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Die Waage zwischen Traum und Fluch (@seerosena)

"Bonustrack" - diese ist Geschichte hat es leider nicht in die Printausgabe geschafft

"Komm, fass mich bei der Hand!", rief Askaru seinem kleinen, sechsjährigen Bruder zu, der versuchte, sich aus den wilden Stromschnellen des Nils ans Ufer zu kämpfen. Er war von der Brücke gestoßen worden, weil er angeblich im Wege stand. Askaru hatte es zum Glück vom Rand aus gesehen, als er gerade dabei war, Papyrusstengel zu ernten, die ihnen als vorübergehende Nahrungsquelle dienen sollten.

Natürlich war er ihm sofort hinterher ins Wasser gestürzt, doch jetzt kämpften sie sich schon seit geraumer Ewigkeit sowohl aufeinander zu als auch dagegen an, sich von den wilden Fluten ins Jenseits reißen zu lassen.

Als er endlich seinen Fuß zu fassen bekam und es ihm mit viel Anstrengung gelang, sie beide in Richtung ruhigeres Gewässer zu bewegen, merkte er, wie ihm ein großer Stein vom Herzen fiel. Zugleich legte sich aber auch eine andere Schwere auf ihn nieder, die seine Brust zu erdrücken drohte. Er konnte das nicht mehr. Dieses Leben, in dem sie nie wussten, ob sie am nächsten Tag genügend zu essen, oder einen sicheren Schlafplatz finden würden. Wo die Menschen sie behandelten wie Abschaum.

Sein kleiner Bruder hatte ein Leben in Frieden verdient. Eine Familie, die ihn liebte und mit offenen Armen empfing. Seitdem ihre Eltern im Krieg gestorben waren, hatten sie eigentlich nichts mehr richtig zu essen gehabt. Würde es nur um ihn gehen, hätte es ihm nichts ausgemacht. Mit seinen vierzehn Jahren konnte er schon gut arbeiten, wenn die Leute ihn denn nehmen würden, doch nun trug er auch die Verantwortung für Khalil.

Ihre Mutter hatte immer gesagt, egal, was im Leben geschehe, sie sollen niemals die Hoffnung verlieren und aufhören zu vertrauen, doch mittlerweile war Askaru an einem Punkt angelangt, an dem er jeglichen Glauben daran verloren hatte.

Wenn es da draußen irgendetwas gab, dann sollte es sich endlich mal zeigen. So oft schon hatte er gebeten, dass sie ein sicheres Zuhause finden würden. Ein Leben außerhalb der Armut, doch erhört wurde er nie.

Wasser drang in seine Lungen und er spürte, wie die Kräfte ihn langsam verließen. Ein letztes Mal dachte er sich. Für seinen Bruder. Er betete zu niemand Bestimmten, doch mit allem, was er war. Bat um Hilfe. Wenn er bis jetzt etwas falsch gemacht hatte,damit das Leben ihm nicht wohlgesinnt war, dann wollte er, dass es ihm ein Zeichen gab, dem sie nun folgen konnten. Ein Zeichen, welches sie nach Hause führen würde.

Er schwor sich, er würde wachsam sein und auf jedes noch so kleine Detail achten. Ein letzter Versuch.

Als sie es ans Ufer geschafft hatten, nahm er Khalil sogleich fest in die Arme, bis sie beide wieder zu ruhigerem Atem gelangten.

Sie waren in einem Dickicht gelandet. Ein Bereich des Flusses, der als besonders gefährlich galt, und dies nicht nur wegen der Stromschnellen.

Die Menschen mieden diesen Ort, doch nun hatten sie keine andere Wahl, als ihn zu durchqueren. Hand in Hand schlängelten sie sich durch das Gestrüpp und achteten besonders auf die Tiere.

Plötzlich ragten längliche Steinfundamente auf, die sich aus dem teils giftigen Grün erhoben. Etwa eine alte Ruine? Askaru stand da wie gebannt. "Wir sollten weiter", meinte Khalil und zupfte an der, immer noch nassen, zerschlissenen Tunika seines älteren Bruders, die ihm mittlerweile viel zu klein wurde.

