𝟛𝟛. ℝ𝕖𝕚𝕤𝕖 𝕫𝕦 𝕞𝕚𝕣 𝕤𝕖𝕝𝕓𝕤𝕥
JULY
Heute war es so weit. Ich fühlte mich einigermaßen bereit. Ich würde es wagen. Ich würde warten, bis alle Gäste weg waren und danach würde ich endlich mit ihm reden.
Ich saß ganz hinten im Lustig und hatte mich in meine Jacke eingehüllt, die Kapuze aufgesetzt und einen Schal übergeworfen, sodass nicht mal Maike mich erkannte, als sie mich bediente.
Ich arbeitete an meinem Laptop für die Uni, bis Levi und Maike sich verkrümelten. Kurz nachdem sie wieder aufgetaucht waren, trat Dominik durch die Tür. Oh nein, das konnte nichts Gutes verheißen. Er würde alles zerstören. Ich musste schneller sein als er. Ich sprang auf, bezahlt hatte ich zum Glück schon, und lief los. Ich lief Levi entgegen, was er nicht richtig bemerkte, da seine Augen nur auf Dominik gerichtet waren.
»Levi!«, rief ich, doch anscheinend hörte er auch nicht. Er lief beinahe gegen mich und wich mir erst im letzten Moment aus. Ich tippte ihm auf die Schulter und hielt ihn sogar fest, doch er war in seiner eigenen Welt gefangen. Er schüttelte mich ab, rannte zu Dominik und küsste ihn.
In diesem Moment würde ich Dominik am liebsten töten. Töten und seinen Platz an dieser bescheuerten Wand einnehmen.
»Ich liebe dich, Levi«, flüsterte ich, bevor ich den Laden verließ. »Das wollte ich dir sagen, aber ich habe es vergeigt.«
Ich schaute zurück. Nun drängte Dominik Levi an die Wand. Es ging also von beiden aus. Dabei hatte ich gehofft, dass Levi doch noch Gefühle für mich übrig hatte. Ich hätte ihn geküsst. Ich hätte es sein müssen, die ihn an die Wand drückte. Ich hatte mir Hoffnungen gemacht, ich hatte überlegt, ob er sogar Interesse an mir zeigte. Er hatte mir Komplimente gemacht.
Und dann kam auch noch Maike. Die beiden wirkten so vertraut. Maike hatte ihn zum Lachen gebracht, als ich es nicht geschafft hatte. Aber sie waren nicht zusammen. Ich hatte angenommen, wenn er nicht mal mit Maike zusammen war, stand er vielleicht doch auf mich.
»July!«, rief eine Stimme hinter mir, aber nicht die von Levi. Er lief mir nicht hinterher wie in den Filmen. Für mich gab es kein fröhliches Ende. Das war Levis Geschichte, nicht meine.
»July!« Maike kam aus der Puste bei mir an und stützte sich bei mir ab, während sie nach Atem schnappte.
»Musst du nicht noch arbeiten?«
»Nein. Ich habe alles grob aufgeräumt, den Rest mache ich morgen. Ich werde extra früher da sein. Außerdem hat Noel mich abgelöst«, erklärte sie. »Ist alles in Ordnung?«
»Einigermaßen.«
»Du bist zweimal aus dem Lustig gerannt«, stellte Maike fest.
Und da erste Mal lag an Maike.
»Du liebst Levi, oder?«
Ich zuckte zusammen. »Woher weißt du das?«
»Ich habe schon immer gespürt, wenn jemand jemanden geliebt hat. Erinnerst du dich noch an die Zeit, als Toni und Michi noch nicht zusammen waren? Ich wusste es einfach. Ich wusste, dass sie zusammengehören.«
»Oh ja, ich erinnere mich sehr gut. Wir haben sie gemeinsam geschippt.« Ich grinste, als ich an diese Zeiten zurückdachte. Es waren nicht so schöne Monate, ja, Jahre, für mich, da ich noch bei meiner leiblichen Familie gewohnt hatte.
»Wollen wir zu mir?«, fragte Maike. »Du kannst auch bei Michi übernachten. Der hat bei sich immer Platz.«
»Ich – eigentlich will ich nur nach Hause«, meinte ich.
»Damit du es dir dort nur schlecht gehen lässt? Das lasse ich nicht zu.«
Maike schlang einen Arm um mich und zog mich in eine andere Richtung. Normalerweise mochte sie keine Körperberührungen. Nur bei Levi und Michi ließ sie das zu. Und jetzt auch bei mir. Weil ich verletzt war.
Maike leitete uns zu ihrem Haus und schloss die Tür auf. Dann stiegen wir hinauf in Michis Zimmer.
»Natürlich ist er nicht da«, bemerkte Maike und nahm ihr Handy heraus, um ihn zu informieren, dass ich da war. Ich schaute derweil aus dem Fenster.
