Der Thron der Sonne (@Thinkerling)
Alexandria, 215 n. Chr.
Der Imperator war ein Stier in einer Rüstung aus Gold. Breit und groß und mit einer Falte auf der Stirn, die sich durch Zorn, Rachsucht und ständig brodelnde Wut in seinen dicken Schädel gedrückt hatte. Selbst wenn er gelassen saß, knisterte Spannung in seinem Soldaten Leib und die Muskulatur seiner schweren Arme zuckte deutlich unter dem feinen Glanz von Schweiß auf seiner braunen Haut. Als wartete er nur auf ein einziges falsches Wort, um seine felsengleiche Gestalt zu erheben und den Schädel eines Unglücklichen zwischen seinen groben Fingern zu zerquetschen.
Ein Wort oder auch nur ein Blick. Der Imperator drehte den Kopf und hastig senkte der junge Priester vor ihm seine Stirn auf den harten Marmorboden. Panisch darauf hoffend, nicht ertappt worden zu sein in seinem unerlaubten Starren.
Das brennende Tageslicht über Alexandria flutete durch hohe Fenster zwischen roten Seidenvorhängen und weißen Marmorsäulen. Es kroch zu Füßen des alleinigen Herrschers des Römischen Reiches, als würde selbst die Sonne sich vor ihm verneigen. Als würde sie vor ihm kauern, wie die drei Priester es taten.
Er hatte sich mit dem Thron des Imperators den Namen Marcus Aurelius Severus Antonius Augustus gegeben. Es war Schmuck. Glänzend poliert, wie das Geschmeide, das einem Kaiser angemessen war. Doch Schmuck trug er nur selten und die Olivenkranzkrone erschien unpassend zerbrechlich auf seinem Kopf, zwischen den störrischen, kurzen, dunklen Locken. Caracalla war der Name, den er erhalten hatte. Benannt nach dem blutbefleckten Mantel, in den gehüllt er die Aufstände der nordischen Stämme unter sich zermahlen hatte. Rau und grob und echt.
»Lest es vor«, verlangte er und seine Stimme lag schwer in der Luft. Er war laut. Selbst wenn er sprach, ohne die Worte zu erheben. Sehr offensichtlich daran gewöhnt, ganzen Heeren brüllende Befehle zu erteilen, ohne überhört zu werden. Und ebenso offensichtlich auch daran gewöhnt, nicht lange auf die Ausführung seiner Worte warten zu müssen.
Von den drei in weiße Tuniken gewickelten Priester erhob sich der Älteste. Sorgenfalten umrahmten seine Augen, die vor der Ankunft des Imperators noch nicht dort gewesen waren. In seinen Händen hielt er eine Papyrusrolle. Behutsam glitten seine knorrigen Finger darüber, um sie weiter zu öffnen.
Der Imperator lehnte sich vor. Sein dunkler Adlerblick heftete sich auf den Mann. Er setzte den Becher ab und leckte sich roten Wein von den schmalen Lippen. Einzelne Tropfen flohen vor seiner Zunge und verfingen sie sich in dem dichten, gekräuselten Bart. Er erinnerte sich an das raue, dünne Gefühl unter seinen Fingern, als das Dokument unter seinem Griff fast zerfallen wäre. Er beherrschte die symbolgleiche Schrift dieser Menschen nicht. Doch der Mann, der die Schriftrolle erst freigegeben hatte, als Eisen seinen Leib öffnete und Leben aus seinen Augen fiel, hatte keinen Zweifel an dessen Wichtigkeit gelassen. Die grobe erste Übersetzung eines seiner Soldaten hatte die immer lauernde hungrige Gier Caracallas erweckt.
»Es war schwer zu reinigen, deshalb ...« Der Priester des Serapis-Tempels sprach ruhig, doch seine Stimme verlor sich, als der Imperator bereits unzufrieden das Gesicht verzog und die Zähne bleckte. »Der Imperator möge verzeihen ...«, fuhr er weiter fort und senkte den ausgerollten Papyrus, um den Ursprung seiner Worte zu präsentieren und den eigentlich wohl bekannten Grund seines Zögerns offenzulegen.
Schwarze Symbole reihten sich ordentlich und so prägnant in ihrer Farbe wie Strichstärke, als hätte die Zeit kaum mehr als einmal darüber gehaucht. Doch ein Teil blieb unter Flächen verborgen, die sich verteilten wie Rost und Wasser. Der vorherige Hüter der Rolle hatte sie wirklich erst aus den Händen entlassen, als seine Finger des fehlenden Herzschlags wegen nicht mehr fähig gewesen waren, sie an sich zu klammern.
