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Der alte Seemann (@Trude441 @Universediver)

Die alte Hütte stand schief, das Dach halb zerfallen und das Braun des Eichenholzes ausgeblichen von der Sonne. Die untere Fassade war feucht von den Wellen, die bei Flut so weit anstiegen, dass sie an ihr leckten. Ein Zeichen, das dieses ehemalige Heim schon lange auf diesem Eiland stehen musste, denn die Zeit hatte den Sand abgetragen und die Insel schrumpfen lassen, sodass es nicht länger vor dem Meer geschützt war.

Normalerweise interessierte Ansgar sich nicht für verlorene Orte dieser Art. Doch irgendetwas hatte ihn dazu veranlasst, dennoch an diese Küste zu segeln, sobald er den undefinierbaren Fleck am Horizont ausgemacht hatte. Es war ihm gar, als hätte eine Stimme nach ihm gerufen, deren Klang so lieblich gewesen war, dass er sich ihr nicht hatte verschließen können. Verführerisch süß und klebrig zugleich. Wie Honig.

Jetzt, da er das vom Verfall gezeichnete Häuschen betreten und es nach Überbleibseln längst vergangener Zeiten durchsucht hatte, wusste er, wieso er hier gelandet war. Es war Schicksal gewesen. Irgendein Gott hatte doch noch entschieden, ihm am Ende seines langen Lebens eine bedeutsame Aufgabe zuteilwerden zu lassen. Etwas, wonach er sich in den letzten siebzig Jahren stets gesehnt aber nie herausgefunden hatte, wie er es erreichen sollte. Sein Seelenwunsch war es, der Welt etwas so Weltbewegendes zu hinterlassen, dass man seinen Namen in die Geschichtsbücher niederschrieb, auf dass man ihn niemals mehr vergaß.

Er konnte es kaum glauben, hielt er nun endlich den Schlüssel in den zittrigen, faltigen Händen.

Sicher, er hätte es als makabren Scherz abtun können, oder als missglücktes Märchen, das irgendein unbedeutender Autor in dem Versuch an Bekanntheit zu gewinnen verfasst hatte. Doch so wie die Stimme in seinem Inneren ihn erst zu der gut erhaltenen Schriftrolle geführt hatte, wisperte sie ihm jetzt zu, dass es wahr war, was darinstand. Und er war der Auserwählte, der das Unglück abwenden musste.

Mit einem Lächeln auf den rissigen Lippen steckte er sich das faserige Papier in seine löchrige Westentasche unter seinem Mantel und machte sich auf den Rückweg zu seinem Schiff. Ruhig lag es am Strand, als sonnte es auf dem weichen, güldenen Untergrund und gönnte sich selbst eine Pause angesichts des Abenteuers, das auf ihn und seinen Herren wartete. Ansgars konnte sich eines erheiterten Glucksens nicht erwehren, denn es schien beinahe so, als wohnte seinem treuen Gefährt tatsächlich so etwas wie Lebendigkeit inne. Vielleicht hatte er ihm doch nicht umsonst einen Namen gegeben und es all die Jahre gehegt und gepflegt, als wäre es sein Mensch gewordener Sohn.

Seine Nachbarn sagten ihm seiner Liebe zu seinem Boot wegen stets nach, er wäre dem Irrsinn verfallen. Doch das störte ihn schon lange nicht mehr. Es mochte sein, dass er seit dem Tod seiner Frau mehr Zeit auf dem Meer verbrachte als in seinem eigenen Haus, doch war dies wirklich verwerflich?

Der Ozean hatte ihm seit Evangelines Ableben so viel mehr gegeben als irgendein Bewohner seiner Heimatinsel.

Die Wellen hatten ihm geholfen, seine Trauer zu überwinden. Sie hatten alle seine Tränen aufgefangen und sobald keine mehr übrig gewesen war, hatten sie ihm mittels eines Sturms seine Lebensgeister zurückgebracht. Durch Windböen und meterhohe Wände aus Wasser hatte ihn sein Boot gebracht und ihn sein donnerndes Herz so kräftig spüren lassen, dass er sich nicht einen Atemzug länger tot gefühlt hatte.

