𝟡. 𝕊𝕔𝕙𝕝𝕖𝕔𝕙𝕥 𝕘𝕖𝕝𝕒𝕦𝕟𝕥
Die Blätter färbten sich rot, orange, gelb und braun. Der ganze Fußgängerweg und ein Stück der Straße war mit ihnen bedeckt und ich wäre zweimal beinahe ausgerutscht. Es hatte geregnet und so schlitterte ich auf meinem Fahrrad bis zum Lustig.
»Das ist eine echte Gefahr«, murmelte ich, als ich mein Rad anschloss.
Maike machte im Oktober ein unbezahltes Praktikum auf einer Wetterstation. Sie wollte möglichst viel ausprobieren, da sie nicht wusste, was sie nach ihrem Jahr Pause machen sollte. Sie hatte anscheinend eine Dokumentation gesehen, die sie auf die Idee gebracht hatte, bei einer Wetterstation in der Nähe anzurufen.
Am Vormittag zeigte Lorenzo mir, wie er Waffeln machte. Lena und Noel, die Aushilfe, waren im Caféraum und bedienten die Gäste. Lorenzo und Lena zeigten mir nach dem Mittagseinbruch, wie sie mit den Finanzen umgingen, was sie einkaufen mussten und erzählten, dass sie sich ab und zu mit Unternehmern aus dem Gastro-Bereich trafen. Außerdem verteilten sie manchmal Flyer in der Umgebung und in fremden Städten und Orten.
»Habt ihr schon mal über eine Instagramseite nachgedacht?«, fragte ich. »Das machen viele, um Werbung für sich zu machen. Damit begeistern sie vor allem junge Leute.«
»Ja, das ist eine gute Idee, aber«, fing Lena an.
»Wir kennen uns leider nicht mit Technik aus«, beendete Lorenzo den Satz.
»Maike und ich könnten das doch übernehmen!«, schlug ich begeistert vor.
»Echt? Das würdet ihr?« Lenas Gesicht erhellte sich.
»Klar! Wir könnten Bilder von außen und von innen machen und vielleicht auch von dem Dorf generell. Und wir könnten die Follower quasi digital bei einem Arbeitstag mitnehmen. Das wirkt immer so sympathisch. Und -« Ich sprühte vor Ideen und ließ alles raus. Als ich Atem holte, unterbrach Lorenzo mich.
»Das klingt toll. Sobald du anfängst, kannst du die Inhalte mit uns absprechen.«
»Das ist echt cool.«
»Wir finden es toll, dass du so viel Engagement zeigst, Levi.« Lorenzo legte eine Hand auf meine Schulter und Lena schenkte mir ein Lächeln. »Niemand ist so engagiert dabei wie du. Alle, die bei uns ausgeholfen haben, waren immer nur halbherzig dabei. Abgesehen von dir und Maike.«
»Selbst Michi hat sich nicht so reingehängt wie du«, stimmte Lena zu.
Es klopfte an der Tür zu dem Arbeitsraum.
»Ja?«
Noel machte vorsichtig die Tür auf. »Ich wollte nicht stören, aber es sind ganz schön viele Menschen da«, sagte er. »Ich bräuchte ein bisschen Hilfe.«
»Ich mach das schon«, bot ich an.
Lena und Lorenzo segneten das mit einem Nicken ab. Während ich Kunden bediente, grinste ich breit. Lena und Lorenzo waren begeistert von einer Idee, die mir ganz spontan gekommen war. Am späten Nachmittag stolzierte Maike durch die Tür. Sie war verschwitzt und ließ einen schweren Rucksack auf dem Boden fallen.
»Das war anstrengend«, sagte sie.
»Hi Maike.«
Hinter ihr kam gerade ein weiterer Gast in das Café, weshalb Maike zur Seite trat, um Platz zu machen. Dominik Winkler drängte sich an ihr vorbei. Mein Mund klappte auf, dann schloss ich ihn und öffnete ihn gleich darauf wieder. Nein. Dominik stand im Lustig, in dem Café, das ich liebte und in dem ich arbeitete. Dominik warf Maike einen bösen Blick zu und suchte sich dann einen Platz, während er vor sich hinmurmelte. Das klang nicht gut.
»Geh hin«, flüsterte Maike. »Ach warte, du willst gar nichts von ihm, auch wenn du total verknallt bist. Dann geh trotzdem hin. Immerhin ist er dein Kunde.«
Ich ließ Dominik ein wenig Zeit, um anzukommen, dann näherte ich mich der Gefahrenzone.