»Wir taten unser Bestes, aber der erste Teil der Schrift bleibt uns fast vollständig verborgen. Die ... Flecken ... sitzen tief in den Fasern.«
Schnaubend rollte Caracalla mit den Augen. Seine Gestalt erhob sich und auch der stehende Hohepriester wich instinktiv einen Schritt vor ihm zurück. Als der Imperator ihm entgegentrat, blieb er allerdings stehen, senkte nur den Blick und zeigte sich in der stolzen Selbstbeherrschung eines Sacerdos. Oder eines Alexandriners. Gaben die Bewohner dieser Stadt doch so gerne zu verstehen, in welcher Stärke und Größe sie sich wähnten.
Die Schriftrolle war nicht sein Grund gewesen, Rom zu verlassen und sich in den Palast Alexandrias zu setzen. Er hatte sie nur unterwegs ... gefunden. Ein Hinweis der Götter, die ihn leiteten, wie er sich sicher war. Sein Schicksal. Zu Großem bestimmt. Zu Größtem. Zu Göttlichem!
Sie hatten Rast bezogen in einem Tempel auf dem Weg, da ein Sturm den Seeweg über Neptuns Reich unmöglich gemacht hatte. Unter Jupiters Blitz und Donner war es sein Verlangen und sein Recht gewesen, Anspruch auf die Schätze des Tempels zu erhalten, der den römischen Göttern ohnehin keine Ehre erwies. Es war zu einem Kampf gekommen. Eine willkommene Zerstörung, um seinen Zorn zu kühlen. Doch die edlen Reliquien und wertvollen Gefäße hatten die widerspenstigen Priester kaum so sehr geschützt wie jene in Leder geschlungene Papyrusrolle. Sogar im eigenen Blut versenkt, als wäre es Absicht gewesen, dass kaum ein Wort zu lesen sein sollte.
Wie anders als vorherbestimmt hätte es sein sollen, dass er sich ohnehin auf dem Weg in die Stadt befunden hatte, die sich so gerne für ihr Talent mit Schriften rühmte. Sowohl was deren Aufbewahrung, Sammlung, Wiederherstellung als auch deren Verfassung anging. Es war Letzteres, das ihm ein wütendes Glühen in die Augen setzte, während er vor dem Priester stand und es genoss, ihn unter seinem wortlosen Zorn bereits schmelzen zu sehen.
»Dann lest, was ihr habt«, knurrte er. »Die Götter werden einem ihresgleichen nicht die Worte verwehren, die wichtig sind.«
Leise knisterte das Dokument. Der Mann, dem die Schultern trotz allen Stolzes tiefer gesunken waren, verbarg einen Schatten in seinen Augen. Einen Hauch von Widerspruch und aufrührerischer Arroganz. Der Imperator sah es nur, da er derartige Blicke ohnehin in jedem Alexandriner erwartete. Sie hielten sich für unantastbar. Als schützte der Geist des großen Helden, der ihre Stadt erbaute und ihr seinen Namen hinterließ, auch jeden ihrer Schritte und jedes ihrer Worte.
Caracallas Finger zuckten und strichen über das Schwert, das immer an seiner Seite lag wie das Gewicht eines stets treuen und ehrlich ergebenen Freundes. Leicht und schnell neigte er dazu, der Wut zu verfallen, und Ungehorsam oder Respektlosigkeit vergaß er nicht. Die Narren dieser Stadt besangen sich als Gelehrte und Hüter des Wissens. Doch wahre Stärke erkannten sie nicht. Er – Caracalla – war Alexander dem Großen ähnlicher als jeder andere dieser Niederen. Er!
Mehr als jedes Schmähgedicht der jämmerlichen Nachfahren dieser Stadt würdigten seine eigenen Taten den Geist des großen Helden. Er hatte sich der Gemahlin entledigt, die ihm aufgezwungen worden war. Er hatte jeden seiner Gegner – selbst die, die erst dabei gewesen waren, zu solchen zu werden – mit Vernichtung gestraft. Und er hatte seinem Bruder das Leben genommen. Um sein Reich nicht zu teilen und um es vor dessen Schwäche zu schützen. Denn das war es, was Helden und Anführer taten.
Ihm war nicht übel, danach dem Priester stellvertretend für all jene, die ihn als Blutsmörder schimpften, die Zunge zu nehmen. Allerdings sprach der alte Mann dann doch und solange er von der Papyrusrolle las, durfte er seine Fähigkeit zu sprechen behalten.
