1 - Kunststück
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[Donnerstag morgens]
ʝιɱιɳ
Kunststück! Das muss mir erstmal einer nachmachen. Ich werde wach - von meinem eigenen Magenknurren. Morgens um 5 Uhr! Und natürlich schlafe ich deshalb auch nicht wieder ein.
Genervt schäle ich mich aus meinen warmen Decken und tapse mit klammen Füßen auf dem eisekalten Boden zur Küche, um diesen Missstand zu beenden. Voller Elan - nicht - öffne ich die Kühlschranktür, erinnere mich, dass das gestern auch schon so ausgesehen hat, und kriege spontan Mordgelüste gegenüber meinem außerordentlich liebenswürdigen Mitbewohner. Arsch! Hat der schon wieder alle meine Joghurts aufgefressen.
Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich frage, wie um Himmels Willen ich an dieses seltene Exemplar von "ich bin gegen alles und kümmere mich um niemand"-Muffel geraten bin. Und dann auch noch zusammen in einer 2er-WG.
Frustriert kaue ich auf einer schrumpeligen Möhre rum, damit wenigstens der Lärm aufhört, und schlurfe zurück ins Bett. Kaum habe ich meine Tür geschlossen, höre ich, dass sich Yoongis Tür geräuschvoll öffnet. Wie rücksichtsvoll! Hat der mal auf die Uhr geschaut? Und kommt der aus dem Bett, oder war der mal wieder noch überhaupt nicht drin??? Egal. Ich will schlafen. Bitte! Hmpf ...
𝕐𝕠𝕠𝕟𝕘𝕚
Es hat keinen Sinn mehr. Irgendwann ist mein Kopf völlig leer, sodass es nichts bringt, weiter an dem Song zu arbeiten. Ich weiß, dass es mich in dem Moment kein Stück weiterbringen wird, auch wenn mir der Zeitdruck im Nacken sitzt. Eine Woche geht schnell rum, ich spreche aus Erfahrung.
Letztes Mal konnte ich meine Arbeit fürs Studium wenigstens noch rechtzeitig abgeben, nur zufrieden war ich mit dem Ergebnis nicht. Diesmal sollte es anders werden, aber nein. Mein Kopf ist in letzter Zeit mal wieder überall, aber nicht bei meiner eigentlichen Aufgabe.
Als ich die Kopfhörer auf die Seite lege, höre ich Schritte im Flur. Panisch schnellt mein Blick zur Uhr. Ist es schon so spät? Die Uhr zeigt mir allerdings, dass es gerade Mal 5 Uhr ist. Wieso ist Jimin um diese Uhrzeit schon wach?
Ich denke nicht lange nach und öffne die Tür. Etwas zu laut, wie ich feststelle, aber da Jimin anscheinend eh wach ist, ist es wohl auch egal. Ich klopfe an seiner Zimmertür an und warte nicht mal ab, ob er antwortet, sondern öffne sogleich seine Tür.
"Warum bist du wach?", frage ich in die Dunkelheit, "Ich hab dich aber nicht geweckt, oder?"
ʝιɱιɳ
Ich fass es nicht! Jetzt gibt endlich mein Magen Ruh und ich habe wenigstens Chancen, noch mal einzuschlafen. Da latscht dieser Affe einfach in mein Zimmer und stellt blöde Fragen.
"R - Ü - C - K - S - I - C - H - T - ... schon mal was davon gehört?"
𝕐𝕠𝕠𝕟𝕘𝕚
"Was hast du denn für ne Laune?", frage ich eingeschnappt. Wenn er noch müde ist, ist das ja wohl nicht meine Schuld. Er ist doch durch die Wohnung getapst ...
"Wollte nur wissen, warum du wach bist und ob ich zu laut war. Ich finde, das hat schon was mit Rücksicht zu tun. Du solltest besser nochmal schlafen, wenn du so ne Laune hast."
Mit den Worten drehe ich mich auch schon wieder um und gehe in die Küche, um mir einen neuen Kaffee zu machen.
ʝιɱιɳ
Hmpf. Jetzt ist mein Blutdruck so unter der Decke - das wars dann mit Schlaf. Ruhelos wälze ich mich im Bett hin und her. Seeeehr produktiv. Na gut. Welche Alternativen habe ich denn? Ich könnte ...
1. hingehen und Yoongi eine schallern - nicht wirklich zielführend.
2. hingehen und einen letzten Versuch starten, in unserer WG sowas wie normale Kommunikationsstrukturen zu etablieren - vergebliche Liebesmüh.
3. aufstehen, in der Univerwaltung einbrechen und versuchen, in der Kartei ein freies Wohnheimzimmer zu ergattern - zu riskant. Außerdem fragt sich, ob das dann für mich oder für Yoongi ist. Hm. Zu kompliziert.
4. aufstehen und zum nächsten 24-Stunden-Supermarkt gehen, damit ich wenigstens was fürs Frühstück da habe. Zu anstrengend.
Ach menno! Es muss doch irgendwie möglich sein, mit diesem inkommunikaten Eigenbrötler wenigstens so halbwegs auf einen Nenner zu kommen!
Na gut. 5. aufstehen und nochmal für die Klausur nachher lernen, damit ich mir nicht den guten Durchschnitt versaue. Nicht ganz unwichtig. Wenn ich das nicht im Schlaf rückwärts beten kann, reicht die Zeit niemals, um alle Aufgaben zu bearbeiten. Und dann: aus der Traum ...