»Verfluchter, verdammter Mist«, fluchte er.
»Hallo, kann ich dir was bringen?«, fragte ich zaghaft. Beim Klang meiner Stimme blickte Dominik langsam auf.
»Levi?« Erstaunt und mit großen Augen schaute er mich an.
»Ja, Dominik.«
»Du bist hier?«
»Ich arbeite hier.«
»War Michael nicht immer hier?«
»Das Café gehört seinen Eltern und sie haben mich eingestellt«, erklärte ich.
»Ich hätte gerne einen Kaffee und einen, ach keine Ahnung, überrasche mich«, brummte er.
»Also etwas Süßes? Waffel, Muffin, Cookie, Gebäck?«, schlug ich vor.
»Ist mir egal. Bring etwas mit.«
Ich unterdrückte ein Stöhnen und ging nach vorne, wo ich die Kaffeemaschine bediente. Verdammt, was sollte ich ihm zusätzlich bringen? Ich entschied mich für eine der Waffeln, die Lorenzo und ich vorhin gemacht hatten und streute Puderzucker darüber. Dann brachte ich sie und die Tasse Kaffee zu Dominik.
»Ich hasse es«, stieß er aus.
»Was? Kaffee?« Michi und Maike mochten beide auch keinen Kaffee. »Oder die Waffeln? Ich kann dir auch Kekse bringen. Oder einen Muffin.«
»Nicht das. Ich hasse diese neue Choreo.« Dominik legte seinen Kopf in seine Hände. Die Ellbogen stützte er auf dem Tisch ab.
»Oh. Ich würde mich gerne zu dir setzen, aber ich muss arbeiten«, sagte ich. »Ich kann leider nicht mitten in meiner Schicht aufhören, so gern ich dir auch zuhören würde.«
»Ich mach das schon, Levi«, erklang da die Stimme von Maike direkt hinter mir und jagte einen Schauer über meinen Rücken.
»Echt?«
»Ja, ich kümmere mich um ihn und du um die Kunden.«
»Meinetwegen.«
Maike setzte sich zu Dominik. Während ich weiterarbeitete, sehnte ich mich nach dem Ende meiner Schicht. Ich warf immer wieder Blicke zu Maike und Dominik. Maike hörte Dominik zu. Wahrscheinlich erzählte er ihr und nicht mir gerade seine tiefsten Geheimnisse. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und schaute sie grimmig an, bis meine Schicht endlich endete. Abends war sowieso meistens nicht so viel los. Noel durfte sich also frei entscheiden, zu bleiben oder zu gehen.
Ich wartete nicht, bis ich wusste, was er tat. Es interessierte mich kaum. Ich marschierte zu den beiden und quetschte mich neben Dominik, so nah, dass sich unsere Schultern berührten, was mich ganz verrückt machte.
»Also, was ist los? Was habe ich verpasst?«, fragte ich.
»Dominik hat sich mir nicht geöffnet. Er wollte mir nichts erzählen«, sagte Maike.
»Und worüber habt ihr dann geredet?«, fragte ich erstaunt.
»Dominik wünscht sich die alten Zeiten zurück, als alles so einfach war, kurz: Schulzeiten. Ich gehe dann mal. Ihr habt bestimmt zu reden.« Maike erhob sich unelegant von ihrem Platz gegenüber von uns.
»Also, was ist los?«, fragte ich. Nun klang ich nicht mehr so böse, sondern ganz sanft. Dominik rutschte um die Ecke, sodass wir uns besser in die Augen sehen konnten.
»Mich nervt nur meine Ausbildung«, begann er.
»Was machst du denn?«, fragte ich, als ob ich es noch nicht wüsste.
»Ich gehe auf die Tanzschule und lerne da alle möglichen Stile. Ich besuche Kurse von Ballett bis zu Hip Hop.«
»Und wo ist deine Tanzschule?« Natürlich wusste ich es schon, doch das sollte er ja nicht wissen.
»Hier im Ort. Dadurch spare ich Mietkosten. Und wenn ich hier professionell und gut tanzen lerne, kann ich irgendwann auf eine andere Tanzschule wechseln und nebenbei Geld verdienen. Vielleicht werde ich dann für Shows oder Tanzvideos gebucht. Das wäre auf jeden Fall cool.«
»Und was genau bedrückt dich jetzt?«, wollte ich wissen.