»Drei Strophen, großer Imperator. Der Ersten ließen sich kaum mehr als Andeutungen entnehmen. Von Städten, von Göttern und Licht. Die letzten beiden sind aber klarer zu erkennen.«
Er schluckte, ehe seine Worte zu einem Raunen wurden und er sie behutsam aus den Symbolen formte.
»Jener, welcher mit falschen Geschichten seine Feinde ertränkt, wird kommen und sich auf den unsterblichen Thron der Sonne erheben. Er wird strahlen und das Volk in Zweifel und Zuspruch zerschlagen, wie Klippen, die sich unter Donner spalten.
Es werden sich ihm Wege ebnen, wo er die Steine unter jenen nahm, die ihm den Respekt versagten. Bis ihr Lachen ihre Kehlen erdrückt und ihre Stimmen unter dem Brüllen seiner Treuen verklingen.«
Zufriedenheit waberte auf den harten Zügen des Imperators. Er ließ seine Finger so sacht und zuneigungsvoll über den Griff seines Schwertes streichen, als tätschelte er den Kopf eines treuen Hundes. In geschmeidiger Bewegung und auffallend leichtfüßig für seine grobe, von Muskeln überspannte Gestalt begann er, um alle drei Priester herumzugehen.
»Bis ihr Lachen ihre Kehlen erdrückt ...«, wiederholte er und ließ die Worte über seine Zunge gleiten, als wollte er sie schmecken. »Das gefällt mir gut! Fast so gut wie dieser andere Teil ... Wie hattet ihr es formuliert? Er wird sich auf den unsterblichen Thron der Sonne erheben?«
Nervös, aber entschlossen rollte der Priester den Papyrus wieder zusammen. Seine jüngeren Begleiter zuckten, als der Imperator neben ihnen stehen blieb und sein Blick sich in ihre kauernden Gestalten bohrte.
»Die Worte dieser Schriften sind nicht wortwörtlich zu deuten. Sie müssen vorsichtig interpretiert werden und es fehlt ein Teil«, erklärte der weise Mann. Wohl ohne es selbst zu merken, presste er die Rolle an sich. Beinahe im Schutz, obwohl er den wertvollen Inhalt längst geteilt hatte.
»Dieser Schriften? Ihr wisst, woher es stammt? Und es gibt mehrere?«
Für einen Moment weiteten sich die Augen des Alten und leise schnappte er nach Luft. Caracallas Lippen zuckten. Zu lächeln stand ihm nicht. Es passte nicht in seine Züge und es wirkte wie die fehlerhaften Versuche eines Lehrlings, der in dunklen Sandstein meißelte.
»I ... Ich will den Imperator nicht mit bloßen Vermutungen aufhalten.« Das Selbstbewusstsein des Priesters wich und die Rolle wurde noch fester an seine Brust gepresst.
»Der Imperator gestattet es«, schnaubte Caracalla, beendete seine Runde um die Tempeldiener und setzte sich auf die Kline zurück. Statt sich halb darauf zu legen, stützte er die Ellbogen auf seinen Knien ab, faltete die Hände und nickte in der Erwartung, mehr zu hören. Neben ihm beeilte eine geduckte Dienerin sich, ihm den Becher wieder zu reichen, den er zuvor bei ihr zurückgelassen hatte.
»Es sind nur Legenden ...«, drückte sich der Priester und Caracalla winkte ab.
»Götter sprechen durch Legenden!«, erwiderte der Imperator und hob die Hand, um auffordernd den Becher Wein zu schwingen.
»Ein Pharao, vor vielen Jahrhunderten – noch weit vor der Gründung dieser Stadt – erhielt sie durch die Worte eines Weisen oder eines Gottes. Anubis ... heißt es.«
»Ha! Götter! Ich sagte es doch!« Der Imperator verzog das Gesicht zu einem Schmunzeln. Der Becher fand seine Lippen und Wein sprudelte seine Kehle herab, während der Priester den Kiefer spannte.
»Ihr wusstet bereits vorher, was diese Schriftrolle ist. Und was drinstehen würde«, stellte er ernst fest.