In einer zärtlichen Geste strich er über das glatte Holz, ehe er Blueprint, so hatte er die Jolle getauft, zurück ins Meer schob. Sanft schaukelnd hießen ihn die Wogen willkommen, wie eine Mutter, die ihr Kind in ihre Arme schloss. Und wie immer legte er für einen Moment seine Finger an den himmelblauen Handabdruck, der sich für immer verewigt auf der ihm gegenüberliegenden Sitzbank befand. Eine stille Begrüßung an seine geliebte Evangeline.

Die Überfahrt nahm nicht viel Zeit in Anspruch, was nicht zuletzt dem guten Wetter, dem kräftigen Wind und dem schlummernden Ozean zuzuschreiben war. Schon nach gut zwei Stunden tauchte die Insel als schmale Linie am Horizont auf, und eine weitere Stunde später war er der Küste so nah, dass er Häuser und Menschen erkennen konnte.

Dieses Mal musste er Blueprint nicht an den Strand ziehen, denn hier gab es Anlegepunkte, an denen er die Jolle einfach festbinden konnte. Eine kleine Frau stand am Pier und beobachtete ihn dabei aus neugierigen, dunklen Augen. Etwas an der Art, wie sie ihn betrachtete, jagte ihm Schauer des Unwohlseins über den Rücken.

Er beschloss, sie zur Rede zu stellen. Immerhin war er schon lange kein junger Bursche von zwanzig Jahren mehr. Damals war er durchaus ansehnlich gewesen, doch von dem vollen blonden Haar, den Augen klar wie blaue Bergseen, dem kantigen Kinn und dem muskulösen Körper war heute nichts mehr zu erkennen. Die Jahre hatten ihm nicht nur die Menschen geraubt, die er geliebt hatte, sondern auch bereits einen Teil seiner Selbst. Wie lange noch, bis der Rest von ihm ebenso in den Wogen der Zeit untergehen würde, wie sein altes Äußeres, und von ihm nichts mehr übrigblieb, als irgendwelche bedeutungslose Knochen?

»Was gibt's da zu glotzen?«, raunte er also, als er nahe genug an die Frau herangetreten war, die sich keinen Deut von der Stelle gerührt hatte.

Ihr schwarzes Haar wehte im Wind, als spielte jener damit und auch das lockere Kleid aus weißen Leinen tanzte in den lauwarmen Luftströmen. Obgleich er mit rauer Zunge sprach, so war er noch nie ein Sohn der Höflichkeit gewesen, verzog sie keine Miene.

»Ihr Schiff. Sie. Etwas, das Sie bei sich tragen. Etwas, das Ihnen bevorsteht.« Ihre Stimme klang eigenartig. Sie war tief und gleichzeitig hörte es sich an, als würde ihr das Volumen in den schwachen Lungen fehlen, um ihren Worten angemessenen Gehalt zu verheilen. Flüsternd. Zischend. Niemals hatte er jemanden so sprechen gehört. Schon gar keine Frau.

Als er schwieg, verzogen sich ihre rot bemalten Lippen zu einem kühlen Lächeln, das ihm voller falscher Freundlichkeit zu sein schien. »Ich bin neugierig. Auf Sie. Auf ihre Geschichte.«

Kicherte sie? Das Geräusch erinnerte ihn allzu sehr an das einer Klapperschlange, die mit dem Rascheln ihres Schwanzes eine drohende Gefahr ankündigte.

»Ich bin ein alter Mann«, erwiderte Ansgar und kratzte sich den grauen Vollbart. Etwas an dieser Frau stimmte nicht. Aber die Götter wollten ihm nicht verraten, was es war. Noch nicht.

Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie eine Gruppe Fischer ihn anstarrte und teilweise hinter vorgehaltener Hand miteinander tuschelte. Da es unmöglich sein konnte, dass die Männer das seinetwegen taten, immerhin war er auf dieser Insel nicht zu Hause, schloss er darauf, dass es der Unbekannten wegen war. Wahrscheinlich war sie nicht nur für ihn seltsam und die Bewohner dieses Eilands mieden sie aufgrund ihrer Andersartigkeit. Und weil er sich nun dazu herabließ, sich mit ihr zu unterhalten, hielten sie ihn für verrückt. Ja, so musste es sein.

Vermutlich war es also besser, wenn er schnell das Weite suchte und sich nach dem Aufenthaltsort des Bürgermeisters erkundigte, um ihn über seinen Fund in Kenntnis zu setzen.

Er wollte sich an der kleinen Gestalt vorbeischieben, doch sie stellte sich ihm in den Weg.

Wütend funkelte er sie an. »Was soll das werden?«, gab er dunkel von sich und zog verärgert die Augenbrauen zusammen. »Wer glaubst du zu sein, dass du mir den Weitergang verwehrst? Mit einem alten Mann treibt man keine Spielchen! Haben dir deine Eltern wohl nicht eingeprügelt, was?«

Anstatt einer Antwort oder einer Reaktion auf seine barschen Worte hob das Weib die Hand und legte sie auf den Stoff seines Hemdes oberhalb seiner Brust. Ihre schmalen Finger waren warm. Ungewöhnlich warm, als würde ein Fieber ihren kleinen Körper heimsuchen und von innen heraus verzehren.

»Männer und Frauen gaben mir einst einen Namen und doch sind seine Laute nicht genug, um mich zu bannen.« Ihre Hand verkrampfte. Die Sehnen traten weiß hervor, ehe sie sie wieder sinken ließ. Auf der Baumwolle seines Hemdes befand sich ein dunkler Abdruck, als wäre ihre Handinnenfläche von Ruß beschmutzt gewesen. »Man nennt mich Asifa.« Die letzte Silbe hallte im Wind nach, der erneut nach den Wellen ihres dunklen Haares griff. Dann trat sie beiseite. »Gehen Sie ruhig, Ansgar. Ich bin neugierig, ob ihr Vorhaben von Erfolg gekrönt sein wird.

Wieder lächelte sie. Ein eiskaltes Lächeln. Es schauderte ihn.

Woher kannte das Weib seinen Namen? Er war sich sicher, ihr noch nie begegnet zu sein! Statt nachzufragen, setzten seine Beine sich in Bewegung. Bloß weg von hier.

Weg von ihr, das war es, was ihm durch den Kopf ging.

Er konnte ihren Blick in seinem Rücken brennen spüren. Selbst als er um die nächste Ecke bog, dann um noch eine und noch eine, fühlte es sich so an, als beobachtete sie ihn noch immer, weshalb er stehenblieb und über seine Schulter sah. Doch sie war nicht mehr da. Er schüttelte seinen verkrampften Körper und mahnte sich, zur Besinnung zu kommen. Was war los mit ihm? Seit wann ließ er sich von kleinen Frauen verunsichern?

Sein Eheweib, Evangeline, war stets die Einzige gewesen, von der er sich hatte beeindrucken lassen. Ihre Präsenz war so charismatisch, so stark, so selbstbewusst gewesen, dass selbst der Frauenschläger von nebenan niemals auch nur die Stimme gegen sie erhoben hatte.

Nicht, dass Ansgar die seltsame Fremde tatsächlich mit seiner verstorbenen Geliebten vergleichen wollte. Nein, das wollte er ganz sicher nicht. Die kleine Frau war ihm allzu kalt und herzlos erschienen, gänzlich anders als Evangeline, die zu Lebzeiten stets ein sanftes Lächeln auf den Lippen und warme Worte auf der Zunge getragen hatte.