»Es gibt einen Kurs, da tanzen wir moderne Tänze und mein Trainer möchte, dass ich einen Tanz tanze und dabei bestimmte Gefühle ausdrücke. Ich empfinde diese Gefühle aber nicht. Das macht es so schwer für mich.«
»Was für Gefühle sollst du ausdrücken?«, fragte ich.
»Es geht um eine Liebesszene zwischen einem Jungen und mir, aber ich finde ihn abstoßend. Einfach nur grässlich. Und er verhält sich echt schrecklich. Er beleidigt mich. Wie soll ich es da schaffen, meine Gefühle besser zur Geltung zu bringen? Mein Trainer sagt, dass ich die Choreo fast perfekt tanze, aber das bei mir einfach das gewisse Etwas fehlt. Wenn ich es nicht schaffe, meinen Tanzpart besonders zu machen, dann ersetzt er mich.«
»Das klingt ja schrecklich«, sagte ich. »Du könntest üben. Hast du nur etwas gegen diesen Jungen oder generell etwas dagegen, mit einem Jungen zu tanzen?«
»Es geht ja gar nicht unbedingt um den Jungen, sondern darum, dass ich keine Liebe für ihn empfinde. Ich muss den Tanz ja nicht üben. Ich kann ihn ja schon.«
Ich versuchte, Dominik wieder aufzumuntern, indem ich ihn von diesem Tanz ablenkte. Irgendwann stand Dominik auf.
»Ich muss gehen. Meine Eltern erwarten mich zum Abendessen.«
»Ich kann dich begleiten, wenn du möchtest«, bot ich ihm an.
»Nein, ist schon in Ordnung. Ich schaffe das auch allein.«
»Na gut, wenn du meinst.«
Sobald Dominik den Laden verlassen hatte, rannte Maike auf mich zu.
»Du bist noch hier?«, fragte ich. »Ich dachte, du wärst schon längst gegangen.«
»Ich wollte doch wissen, wie es ausgeht. Was denkst du jetzt über Dominik?«
»Ich habe Mitleid mit ihm und will ihm helfen.«
»Denkst du, er würde sich für dich ändern?«
»Er schien mich nicht besonders zu mögen.«
»Vielleicht solltest du einfach mehr Zeit mit ihm verbringen. Wenn es dich tröstet, mich hat er auch nicht gemocht.«
»Doch, bestimmt. Dich mag jeder«, widersprach ich.
»Oh nein. Amy, Michis Ex, hat mich gehasst.«
»Dann hatte sie wohl keinen guten Geschmack«, sagte ich nebenbei, während ich auf meinem Handy Julys Chat herraussuchte. Ich hatte ihn zum Glück angepinnt. »Ernsthaft, du bist toll.«
Ich schaute kurz auf, damit sie wusste, dass ich nicht scherzte. Maikes Wangen waren etwas röter als sonst, doch in ihrem Gesicht prangte das Lächeln, das sie immer trug. Meine Mundwinkel verzogen sich nach oben.
»Wir sehen uns morgen«, sagte ich. Meine Hand lag auf ihrem Arm.
»Vielleicht. Ich weiß nicht, ob ich morgen vorbeikomme.«
»Na dann sehen wir uns eben, wenn du wieder kommst.«
»Also vielleicht morgen«, sagte Maike. Sie hatte auch eine Hand auf meinen Arm gelegt.
»Grrr, du machst mich ganz verrückt.« Ich schaute sie böse an.
»Gern geschehen.« Maike grinste, dann ließ sie ihre Hand über meinen Arm bis zu meiner Hand gleiten und hinterließ eine Gänsehaut. Dann umfasste sie ganz kurz meine Finger, drückte sie und drehte sich um. Als ich alles realisiert und verarbeitet hatte, war der Lockenkopf schon verschwunden.
Draußen rief ich July an und fragte sie, ob sie vorbeikommen wollte. Sie bejahte. Wir wollten uns in einer halben Stunde bei mir treffen. Ich radelte schnell los, wobei ich auf dem mit Laubblättern gesäumten Radweg beinahe ausrutschte. Meine Finger wurden ganz steif und ich fror, als es begann, zu regnen.
Zu Hause zog ich mich sofort um. Dad und Tara verabschiedeten sich von mir. Sie wollten ausgehen. An der Tür trafen sie auf July.