Schulterzuckend schwenkte Caracalla den Becher in seiner Hand. »Wer ein Reich wie Rom regiert und die Welt unter sich hat, lässt sich nicht verführen von Neugierde auf Ungewisses. Ich wollte nur den genauen Wortlaut hören und wie Ihr bereits meintet, sind ein paar der Zeichen bedauerlicherweise etwas ...«, er schmunzelte finster, »... in Mitleidenschaft gezogen worden.«
Der Priester atmete hörbar aus. Ob er dabei entsetzt, abweisend oder verunsichert war, konnte Caracalla aus seiner selbst beherrschten Miene nicht herauslesen. »Es sind Prophezeiungen. Hilfen, Wegweiser und ...« Der Blick des Alexandriners hob sich und begegnete dem selbstzufriedenen Grinsen des Römers. »... Warnungen.«
Caracalla lachte rau und tief, sodass die Luft zu vibrieren schien. Mit einem Handrücken wischte er sich roten Wein von den Lippen in den Bart hinein. »Ich sage euch, was diese Prophezeiung ist: ein Versprechen!«
***
Durch die von bunten Farben verzierten Gebäude und die dazwischen aufgehängten, schwingenden Sonnensegel flüsterte ein heißer Wind. Er trug den rauen Atem der Wüste genauso sehr wie den salzigen Geschmack des Meeres. Und er sprach. Er murmelte und zupfte an den Stoffen der Menschen wie ein Kind, das dringend verlangte, erhört zu werden. Nur achtete niemand auf das Säuseln seiner Worte und die Berührungen seiner unsichtbaren Finger.
Der römische Kaiser besuchte Alexandria, und selbst wenn sein Name keiner war, den die Bewohner der äußeren Provinzen mit Bewunderung oder zuneigungsvoller Ehrfurcht murmelten, so war er doch eine Gestalt, die zu sehen zahlreiche auf die Straßen trieb. Besonders als Märkte unterbrochen wurden und das Treiben des Alltags ganz gezielt in neue Bahnen gelenkt wurde. Die Soldaten der Stadtwache unterstützten die des Kaisers und seiner höchst eigenen Prätorianergarde dabei, eine Menschenmenge zusammenzutreiben.
Palmenwedel und wehende Banner schmückten die Häuserwände entlang der Breiten Straße und um den weiten Platz herum. Geschäftstüchtige Opportunisten hatten sich beeilt, kleine Stände zusammenzustecken und der turbulenten Menge glänzende Spieße mit frisch gegrilltem Fleisch, bunte Figuren in Form geschmolzenen Zuckers, braun gebackenen Brotes oder in Honig eingelegter Früchte feilzubieten. Manche besonders Vorausschauende boten sogar kleine Büsten des Imperators selbst an, die herzustellen sie bereits begonnen hatten, als die erste Nachricht des kaiserlichen Ziels Wochen vor seiner Ankunft eingetroffen war.
Alexandrias Bewohner waren stolz und trotz der römischen Herrschaft – oder auch gerade dieser wegen – hielten sie treu an ihren ägyptischen. Vor diesem Imperator würden sie nicht auf die Knie fallen. Sie würden es sich allerdings auch nicht verweigern, die Gelegenheit einer Feier zu nutzen, wenn sich diese bot. So jubelten sie sogar, als die Gestalt des grundgebenden Mannes auf dem erhöhten Podest erschien. Kleine Kinder wurden auf Schultern gehoben, um zu ihm aufzusehen, und Menschen drängelten sich durch die Menge, um einen besseren Blick zu ergattern. Verachtet oder nicht, jeder Kaiser war ein Anblick.
Das Fell eines großen Löwen mit schwarzer Mähne, schmiegte sich über eine Schulter des römischen Kaisers. In dem Gold auf seinem Kopf verfingen sich Sonnenstrahlen und die Bronzeschienen an seinen Handgelenken und Beinen. Aufgeraut durch die Kämpfe, in denen sie ihn bereits begleitet hatten.
Caracalla trat an den Rand seiner Bühne heran und streckte die Arme aus. Das untereinander angesteckte, schaulustige Jubeln erhob sich mit seiner Bewegung. Und als er die Arme dann langsam gleitend wieder sinken ließ, da schwoll es auch ab. Es war, als befehligte er das Rauschen eines Meeres selbst. Der Gedanke legte ein zufriedenes Lächeln auf sein sonst so angespanntes Gesicht.
Über die Schulter hinweg sah er zu den drei Priestern, die er hatte folgen lassen. Sie standen im Hintergrund. Kaum wahrnehmbar neben seiner erhobenen Präsenz.
