Das Vermächtnis der Hatschepsut (@brunoheter)
Ägypten, 1458 vor Christus
Die kühle Luft in der Halle senkte das Fieber, das Hatschepsut seit wenigen Tagen plagte. Deutlich geschwächt, mit eingefallenen Wangen und traurig blickenden Augen, lag die mächtige Pharaonin auf ihrer Pritsche, bewacht und umsorgt von ihren treuesten und engsten Dienerinnen. Nur einmal am Tag, jeweils zur Mittagsstunde, drang etwas Sonnenlicht in den Raum, der ansonsten von unzähligen Fackeln an den Wänden beleuchtet wurde. Selbst in diesem schummrigen Licht war deutlich zu sehen, welch schöne Frau die zierliche, kranke Person einst gewesen sein musste. Ihr Stolz und ihre Erhabenheit konnten selbst durch das stärkste Fieber nicht überschattet werden. Geschwächt und schweißgebadet drehte sie sich ihrer Dienerin zu.
»Lyra, meine liebe Freundin, ich spüre mein Ende nahen. Bitte nimm eine Rolle und einen Stift, schreibe meine letzten Worte auf Papyrus. Ich schaffe es nicht mehr nachhause und möchte meinen Nachfahren so viele Dinge mitgeben, die ich hier, auf diesem freundlichen Planeten habe lernen dürfen.«
Ohne ein Wort zu verschwenden, huschte die Dienerin zu einer Nische, griff sich einen Stift und eine Papyrusrolle, um gleich danach zur Liege ihrer Pharaonin zurückzukehren. »Was immer es sein möge, ich werde es niederschreiben und für die Ewigkeit festhalten. Ihr könnt beginnen, meine Herrin.«
Hatschepsut legte sich ihre Kissen zurecht, damit sie halb aufrecht ruhen konnte. Mit einem Mal lag wieder Glanz in ihren Augen, sie schien friedlich, im Reinen mit sich und der Welt. »Bevor wir beginnen, liebe Lyra, muss ich dich um etwas bitten: Beschütze meine Worte bis zu deinem Tod und sprich niemals mit jemandem darüber.«
»Das kann ich dir versprechen, meine Gebieterin, beim Leben meines Vaters.«
»Ich bin nicht von hier; ich komme aus einer Welt, die viele Sonnenzyklen weit entfernt ist. Man hat mich auserkoren, diesen Planeten hier zu prüfen. Meine Worte sind eine Botschaft an mein Volk. Verstehst du das, Lyra?«
»Aber natürlich, meine Gebieterin«, bestätigte die Schreiberin, obwohl sie kein Wort davon verstanden hatte; sie wollte ihre schwache Herrin nicht beunruhigen.
Müde und doch dankbar nickte die Pharaonin ihrer treuen Dienerin zu, dann begann sie zu murmeln:
»Unzählige Lichter leuchten als Sterne, am dunklen Nachthimmel aus weiter Ferne, es sind Welten, ähnlich wie wir sie kennen, doch wissen wir nicht, sie alle zu nennen.
Pyramiden, nach Sternen Muster gebaut, seit vielen Hochwassern zum Himmel geschaut. Heuschrecken und Krieg waren alles, was kam, nun folge der Fluch, der das Leben mir nahm.
Das Wasser, das Feuer, die Luft, die Erde widmen sich allem, was geschehen werde.
Mir wurde die große Weisheit gegeben.
Durch meinen Tod schenk' ich euch das Leben.«
Die Dienerin schrieb die Worte auf den Papyrus, sie konnte keinen Sinn darin erkennen und befürchtete, ihre Herrin habe bereits den Verstand an das Jenseits verloren. »Von welchem Orakel sprecht Ihr, oh leuchtende Herrin?«
Hatschepsut griff unter ihr Kissen und zog eine sehr alte Papyrusrolle hervor. »Das ist das Orakel des Neptuchamun; eine Abschrift davon. Es ist nur ein Exemplar aus ursprünglich vierundzwanzig. Doch dieses Dokument, meine Liebe, bringt uns mehr Wissen, als wir uns jemals zu erlangen erhofften. Bitte lege sie zusammen mit dieser hier in mein Grab. Auf dass sie mit mir ins Jenseits reisen möge. Ich danke dir dafür.«
Wenige Stunden nach der merkwürdigen Niederschrift verstarb Hatschepsut in Frieden. Lyra tat, wie ihr aufgetragen worden war, und legte zwei ähnliche Rollen in die Grabkammer der ersten Pharaonin der Geschichte. Die Originale jedoch versteckte sie in einer Amphore aus Tonerde, bei ihren persönlichen Gegenständen.
