25 - geht's noch?
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[Dienstags tagsüber]
𝕐𝕠𝕠𝕟𝕘𝕚
Das war ... die mit Abstand furchtbarste Nacht seit langem. Und ich schlafe sowieso nie so richtig gut. Der Traum hängt mir auch dann noch in den Knochen, als ich mich aus dem Bett rausquäle und ins Bad krieche.
Als ich an der Kaffeemaschine ankomme, starre ich wie gebannt auf den Kaffee, der tröpfchenweise in der Kanne landet. Irgendwie beruhigt es mich grade extrem, einfach dabei zuzuschauen. Mein Kopf hört nur leider auch dann nicht auf zu rattern, aber zumindest wird mir eines bewusst. Wenn ich will, dass ich nicht schon wieder kläglich in meinem Leben versage, muss ich auf Jimin zugehen. Der Traum hat mir klar gemacht, dass ich gestern vielleicht doch zu viel von ihm gefordert habe. Gleichzeitig habe ich aber auch begriffen, warum mein Leben an diesem Song hängt.
Ich muss es schaffen, diesen Song perfekt zu machen, koste es, was es wolle. Nur - dafür brauche ich Jimin.
Ich überlege, wie ich ihm am besten begegne, wenn er gleich nach Hause kommt. Und wie ich es am besten anstelle, dass er weiter mit mir arbeiten will. Vielleicht ist es das beste, wenn ich mich entschuldige? Oder ihm erkläre, weshalb ich will, dass der Song wirklich gut wird?
Es ist definitiv noch zu früh, um so anstrengende Fragen zu beantworten, dafür schnappe ich mir meinen Kaffee und setze mich auf die Couch. Hmmm. Mir fällt gerade auf, dass wir wirklich selten hier sitzen. Wenn, sind wir in unseren Zimmern oder in der Küche.
Die Küche ... ich kann nicht verhindern, dass ich traurig zu lächeln anfange, als ich an unsere Dornröschenimprovisation denke. Das war ein guter Tag, und ich vermisse es jetzt schon. Dabei ist es ja nicht mal so, dass wir jetzt wochenlang beste Freunde waren und nun im Streit auseinander gegangen sind. Es waren nur wenige Tage, in denen wir uns angenähert haben. Ist es überhaupt gerechtfertigt, dass es mir fehlt?
Schnell trinke ich einen Schluck Kaffee, hoffend, dass die Gedanken an Jimin dadurch weniger werden. Pustekuchen! Der Kaffee will einfach nicht so richtig schmecken. Er schmeckt irgendwie ... kalt. Bitter. Ach, keine Ahnung. Auf jeden Fall schmeckt er nicht so gut, wie der, den Jimin mir gemacht hat. Was streng genommen total unlogisch ist, denn es ist immerhin das selbe Kaffeepulver.
Ich kann es kaum erwarten, wenn diese verrückte Woche endlich ein Ende hat. Was dann aus Jimin und mir wird, wird sich zeigen. Wahrscheinlich kann ich mich einfach glücklich schätzen, wenn wir wenigstens die Zusammenarbeit noch irgendwie hinkriegen. Und dann eben wieder ins alte WG-Leben zurückrutschen. Auch wenn diese Vorstellung noch bitterer schmeckt, als dieser trübe Kaffee. Trotzdem muss ich mich jetzt erstmal um mein Projekt kümmern, und leider bleibt mir nur eine Möglichkeit, wenn ich nicht will, dass ich wieder kläglich versage. Das wichtigste ist, dass Jimin und ich heute besser zusammenarbeiten, aber ich habe keine Ahnung, wie wir das hinkriegen sollen. Also brauche ich Hilfe von außen. Von Ten. Auch, wenn es letztes Mal nicht besonders hilfreich war und ich mich zuallererst bei ihm entschuldigen sollte.
Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, schreibe ich Ten eine kurze Nachricht, in der ich mich entschuldige und frage, ob er trotzdem nochmal bereit wäre, mir zu helfen. Die Wartezeit, bis er endlich antwortet, macht mich wahnsinnig, aber ich denke, das geschieht mir recht. Es ist bereits mittags, als ich endlich eine Antwort von ihm erhalte. Zum Glück wirkt er nicht sauer, sondern sagt, dass er mir helfen wird. Ich finde es beeindruckend, dass er anscheinend nicht nachtragend ist, aber was wundere ich mich? Ten ist nicht wie ich.
Auf dem Weg versuche ich wie immer meine Gedanken zu sortieren, ich hoffe, dass es mir diesmal besser gelingt. Ich kann nicht wieder so ausflippen. Nochmal wird er nicht so einfach darüber hinwegsehen.
Ten begrüßt mich freundlich, als ich bei ihm ankomme und wenig später habe ich wieder einen Kaffee vor mir stehen. Nur diesmal macht es mich irgendwie traurig. Ich kann nicht damit umgehen, wenn jemand so freundlich zu mir ist, wenn ich mich davor so benommen habe. Weder bei ihm noch bei Jimin. Wenn sie wütend wären, könnte ich es wenigstens verstehen und in dem Fall wüsste ich auch, wie ich reagieren muss. Immerhin hab ich darin Erfahrung.
Das schlimmste aber ist, dass Ten einfach in seinem Sessel sitzt, in aller Ruhe seinen Kaffee trinkt und schweigt. Ich hasse Schweigen.
"Warum sagst du nichts?", frage ich, als ich es nicht mehr aushalte und sehe Ten auffordernd an. Er erwidert den Blick, allerdings mit einem ehrlich freundlichen Lächeln.
"Naja. Du wolltest doch reden. Also warte ich, bis du anfängst. Vielleicht ist es besser, wenn ich dich einfach erzählen lasse."
Verdammter...! Also gut.
"Es geht um Jimin."
"Davon bin ich ausgegangen."
"Soll ich jetzt reden oder nicht!?", meckere ich ihn an. Ich weiß, dass das grade wieder nicht unbedingt förderlich ist, aber ich ... mir ist das jetzt alles schon zu viel.
"Sorry. Ich... es ist nur ziemlich viel passiert und ich weiß überhaupt nicht mehr, wo mir der Kopf steht."
Ten nimmt einen weiteren Schluck Kaffee und lässt sich nichts anmerken.
"Schon okay. Ich meine, man sieht dir an, dass du ziemlich durch den Wind bist."
Auch ich genehmige mir einen Schluck Kaffee und besinne mich darauf, welche Worte ich mir auf dem Weg zurechtgelegt habe.
"Ich hab keine Ahnung, wo ich anfangen soll. Es ist gestern total eskaliert und jetzt glaube ich, dass wir den Song nicht mehr fertig kriegen. Wir müssen eigentlich heute die Aufnahmen abschließen, damit ich morgen nochmal an die Bearbeitung kann. Die Vorstellung ist schon übermorgen. Und morgen können wir nicht, also Jimin nicht, weil er da seine Gesangsprüfung hat. Also hab ich gestern genau geschaut, wie wir das noch irgendwie hinkriegen können, aber Jimin war so gar nicht von meinem Zeitplan begeistert. Sowieso war er gestern überhaupt nicht bei der Sache, als wäre ihm jetzt völlig egal, wie der Song am Ende klingt.
Ich meine, er hat es ja von sich aus angeboten, ist ja nicht so, als hätte ich ihn dazu gezwungen. Ich hab auch schon überlegt, wen ich stattdessen fragen kann, aber die Zeit ist einfach zu knapp. Ich muss das mit Jimin machen. Und irgendwie wäre es auch nicht richtig, wenn den Song jemand anderes singt. Das Problem ist nur, dass er ... also er kann ja singen. Aber irgendwie ist es alles nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Als wir angefangen haben damit, dachte ich, dass es richtig, richtig gut wird. Jetzt bin ich froh, wenn ich am Donnerstag überhaupt was brauchbares abliefern kann."
Ten nickt zwischendurch, hüllt sich ansonsten jedoch in Schweigen.