»Macrinus!«, meinte er dann und der angesprochene Preafectus Praetorio – sein engster Vertrauter und Anführer seiner Prätorianergarde – entriss dem Hohepriester die Schriftrolle, noch ehe dieser ganz begreifen konnte. Sobald er diesen im Vorhinein gegebenen Befehl aber ausgeführt hatte, ging ein Zögern durch die Bewegung des Treuen. Erst das ungeduldige Knurren seines Imperators und dessen Befehl: »Lass ihn den ersten Satz vorlesen!«, erinnerte ihn wohl wieder daran, zu gehorchen.
Raschelnd öffnete sich die Schriftrolle erneut.
»Imperator ... was habt Ihr vor?«, keuchte der Hohepriester, der von einem anderen Soldaten mit grobem Druck in den Rücken weiter vor gezwungen wurde. Besorgt warf er einen Blick auf die ihm unterstellten Priester, die eingeklemmt zwischen Bewaffneten zurückblieben. Beide Jungen hatten nach der Begegnung so direkt zu Füßen des Imperators eigentlich wieder Farbe in den Gesichtern gewonnen. Nun allerdings wich eben diese erneut. Ein angespannter Druck lag in der Luft und die Hitze brannte ihnen auf die Köpfe, wie sie es sonst nicht tat. Dabei waren sie in dieser Stadt geboren und an anderen Tagen hätten sie den Nachmittag als mild empfunden.
»Der erste Satz dieser erkennbaren zweiten Strophe. Lies ihn vor!«, forderte der Imperator erneut, nur dieses Mal sah er den Priester direkt mit gebleckten Zähnen an, die mehr an das Gebiss eines Raubtiers, als an ein Lächeln erinnerten.
Der Hohepriester las: »Jener, welcher mit falschen Geschichten seine Feinde ertränkt, wird kommen und sich auf den unsterblichen Thron der Sonne erheben.«
Caracalla nickte zufrieden. Halb drehte er sich von der Menge fort, die mit raunendem Schwarm Gemurmel den Geschehnissen auf der Bühne folgte. Sie erwarteten eine Ansprache und des Priesters wegen womöglich einen durch den Kaiser geleiteten Segen.
»Und jetzt, sagt Archiereus, erinnert Ihr Euch an die Gedichte, die den alexandrinischen Dichtern entstammen?«
Verwirrt runzelte der Hohepriester die Stirn. Auch wenn der Imperator ihn bei seinem Titel ansprach, war da nichts in seiner Stimme, das Respekt vermuten ließ.
»Der Imperator möge verzeihen, ich ...«
»Die Gedichte!«, fuhr Caracalla ihn so plötzlich an, dass er einen Schritt zurückgestolpert wäre, wenn nicht die schwere Hand eines Soldaten auf seiner Schulter eben das verhindert hätte.
Die Miene des Imperators verfinsterte sich und als er mit gesenkter Stimme sprach, dröhnte der Klang seiner Worte dennoch wie ein Donnergrollen.
»Die, die Alexandria zu meinen Ehren verfasste und verbreiten ließ! Nein! Nicht zu meinen Ehren! Zu meiner Schmach!« Seine Hand fuhr erneut in die Höhe. Obwohl die Zuschauenden bereits Verwirrung zeigten, ob des Geschehens auf der Bühne und einige in den ersten Reihen langsam in hintere zurücktraten, folgte wieder verhaltener Jubel seiner Geste.
»Ist es nicht passend? Jener, welcher mit falschen Geschichten seine Feinde ertränkt ... Waren es nicht ganz ähnliche Worte, die an meinen Namen gesetzt wurden? Caracalla, der seinen Bruder mit Lügen erstach!« Die Stimme des Imperators wurde gepresst und sein dunkler Teint durchzog sich mit wütendem Rot. In der Hand, die er über dem Volk Alexandrias erhoben hielt, lag ein Zittern von Zorn. Doch er schrie nicht mehr wie damals, als er die höhnenden Worte das erste Mal zu hören bekommen hatte.
Der Hohepriester öffnete den Mund, als wollte er etwas erwidern, vielleicht endlich die Antwort geben, die der Imperator verlangt hatte. Caracallas Stimme rutschte allerdings bereits weiter in seiner Wut. »Oh, ich gebe zu, dass die Anschuldigungen gegen meinen schwachen Bruder nicht die Wahrheit gewesen waren. Doch sie wären es geworden!« Speichel schoss über seine Lippen, während er mit geweiteten Augen sprach. »Aber sind Lügen wirklich Lügen, wenn sie früher oder später tatsächlich zur Wahrheit geworden wären? Ich musste es tun ... für Rom! Und habe ich so nicht wirklich meine Feinde in falschen Geschichten ertränkt? Hat Alexandria es nicht bereits bestätigt?«
Er senkte die Hand und der Jubel, der seine Worte wie ein Hintergrundrauschen begleitet hatte, ebbte wieder ab. Das Grinsen diesmal war nicht weniger animalisch, doch dafür eher von Triumph als von Zorn beherrscht.