Es war nicht schwer, die Residenz des Bürgermeisters ausfindig zu machen. Diverse Schilder deuteten ihm den Weg zum Rathaus, sodass er das markante Gebäude, das die Größe einer kleinen Villa besaß, schnell erreichte.

Als er es betrat, schlug Unwohlsein auf seinen Magen nieder. Die sauberen Räume, der fast schon sterile Geruch ... dieser Ort hätte seinem Zuhause, dem offenen Meer, nicht fremder sein können. Doch er zwang sich dazu, nicht schlagartig die Flucht zu ergreifen. Immerhin war er hier, um etwas Furchtbares abzuwenden. Seine Hand fasste in seine Westentasche und zog die Schriftrolle daraus hervor, während er sich der Rezeption annäherte.

Eine rundliche Frau mit Nickelbrille sah zu ihm auf. Ihre Stupsnase kräuselte sich. »Kann ich Ihnen behilflich sein, der Herr?«

Irrte er sich oder heftete sich ihr tadelnder Blick tatsächlich auf den dunklen Abdruck, den die Hand der seltsamen Frau auf seinem Hemd hinterlassen hatte? Hastig fuhr er mit seinem Ärmel darüber, um die schmutzigen Spuren zu beseitigen, und als ihm das nicht gelingen wollte, zog er seinen Mantel enger zusammen. Ihre Mundwinkel verzogen sich dennoch zu einem leicht angeekelten Ausdruck.

»Muss mit dem Bürgermeister sprechen«, nuschelte Ansgar in seinen Bart hinein, froh darum, dass ihn die Dame in Bluse und Rock trotzdem verstanden zu haben schien.

»Er befindet sich gerade in einer Be...«

»Es eilt!«, fuhr er ihr dazwischen und donnerte die freie Faust auf die Theke. »Um Leben und Tod geht es hier! Lassen Sie mich nicht zu ihm, durchkämme ich eben jede dieser hässlichen Türen, bis ich ihn selbst gefunden habe!« Sichtlich erschrocken sank die Arme in sich zusammen, griff dann aber zu dem verkabelten Telefon und wählte eine Nummer. Sie nahm wohl an, er könnte sie nicht verstehen, weil sie so leise sprach, aber er schnappte die Worte »Ein Verrückter« und »Soll ich den Wachdienst rufen?« trotzdem auf. Er sagte allerdings nichts dazu, sondern wartete geduldig, das Papier in den zittrigen Fingern.

Schließlich öffnete sich eine der Türen und ein Mann trat zu ihnen. Den schmalen Körper in einen dunkelblauen Anzug gehüllt, musterte er Ansgar voller Misstrauen. »Kein Grund, dass sie meiner treuen Dolly einen solchen Schrecken einjagen, Sir«, eröffnete er das Gespräch und richtete dabei seinen Kragen.

Wie Ansgar Menschen dieser Art hasste. Aalglatt war er und hielt sich für etwas Besseres. Er ahnte schon jetzt, worauf diese Unterredung hinauslaufen würde. Dennoch wagte er es, ihm die Schriftrolle entgegenzuhalten und sie vor seiner Nase zu schwenken. »Ich habe eine wichtige Botschaft dabei! Und Sie sollten mir besser Glauben schenken, denn sie wurde mir von den Göttern gesandt! Sie wollen mir noch eine Aufgabe geben, bevor ich ins Gras beiße und meine Haut zu modriger Erde zerfällt.«

Der Bürgermeister rückte seine Brille auf seiner Nase zurecht und kniff die Augen zusammen, als wollte er der unheilvollen Botschaft auf dem Pergament tatsächlich einen Blick schenken.