Dieser aber hörte nicht darauf. Viel zu sehr faszinierte ihn der Anblick. Irgendetwas an diesem Ort schien ihn zu sich zu rufen und er folgte diesem sonderbaren Gefühl. Langsam löste er seine Hand aus der von Khalil und lief vorsichtig durch die gefährlichen Pflanzen.Dabei war esihm fast, als würden sie ihm bereitwillig Platz machen.

Das hier musste einmal ein Tempel gewesen sein. In der Mitte der Säulen angelangt, entdeckte er im Steinboden eine kleine Kerbe.

Ob das hier das Zeichen sein könnte, um das er gebeten hatte? Einem Impuls folgend begann er mit den Händen daran herumzuhantieren. Dabei vergaß er seine Vorsicht, die er sonst für gewöhnlich an den Tag legte und erschrak zutiefst, als sich eine Schlange aus der Öffnung wand. Ihre Zunge berührte dabei flüchtig seine Hand, die er rasch zurückzog und mehrere Schritte rückwärts taumelte.

Im Hintergrund hörte er die Stimme von Khalil, doch anstatt zurückzukehren, wartete er ab, bis das Tier davon geschlängelt war, um erneut einen Blick in die Öffnung zu werfen. Diesmal mithilfe eines Stockes, sodass er den Stein nach oben hebeln konnte und sich ein kleiner Hohlraum darunter offenbarte. Eine steinerne Truhe kam zum Vorschein.

Vor Schreck blieb ihm erst einmal kurz das Herz stehen. Was hatte das zu bedeuten? War das etwa ein Schatz? Wurde er wirklich erhört? Neugierig versuchte er, diese Truhe zu öffnen, diese jedoch hielt sich fest verschlossen.

"Khalil, das musst du dir ansehen", meinte er aufgeregt und spähte hinüber zu seinem kleinen Bruder. Doch dieser wirkte alles andere als begeistert. Sein Blick wanderte immer wieder über den Boden, als würde er dort verschiedene Wesenheiten im Auge behalten. Ob sich hier noch mehr Schlangen befanden?

Hektisch hantierte Askaru an dem Deckel herum, in dem Versuch ihn zu öffnen. Tatsächlich gelang es ihm auch beim fünften Versuch. Sein Herz klopfte vor Aufregung so schnell wie die schlagenden Flügel eines Falken und seine Hände zitterten leicht, als er hoffnungsvoll ins Innere spähte. Anstelle von Gold und Edelsteinen erblickte er jedoch etwas schlichtes, Längliches. Erstaunt holte er es hervor.

Es war in altes Leder gehüllt und als er es öffnete, erkannte er, dass es sich um eine Papyrusrolle handelte. Er erinnerte sich, so eine vor Jahren in kleiner schon einmal auf einem Markt gesehen zu haben.

Leider hatte er niemals lesen gelernt, doch als er sie öffnete, wurden ihm sowieso jegliche Hoffnungen, deren jemals Schrift zu verstehen genommen, da es sich eindeutig um Hieroglyphen handelte. Eine Schrift, die, soweit er wusste, niemand mehr zu verstehen vermochte.

Doch wieso kam sie dann zu ihm? Wieso ausgerechnet diese Rolle? Was war es, was darin verborgen stand? Vielleicht der Schlüssel zum Glück? Der Weg, der seinem kleinen Bruder ein sicheres Zuhause bescheren würde?

***

Den ganzen restlichen Tag versank Askaru mit seinen Augen und Gedanken tief in die erstaunlich gut erhaltene Schwärze der Hieroglyphen, als würden sie sich ihm offenbaren, umso länger er sie anstarrte.

Ein Rätsel, zu dem er nicht zu lösen imstande war und es doch so gerne wäre. Was hatte es mit dieser Papyrusrolle auf sich? Wieso hatte ausgerechnet er sie gefunden und wieso jetzt? Könnte es sein, dass sie ihm wirklich etwas mitteilen wollten?

Mit diesen Überlegungen sank er spät in der Nacht endlich in einen unruhigen Schlaf. Bilder suchten ihn heim. Traumatische Sequenzen aus der Vergangenheit, aber auch der Zukunft, die ihnen womöglich noch bevorstanden. Sie schwebten wie eine Warnung über seinem Kopf und vermischten sich mit weiteren. Es waren Alternativen. Ein scheinbarer Ausweg?