»Also muss wohl ich es sein, der sich auf den unsterblichen Thron der Sonne erhebt.« Caracalla spürte die Euphorie einer Vorfreude in seiner Brust. Durch das Durcheinander im Blick des Hohepriesters nur noch bestärkt. »Lest den zweiten Satz vor!«
Ein grober Druck in den Rücken des Priesters ließ ihn mit zitternder Stimme gehorchen.
»Er wird strahlen und das Volk in Zweifel und Zuspruch zerschlagen, wie Klippen, die sich unter Donner spalten.« »Eine Zukunft für Rom! Lest die nächste Zeile!«
»Es werden sich ihm Wege ebnen, wo er die Steine unter jenen nahm, die ihm den Respekt versagten.«
Der Imperator drehte sich wieder dem Volk zu und nickte über die Menge hinweg.
»Respekt ...«, wiederholte er das Wort. Alexandria hatte ihm diesen längst versagt. Doch die Prophezeiung gab dem Ganzen nun einen Sinn. Er selbst machte daraus einen Sinn!
»Alexandria!«, ließ er seine Stimme plötzlich laut erheben. »Seht auf! Seht auf zu Rom!« Er riss die Arme in die Luft und wo das Jubeln der einfachen Menschen verhalten blieb, riefen die tausend Soldaten, die sich an den äußeren Rändern des Platzes befanden, in zustimmendem Grölen: »Pro honore Romae! Pro Imperatore Caracalla! Für die Ehre Roms! Für die Ehre des Imperators Caracalla!«
Dieses Mal senkten sich seine Arme nur halb. Die Soldaten verstummten dennoch, und die Alexandriner hatten schon längst aufgehört, sich am Jubeln zu versuchen. Ihre Blicke lagen nicht nur auf dem Imperator, sondern auf den Männern, die mit ihm gekommen waren und sich um sie herum verteilt hatten.
»Ich sitze auf dem Thron der Sonne! Seht auf und seht einen Gott unter Menschen. In Rom und in Ägypten! Seht auf zu dem, der größer noch ist, als die Götter es einst waren, die euch vor Rom beherrschten. Seht auf und kniet!«
Das Raunen wurde nervös, und die Festtagsstimmung hatte sich so schnell verloren wie Wassertropfen unter dieser Sonne Ägyptens.
»Imperator«, hauchte der Priester hinter ihm und wich dieses Mal nicht zurück, sondern wagte es einen Schritt voranzugehen. »Dies ist Alexandria. Die Gedichte sind kein Hohn, ich versichere es Euch! Es ist nur Tradition.
Wir sind die Stadt, die spricht und niederschreibt, ohne sich politischen Zwängen zu binden.«
Einige der Alexandriner sanken unsicher in der Menge auf die Knie. Kinder wurden von den Schultern der Erwachsenen herabgehoben und an ihre Eltern gepresst. Paare hielten einander an den Händen und die Stände hatten jede Geschäftigkeit eingestellt.
Irgendwo erhob sich aus der Menschenmenge eine Stimme.
»Caracalla! Caracalla!«, rief einer der Stadtbewohner, der in der Menge an Gestalten nicht klar zu erkennen war.
Was anfing wie Anpreisung, wurde dann aber doch zu etwas anderem. Die Miene des Imperators erstarrte und sein Ausdruck von Triumph zerbrach in einem Anblick kalten Felses. Er erkannte das Gedicht, das einer begann und das andere Zungen aufnahmen, um es ihn wieder hören zu lassen. Immer wieder.
Caracalla, Caracalla
Brudermörder, schmollend und mit böser Wut
Trägt goldne Kronen wie nen falschen Hut
Caracalla, Caracalla Ochsenkaiser,
dumpf und breit nennt sich Gott
doch spuckt nur weit
Die, die mutig waren, lachten zuerst. Dann kicherten Kinder hell und wiederholten die Worte in frechem Klang.
Bis auch anderes Scherzen sich erhob und die Arroganz Alexandrias überschwappte wie ein fröhlich blubbernder Topf über dem stetig brennenden Feuer ihrer Selbstsicherheit.