»Woher haben Sie das?«, fragte er schließlich, nach einigen Sekunden, die Ansgar wie eine kleine Ewigkeit erschienen waren. Sein Fokus richtete sich auf seine Sekretärin. »Dolly, ich muss Sie leider bitten, den Sicherheitsdienst zu rufen. Offenbar haben wir es mit einem Diebstahl zu tun.«

»Schwachsinn!«, polterte Ansgar darauf los und schenkte der drallen Molly einen warnenden Blick. »Kein Diebstahl! Hab das Teil in ner alten Hütte gefunden. Sie sollten lieber fragen, was darinsteht, anstatt mich abführen lassen zu wollen!«

Der Bürgermeister des Ortes hob beschwichtigend die Hände. »Bitte beruhigen Sie sich. Es gibt keinen Grund, ausfallend zu werden. Wir sollten die Arbeit an diesem Papyrus den Forschern und Gelehrten überlassen, die mit der angemessenen Handhabung eines solchen Stückes vertraut sind, meinen Sie nicht?« Er streckte die Hand danach aus. Ganz so, als würde er verlangen, dass Ansgar es ihm aushändigte.

Aha. Also hatte der Kerl zumindest doch so etwas wie historisches Wissen zu bieten. Ahnung hatte er deshalb allerdings noch lange nicht.

Ansgar betrachtete das fasrige Papier in seiner Hand. Dann stammte es also offenkundig von den Ägyptern und irgendein Gott aus diesem Land hatte ihn zu dem halb verfallenen Häuschen gelotst. Ihm sollte es recht sein. Im Grunde war es egal, wer ihm die schicksalhafte Aufgabe auferlegt hatte, wichtig war nur, dass er sie auch erfüllte.

»Dort steht etwas von einem Sturm, der die Insel zerstören wird«, raunte er. »Und ich bin gekommen, um euch zu warnen. Nehmt diesen Hinweis für bare Münze und verlasst dieses Eiland, ehe es zu spät ist!«

»Sicherlich.« Das Lächeln des Bürgermeisters sah keineswegs einsichtig aus. Allenfalls mitleidig.

»Warum setzen Sie sich nicht auf eine der Bänke hinten am Empfang, hm?« Er deutete in eine Richtung, in der Ansgar am Rande der Halle ein paar unbequem aussehende Sitzgelegenheiten ausmachen konnte. "Ich lasse Ihnen eine Tasse Kaffee kochen. Und dann erzählen Sie mir, wie Sie auf die Idee mit dem Sturm kommen."

Er nickte in Richtung seiner Sekretärin, die allerdings keine Anstalten machte, Wasser aufzusetzen, sondern auf ein wiederholtes Deuten seines Kopfes erneut zu dem schwarzen Telefonhörer griff.

»Ihr denkt, ich bin der Wahnsinnige, dabei seid ihr diejenigen, die ihren Verstand verloren haben, wenn ihr mir nicht glaubt!«, brüllte Ansgar außer sich. Noch nie war er einer gewesen, der sein Temperament gut zu zügeln gewusst hatte. Und im Angesicht solcher Lackaffen gelang ihm das schon dreimal nicht. Weshalb hörten sie nicht einfach auf ihn? Er meinte es doch nur gut! »Der Sturm wird kommen und ...«

Er unterbrach sich selbst, als ihm plötzlich ein Licht aufging. Der Sturm. Asifa. Der Sturm. Asifa.

Der Name bedeutete im Arabischen nichts anderes als das! Konnte es sein? War es wirklich möglich, dass die kleine, seltsame Frau den Untergang über diese Insel bringen würde?

Er fasste sich an seine Brust. Genau an die Stelle, die Asifa gut eine Stunde zuvor berührt und an der sie einen dunklen Handabdruck zurückgelassen hatte. Der schwarze Fleck war verschwunden. Vielleicht war es tatsächlich nur Ruß gewesen und der Wind hatte ihn auf seinem restlichen Weg davon geweht. Oder aber ... bei allen Göttern, die über diese Erde regierten oder sie verdammten! Sie hatte gewusst, wie er hieß, hatte gewusst, was er vorhatte, was er bei sich trug ... ihr seltsames Gefasel, die dunklen Augen und das unnatürlich herzlose Lächeln.

Ansgar war sich sicher. Er war einer Dämonin begegnet.