Vielleicht ein feiner Lichtblick im Dunkeln? Wie der Stern in der Nacht, den sein kleiner Bruder immer so fasziniert bestaunte. Askaru wusste, dass ihnen eine Wahl bevorstand, die sie entweder ins Glück oder entgegengesetzt leiten würde, doch er konnte noch nicht greifen, worum es sich dabei handelte.

"Was willst du mir sagen?", fragte er im Traum den Stern, doch erhielt keine Antwort. Frustriert wandte er sich ab. Die Sterne hatten ihm schon lange nicht mehr geantwortet und würden es gewiss auch jetzt nicht tun. Als er mit dem Rücken zu ihnen stand, erblickte er plötzlich eine schwarze Höhle und als er näher herantrat, erkannte er ein kleines flackerndes Licht. Ähnlich einer Kerze, die ihre düstere Umgebung mit ihrem Schein zu erwärmen versuchte.

"Feuer ist eine andere Art der Sterne", sprach er zu sich und ging langsam darauf zu. "Mit dem Unterschied, dass es antwortet. Puste ich, dann erlischt es. Zugleich kann ich es selbst jedochauch anzünden, wenn ich das Licht brauche. Es liegt in meiner Hand."

Das Licht wurde größer, umso näher er trat, doch zugleich nahm es, bei jedem Gedanken, der durch seinen Kopf huschte, eine andere Gestalt an. Fast, als würden die Flammen das Wesen dieser inneren Denkvorgänge widerspiegeln.

"Ich selber könnte mir mithilfe des leuchtenden Elements den Weg weisen und nicht darauf hoffen, dass andere das für mich übernehmen."

Er spürte, wie ihm warm wurde. Die Flamme flackerte aufgeregt, was ihm ein Lächeln entlockte.

"Ich hätte es in meiner Kontrolle. Ich kann das Feuer bändigen und befehlen, wo lang..." In diesem Moment schwoll Besagtes urplötzlichzu einer beachtlichen Größe an, die ihm bedrohlich näherzurücken schien. Sofort wich er zurück.

"Verstehe, es kann wohl auch schnell aus der Kontrolle geraten und zu einem gewaltigen Brand explodieren, wenn wir nicht aufpassen. Verzeih mir meine anmaßenden Gedanken."

Er verbeugte sich leicht vor dem nun wieder kleiner gewordenen Element.

Vom Höhleneingang her hörte er plötzlich die Stimme seines kleinen Bruders, der ihn mit seiner sanften Kinderstimme zu sich rief und meinte, die Sterne hätten ihm gerade einen Weg aufgezeigt, doch Askaru konnte seinen Blick nicht von der Flamme wenden.

Ohnehin glaubte er nicht mehr daran, dass die Sterne oder die Welt ihnen helfen würden. Er musste diese Aufgabe an sich nehmen und ihr Schicksal nun eigenhändig lenken.

Hatte seine Mutter das nicht immer gemeint? Dass sie es selbst in die Hand nehmen und sich nicht klein halten sollten? Doch worauf sollte man dabei achten? Er wusste es nicht. Genauso wenig, wie über die Gefahren, die auf ihn lauern konnten und bei denen es wichtig war, wachsam zu bleiben.

Das Feuer vor seinen Augen tanzte und warf verwirrenderweise neben dem Licht auch Schatten an die Höhlenwand. Wie eine Wesenheit gewann es von Minute zu Minute an Größe, umso länger er ihm seinen Blick schenkte.

"Wer bist du?", fragte Askaru leicht verunsichert, doch zugleich von einem Wissensdurst gefangen, den er sich nicht erklären konnte.

Ein unheimliches Raunen erfüllte plötzlich die feuchte Höhlengruft. Wie ein rasselnder kalter Atem, der sich wie eine eisige Klaue in die Knochen nistet.

"Du hast mich beschworen", hallte plötzlich eine tiefe, markerschütternde Stimme in seinen Ohren. Sie stammte aus den Flammen und zugleich von überall und nirgendwoher.

Askaru erschrak zutiefst. Auf seinen Armen hatte sich Gänsehaut gebildet, doch er wagte es nicht, sich umzudrehen und zu verschwinden, obwohl ihm jede Zelle seines Körpers dazu riet.

Was sollte das bedeuten?

"Kannst du mir zufällig etwas darüber sagen, was es mit der Schriftrolle auf sich hat?" Irgendwie war ihm, als bestünde zwischen dieser und diesem Feuer hier eine Verbindung. Allein schon wegen der Hieroglyphen, die sich plötzlich aus den Schatten an die Höhlenwand zeichneten, wie dürre Finger, die nach verlorenen Seelen tasteten.