***
Ägyptische Wüste, 1967, Tal der Pharaonen
Mr. Langdon und Mrs. Miller hatten keine Ruhe. Seit sie mit ihrer Highschool-Klasse nach Ägypten gereist waren, mussten sie ständig darauf achten, keinen ihrer Schüler zu verlieren. Sie hatten sich die Klassenfahrt etwas anders vorgestellt, doch nun bemerkten sie den Unterschied einer Fahrt zu den Niagara-Fällen gegenüber dieser Reise nach Afrika.
Es war heiß hier, die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel, als wolle sie das trockene Land vollends verbrennen. Die Schülerschar jammerte nicht, die Jugendlichen waren interessiert und schrieben fleißig mit, doch ihre Lehrpersonen erkannten, dass es die jungen Menschen viel Energie kostete. Sie schwitzten, setzten sich sofort in den Schatten, wenn sich eine Gelegenheit bot, vor allem aber bewegten sie sich viel langsamer als auf dem Pausenhof, zu Hause in Montana.
Der klapprige Bus aus den Fünfzigerjahren hatte keine Klimaregelung; die Schiebefenster waren geschlossen, damit möglichst wenig Sandstaub eindringen konnte, doch überall lag das feine, gelbe Pulver. Der ägyptische Fahrer verstand zwar kein Englisch, aber durch den Übersetzer, der neben ihm saß, forderte er seine Fahrgäste mehrmals auf, genügend zu trinken. Gleichzeitig versicherte er ihnen, es sei nicht mehr weit.
Draußen sahen sie Dromedar-Karawanen, Tiere mit voll beladenen Körben, von Beduinen geführt und mit Seilen zusammengebunden. Sie bewegten sich scheinbar mühelos durch die Hitze. Dann und wann kamen sie an kleinen Häusergruppen vorüber oder an Orten, in denen es Palmen und Wasser gab. Zwei Studenten hatten eine Fotokamera dabei. Sie versuchten, die Momente festzuhalten, in der Hoffnung, ihre Bilder mögen den Eindruck dieser Fahrt vermitteln; doch das würde sich erst in einigen Wochen zeigen, wenn sie die Bilder entwickelt hätten. Das Klicken der Kameras wurde vom Klappern und Ächzen des Busses übertönt.
Der Fahrer hielt am Ende eines Tals an. Alle waren froh, endlich aussteigen zu können, im Wissen, dass es draußen noch heißer war, doch wenigstens entkamen sie der stickigen mit Dieselabgasen durchzogenen Luft im Bus. Sofort drängten sich die Jugendlichen in den Schatten des Canyons. Die Erwachsenen folgten ihnen schmunzelnd. Der Übersetzer führte sie durch den Tal, vorbei an zahlreichen Grabstätten längst verstorbener Pharaonen. Die Jugendlichen stellten Fragen zu den Königen, die sie nicht kannten. Sie kritzelten Skizzen in ihre Notizbücher oder schrieben die Erklärungen ihres Reiseführers auf.
»Ihr könnt nun hier selbst etwas graben, wenn ihr wollt. Solltet ihr aber etwas Interessantes entdecken, dann ruft mich bitte, bevor ihr es anfasst.« Der Leiter stand vor einem wackeligen Tisch, auf welchem Schaufeln und Besen bereitlagen. Die Jugendlichen legten ihre Taschen unter den die Ablage, schnappten sich das Werkzeug und zogen auseinander wie Ameisen auf der Suche nach Futter. Die Lehrpersonen folgten ihnen, zusammen mit dem Reiseleiter, damit sie ihren Schützlingen helfen konnten.