»Lest den letzten Satz«, knurrte der Imperator leise und grollend. Seine Schultern bebten und er sah den Priester nicht an. So reagierte dieser nicht sofort, denn selbst der Soldat hinter ihm schien einen Moment verwirrt oder sogar zögernd, ehe er den Worten des Kaisers mit einem Stoß wieder Nachdruck verlieh.
»Bis ...« Der Hohepriester schluckte. »Bis ihr Lachen ihre Kehlen erdrückt und ihre Stimmen unter dem Brüllen seiner Treuen verklingen.«
»Wie passend ...«, raunte Caracalla, als er sich von der scherzenden Menge abwendete und seinen Praefectus Praetorio ansah. Macrinus hatte die Finger bereits auf den Griff seines Schwertes gelegt, während er mit der freien Hand die Schriftrolle vor dem Priester gehalten hatte. Auf das Nicken des Imperators hin und dieses Mal ohne jedes Zögern zog er die Klinge und reckte sie dem Glühen der Sonne über ihnen entgegen.
»Wie überaus passend«, raunte Caracalla weiter und sah dem Priester dabei zu, wie dessen Augen sich weiteten, »dass die Prophezeiung direkt anleitet, was zu tun ist, um sie auch wirklich zu erfüllen«, beendete er seinen Satz.
Die Soldaten rund um den gewaltigen Platz herum hatten sich auf das Zeichen Macrinus hin in Bewegung gesetzt. Die Schwerter und Speere ebenso gehoben und bereit. Sie erhoben ihre Stimmen und die Treuen brüllten: »Mors hostibus! Pro honore Romae! Pro Imperatore Caracalla! Tod den Feinden! Für die Ehre Roms! Für die Ehre des Imperators Caracalla!«
Das Lachen der Menge verschwand und wich einem sehr viel intensiveren Schreien.
Zischen, dumpfes Knallen, Rauschen und Krächzen, Weinen und Jaulen. Flehendes Schluchzen unter kreischendem Schmerz. Frau und Mann. Erwachsene, Älteste und Kinder.
Der Imperator sah zu, wie der Priester auf die Knie fiel und seine Hände über das polierte Holz der Bühne kratzten, als er auf allen Vieren nicht fähig war, den Blick fortzureißen. Das Meer der Menschen wurde ein Meer aus Tod. Blut glitt wie der Regen eines gesegneten Tages über die trockenen Pflastersteine der würdevollen, ach so arroganten Stadt.
Caracalla fühlte erregte Hitze in seiner Brust und breitete die Arme zu beiden Seiten wieder aus. Im Gesang der qualvoll Sterbenden legte er den Kopf in den Nacken und ließ die Strahlen der Sonne brennend über seine Züge streicheln.
Das war die Prophezeiung! Er erfüllte sie und er erhob sich über sie alle hinweg. Er – Caracalla – war ein Gott!
***
Macrinus zuckte zusammen, als eine Hand seine Schulter berührte. Unwillkürlich sprang der Römer auf und sah an sich herab, um über seine Arme und seine Tunika zu streichen, als wäre sie vollgesogen von rotem, niemals schwindendem Blut. Eine Gänsehaut lag auf seiner dunklen Haut und schüttelte sich durch seine Schultern.
»Praefectus?«, fragte die Stimme, die ihn wieder aus seiner Erinnerung zurück in die Wirklichkeit warf.
In dem Blick des jungen Mannes mit dem blonden Haar und dem hellen Teint lag Verstehen. Julius war kaum ein Mann, doch auch er hatte sich an jenem Tag vor zwei Jahren auf der Tribüne befunden und vergaß nicht.
»Die Dinge sind geregelt?« Müde strich Macrinus sich über die Schläfen und verdrängte das Hallen der Schreie in seinen Ohren. Seit dem Exempel durch das Massaker in Alexandria hatte sich keine einzige weitere Schmähschrift erhoben. Auch sonst erzitterten die Fronten unter dem Namen des Kaisers, und der Erfolg seiner grausamen Herrschaft schien Caracalla wahrhaft Flügel gegeben zu haben.
Julius stieß sich mit der Faust gegen die Brust und nickte. Entschlossenheit saß auf seiner Miene.
Behutsam legte der ältere Anführer eine Hand an den Arm des jungen Mitglieds der Prätorianergarde. »Dann ist das ein Abschied, mein Freund.«
»Für Rom!«, erklärte Julius und verbarg jeden Hauch von Unruhe hinter ernsthaftem Tatendrang. Oder zumindest gab er sich Mühe damit, denn so ganz überdeckte er das leichte Schwanken seiner Stimme nicht.