Die Schriftrolle noch immer in den Händen trat er auf den Bürgermeister zu und fasste ihn an beiden Schultern. Er nahm ihn mit seinem Blick gefangen. »Hören Sie mir jetzt ganz genau zu, Mann. Auf Ihrer Insel treibt sich eine Ausgeburt der Hölle herum. Sicherlich wissen Sie, von wem ich rede! Die kleine, dunkelhaarige Frau, die den Namen Asifa trägt!«

Die Augen seines Gegenübers weiteten sich erschrocken.»Afisa, natürlich.« Hilfesuchend glitt sein Blick zurück zum Empfangstresen der Sekretärin, der ein entsetztes Keuchen entwich. »Ich muss Sie dringend bitten, Ihre Hände von mir zu nehmen, Herr ...«, erfragte er seinen Namen. »Und dann berichten Sie mir, wo se diese Frau glauben, gesehen zu haben.«

Auch wenn der Sinn seiner Worte einsichtig klang, sein Tonfall war es keineswegs. Ansgar knurrte. Am Rande seines Sichtfeldes nahm er eine Bewegung in einem der großen Fenster wahr und sein Fokus zuckte hinüber.

Zuerst glaubte er nicht genau zu erkennen, welche Silhouette sich hinter den verwaschenen, alten Buntglasfenstern abzeichnete, doch dann war er sich plötzlich sicher.

Da stand sie. Die kleine, zierliche Gestalt mit dem eiskalten Lächeln auf den roten Lippen sah ihm ungerührt dabei zu, wie er versuchte, die Insel vor ihr zu retten. Er wollte den Bürgermeister bereits loslassen und auf sie zeigen, als zwei dunkel gekleidete Männer hinter ihr entlangeilten. Sie sahen aus wie Wachpersonal.

Verflucht! Unter dem Schreibtisch der Sekretärin musste ein Alarmknopf versteckt gewesen sein, oder aber, sie hatte doch noch unbemerkt zum Telefon gegriffen.

Ansgar stieß den Bürgermeister von sich. »Ihr habt es so gewollt! Dann werdet ihr eben alle untergehen! Ihr Narren!«, blaffte er ihn an, ehe er wahllos in eine Richtung davon stürmte.

Seine letzten Monate oder Jahre gedachte er sicherlich nicht in einer Gummizelle und in Zwangsjacke gehüllt zu verbringen. Sollten diese uneinsichtigen Menschen doch ihr Ende finden. Er hatte es versucht. Das hatte er wirklich. Mochten die Götter ihm verzeihen.

Endlos lange Korridore zogen an ihm vorüber, hinter jeder Tür, die er öffnete, lagen Büroräume und nicht die Weite der kleinen Stadt. Er dachte schon, er hätte verloren.

Die Sache schien ausweglos.

Soll ich so in die Geschichte eingehen? Nicht als Held, sondern als Verrückter? Wollt ihr das?, brüllte er im Stillen der höheren Macht entgegen, die ihn erst zu der Übernahme dieser Aufgabe verleitet hatte. Verhöhnt ihr mich? Einen armen, alten Mann?

Doch genau in dem Moment, in dem der letzte seiner Gedanken in seinem Kopf verhallt war, erreichte er die letzte Tür. Er traute seinen Augen nicht, als diese ihn tatsächlich ins Freie führte. Fast schon unbeholfen musste er aussehen, wie er nach draußen stolperte.

Ein kurzer Blick über seine Schulter, dann rannte er los. So schnell wie es ein Mann seines Alters eben vermochte. Doch weit kam er nicht, bis die Dämonin sich ihm in den Weg stellte. Er war gezwungen stehenzubleiben, wollte er sie nicht umrennen.

»Verschwinde!«, keuchte er atemlos und bekreuzigte sich. »Du willst diese Insel in ihr Verderben stürzen? Nur zu! Diese uneinsichtigen Menschen haben es nicht anders verdient! Aber lass mich ziehen! Mich, einen Greis, der seine letzte Zeit in Frieden und nicht von einer Teufelsbrut besessen verbringen will!»