Er konnte sich nicht erklären, woher er auf einmal den Mut aufnahm, danach zu fragen. Ein unscheinbares Lachen kroch über den Boden auf ihn zu, oder bildete er sich das ein? Vielleicht waren es auch die Stimmen seiner eigenen Gedanken?

"In der Stadt werdet ihr Antworten erhalten. Sei wachsam", raunten ihm die Worte in erstaunlicher Sanftheit ins Ohr, jederzeit bereit, wieder in den scharfkantigen Unterton zu wechseln, wenn sich die Angriffsfläche dafür bot.

Askaru erschauderte, doch zugleich schien in ihm das erste Mal seit Langem wieder so etwas wie Hoffnung aufzuglimmen.

"In welcher Stadt. Meinst du Kairo? Wird uns die Schriftrolle aus der Armut helfen können und meinem kleinen Bruder ein schöneres Leben bescheren?"

Er konnte nicht anders, als zu fragen. Er wollte nur, dass Khalil endlich wieder lachen konnte und nicht mehr jeden Tag um sein Leben bangen musste.

"Folge der Prophezeiung und du wirst Unterstützung erfahren."

Erstaunt weiteten sich seine Augen. Was? "Welche Prophezeiung?" Anstatt eine Antwort zu geben, erlosch das Feuer mit einem Schlag, als hätte es seine Aufgabe nun erfüllt.

Dunkelheit hüllte ihn ein und er beeilte sich, zurück zum Höhlenausgang zu gelangen. Im selben Moment riss er die Augen auf und fuhr aus seinem Traum zurück in die Realität.

Harte Erde presste sich von unten an seinen abgemagerten Körper, sodass jede Position unangenehm schmerzte.

"Du bist wach", hörte er die weiche, vertraute Stimme von Khalil.

"Du ja auch", wunderte er sich. Er hatte gehofft, sein Bruder würde durchschlafen.

"Ich bin aufgewacht, als du im Schlaf geschrien hast. Ich habe versucht, dich aufzuwecken, aber es ging nicht", erklärte dieser und betrachtete Askaru mit nachdenklich besorgter Miene.

Doch besagter hörte schon gar nicht mehr richtig zu. Mit seinen Gedanken verweilte er bei dem Traum, der ihm so eindrücklich erschienen war. Was war mit der Prophezeiung gemeint? Könnte es sein, dass diese mit der Papyrusrolle zu tun hatte?

Bei all seinen Fragen war ihm aber nun eines klar.

"Wir müssen in die Stadt."

***

"Ich habe keine Arbeit gefunden, aber dafür eine spannende Information." Askaru ließ sich erschöpft neben seinen Bruder auf den staubigen Boden sinken. In seinen Händen hielt er einen halben Kanten Aish Baladi, den er ungesehen einem osmanischen Gouverneur entnehmen konnte. Ihm war es, ohne es zu merken, auf die Erde gefallen. Zudem erhaschte er heimlich eine, von Insekten bereits halb zerfressene Feige vom Rand eines Gartens, die er Khalil als Überraschung mitgebracht hatte. In der Hoffnung, ihn ein klein wenig aufzuheitern.

"Lass sie uns teilen", meinte dieser und wollte gerade Anstalten machen, sie zu halbieren, doch Askaru hielt ihn zurück. "Ich habe schon die andere Hälfte gegessen. Siehst du nicht? Der Rest ist für dich, log er und war froh, dass er darin sehr überzeugend sein konnte. Khalil glaubte ihm zumindest.

Ihm schwindelte leicht, da sein Magen schon lange nichts Richtiges mehr gesehen hatte, doch er wusste auch, dass sein kleiner Bruder es dringender benötigte.

"Was ist das für eine Information, die du finden konntest?", wollte dieser wissen, als er die restliche Feige dankbar in sich aufgenommen hatte. Er selbst nahm einen kleinen Krümel vom Fladenbrotkanten. Sie sollten es sich besser einteilen.