Schicksalsergeben schleiche ich ins Bad und unter die Dusche, bevor ich mich an meine Bücher setze.
𝕐𝕠𝕠𝕟𝕘𝕚
Der Kaffee braucht gefühlt ewig, bis er endlich durchgelaufen ist. Aber immerhin habe ich jetzt Kaffee für die restlichen Stunden Arbeit. Samt frisch befüllter Kaffeetasse schlurfe ich zurück und sehe, dass im Badezimmer Licht an ist. Und da fällt mir auch das Plätschern auf.
Duscht der Kerl um nicht mal halb 6 Uhr morgens? Was ist das denn bitte für ein Freak? Aber Apropos duschen. Eventuell sollte ich das heute mit auf meine to do Liste packen. Ich sitze nämlich schon wieder seit Tagen in meinem Zimmer, dass ich auch gerne Genius Lab nenne, und weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal unter der Dusche war. Oder draußen. Oder einkaufen.
Das war schon immer so bei mir, wenn ich einmal an einem Projekt sitze, kann ich erst aufhören, wenn es in meinen Augen perfekt ist. Oder die Bearbeitungszeit rum ist, so wie beim letzten Mal.
Dabei fällt mir ein, dass ich dringend einen neuen Namen für meinen Arbeitsplatz finden sollte, denn das, was ich im Moment zustande bringe, ist alles, aber nicht genial ...
Ich setze es einfach mit auf die Todo Liste für morgen. Jetzt muss ich erstmal sehen, dass ich diesen Song rund kriege.
Ich setze meine Kopfhörer wieder auf und starte den Song von vorne. Da. Es ist immer noch was, was mich stört. Ich weiß nur nicht genau, was es ist. Ich höre die Passage wieder und wieder und vergesse dabei völlig die Zeit. Ich merke gar nicht, wie ich auf dem Gamingstuhl einnicke.
ʝιɱιɳ
So. Die Dusche hat gut getan. Ab an den Schreibtisch!
Bewaffnet mit einer großen Flasche Wasser gehe ich zurück zu meinem Zimmer. Aus Yoongis "Genius Lab" - Augenroll - dringt Musik. Ich will mich schon wieder aufregen, als mir bewusst wird, dass das kein normaler Song ist sondern nur ein paar Takte auf Dauerschleife.
Okay. Also die Retourkutsche. Ohne anzuklopfen, gehe ich einfach in sein Zimmer und finde - Yoongi fest schlafend mit verrutschtem Kopfhörer mitten auf der Tastatur seines Computers.
Wie angewurzelt bleibe ich im offenen Türrahmen stehen und versuche zu verstehen, was das heißt. Yoongi hat die ganze Nacht an einem Song gearbeitet, er ist dabei vor Erschöpfung eingeschlafen und der Dauerschleifenfetzen, den ich da höre, ist ... geil. Nur der Rhythmus bremst. Ich habe jedenfalls spontan das Bedürfnis zu tanzen, und das will was heißen. Bei der meisten Popmusik, die heute so am Fließband produziert wird, krieg ich nämlich nur Gähnanfälle oder nervöse Zuckungen. Aber das hier ...
Gaaaanz vorsichtig nehme ich Yoongi den Kopfhörer ab, richte ihn etwas auf, rolle ihn mit seinem Bürostuhl zum Bett und lasse ihn daraufgleiten. So. Noch schön zudecken - Pappi wünscht dir eine gute Nacht, mein Kleiner. Und jetzt ab an meinen Computer.
Obwohl ... Eigentlich habe ich für die Klausur genug gelernt. Hm. Es juckt mich in den Fingern ... Ohne weiter nachzudenken, schnappe ich mir den Stuhl und die Kopfhörer und drehe als erstes die Lautstärke runter, damit mir nicht die Trommelfelle platzen. Ich studiere ein wenig das Programm und das Mischpult - und höre mir den genialen Song im ganzen an. Wirklich genial. Ungewöhnlich, aber genau deswegen so richtig, richtig genial.
Es zwickt mich schon wieder in den Beinen zu tanzen, während ich eine Sicherungskopie für mich abspeichere und dann daran versuche, den Song mit verschiedenen Rhythmen zu unterlegen. Der Song hat insgesamt ziemlich viel drive, ein paar witzige Akzente und eine Einteilung mehr durch Tonhöhen und Dynamik als durch Tempowechsel. ... Soweit das bis jetzt erkennbar ist, höre ich einen lasziven Unterton. ... Sehr gute Struktur für eine Tanzchoreo, und ... ohhhh! Hihi ... das ist auch gleich die Antwort für meine ... perfekt!
Ich brauche eine Weile, bis ich den passenden Rhythmus gefunden habe, aber dann macht es klick, und der Song wird zum lockenden, verspielten Tango. Jetzt hält es mich wirklich kaum noch auf dem Stuhl. Schnell hole ich mir einen Stick von nebenan, ziehe die bearbeiteten Dateien des Songs rüber und lösche sie anschließend auf dem PC. Bevor der Typ mir noch den Kopf abreißt. Gut. Jetzt dudelt da wieder nur die letzte Yoongi-Version vor sich hin. Ein letzter Blick zum Bett - der ist jenseits von gut und böse. Uuuuuuuuuund raus hier.
Kurz die Uhrzeit checken. Ich sollte mich sputen. Ich mache mich startklar, flitze um die Ecke zum Supermarkt für einen Noteinkauf und radele mit dem besten Song seit gefühlten Ewigkeiten auf den Ohren zur Seoul Performance Academy.
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20.5.2021
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