Patty, Nash und Bob waren als kleine Gruppe in einen Seitenarm des Tals abgebogen. Sie standen vor einem eingestürzten Eingang. Er wirkte trotz und wegen der zwei Säulen, die das Portal säumte, eher schlicht, war bestimmt nicht einem König gewidmet. Ein Sonnenstrahl fiel wie ein Spot auf eine Stelle vor den Mauern während der Rest im Halbschatten lag. Die Freunde verspürten eine seltsame Energie, weshalb sie beschlossen, hier zu graben. Der rundliche Bob gab schnell auf und setzte sich auf einen Stein. Nash und Patty wühlten weiter im Sand, jubelten, wenn sie eine Tonscherbe oder etwas, das nach einem Mauerstück aussah, ausgruben.
»Wir sollten vielleicht an einem anderen Ort graben. Hier ist nichts«, maulte Bob, während er Wasser trank.
»Das haben sich die ersten Entdecker dieser Stätte hier vielleicht auch gesagt, doch sie haben weitergeschaufelt und viele wertvolle Gräber freigelegt«, konterte Patty und wirbelte mit dem Besen Staub auf.
»Hör schon auf! Mein Wasser wird schmutzig!«
Nash lachte die beiden aus, als seine Schaufel auf unerwarteten Widerstand stieß. »Leute, ich habe da was!«
»Nur einen weiteren Stein ...«
»Bob! Komm schon!« Patty und Nash knieten sich nieder und wühlten mit bloßen Händen im Sand.
»Was ist das? Eine Amphore vielleicht?«
»Nein, das sieht eher wie ein Stab aus. Meinst du, wir sollten Mr. Langdon rufen?« Nash, als Footballspieler sonst ein Draufgänger, blickte Patty unsicher an.
»Ach, wozu denn? Lass uns graben. Schau, das ist kein Stab, das ist eine Schriftrolle!«
Nun war auch jegliche Trägheit aus Bob verschwunden. Er kniete bei seinen Freunden. Patty hielt das Fundstück in ihren Händen, feiner Sand rieselte daraus und bildete neben ihrem Bein einen kleinen Haufen. Keiner sagte ein Wort, die drei bestaunten ihren Schatz. Patty drehte die Rolle. Alte Verzierungen konnten nur noch erahnt werden, doch der Papyrus wirkte nobel, ehemals königlich.
»Wessen Grab ist das hier? Hast du noch die Karte, die wir erhalten haben, Bob?« Patty betrachtete erneut die Säulen am Eingang.
»Hier.« Bob faltete den Plan auseinander, doch an ihrer Stelle war keine Markierung. »Das ist ein namenloses Grab, wenn es überhaupt eines ist. Vielleicht war es auch nur ein Lager oder ein Brunnen, von denen es hier einige gibt.«
»Wir sollten doch Mr. Langdon rufen. Ich hole ihn.« Nash wollte aufstehen, aber Patty hielt ihn am Gürtel fest.
»Das wirst du schön brav lassen, Angsthase. Wir haben das gefunden und es gehört uns. Ich werde es mitnehmen.«
»Patty! Sie haben uns gesagt, dass man ins Gefängnis kommt, wenn man etwas Geschichtliches aus dem Land schmuggeln will.« Nashs aufgerissene Augen verrieten die Angst, die er verspürte.
Bob und Patty lachten. »Ich bin ein Mädchen, Nash. Mich kontrolliert niemand. Die Rolle werde ich im Handgepäck in meine Tücher wickeln, dann klappt das schon.«
»Was klappt schon?« Die tiefe Stimme ihres Lehrers ließ alle drei aufschrecken. Patty versteckte ihren Fund reflexartig hinter ihrem Rücken. »Ihr habt etwas entdeckt und uns nicht gerufen? Was hast du hier, Patricia? Zeig her.«
Nur zögerlich reichte sie ihrem Lehrer die Rolle. Dabei blickte sie beschämt auf den Sand, in welchem sie mit ihren Füßen scharrte.
»Ein Papyrus! Das wolltest du einfach mitnehmen? Wir müssen den Text untersuchen lassen. Er könnte sehr alt sein. Wo habt ihr das ausgegraben?«
Nash zeigte die genaue Fundstelle, die der Professor mit seinem Fotoapparat dokumentierte, indem er die Rolle noch einmal in die kleine ausgehobene Grube legte. Er machte ein zusätzliches Foto von den Jugendlichen, wie sie hinter ihrem Fund standen, danach brachten sie das wertvolle Stück zu ihrem Reiseleiter.