"Ich muss Jimin irgendwie dazu kriegen, dass er heute ein gutes Ergebnis abliefert. Echt mal, ich hab so Schiss, dass er es wie gestern wieder versaut. Ich kann mir das nicht erlauben, aber er scheint das kein bisschen zu verstehen."
"Sag mal, Yoongi. Du sprichst von dem Song, als würde dein Leben davon abhängen. Du bist im ersten Semester. Es ist doch klar, dass du noch keine Meisterwerke abliefern kannst, auch wenn du das gerne würdest. Außerdem ... ich find's schade, muss ich dir ganz ehrlich sagen. Letztes Mal hast du Jimin in den höchsten Tönen gelobt. Was ist denn passiert? Und ich glaube nicht, dass es nur an Jimin liegt. Das passt meines Erachtens nach nicht zusammen."
Tens Stimme ist wie immer sehr ruhig und wieder klingt es so überzeugend für mich, dass es mir schwerfällt, nicht von meinem eigentlichen Problem abgelenkt zu werden.
"Naja. Was weiß ich. Auf jeden Fall zeigt er nicht mehr den Einsatz, den er am Anfang gezeigt hat."
"Und könnte das vielleicht daran liegen, dass du etwas zu VIEL Einsatz zeigst? Mal ehrlich. Ein Zeitplan? Wie soll sich ein Musiker denn bei so einem strikten Korsett frei entfalten können?"
"Ach? Also liegt die Schuld bei mir, oder was?"
Ich glaubs nicht, dass Ten es so mühelos schafft, den Spieß umzudrehen. Jetzt bin ich auf einmal derjenige, der für das Scheitern verantwortlich sein soll?
"Es geht doch überhaupt nicht um Schuld", sagt Ten und seufzt gedehnt, "Ich glaube einfach, dass du Jimin ziemlich überrannt hast. Ich merke ja, dass dir der Song anscheinend viel bedeutet. Aber dein Leben hängt nun mal NICHT davon ab. Vor allem, denk mal daran, wie sich dein Bild zu Jimin verändert hat. Das ist traurig. Es ist doch viel wichtiger, dass ihr beiden gut miteinander klar kommt, als ne gute Note für eine Projektarbeit. Denk mal drüber nach."
Ten versteht überhaupt nicht, worum es mir geht. Ich brauche verdammt nochmal Hilfe, wenn ich am Donnerstag nicht total verkacken will.
"Du hast doch keine Ahnung, was für mich an diesem Song dranhängt! Es ist eben mehr, als nur eine blöde Projektarbeit!"
"Stimmt, das weiß ich nicht, aber woher auch?", kontert Ten und das erste mal klingt seine Stimme nicht mehr so ruhig. Er wirkt streng, auch wenn seine Worte immer noch gut überlegt sind.
"Ich kann nur zu dem was sagen, was du mir berichtest. Woher soll ich wissen, was dir das bedeutet? Ich meine, du kannst mir das gerne erzählen. Vielleicht verstehe ich dich dann besser. Aber dafür musst du den Mund aufmachen, Yoongi. Ich höre dir gerne zu, das weißt du. Und manchmal tut es ganz gut, wenn man sich was von der Seele redet."
Ich lasse seine Worte einen Moment sacken und überlege, ob ich jetzt einfach wieder gehen soll oder ihm vielleicht doch mehr erzähle. Flucht klingt auf jeden Fall besser, wird mich aber nicht weiterbringen, das weiß sogar ich.
"Ich hab schon zu oft versagt", gebe ich leise zu, "Ich kann mir das nicht nochmal erlauben."
"Das gehört zum Leben dazu. Man kann nicht immer die perfekten Ergebnisse abliefern."
"Sag das mal meinen Eltern. Die werden dir was anderes sagen", kontere ich schnippisch, woraufhin Ten die Augen verdreht.
"Du bist erwachsen, Yoongi. Du musst deinen Eltern nichts mehr beweisen. Es gibt echt wichtigere Dinge im Leben und...-"
"Falsch!", unterbreche ich ihn, "Es geht immer nur um Leistung. In dieser Gesellschaft bist du nichts Wert, wenn du keine guten Ergebnisse lieferst. Und sag nicht, dass es nicht so ist. Schau dich doch mal um. Alles ist darauf ausgelegt."