Abfällig schnalzte sie mit der Zunge. »Du hattest deine Chance, Ansgar.» Oh, wie sie die Silben seines Namens in die Länge zog. Voller Hohn und überlegener Herablassung. »Du wolltest die Menschen warnen, aber war es wirklich um der Menschen willen? Oder nur, um deinem Leben den Hauch von Bedeutung zu verleihen, der ihm immerzu gefehlt hat?»

Sie trat nahe an ihn heran. So nahe, dass er ihren heißen Atem auf der Haut seines Gesichts spüren konnte. Er roch nach Schwefel. Ihr Blick bannte ihn. Als er genauer hinsah, erkannte er die unnatürliche Form ihrer Pupillen in ihren schwarzen Augen. Sie waren geschlitzt, wie die einer Katze. Einer Echse.

Ihm wich die Luft aus den Lungen. Unfähig, nur den kleinen Finger zu rühren, schloss sich ihre heiß glühende Hand um seine, die noch immer die Papyrusrolle umklammert hielt. Zuerst dachte er, sie würde versuchen, ihm ungewollt ihre Lippen aufzupressen, doch dann trat sie einen Schritt zurück. Das Pergament hielt sie in der Hand und Ansgar musste schmerzlicher Weise realisieren, dass die seine leer war.

Wieder lächelte sie. Dieses furchtbar kalte Verziehen ihrer Mundwinkel, von dem er realisierte, dass es nichts Menschliches mehr an sich hatte. Nie gehabt hatte. Dann wandte sie den Blick zu einem der entfernten Hügel, die das Zentrum der Insel markierten. Ein Grollen schien die Erde zum Erbeben zu bringen.

Als sie ihn wieder ansah, waren ihre Augen vor entzückter Erregung geweitet. »Lauf Ansgar!»

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. »Scheiß auf die Schriftrolle!«, raunte er, dann nahm er die Beine in die Hand und jagte los. Bloß runter von dieser verlorenen, gottverlassenen Insel. Weg von der Dämonin, bevor sie ihn verspeiste.

Er rannte und rannte, bis er nicht mehr konnte. Fluchend und seine alten Knochen verwünschend, musste er stehenbleiben, sog gierig die Luft in seine Lungen und stützte die Hände auf den Oberschenkeln ab. Wie weit war er gekommen? Er musste doch sicher schon fast am Strand sein. Oh, noch nie zuvor hatte er sich so sehr danach gesehnt, seine Jolle zu besteigen und hinaus aufs Meer zu segeln. Das Festland und die Inseln hatten ihm zumeist doch nur Schmerz und Leid gebracht. Vielleicht war es besser, nie wieder einen Fuß auf feste Erde zu setzen. Ja, vielleicht sollte er einfach draußen auf dem offenen Ozean bleiben und dort seiner übrig geblieben Zeit entgegensehen.

Nur eine Sekunde später wurde ihm bewusst, dass sein Ende schon näher war, als er geahnt hatte. »Das ... das kann nicht sein!«, gab er von sich, die Stimme zittrig wie seine Hände.

Asifa stand noch immer vor ihm. Er hatte sich keinen Zentimeter vom Fleck gerührt. Aber er war doch gerannt! Bei Gott, er hatte gespürt, wie seine Füße Schritt um Schritt über den Erdboden geflogen waren! Seine Lunge hatte gestochen, seine Muskeln nach einer Pause gefehlt!

»Geht dir die Puste aus, alter Mann?«, fragte sie gehässig, als würde sie sich an seiner Furcht weiden. »Was machst du noch immer hier? Nur zu.« Abermals trat sie beiseite, gab den Blick auf die Gasse frei, in der er sich noch immer befand. Oder... Nein. Seine Aufmerksamkeit sog sich an den unweit gelegenen Hügeln fest, über denen sich der Himmel zusehends verdunkelt hatte.