***
Am nächsten Tag lag die Rolle auf einem Untersuchungstisch in einem penibel sauberen Raum. Patty, Nash und Bob durften zusehen, wie Fachleute den Papyrus prüften. Schriftgelehrte diskutierten über die Bedeutung der Zeichen. Es war allen sofort klar, dass es sich bei der Rolle um ein sehr altes Dokument handelte; aus der Zeit des Pharao Neptuchamun, vermuteten die meisten Gelehrten – die Jugendlichen kannten den Namen nicht.
»Wir denken, es könnte sich um einen Orakeltext handeln. Es ist bekannt, dass Neptuchamun sich mehrere Rollen, man spricht von vierundzwanzig, mit ähnlichen Texten hat ins Grab legen lassen, doch es wurden noch längst nicht alle gefunden. Sie scheinen überall auf der Welt aufzutauchen – umso schöner, eine davon hier in Ägypten zu finden.« Der Wissenschaftler richtete sich an die stolzen Finder. »Wenn das stimmt, werdet ihr berühmt werden. Doch wir müssen die Rolle zuerst übersetzen, um ganz sicher sein zu können. Der Name am Ende des Textes könnte ein Hinweis auf den frühen Pharao sein.«
Die drei Freunde strahlten, freuten sich über ihren Fund und dass niemand von ihnen ins Gefängnis musste. Einer der Gelehrten deutete per Handzeichen an, dass er eine mögliche Lösung gefunden habe. Im Raum wurde es stiller als in einer antiken Grabkammer.
»Lerne und achte die Weisheit der fernen Besucher dieses Planeten.
Ihre weite Reise soll nicht umsonst gewesen sein. So bringen sie Fruchtbarkeit und Reichtum ins Land des ewigen Flusses. Miteinander sollen die Völker gedeihen und das Böse von der Erde fernhalten.
Doch verlangen sie Land für Ihresgleichen. Wer es wagt, sie zu stören, dem soll schreckliches Unheil widerfahren. Niemals darf die Dankbarkeit unterbrochen werden. An der Stätte des Wissens soll auf immer die Weisheit an nächste Generationen weitergereicht werden, solange die Flüsse ihr lebenspendendes Wasser zu den Ozeanen tragen.
Trachte nicht nach persönlicher Gunst, sonst wirst du untergehen. Diene den mächtigen Sternen und so wirst du Weisheit und innere Ruhe erfahren. So soll es geschehen.« Der Mann, der diese Worte gemurmelt hatte, blickte die anwesenden Personen an. »Es IST ein Orakeltext. Vermutlich haben wir hier also tatsächlich eine der vielen Rollen des Neptuchamun vor uns«, sprach er ehrfürchtig aus, woraufhin sich die Wissenschaftler gegenseitig gratulierten. »Nun müssen wir nur noch herausfinden, was der Text bedeutet. Wir werden den Papyrus nach Kairo bringen, zu den weisesten Gelehrten. Das wird eine Sensation. Kinder, von nun an wird man eure Namen kennen." Dann wurden auch die Jugendlichen beglückwünscht.
Da sich ihre Studienreise jedoch bereits dem Ende zuneigte, vereinbarten sie, dass die Professoren der Schule über die nächsten Schritte informiert werden würden. So flogen die jungen Finder zurück nach Montana; ohne ihren spektakulären Fund im Handgepäck.
***
Bozeman, Montana, 1967, nach der Reise nach Ägypten
Patty, Nash und Bob waren unglücklich darüber, dass ihnen nicht einmal eine Abschrift der Rolle mitgegeben wurde. Als sie erfuhren, dass in Ägypten wenige Tage nach ihrem Fund ein zweiter Papyrus entdeckt wurde, wollten die drei sofort ins Tal der Pharaonen zurückkehren, doch ihre Eltern erlaubten es ihnen nicht.
Der zweite Text war um einiges jünger, vierhundert Jahre ungefähr. Er wurde der Regierungszeit von Hatschepsut zugeordnet. »Sie war der erste weibliche Pharao«, erzählte Patty stolz. Ihr war der Name bekannt. »Sie hat sich selbst die Krone aufgesetzt! Eine mutige und starke Frau. Erstaunlich ist aber, weshalb man die Rollen nicht in ihrem Grab, sondern weit neben ihrem weltberühmten Tempel gefunden hat.« Patty hielt eine Fotografie der Fundstücke in ihren Händen.