Er befand sich auf dem Weg, den Kaiser zu begleiten und dessen nächsten blutigen Sieg zu erlangen.
Einst waren sie Freunde gewesen. Macrinus hatte Caracallas Rücken gestärkt und Seite an Seite waren sie gestanden gegen jeden Feind. Er hatte Vertrauen gehabt in den Mann, der flammende Reden schwang und ihnen bereits Siege brachte, noch ehe das Streben eines Gottes dahintergestanden war.
»Wir hätten den Tempel und die verdammte Schriftrolle nie finden sollen«, raunte er, auch wenn ihm klar war, dass der Wahnsinn seines Freundes zu diesem Zeitpunkt schon in ihm gesessen war. Doch seit damals war es schlimmer geworden. Die Worte hatten den Imperator in ihren Bann gezogen. Nun trug er sie überallhin mit sich. Wie einen Talisman.
»Was soll ich mit ihr tun?«, fragte Julius mit gerunzelter Stirn. Als der Praefectus ihm nicht antwortete, fügte er hinzu: »Mit der Schriftrolle meine ich. Mit der Prophezeiung.«
»Zerstöre sie. Wenn du die Gelegenheit hast.«
»Aber ...«
»Sie ist ein einziger Fluch für alle, die mit ihr zu tun hatten. Selbst für den, der sie als Segen empfand, bringt sie jetzt das Ende.«
Julius nickte. Dann endete das Gespräch und der junge Soldat ging, um die Pflicht zu tun, die Macrinus nicht mehr selbst erfüllen konnte. Caracalla hatte bereits an jenem Tag den Zweifel in seinen Augen gesehen. Noch trug er den Titel des Praefectus Praetorio. Doch die Nostalgie und Verbundenheit der alten Freundschaft schwand mit jedem Tag. Schon längst ließ der Imperator den Anführer seiner Leibgarde nicht mehr an sich heran wie einst. Es gab immerhin auch genug andere, die ihm weiter in begeisterter Treue folgten. Blind für seinen Wahn, solange es sie nicht direkt betraf.
Mit einem Krug seines besten Weines stieß Macrinus in die Luft. Auf den Freund, dessen Machtgier er für Ambitionen und dessen Wahnsinn er für Leidenschaft gehalten hatte. Vielleicht auch, da er selbst zu feige und zu hungrig nach dem Fahrtwind seines großen Anführers gewesen war.
Ein paar Wochen später fand eine Klinge ihren Weg zwischen die Rippen Caracallas. Mehrfach hineingestochen, sodass sein Tod fast dem des ersten römischen Kaisers hätte ähneln können. Wenn es nicht nur ein Einzelner gewesen wäre, der ihn am Straßenrand ermordete.
An die Schriftrolle kam Julius nicht mehr heran. Zu schnell und zu direkt war die Rache Wut derer, die selbst einem toten Imperator noch mit Hingabe dienten. Seinen jungen Mörder streckten sie Augenblicke nach dem Fall des Kaisers bereits nieder. Doch auch so sollte die Prophezeiung verschwinden. Niedergelegt in der Gruft des grausamen Herrschers, der sie selbst im Tod an sich klammerte und für den Beweis seiner eigenen Göttlichkeit hielt.
Erst viele Jahrhunderte später, als sein Name nur wenigen noch ein Begriff war und sie sein Grab leerten, um einen Blick in die Zeit seines Lebens zu werfen, wurden die Worte wieder gelesen. Nicht nur die letzten beiden Strophen, auch die Erste war dann zu entziffern. Sätze einer Warnung. Ungehört und unbeachtet dazu verdammt, sich stets aufs Neue wiederholen zu müssen. Damals, heute, zukünftig.
Gewarnt sind die, die friedlich schlafend die Augen schließen und vergessen, dass ferne Fluten ganze Städte an einem Tag verschlingen. Im Rausch von Zeiten kriechen falsche Götter und krallen sich an gestohlenes Licht.
Jener, welcher mit falschen Geschichten seine Feinde ertränkt, wird kommen und sich auf den unsterblichen Thron der Sonne erheben. Er wird strahlen und das Volk in Zweifel und Zuspruch zerschlagen, wie Klippen, die sich unter Donner spalten.
Es werden sich ihm Wege ebnen, wo er die Steine unter jenen nahm, die ihm den Respekt versagten. Bis ihr Lachen ihre Kehlen erdrückt und ihre Stimmen unter dem Brüllen seiner Treuen verklingen.
Von: Thinkerling
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