"Ich habe von einem Stein gehört. Ein französischer Offizier soll mit seinem Pferd nach der Schlacht gegen die Mamluken vor vier Jahren darüber gestolpert sein. Er befand sich in der Nähe von Rosetta, genau wie die Papyrusrolle. Er ist steinalt und weist vermutlich einen sich wiederholenden Text auf. Sowohl in Hieroglyphen, als auch in zwei anderen Sprachen, sodass man diese theoretisch übersetzen könnte, wenn man zumindest einer von ihnen mächtig ist."

Seine Augen fingen bei diesen Worten an zu leuchten.

Es müsste jemand kommen, der über diese Sprachen gelehrt ist. Oder wenn er ihn nur selbst einmal sehen könnte. Vielleicht würde sich ihm deren Bedeutung wieder in den Träumen offenbaren. Dann könnte er endlich entziffern, was in dieser Schriftrolle wirklich geschrieben steht.

Khalil sah seinen Bruder nachdenklich an. Nicht so sicher, was er von diesen Gedanken halten sollte. Das Einzige, was er bestimmt wusste, war, dass sie beide müde waren. Sie sollten sich auf den Weg begeben. Raus aus der Stadt und den verarmten Vierteln. Zurück zum Fluss, um das Wasser neu aufzufüllen und sich zu waschen.

Er machte sich Sorgen um seinen älteren Bruder. Ihm fiel auf, dass seine Wangen noch eingefallener waren als noch vor wenigen Tagen. Ebenso stachen seine Augenringe hervor. Es erinnerte ihn an die schrecklichen Monate letztes Jahr, als die Pest in Kairo Einzug gehalten hatte. Auch Askaru wurde befallen, doch wie durch ein Wunder hatte er es trotzdem zurück ins Leben geschafft.

Zu dieser Zeit meinte er zu Khalil, er solle losziehen und sich ein neues Zuhause suchen, da er nicht mehr lange da sein würde, doch sein kleiner Bruder blieb hartnäckig und wich ihm nicht von der Seite.

Der Nil hatte ihnen dabei geholfen. Ohne das Wasser und die dortig wachsenden Papyrusstauden und Feigen, die ihnen als Hauptnahrung dienten, hätten sie gewiss nicht überlebt. Das Leben dort am Fluss war einfacher. Besonders je weiter sie sich von der Stadt entfernten. Es war erfüllt von den natürlichen Abläufen, wie schlafen, essen und mit offenen Augen durchs Leben gehen. Dort herrschte weitestgehend Frieden.

Eine Sache, die sie in den letzten Jahren eher weniger zu fühlen bekommen hatten. Erst die ganzen Eroberungskriege, die Seuche und dann auch noch die inneren Unruhen, Machtkämpfe und Intrigen in den Städten. Von Frieden konnte lange keine Rede sein. Das sah man auch an Askarus Armverletzung, die schon seit Tagen nicht wirklich heilen wollte.hatte

Was ihn jedoch am meisten beunruhigte, waren nicht die Verletzungen und auch nicht die hervorstehenden Wangenknochen, sondern vielmehr der Ausdruck in den schwarzen Iriden seines Bruders. Er erweckte etwas Unruhebringendes, eine Art der Besessenheit, oder vielleicht auch ... etwas, was Khalil nicht beschreiben konnte, doch was dennoch den Wunsch in ihm weckte, dass es schnell wieder daraus verschwand.

Askarus schweißnasses Haar klebte ihm in der von Erde befleckten Stirn und der Jüngere betrachtete ihn einen Moment nachdenklich.

"Vielleicht sollten wir Kairo wieder verlassen? In der Natur ging es uns besser", meinte dieser vorsichtig, doch er schüttelte den Kopf. "Nein, meine Träume haben uns hierhergeführt. Ich weiß, dass sie etwas zu bedeuten haben und wir ihnen nur folgen müssen. Vertraue mir Khalil. Bald wird alles gut."

"Hat dein Traum dir denn wirklich Kairo gezeigt?"

Askaru zuckte mit den Schultern. "Das kann ich nicht sagen. Ich habe nur den Hinweis bekommen, dass wir in der Stadt Antworten finden werden."

"Und was, wenn es im übertragenen Sinne gemeint wurde. Wenn es einfach darum geht, dass wir selbst erkennen?" Askaru sah seinen kleinen Bruder irritiert an. Nicht so ganz verstehend, was er damit meinte.