In einer Fachzeitung hatte Bob zudem die englische Übersetzung beider Texte entdeckt. Sie hatten die Sätze mehrmals gelesen, wurden dennoch nicht wirklich schlauer daraus. »Ich glaube, die reden hier von Außerirdischen. Was denkt ihr?« Bob stopfte sich den dritten Muffin in den Mund.
»Das ist möglich. Hier, in dem Text von Hatschepsut steht deutlich ‚Welten, ähnlich wie wir sie kennen' – das ist doch bestimmt ein Hinweis.« Während er sein Gebäck zerkaute, blickte er seine nickenden Freunde zufrieden an.
»Du hast recht. Und das da, im Orakeltext, könnte eine Schule sein. ‚Stätte des Wissens' – was meint ihr?«
»Patty! Seit wann sind Schulen Stätten des Wissens?« Nash hob die Arme hoch und grinste, die eher zierliche Patty verpasste dem Sportler einen Seitenhieb.
»Seit wann gibt es unsere Schule?«, wollte sie stattdessen erfahren.
»Seit ... ewig, denke ich. Das müsste sich in der Bibliothek herausfinden lassen. Kommt mit.« Nash stürmte los, Patty kramte die Papiere zusammen und folgte ihm. Bob schnappte sich noch einen Muffin und versuchte, seine Freunde einzuholen. In der Bibliothek war Essen verboten, was Bob einen strengen Blick der Leiterin einbrachte. Er musste den Kuchen in der Tasche verstauen.
»Wonach suchen wir, Nash?«, erkundigte sich Patty.
»Wir sollten uns alles vornehmen, was von den ersten Siedlungen im Raum unserer Stadt berichtet.«
»Natives? – Okay. Doch die waren hier nicht gerade sesshaft, das weißt du.«
»Erinnert ihr euch an die alten Geschichten, die uns der Langdon erzählt hat? Es soll vor vielen Tausend Jahren hier bereits so etwas wie eine Schule gegeben haben. Man hat bei den Arbeiten für die neue Sporthalle Spuren alter Mauern entdeckt.« Nash verzog seinen Mund zu einem hoffnungsvollen Grinsen. Seine Freunde hingegen wirkten eher skeptisch.
»Das wäre nun echt mehr als Zufall! Stell dir vor: Die Prophezeiung besagt, dass es Außerirdische gab, die mit den Ägyptern zusammenarbeiteten. Als Gegenleistung wollten sie Land, das sie für ihre Zwecke nutzen konnten; weltweit. Und das soll ausgerechnet hier sein? Bei uns?« Patty schüttelte ihre blonden Haare. »Nein, das wäre mehr als nur Zufall, wenn genau wir diese Rolle gefunden hätten.«
Nash gab nicht auf. Er wies sie darauf hin, dass es auch im Stadtmuseum Hinweise gab, die auf Mauerwerk lange vor den ersten Natives hindeuteten; Mauern, die sich niemand erklären konnte. Die Freunde beschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie schnappten sich ihre Fahrräder und radelten aus der Stadt, zu einer kleinen Siedlung der Cree, gleich im Südosten. Patty wusste von einem Chief, der bereits sehr alt war und ihnen bestimmt weiterhelfen konnte.
Die Fahrt mit den Rädern war anstrengend, verschwitzt und außer Atem erreichten sie das Farmgebäude, hinter dem einige Tipis aufgebaut waren. Der Chief, er nannte sich ‚Ruhender Bär', empfing sie freundlich, als ob er sie erwartete. »Dass ich das noch erleben darf. Es zeigt, wie gnädig das Leben mir ist. Tretet ein und stellt eure Fragen.«
Er führte sie nicht ins Farmgebäude, sondern in eines der Tipis auf der Rückseite; dort hielt er das Leder in der Hand, damit seine Besucher durch die ovale Öffnung ins Innere treten konnten. Der Boden war mit vielen Teppichen und Fellen ausgelegt; in der Mitte gab es eine Feuerstelle für den Winter. Die Jugendlichen rochen Leder, Fell und Asche, vermischt mit seltsam würzigen Gerüchen, die sie nicht zuordnen konnten. Sie schwiegen, bis der Chief sich ihnen gegenüber hingesetzt hatte.
»Wir würden gerne mehr erfahren über unsere Schule, die Bozeman High«, erklärte Nash. Bob und Patty nickten erwartungsvoll.