"Ich widerspreche dir nicht. Ich sag nur, dass es Wichtigeres im Leben gibt."
Ten holt daraufhin tief Luft, lehnt sich zurück und schaut einen stillen Moment an die Decke. Als seine Stimme wieder erklingt, hört sie sich nachdenklich an.
"Weißt du? Ich hab damals einen guten Freund verloren, weil ich immer wieder zu viel von ihm gefordert habe. Mir war das damals nicht bewusst, das habe ich erst erfahren, als wir im Streit auseinander gegangen sind. Ich bereue das heute noch. Lass nicht zu, dass es bei dir und Jimin genauso endet. Was auch immer deine Eltern dir eingetrichtert haben. Freunde sind wichtiger als Erfolg."
Tens Worte stimmen mich nachdenklich. Und gleichzeitig erinnere ich mich an das Gespräch mit Jimin. Ich glaube, dass er das genauso sehen würde. Aber er ist auch damit aufgewachsen, offen und ehrlich sein zu dürfen, seine Eltern und Großeltern standen immer hinter ihm. Das kann ich von meiner Familie nicht behaupten. Bei uns zählt nur, wer die beste Leistung erzielt. Und irgendwie haben sie ja Recht. Wenn man im Leben was erreichen will, muss man eben früh anfangen, hart zu arbeiten. Das habe ich immer getan, um mir meinen Traum zu erfüllen. Ansonsten wäre ich heute auch nicht so gut. Klar hatte ich dadurch damals keine Freunde, aber bis jetzt bin ich eigentlich immer gut alleine zurecht gekommen. Ich bin mir auch gerade nicht mehr so sicher, ob ich mit meinem Projekt nicht schon viel weiter wäre, wenn Jimin mich nicht dauernd abgelenkt hätte, wenn ich mich einzig und allein auf den Song konzentriert hätte. Vielleicht war es ein Fehler, ihn so nah an mich heran zu lassen, und wahrscheinlich ist es genauso falsch, mich hier jetzt bei Ten auszuheulen.
"Es gibt nur einen signifikanten Unterschied", sage ich schließlich, stehe währenddessen von der Couch wieder auf und schaue zu Ten runter, "Jimin und ich sind keine Freunde. Wir sind erst durch den Song so richtig in Kontakt gekommen. Das ist das einzige, was uns verbindet, und wenn das beendet ist, weiß ich sowieso nicht, ob wir dann noch wirklich Kontakt haben. Vielleicht wird es auch wieder so wie vorher, wer weiß."
"Dir ist schon klar, dass es an dir liegt, ob eure Freundschaft darüber hinaus auch hält, oder?"
Auch Ten steht wieder auf und stellt sich mit ausreichend Distanz vor mich. Er ist etwas größer als ich und schaut mit strengem Blick zu mir runter, aber das beeindruckt mich nicht.
"Du hast es in der Hand. Ich kann dir nicht helfen, Yoongi. Ich weiß nicht genau, wieso du so verbissen bist, was dieses Projekt angeht. Ob es wirklich nur an deinen Eltern liegt. Es geht mich auch nichts an. Aber Fakt ist, dass du Jimin nicht so ein starres Korsett anlegen solltest, wenn du willst, dass der Song gut wird. Geb seiner künstlerischen Seite ein bisschen Platz. Und vielleicht erklärst du ihm einfach, weshalb dieser Song dir so wichtig ist. Ich denke, das ist deine einzige Chance, damit du das noch irgendwie retten kannst."
Ich habe genug gehört. Auch wenn ich diesmal wesentlich gesitteter gehen will, löse den Blickkontakt, drehe mich um und schlüpfe in meine Schuhe. Ten folgt mir und bleibt neben mir stehen.
"Wenn Jimin dir wirklich wichtig ist, und das Gefühl hatte ich beim letzten Mal, dann arbeite mit ihm zusammen, und nicht gegen ihn."
Ich antworte darauf nicht, sondern verlasse ohne ein weiteres Wort zu sagen Tens Wohnung.
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13.7.2021
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