"Es wurde gesagt, dort finde ich Antworten. Vielleicht war das heute genau diese und wir sollten nach Rosetta aufbrechen. Dorthin, wo sie den Stein mit der Schrift gefunden haben."

Sein kleiner Bruder ließ über diese Worte hin die Schultern hängen. Eigentlich war es etwas anderes, was er seinem Bruder sagen wollte, doch er schien im Moment nicht wirklich offen dafür und wer weiß, vielleicht hatte er ja auch recht.

Seine Träume würden schon irgendetwas zu bedeuten haben, aber irgendwie ließ ihn das Gefühl nicht los, dass sie vorsichtig sein sollten.

***

Sie verließen die Stadt. Tage vergingen, die Askaru fieberhaft damit verbrachte, die Hieroglyphen entschlüsseln zu wollen, doch vergeblich. Nächtelang saß er dort und verlor sich in den Formen der vor langer Zeit geschriebenen Zeichen, ohne etwas zu verstehen.

Seine Gedanken formten sich schwarz. Vermischten sich mit den Symbolen vor ihm und verschmolzen zu einer Gesamtheit, die ihn von Mal zu Mal tiefer zu verschlingen drohte. Immer wieder träumte er von der Prophezeiung und nach einiger Zeit gab sie ihm sogar Anweisungen, die er befolgte. Für seinen Bruder.

Am nächsten Morgen erzählt er diesem davon. Khalil war dem gegenüber zurückhaltend und beschäftigt sich lieber mit dem, was sich ihm im Hier und Jetzt zeigte. Zwar hatte er nichts dagegen sich mit Visionen und Träumen zu befassen, er tat schließlich nichts anderes, doch es beunruhigte ihn, dass sein älterer Bruder vergaß zu essen und sich bevorzugt in Gedanken verlor.

Als Khalil gerade auf der Suche nach Nahrung durch die Gegend streifte, begegnete ihm ein Esel, der ihn mit wachen Augen besah. . Sein Bruder war zu dieser Zeit nicht wie sonst unterwegs, sondern verbrachtesie wieder damit, über der Schriftrolle zu verweilen, die ihm im Traum diesmal besonders eindrücklich erschienen war. Anscheinend hätte sie ihm eine Zukunft vorhergesagt.

Khalil hütete sich davor, zu sehr darauf zu hören. Zu abgeschreckt war er von dem Ausdruck in Askarus Augen gewesen. So kannte er seinen Bruder gar nicht.

Als er stattdessen in die sanften Iriden des Esels blickte, fühlte er seit langem mal wieder eine Wärme in ihm emporwachsen. "Wo wohnst du?", fragte er ihn und streichelte liebevoll durch sein weiches Fell.

Der Esel nickte mit seinem Kopf niedlich auf und ab, was Khalil zum Schmunzeln brachte. Dann setzte das Tier sich in Bewegung und er folgte ihm. Nach einiger Zeit kamen sie zu einem kleinen Häuschen, vor dem ein Mann und eine Frau im Garten werkelten. Als sie die beiden sahen, wurden sie mit Freuden begrüßt.

Der Esel war ihnen anscheinend weggelaufen und sie hatten schon lange Zeit nach ihm gesucht. Khalil fragte die beiden, ob er ihnen für etwas Essen im Garten helfen sollte und sie stimmten freudig zu. Sie hatten ihn auf Anhieb ins Herz geschlossen und sahen, wie abgemagert er war.

Sie boten ihm an, dass er und sein Bruder gerne zum Essen vorbeikommen sollten. Morgen würden sieeinen besonderen Tag feiern und es machte doch viel mehr Freude, wenn sie die ihre mit ihnen teilten.

Khalil war ihnen zutiefst dankbar. Er erzählte später seinem Bruder davon, dass sie eingeladen seien und er bei den Bauern tatsächlich das Gefühl hatte, neue Freunde gefunden zu haben. Es war lange her, dass dies der Fall war.

Als er Askaru jedoch davon berichtete, hörte dieser ihm gar nicht richtig zu, da er mit den Gedanken in anderen Gegenden verweilte. Erst als er von dem Essen sprach, horchte er auf.

Sie gingen beide hin und Askaru, sowie Khalil sprachen ihnen immer wieder ihre tiefe Dankbarkeit aus, doch die beiden Älteren winkten ab. "Ach wo, ihr seid uns herzlich willkommene Gäste. Wisst ihr, es ist schön, wieder etwas Leben im Haus zu haben. Unser Sohn ist vor einigen Jahren verstorben."