Ruhender Bär lächelte wissend. Dann berichtete er von längst vergangenen Tagen, erzählte Geschichten aus einer Zeit lange, bevor die ersten Weißen die Gegend erkundeten. Der alte Mann erklärte ihnen, dass sein Wissen seit Generationen weitergereicht worden war. »Der Ort, an dem eure Schule steht, ist ein heiliger Ort. Seit vielen Tausend Jahren existiert ein Gebäude an genau dieser Stelle. Unser Volk hat sich immer gut verstanden mit den fremden Besuchern. Wir haben viel von ihnen gelernt. Doch als die unwissenden Weißen kamen und alles töteten, was sich vor ihre Gewehre stellte, brach der Kontakt ab.«
»Sie sprechen von ‚fremden Besuchern' – es gab Einwanderer, bevor die Europäer hier waren?« Patty war fasziniert von dieser Geschichte, sie konnte nicht einordnen, was ihnen der Chief soeben erzählt hatte.
»Sie sind heute noch hier, unsichtbar, weil sie sich angepasst haben. Eure Schule birgt ein altes Geheimnis. Danach zu suchen, ist gefährlich. Ihr solltet es lassen. Meine Aufgabe war es, euch genug zu erzählen, damit ihr den Wert eures Fundes erkennen könnt. Doch sucht nicht weiter; das Geheimnis darf nicht an die Öffentlichkeit – so will es die Prophezeiung.«
Leicht enttäuscht und dennoch aufgeregt über das Gehörte verabschiedeten sich die Jugendlichen. Auf der Heimfahrt diskutierten sie ihr weiteres Vorgehen. Sie beschlossen, ihre Geschichtsklasse und die Lehrer einzuweihen, damit sie gemeinsam nach der Wahrheit, nach dem Geheimnis ihrer Schule suchen könnten.
***
Bozeman, 1967, zwei Monate nach dem Besuch beim Chief
Mrs. Miller saß mit überkreuzten Beinen auf einem bequemen Sessel in der Bibliothek, die Schülerinnen und Schüler ihrer Geschichtsklasse hockten auf dem Fußboden und lauschten. Mr. Langdon kam soeben mit einem dicken Wälzer zwischen den Regalen hervor, Mrs. Miller unterbrach ihren Vortrag über die indigenen Völker ihrer Region.
»Seht mal her, was ich gefunden habe«, frohlockte Langdon und hielt das Buch hoch. Da es nicht beschriftet war und auch die Signatur fehlte, konnte sich niemand vorstellen, um welches wichtige Werk es sich handeln könnte. Alle warteten auf weiterführende Erklärungen. Langdon zog einen Stuhl herbei und setzte sich.
»In dieser Schrift habe ich Aufzeichnungen gefunden, die darauf hindeuten, dass unsere Schule weit älter sein könnte, als wir bisher angenommen haben. Die Aussagen des Chiefs werden dadurch untermauert. Es wird von seltsamen Vorkommnissen berichtet, von Geräuschen und Lichtern, wie es sie zur damaligen Zeit noch nicht hätte geben dürfen.«
Die Jugendlichen hörten ihm aufmerksam zu. Keiner wagte nachzufragen, ihnen steckte noch der Schrecken in den Knochen, seit vor einem Jahr im australischen Victoria über zweihundert Studenten und Lehrer ein Ufo fotografiert wurde. Sie wussten alle über die weltweiten Berichte Bescheid, sie kannten die Fotos und trotzdem wollte keiner so recht daran glauben. Doch jetzt passten die Puzzlesteine zusammen.
Seit unglaublich langer Zeit schienen außerirdische Lebewesen auf der Welt zu leben. Und ausgerechnet die Bozeman High sollte deren Zentrum sein? Besiegelt in einem uralten Vertrag mit einem ägyptischen Orakel? Das klang zu fantastisch, um wahr zu sein. Die Studentengruppe war begeistert und adrenalingesättigt aufgeregt. Sie schnatterten und diskutierten durcheinander wie eine Kolonie von Albatrossen. Erst als Mrs. Miller die Arme hob und um Ruhe bat, ebbten die Diskussionen ab.