»Dir läuft die Zeit davon, wie der Sand in einem Stundenglas. Die feinen Körner sind nicht viel größer als Staubpartikel und fallen doch ungehindert durch die Engstelle hinunter. Es ist nicht mehr viel davon übrig, Ansgar«, schnurrte ihre Stimme an seinem Ohr.

Das grelle Leuchten eines Blitzes durchschnitt den grauen, wolkenverhangenen Himmel. Das Himmelsfeuer schlug unmittelbar ins Gipfelkreuz der Erderhebungen ein. Ein neues Donnern erfüllte die Luft, machtvoll wie die wütend ausgeführten Trommelschläge eines zornigen Gottes. Doch dann mischte sich etwas Neues in die unheilige Düsternis. Das Rot flackernden Feuers.

Bäche aus flüssiger, zäher Glut bahnten sich ihren Weg die Hügel hinab, versengten alles, was sich ihnen in die Quere stellte.

Er fiel auf die Knie, wusste er doch, das Kämpfen machte keinen Sinn mehr. »Wie ist es? Das Leben nach dem Tod? Was erwartet mich, wenn ich meine Augen für immer schließe?«, fragte er flüsternd mit brüchiger Stimme.

Anstelle ihm eine Antwort zu geben, strich sie mit ihrer Hand beruhigend über das ergraute Haar seines Hauptes. «Du wirst es herausfinden, alter Mann. Bald.»

Dann trat sie vor ihn. Ihre dunklen Umrisse zeichneten sich scharf vor dem lodernden Inferno ab. Seine Sicht verschwamm. Ihre Silhouette löste sich auf, verschmolz mit dem grausamen Spiel aus Licht und Schatten um ihn herum. Eine Böe zerstob ihre Reste, trieb ihm die feinen Partikel aus Ruß und Funken ins Gesicht, während zeitgleich ein saurer Regen seine Haut benetzte.

Da hätte Schmerz sein müssen, doch er spürte nichts als Erleichterung. Im Grunde war es ihm schon lange klar gewesen - seine Zeit auf dieser Erde war vorüber.

In einem letzten Anflug von Wahn setzte sich ein neues Bild vor seinen müden Augen zusammen.

»Evangeline«, hauchte er den Namen der Frau, die auf ihn gewartet hatte.

Sie reckte ihm den Arm entgegen, warm lächelnd und mit Zügen so weich, wie er sie in Erinnerung hatte. »Dein zerrütteter Verstand soll sich endlich zur Ruhe betten können, Liebster.«

Ansgar gab sich ihr hin und alles um ihn herum zerfiel zu Staub und Erinnerungen.

Wochen später las man in der Zeitung von ihm. Kein Wort irgendeiner Heldentat. Die Zeilen waren von Trauer gerühmt, Denn er war der Einzige gewesen, der dem Vulkanausbruch zum Opfer gefallen war. Alle anderen Bewohner hatten sich gerettet, sobald die sich ersten Anzeichen bemerkbar gemacht hatten. Nur der alte Ansgar Johannsen war geblieben.

»Wie tragisch«, wandte eine Frau sich an ihren Gatten und legte die Zeitung wehmütig seufzend auf ihrem Schoß ab. »Was muss der gute Mann begangen haben, damit Gott ihn auf diese Art bestraft? Erst verliert er sein Weib, dann erkrankt er an Alzheimer.« Sie schüttelte den Kopf. »Man hätte meinen sollen, er wäre es gewesen, der alles vergisst, doch am Ende haben alle anderen ihn vergessen und das war des armen Mannes Todesurteil.«

»Immerhin eine Sache hat er der Nachwelt dennoch hinterlassen können«, warf ihr Gegenüber ein, um ihr zumindest einen Teil ihrer Melancholie zu nehmen. »Ein Wunder, dass die ägyptische Schriftrolle das Inferno überlebt hat. Johannsen hat sie wohl mit seinem Leib geschützt.«

Von: Trude441

Von: Universediver


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