob Sophie ihren Kopf durch die Tür. »Weinst du?«
»Oh, Sophie! Habe ich dich geweckt? Tut mir leid.« Schnell wischte sich Celine die Tränen aus dem Gesicht. Es gab Wichtigeres, als sich der Trauer um ihre verstorbene Großmutter hinzugeben.
»Nein, ich war schon wach«, beruhigte Sophie die Sorgen ihrer kleinen Schwester. »Ich konnte kaum noch weiterschlafen, nachdem wir zurückgekommen waren. Das, was Hermes uns erzählt hat, hat mir keine Ruhe gelassen. Ich wollte dich ohnehin wecken, sobald Mama das Haus verlassen hat.«
»Denkst du wirklich, der Juwelier hat nicht den kompletten Opal für unsere Anhänger verwendet?«, fragte Celine und tippte mit dem Finger auf eine Stelle im Telefonbuch.
»Delusius? Das klingt schon so verdächtig«, rümpfte Sophie die Nase, nachdem sie sich die Adresse des Geschäfts eingeprägt hatte.
»Aber warum sollten die das tun? Die Leute dort kennen Mama schon lange. Die würden sie doch nicht betrügen.«
»Vielleicht ging es nicht anders?«, überlegte Sophie und betrachtete ihrem Anhänger. »Wir haben keine Ahnung, wie so eine Änderung funktioniert und was weiß schon dieser Kronos von dem Herstellungsprozess eines Kettenanhängers?«
»Hermes zufolge ist Kronos so was wie ein Medium. Er spürt sofort, wenn etwas in oder zwischen den beiden Welten nicht stimmt«, sagte Celine und zupfte an ihrem Zopf herum. »Er hat Poseidon aufgesucht und ihm erklärt, dass die Verbindung zwischen unseren Welten und den Opalen unvollständig sei. Deshalb sind Hinz und Kunz nicht mit uns zusammen zurückgekehrt.«
»Solange ich diesen Kronos nicht persönlich getroffen habe, verfalle ich nicht in Panik«, versuchte Sophie das Problem kleinzureden. »Hinz und Kunz haben eben ihre eigenen sturen Köpfe. Wer weiß, wo die sich versteckt haben, dass wir sie dort nicht finden konnten?«
»Sophie«, ermahnte Celine ihre Schwester und zog die Stirn in Falten. »Kronos spürt solche Dinge. Er muss sie nicht finden, um zu wissen, wo sich die beiden befinden. Sie hätten gestern Abend automatisch mit uns zusammen in die Dino-Welt gehen müssen, egal, wo sie sich vorher befunden haben. Aber sie sind nie in ihrer Heimat angekommen. Das bedeutet, dass sie immer noch hier irgendwo sind. Sie könnten noch in diesem Park sein oder auch nicht. Wir werden sie wohl so schnell nicht wiedersehen.«a
»Und das soll daran liegen, dass noch ein Teil des Opals hier in unserer Welt ist?«, fragte Sophie, deren rote Flecken am Hals verrieten, dass sie sich mehr Sorgen wegen dieser Sache machte, als sie zugab.
»Das jedenfalls sagte Kronos. Er muss es wissen. Der Opal ist ein Teil von ihm.«
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