»Meine Lieben, wir sollten uns nicht in etwas hineinsteigern. Diese Geschichten klingen aufregend, doch wir sind Historiker – wir sollten uns an die Fakten halten und nicht wie Science-Fiction-Autoren in unrealistische Märchen abdriften.«
Sie ordnete an, dass die Jugendlichen sich in kleinen Gruppen von drei bis vier Personen an die Forschungsarbeit machen sollten. Patty, Nash und Bob durften mit Mr. Langdon am gefundenen Text arbeiten. Andere beschäftigten sich mit den bisher bekannten Ufo-Sichtungen, mit den Orakel-Rollen des Neptuchamun oder mit alten Geschichten der Indianer.
***
1967 auf Maatkare im Sternbild Lyra, 470 Lichtjahre von der Erde entfernt
»Allmächtige Lyra, Namensgeberin unserer Zivilisation, es gibt Bewegung auf dem kleinen Planeten Erde.«
Lyra drehte sich zu ihrer violett schimmernden Technikerin um, als sie die Botschaft übermittelt bekommen hatte. Sie schwebte hinüber, durch den plasmagewölbten Raum; ihr leuchtend blaues Gewand flatterte leicht. »Definiere Bewegung«, befahl sie ihrer Mitarbeiterin.
»Menschen, die meisten von ihnen noch keine zwanzig Sommer alt, nähern sich unserer Station; sie ist nicht länger sicher.«
»Du kennst den Orakeltext, den unsere Mutter uns gegeben hat. Wird der Bund gebrochen?«
»Ich befürchte ja, meine Gebieterin.« Das Leuchten der Technikerin wurde schwächer; ein roter Schimmer der Trauer legte sich auf ihr Haupt.
»Dann sei es so. Wir müssen handeln, wenn wir das Werk meiner Meisterin Hatschepsut beschützen wollen. Schickt unsere Späherinnen aus.« Lyra leuchtete stärker, übergab ihre Energie der Technikerin, doch diese übermittelte bloß die Tatsache, dass keine fähigen Mitarbeiterinnen in der Nähe seien.
»Dann schickt einige Männer. Sie sollten das hinbekommen, es ist keine schwierige Aufgabe. Sie sollen unbewaffnet reisen, wir wollen die zarten Menschen lebend und Soldaten schießen bekanntlich, bevor sie fragen.«
»Jawohl, meine Gebieterin. Wir haben einen Trupp in der Gegend. Ich programmiere ihnen die Aufgabe ein. Tarnung wie immer?«
Lyra nickte; gleichzeitig erhielt sie von Hatschepsuts Energiefeld den Befehl, mehr Mitarbeiterinnen in das Forschungslabor zu entsenden. Sie sollten am Standort eine Farm errichten. Im Gegenzug könne man die Menschen das drahtlose Telekommunikationsnetz erfinden lassen.
Lyra lächelte. Seit sie damals ihrer Herrin folgen durfte, ihren menschlichen Körper verlassen hatte und als gebündelte Energie jede Form zu materialisieren wusste, betrachtete sie die Bewohner des Planten Erde als einfache, analoge Biomasse, die nur einen lächerlich kleinen Prozentsatz ihrer intelligenten Anlage zu gebrauchen verstand. Seltsamerweise hatten sie sich in den vergangenen fast viertausend Jahren nicht wesentlich weiterentwickelt. Noch immer galten auf der Erde die einfacheren Männchen als die stärkere Art – wahrscheinlich wurde genau deswegen der Fortschritt verhindert und die stolzen Herrscher rannten dem Ruhm hinterher oder bekämpften sich gegenseitig. Es würde noch einige Jahrhunderte brauchen, bis die Intelligenz auch das Lebewesen ‚Mensch' einnehmen könnte; obwohl Hatschepsut ihnen vor so langer Zeit bereits den Weg hatte zeigen wollen.
»Die Menschen driften geradewegs ins Verderben«, holten Hatschepsuts Gedanken Lyra zurück.
»Ja, Meisterin. Genau darüber habe ich nachgedacht.« Es erstaunte sie immer wieder, wie einfach Kommunikation war, wenn sie nicht an eine Sprache gebunden wurde.