»Ach hi, dich habe ich schon lange nicht mehr gesehen.« Dad nahm meine beste Freundin in die Arme. »Na, wie geht es dir?«
Sie quatschten eine Weile, bis Tara ihn nach draußen drängte und ich July zu mir holte. Ich umarmte meine beste Freundin.
»Hey, was hältst du davon, wenn wir einen Tanz lernen?«, schlug ich vor.
»Was? Warum? Du kannst doch gar nicht tanzen.«
»Ich werde dir den Grund sagen, wenn du versprichst, es nicht weiterzuerzählen. Das ist eigentlich privat.«
»Du kannst mir vertrauen, Levje.«
»Also, es geht um Dominik. Er muss einen Tanz lernen und sich dabei wohlfühlen. Und ich wollte ihm dabei helfen. Vorher will ich aber den Tanz können, verstehst du?«
»Aber natürlich. Wie geht denn der Tanz?«
Zum Glück hatte ich Dominik nach der Choreo gefragt und er hatte mir ein Video geschickt. Wir schauten es uns an und besprachen es. Dann wiederholten wir das.
»Okay, also zuerst stehen wir uns gegenüber. Der Tanz beginnt ruhig«, sagte ich. Wir streckten unsere Hände aus, beinahe berührten sie sich, doch dann drehte ich mich weg und sie machte mehrere Umdrehungen. Danach schauten wir einen weiteren Teil des Videos, tanzten ihn nach, übten das Vorherige und immer so weiter. Wir waren den ganzen Abend beschäftigt, bis wir schließlich den ganzen Tanz draufhatten.
Ich schaltete die Musik ein, die zu dem Tanz passte und so viel Gefühl ausdrückte. Zuerst streckten wir unsere Arme aus, neigten die Finger einander zu, doch hielten einen Zentimeterabstand zwischen unseren Händen. Dann tanzten wir umeinander herum, immer kurz davor, die Hand der anderen Person zu berühren. Wir stützten uns ab, ich fuhr über Julys Schulter, unsere Beine kreuzten sich einmal, doch erst ganz am Ende, als die Musik ihren Höhepunkt erreichte und eine Sekunde stoppte, berührten sich endlich unsere Fingerspitzen und der letzte Ton, ein ruhiger, friedvoller, setzte ein. Ich spürte die Funken in unseren Fingern.
So musste es auch bei Dominik sein. Er musste eine Verbindung zwischen sich und seinem Partner spüren. Konnte ich es schaffen, das bei ihm zu bewirken?
»Das hat Spaß gemacht. Danke, July. Wie lange kannst du bleiben?«
»Ich habe noch frei. Ich muss morgen nicht früh raus.«
»Dann können wir ja einen Film schauen.«
»Gerne.«
Ich suchte eine DVD heraus.
»Ach, da fällt mir ein, dass ich am Samstag meinen Geburtstag und meinen Abschied feiere.«
»Abschied?«, fragte ich verwirrt.
»Das klingt total übertrieben. Ich meinte, ich wollte eine kleine Abschlussfeier geben, bevor mein Studium weitergeht und ich nicht mehr so viel Zeit habe.«
»Bin ich eingeladen?«
»Natürlich, Levje. Du kommst doch hoffentlich, oder?«
»Ja, natürlich.«
∆∆∆
Ich liebte das Büro meiner Mutter. July war gerade gegangen und ich fand Trost in dem Arbeitszimmer meiner toten Mutter. Ich drehte mich auf dem Bürostuhl. Dabei griff ich nach einem Text, der in einem Haufen Papier lag. Darauf standen zwei Texte, die Mom verfasst hatte. Wenn ich ihre Texte las, fühlte es sich manchmal an, als wäre sie bei mir und würde mir irgendwelche Ratschläge erteilen.
Wie kann es sein, dass wir für die Menschen, die wir lieben, alles tun würden? Auch, wenn sie uns nicht guttun. Auch, wenn sie uns toxisch behandeln. Ich will hier raus, doch je mehr ich mich der Tür nähere, desto enger ziehst du mich an dich und spielst mir vor, wie sehr du mich liebst, verhinderst eine Flucht und in dem Moment fühle ich mich geborgen, doch schon im nächsten Moment setzt das schlechte Gefühl ein, weil du mich wieder wie Mist behandelst und ich nur hier raus will, doch je mehr ich mich der Tür nähere, desto enger ziehst du mich an dich, ...