»Ich habe ihn gefunden«, meinte ich und deutete hinaus. Maike folgte meinem Wink. Michi besuchte Toni und die beiden waren beschäftigt. Sie machten gerade miteinander um.
»Ich habe zu viele küssende Menschen gesehen.« Ich stöhnte.
»Ich auch.«
Maike ließ sich in die Kuschelecke fallen und ich setzte mich zu ihr.
»Seit wann liebst du Levi?«, fragte sie.
»Hat er dir erzählt, dass er in mich verliebt war? Das war mitten im Sommer. Ich mochte ihn auch. Sehr sogar. Aber irgendetwas hielt mich zurück. Ich glaube, ich habe Vertrauensprobleme wegen meiner leiblichen Eltern. Freundschaften und so weiter gehen noch. Aber ich hatte Angst vor mehr, weil ich befürchtet hatte, so wie meine Kotzeltern zu werden. Es hat lange gedauert, bis ich realisiert habe, dass ich nie so sein könnte wie sie und meine Beziehungen in dieser Hinsicht nicht kaputt gehen werden. Und jetzt ist es zu spät. Er ist mit Dominik zusammen.«
»Ich verstehe dich«, sagte Maike. Als ich zu ihr schaute, erkannte ich, dass sie wirklich versuchte, mich nachzuvollziehen. Ich glaubte, sie liebte Levi. Was hatte er nur an sich, dass alle sich in ihn verliebten? Dabei glaubte er selbst nicht mal daran, dass irgendwer ihn lieben könnte.
»Wir sollten schlafen gehen«, meinte ich.
»Du bist stark, July. Obwohl du so verletzt bist, lässt du es dir nicht mal anmerken und hast keine Träne vergossen.«
»Ich weiß nicht, ob mich das stark oder schwach macht«, erwiderte ich.
Maike lehnte sich zu mir und umarmte mich fest. »Du bist stark. Alles wird in Ordnung. Das Schicksal hält wohl eine andere Zukunft für dich bereit.«
Bedrückt verließ sie das Zimmer. Ich blieb alleine und wartete auf Michi und fragte mich, was Levi gerade machte. Er amüsierte sich bestimmt mit Dominik. Und ich fragte mich, was Maike für ihn empfand. War er für sie nur ein Arbeitskollege oder ein Freund?
Es war aus und vorbei. Ich würde Levi nie abkriegen. Ich musste mich auf etwas anderes konzentrieren.
Ich ließ meinen Blick durch Michis Zimmer schweifen und entdeckte an seiner Fotowand ein Foto von mir, als ich durch Frankreich gereist war. Ich hatte nur mit zwei Ferienjobs das Geld für diesen Trip verdient. Das war die beste Zeit meines Lebens. Das Reisen war schon immer mein Traum. Ich wollte neue Länder erkunden und neue Kulturen entdecken. Ich sehnte mich danach, meinen gewohnten Kreis zu verlassen und die Welt zu erleben. Beim Reisen hatte ich schon immer zu mir selbst gefunden. Vor allem, wenn ich gewandert war, hatte ich stärker auf meine eigenen Bedürfnisse, Wünsche, Träume und Ziele geachtet als je zuvor. Ich war das Reisen.
Als Michi durch die Falltür kletterte, sprang ich auf.
»Ich werde reisen!«, verkündete ich. Plötzlich war mir Levi nicht mehr so wichtig. Er spukte in meinem Hinterkopf herum, aber wenn ich an das Reisen und an die große Welt dachte, fiel es mir leichter, ihn zu ignorieren. »Im Sommer. Ich werde durch ganz viele Länder reisen und arbeiten und weiterreisen und wandern und neue Städte sehen und die Berge genießen. Ich will überall hin!«
Ich sprang Michi in die Arme.
»Hilfst du mir bei der Planung?«
»Was ist mit deinem Studium?«, fragte Michi.
»Das schiebe ich ein Jahr auf. Ich habe außerdem meinen Plan B. Ich kann mir überall einen Job suchen. Wahrscheinlich brauche ich sowieso etwas Kurzfristiges und wechsle dann zum Nächsten.«
»Wenn du das so möchtest, dann stehe ich dir bei. Soll ich versuchen, es dir auszureden? Es klingt wie eine Schnapsidee, schon im Sommer zu reisen.«
»Es war auch eine Schnapsidee, aber ich will es mehr als mein Studium. Ich will es mehr als alles andere.« Ich wollte lieber reisen, statt eine glückliche Beziehung mit Levi zu führen. Und auf keinen Fall wollte ich um Levi trauern.
»Gut, dann werde ich es dir nicht ausreden. Wo soll es denn hingehen?«
Ich hatte es geschafft. Ich hatte Levi für eine Nacht aus meinem Kopf verbannt und sprach mit Michi nur noch über meine Reisen. Wir redeten die ganze Nacht durch und schliefen erst gegen 5 Uhr ein.
Ein Satz blieb an meinen Lippen hängen. Ich werde reisen!
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Endlich ein Kapitel aus Julys Sicht
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