»Wir müssen dafür sorgen, dass der Planet überlebt, nicht die Lebensform. Diese jungen Menschen, die unser Geheimnis entdecken könnten, müssen wir herholen. Sie
sind intelligent; sie könnten uns dienen.«
»Was wird aus den anderen?«
»Spüre ich Besorgnis? Lyra, du bist keine von ihnen; längst nicht mehr. Ihr Körper enthält Blut; es gab eine Anfrage von primitiven Lebensformen, die Blut zum Überleben benötigen. Wir werden ihnen unsere Forschungsstation einige Jahrzehnte überlassen; danach sehen wir weiter. Es gibt auf diesem Planeten interessantere Dinge als das selbstzerstörende Lebewesen Mensch.«
»Ja, Herrin, natürlich.« Lyra erteilte die Aufträge, das Energiefeld Hatschepsut verstummte.
***
1967, Büro des Rektors an der Bozeman High; einige Wochen nach der Sitzung in der Bibliothek
Müde und eingeschüchtert, mit deutlichen Augenringen und ungekämmt, saßen Nash, Bob und Patty auf ihren unbequemen Holzstühlen, dem Rektor gegenüber. Der korpulente Mr. Stepehens hatte seine Arme auf dem Schreibtisch aufgestützt, im Mundwinkel glomm eine Zigarette. Er fixierte die Jugendlichen einen nach dem anderen, immer wieder. Dann räusperte er sich.
»Ihr behauptet also, Außerirdische haben diese Schule besetzt. Und das schon seit mehr als dreitausend Jahren? Und ihr behauptet weiter, die verschwundenen Schüler und Lehrer seien von diesen Wesen entführt worden?«
Die drei Freunde nickten traurig. Seit sie mit den Nachforschungen begonnen hatten, waren nach und nach ihre Klassenkameraden verschwunden. Als erste vermisste man Mrs. Miller, dann die Arbeitsgruppe, welche sich mit den Ufos befassen sollte. Als letzter war vor wenigen Stunden auch Mr. Langdon unauffindbar. Danach hatten sie Rat beim Schulleiter gesucht.
Stephens rauchte seine Zigarette aus, stieß den Rauch den Jugendlichen ins Gesicht. Patty hustete. »Wie kommt ihr auf solchen Unsinn? Alles wegen dieser vergammelten Rolle Papier aus Ägypten?« Er lachte kehlig, bevor er zu husten anfing. Jemand klopfte an die Tür. »Herein!«, schrie der Rektor, gefolgt von einem weiteren Hustenanfall.
Zwei Männer in Uniform betraten das Büro. Sie salutierten wortlos; dann standen sie steif da. Soldaten, dachte sich Nash, doch er kannte die Abzeichen nicht.
»Diese Männer werden euch zum Sheriff begleiten. Dort wird untersucht, was mit euren Klassenlehrern und den Schülern geschehen ist. Offengestanden glaube ich diesen Mist nicht. Viel mehr vermute ich, sie haben sich aus dem Staub gemacht, weil ihnen diese Untersuchungen zu dumm geworden sind. Ich gebe euch einen Rat: Wenn ihr nicht in einem Irrenhaus landen wollt, denkt euch schnell eine andere Geschichte aus. Und nun raus mit euch. Ich habe genug zu tun damit, die vielen besorgten Eltern zu beruhigen, deren Kinder mit den zwei Lehrern verschwunden sind.«
Die beiden Männer wollten die Jugendlichen an den Schultern fassen, doch sie wehrten sich. Enttäuscht über den Entscheid ihres Rektors folgten sie den Soldaten. In der Tür drehte sich Patty nochmals um. »Mister Stephens, Sie begehen einen Fehler. Diese Schule birgt ein mächtiges Geheimnis, gebunden an ein uraltes Orakel. Wir haben es entdeckt, wir können es beweisen und Sie glauben uns nicht. Sie werden mit ihr untergehen. Das wollte ich Ihnen nur noch sagen.«
Der Rektor winkte die Jugendlichen und die Soldaten schnaubend aus dem Büro. Als die Tür ins Schloss fiel und er wieder allein war, lehnte er sich zurück. Er legte den Kopf in den Nacken. »Maatkare? Hier Forschungsstation K438b auf der Erde. Die jungen Individuen sind auf dem Weg. Ich empfehle dringend, sie ruhigzustellen; sie sind angriffslustig und könnten sich wehren. Bozeman Ende.« Seine Augen leuchteten violett und die letzten Rauchschwaden seiner Zigarette schwebten um die flackernde Neonröhre an der Decke.
Von: brunoheter
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