Es ist ein Teufelskreis und verdammt schwer, auszubrechen. Ich kenne kein Leben ohne deine Liebe, weil du mich nie losgelassen hast und weil ich es nie konnte. Ich habe Angst davor, nachts alleine im Bett zu liegen und zu heulen, bis mein Kopf schmerzt, weil ich zurück in deine Arme kriechen möchte, weil du mir einen unsicheren Raum geboten hast, in dem du mich viel zu schnell eingeschlossen hast, aber er war da. Wie kann ich alleine leben, wenn du immer da warst, ich deine Nähe immer gefühlt habe, schnell nach dem Handy greifen und dir schreiben konnte?
Wie soll ich ohne dich leben? Wie soll ich mit dir leben? Kurz gesagt: Du. Hast. Mich. Zerstört.
Immer bin ich es, die sich zuerst meldet, als würde ich dir nichts bedeuten. Nur ich halte an unserer Beziehung fest. Würde ich loslassen, würden wir fallen und auf verschiedenen Seiten der Erde landen und wir würden uns nie wieder sehen oder gar treffen. Ich will dich sehen, auch wenn ich weiß, dass es mir nicht guttut, dass ich mich auf andere Menschen konzentrieren sollte. Doch ich kann nicht.
So fühlte es sich zwischen Dominik und mir an. Ich wusste, dass er mir im Endeffekt nicht guttun und mir mein Herz brechen würde, wenn ich noch mehr Zeit mit ihm verbrachte, doch ich konnte mich einfach nicht von ihm losreißen, so sehr ich es auch versuchte.
Ein paar Tage später ging ich nach meiner Schicht zur Tanzschule und wartete etwa fünfzehn Minuten, bis mehrere Schüler hinausströmten. So fing ich Dominik ab. Ich konnte es einfach nicht. Ich konnte ihn nicht loslassen. Noch nicht.
Außerdem hatte ich nun diesen Tanz gelernt, dann wollte ich ihn auch mit ihm tanzen.
»Hey, hi, Dominik. Wie geht es dir?«, fragte ich.
Dominik warf mir einen misstrauischen Blick zu. »Gut so weit. Dir?«
»Auch gut. Weißt du, ich denke, wir könnten etwas machen, zusammen.«
»Wann? Jetzt?«
»Ja. Hättest du Lust?«
»Meinetwegen. Ich habe heute nichts mehr vor.«
Grinsend führte ich Dominik aus dem Dorf und ins Feld hinein.
»Ich habe deinen Tanz geübt. Wir könnten den doch tanzen, wenn du willst«, schlug ich vor.
»Du hast meinen Tanz geübt?« Ungläubig schaute Dominik mich an.
»Ja. Es hat mir sogar Spaß gemacht, auch wenn ich sonst nicht tanzen kann.«
»Oh ja, das weiß ich.« Dominik grinste. Dann führte er seine Finger über meinen Bauch, von der einen Seiten zur anderen, strich durch die Luft und verharrte vor meiner Hand. Er leitete den Tanz ein und zeigte das Leitmotiv des Tanzes: Unsere Hände, die immer kurz davor waren, sich zu berühren und es doch nie schafften. Unsere Körper, die sich auf jede erdenkliche Art und Weise streiften.
Das Verbotene löste bei mir ein unstillbares Verlangen aus, seine Fingerspitzen zu berühren.
Während wir tanzten, blendete ich alles aus und stellte mir vor, dass ich nicht mit Dominik, sondern mit July tanzte und genauso gut klappte es auch. Die Berührung unserer Hände ganz am Ende dauerte länger als vorgesehen, viel länger. Keiner von uns wollte loslassen, denn so klein diese Berührung auch war, so war sie doch auf eine besondere Weise intim.
»Wie war das?«, fragte ich Dominik.
»Mein echter Tanzpartner tanzt besser als du.« Dominik schmunzelte. »Aber es hat Spaß gemacht. Es war anders, besonders.«
»Echt?«
»Ja. Ich habe irgendetwas gespürt, verstehst du? Ich war nicht so verkrampft wie sonst, sondern viel lockerer. Und ich habe mehr auf deine, als auf meine Tanzschritte geachtet. Du hast in der Mitte einmal den falschen Fuß genutzt und vor der dritten Drehung hast du beinahe meine Hand genommen.«
Dominik listete Dinge auf, die ich beim Tanzen falsch gemacht hatte. Sie wurde immer länger und Dominik bestand darauf, dass wir meine Fehler korrigierten. Es gefiel mir. Immerhin hatte ich so die Möglichkeit, mehr von Dominik zu kriegen, öfter über seine Arme, seinen Bauch zu fahren. Obwohl ich Dominiks Stil überaus faszinierend fand, auch wenn er Jogginghose und Shirt trug, wünschte ich mir, er würde heute gar nichts tragen. Nur seinen Zylinderhut, der gehörte eben zu ihm. Sofort verscheuchte ich den Gedanken. Schließlich war Dominik zufrieden.