Beide Brüder sahen sie berührt an. Der Frau entwich eine Träne und tastete sich langsam ihre Wange hinab. "Wisst ihr ..." Sie stockte und wechselte einen Blick mit ihrem Mann, der seine Hand tröstlich auf ihren Rücken legte.

"Wenn ihr wollt, könnt ihr auch erst einmal hierbleiben. Hier hättet ihr immer zu essen und könntet wieder zu Kräften kommen. Und dann könnten wir ein bisschen Hilfe im Garten gut gebrauchen. Was meint ihr?"

Khalils Augen leuchteten auff und jetzt spürte auch er, wie ihm langsam die Tränen kamen. Noch nie hatte er sich so willkommen gefühlt, wie in diesem Moment. Und auch den Esel Tjahapimu hatte er ins Herz geschlossen. Wie schön wäre es, wenn sie tatsächlich hierbleiben könnten. Als er aber zu seinem Bruder aufblickte, bot sich in seinen Augen ein ganz anderer Anblick.

"Vielen Dank, ihr lieben Leute. Ich schätze euer Angebot sehr, doch wir müssen in die Stadt. Ich hatte vor einer Weile einen Traum und weiß jetzt, wie wir all dem Kummer und Elend entkommen können."

Er lächelte seinen kleinen Bruder an, doch dieser erwiderte seinen Blick geschockt. Wieso wollte Askaru nicht bleiben? Hier könnten sie vielleicht endlich glücklich werden. So zumindest dachte er eben noch.

Doch Askaru war nicht davon abzubringen. "Ich werde den Menschen mithilfe der Papyrusrolle die Zukunft voraussagen und endlich die gebührende Anerkennung und Ehre erhalten, die ich verdiene", sprach er und brachte seinem Bruder so eine Gänsehaut auf die Arme. Das klang diesem so gar nicht nach seinem Bruder,wie er ihn kannte.

"Wir würden endlich genügend Geld bekommen, um gut leben zu können. Nicht mehr beschimpft und von den Menschen verjagt, sondern hoch angesehen und beehrt", sprach er weiter und sah Khalil mit funkelnden Augen an. Dieser schreckte jedoch vor diesem Anblick und Worten zurück.

Er wollte nicht in die Stadt, er wollte hierbleiben. So geschah es auch.. Askaru machte sich alleine auf den Weg, während Khalil bei Ibrahim und Merit blieb und traurig darauf wartete, dass sein Bruder zurückkehrte.

Dieser hatte vor seiner Abreise gemeint, er würde ihnen viel Geld bescheren, sodass sie alle glücklich leben könnten. Tage und Wochen vergingen, in denen die Sehnsucht nach ihm immer stärker wurde. Khalil vermisste ihre Scherze und die Abenteuer, die sie immer zusammen erlebt hatten. Die Umarmungen von ihm, oder auch einfach seine Stimme, wenn er ihm leise Gutenachtgeschichten erzählte.

Inzwischen war es nun Ibrahim, der das für ihn übernahm. Er konnte ebenfalls sehr gut erzählen und hatte in seinem Leben viel erlebt, sodass der Junge diesen Geschichten gespannt lauschte. Und dennoch wünschte er sich, sein Bruder wäre dabei.

Er machte sich Sorgen um ihn und ging schließlich zusammen mit seinem Ziehvater in die Stadt, um ihn zu suchen. Sie fanden ihn wohl gekleidet auf dem Stadtplatz. Große Menschenmassen sammelten sich um ihn, während er ihnen die Zukunft predigte.

Khalil bekam eine Gänsehaut, als er seinen Bruder so sah. Er hatte nun Geld, das war nicht zu übersehen und auch wusste er es, weil er ihnen immer wieder Ladungen davon zuschicken ließ, die sie aber noch kein einziges Mal angerührt hatten. Doch seine Wangenknochen waren nach wie vor eingefallen. Die Ringe unter seinen Augen hatten ebenfalls nicht nachgelassen – im Gegenteil.

Ob er krank war? Sie schlängelten sich durch die Menge, um zu ihm zu gelangen, doch wurden dabei nur immer wieder zur Seite geschubst und angemeckert, dass sie sich nicht vordrängeln sollten.

Schließlich schafften sie es jedoch und es dauerte, ehe sein Bruder ihn und Ibrahim überhaupt erkannte. So lange hatten sie sich nicht mehr gesehen. Am Anfang der Zeit war er noch persönlich zu ihm gekommen, um ihm das Geld zu geben, und wollte seinen Bruder überreden, mit ihm in die Stadt zu ziehen. Khalil jedoch lehnte immer wieder ab und hoffte, dass Askaru bemerken würde, wie schön sie es hier hatten, dem war jedoch nicht so.

Mit den Monaten kam er immer seltener und auch dieses Mal wollte er nicht mit ihnen gehen, sodass sie ohne ihn wieder die Stadt verlassen mussten. Tage und Wochen zogen ins Land, ohne, dass sie etwas von ihm hörten.

Eines Tages saß Khalil traurig unter einem Feigenbaum und betrachtete die Frucht in seiner Hand, ohne sie essen zu können. Zu sehr erinnerte sie ihn an seinen Bruder.

Ob es ihm gut ging? Als er einem Impuls folgend aufschaute, stand dieser plötzlich vor ihm. Oder besser gesagt schwer keuchend an dem Zaun gestützt. Seine Knochen zeichnen sich beängstigend deutlich unter seiner Haut, die jeglichen Hauch von Leben verloren hatte. Seine Augen, die früher immer so schön wie die Sterne geleuchtet hatten, waren nun trüb und hilflos.

Erschrocken sprang Khalil auf und lief auf seinen Bruder zu, um ihn zu stützen. "Askaru, was ist mit dir?"

Merit stürmte ebenfalls aus dem Haus und auch Ibrahim bemerkte von den Stallungen aus, dass etwas nicht stimmte und kam angerannt.

"Ich ..." Askaru sackte auf der Erde zusammen. Sein Gewand war nun wieder ein schlichteres als das, was er in der Stadt getragen hatte, doch dieses Mal in seiner Größe. "... habe meine eigene Prophezeiung gesehen", murmelte er. Seine Stimme so schwach wie ein Atemhauch.

"Es tut mir leid, Khalil. Ich habe ... ich habe dich verloren und mich selbst auch. Ich dachte, ich tue etwas Gutes für uns, doch dann war da plötzlich dieser ganze Ruhm und ... ich habe nicht mehr zu deinem und unserem Wohl gehandelt. Das ist mir erst jetzt bewusst geworden. Jetzt, wo es zu spät ist."

Er war unglaublich blass und Schweiß trat auf seine Stirn. "Ich habe mich von der Gier hinreißen lassen und nun muss ich die Konsequenzen davontragen." Ein Husten kam aus seinem Rachen, ehe er sich zu den beiden Erwachsenen drehte. "Ich danke euch, dass ihr für ihn da seid. Dass ihr für ihn die Eltern seid, die er nie haben konnte. Ich bin euch so unendlich dankbar."

Sie blinzelten die Tränen zurück und Merit legte ihm behutsam eine Hand auf die seine. "Das können wir für dich auch sein Askaru. Wenn du uns nur lässt. Du kannst mit uns hier wohnen. Wir können zusammen ein schönes Leben haben. Wir haben uns immer Kinder gewünscht."

Askarus Mundwinkel hob sich zu einem traurigen Lächeln. "Ich danke euch so sehr, doch für mich ist es zu spät. Ich hätte früher kommen müssen. Es tut mir leid. Khalil ..."

Askaru war schon immer gut, die Zukunft vorauszusagen. Das, was er sagte, kehrte auch ein und somit waren schon wenige Tage darauf seine Beerdigung. Sein Grab befand sich nicht weit abseits ihrer Wohnstelle, auf einem Hügel.

Khalil und der Esel Tjahapimu besuchten es jeden Tag, um ihm zu berichten, was sie heute wieder Neues erlebt hatten und ihm auf seiner neuen Holzflöte vorzuspielen, die er von Ibrahim bekommen hatte.

Immer, wenn Khalil jetzt in die Sterne schaute, stellte er sich vor, seinen Bruder dort zu sehen, wie er ihm den Weg wies. Mit diesem begeisterten Funkeln in den Augen, dass er so sehr an ihm liebte. Welches ihm in den dunkelsten Stunden immer am hellsten gestrahlt hatte. 

Von: seerosena



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