»Wollen wir eine Runde gehen?«, fragte er.
»Ja, gerne.«
»Gut, ich kann mich besser konzentrieren, wenn ich laufe. Folgendes. Ich hasse mich.«
»Was?«, fragte ich. »Das kam gerade unerwartet.«
»Lass mich ausreden. Ich hasse mich dafür, dass ich so ein mieses Arschloch gewesen war. Damals. Und es auch heute noch manchmal bin. Als ich dich die letzten Male gesehen habe, ist mir klar geworden, welche Möglichkeiten ich hatte. Ich hätte einen Freund haben können, verstehst du? Du hättest mein Freund sein können, aber ich war schrecklich.«
»Ich glaube nicht, dass wir je zusammengekommen wären«, gebe ich zu.
»Darum geht es mir ja. Das konnten wir gar nicht, weil ich ein Arschloch war. Ich habe mir Bücher gekauft, mir Artikel durchgelesen, Dokus geschaut, die alle um Transsexualität gehen und ich fange an, zu verstehen, was in dir vorging und vorgeht. Ich bin reifer geworden und ich kann absolut nachvollziehen, wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben möchtest. Aber ich will, dass du Bescheid weißt.«
Warum? Warum ausgerechnet jetzt? Ich war gerade auf einem guten Weg, mich zu entlieben und ihn von mir fernzuhalten. Der Entliebungsplan musste her.
»Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll«, sagte ich.
»Wüsste ich wohl auch nicht.«
Unsere Handrücken streiften sich und augenblicklich wurden meine Hände schwitzig.
»Erzähl mal, was läuft gerade in deinem Leben?«, wechselte Dominik das Thema.
Ich berichtete ihm von dem Festival, meiner Arbeit und von meinen Freunden.
»Michi und Toni sind immer noch zusammen? Ich dachte, die hassen sich so sehr, dass sie sich wieder trennen.« Dominik grinste versonnen.
»Nein, die hasslieben sich.« Ich schmunzelte. Wir schlenderten durch das Feld und Dominik erzählte mir, was er in den letzten Jahren erlebt hatte.
Nach ein paar Stunden kehrten wir mit dreckigen Schuhen zurück auf die Straße, liefen zur Tanzschule und verabschiedeten uns dort.
Sobald ich zu Hause war, ging ich auf Instagram und schrieb einen Beitrag.
Hi Leute,
ich habe das Gefühl, alles geht gerade etwas schief. So wollte ich das alles nicht. L hat mir gestanden, dass sie mich mag. D hat mir gestanden, dass er anfängt, mich zu mögen, so wie ich bin. Und mein Herz spielt natürlich verrückt. Ich will nicht, dass es schon wieder gebrochen wird.
Ich glaube, es ist das Beste, wenn ich beiden keine Hoffnungen mache und beiden sage, dass es nichts wird.
Wie steht es bei euch? Seid ihr glücklich oder unglücklich verliebt?
Levi
Ich las drüber und schickte den Text mit einem Bild von dem Feld, in dem Dominik und ich vorhin entlangspaziert waren, ab. Als hätte Angeko nur darauf gewartet, dass ich etwas Neues postete, ploppte kurz darauf ein Kommentar von ihm auf.
Ernsthaft. Soll dir irgendwer glauben? Das schreibst du nur, damit du mehr Leser bekommst. Nichts davon ist wahr. Oder steht L etwa für Levi? Bist du in dich selbst verliebt? So selbstverliebt bist du also? Ich denke, niemand hätte damit gerechnet.
Du verdrehst meine Worte. Behalte deine nervigen Beleidigungen für dich. Wenn dir mein Content nicht gefällt, dann hör auf, dich damit zu beschäftigen, schrieb ich zurück.
Dann legte ich mein Handy weg.
__________________________________
Tanzt ihr gerne?
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro